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BGH - Entscheidung vom 16.01.2013

2 StR 106/12

Normen:
StPO § 261

BGH, Urteil vom 16.01.2013 - Aktenzeichen 2 StR 106/12

DRsp Nr. 2013/3330

Revisionsrechtliche Beschränkung auf Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung durch einen Tatrichter bzgl. Freispruchs wegen Mordes

1. In der Beweiswürdigung muss sich der Tatrichter mit den festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen.2. Dabei dürfen die Indizien nicht nur isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr in eine umfassende Gesamtwürdigung aller bedeutsamen Umstände eingebracht werden.3. Der Tatrichter darf insoweit keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforderliche Gewissheit stellen.

Tenor

1.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. Juni 2011 wird verworfen.

2.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

3.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsentscheidung wird kostenpflichtig verworfen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, an der Tötung von J. W. am 3. Juni 1996 beteiligt gewesen zu sein. Darüber hinaus hat es für erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung zuerkannt. Die Staatsanwaltschaft greift den Freispruch mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde an; außerdem wendet sie sich gegen die Entschädigungsentscheidung des Landgerichts. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich die aus Polen stammende 20-jährige Geschädigte J. W. seit dem Jahreswechsel 1995/96 in Deutschland auf und ging dort der Prostitution nach. In der "Bar " in B. G. traf sie auf die ebenfalls aus Polen stammende Angeklagte S. , die zum damaligen Zeitpunkt mit dem ehemaligen Mitbeschuldigten Ka. liiert war. Über ihn und die Angeklagte lernte sie im Laufe des Jahres 1996 den Angeklagten L. kennen, zu dem sie alsbald eine intime Beziehung aufnahm, obwohl sie sich - J. W. sprach nur polnisch - nur schwer verständigen konnten. In der Folgezeit zog sie zu ihm in seine Wohnung. Dort kamen in den Wochen danach die Angeklagten, Ka. und das spätere Tatopfer häufiger zusammen, um vom Angeklagten L. besorgtes Kokain zu konsumieren. Weitere Feststellungen zum Verlauf der nur wenige Wochen dauernden Beziehung zwischen dem Angeklagten L. und J. W. konnten nicht getroffen werden.

Am Abend des 3. Juni 1996 hatten der Angeklagte L. und J. W. in der Wohnung des Angeklagten Geschlechtsverkehr; Anhaltspunkte dafür, dass dies gegen den Willen des späteren Tatopfers geschehen sein könnte, hat die Kammer nicht festgestellt. Später erschienen die Mitangeklagte S. sowie Ka. in der Wohnung des Angeklagten L. und konsumierten dort im Beisein der Geschädigten wie in der Vergangenheit gemeinsam Kokain. Im Verlauf des Abends äußerte der Angeklagte sinngemäß, dass es "Probleme mit dem Mädchen" gebe und es deshalb weg müsse. Den genauen Wortlaut der Äußerung konnte die Strafkammer ebenso wenig feststellen wie weitere Gesprächsinhalte. Das Landgericht ist nicht davon ausgegangen, dass der Angeklagte L. mit seinen Äußerungen der Mitangeklagten und Ka. einen Tötungsauftrag erteilen wollte, ebenso wenig davon, dass sie diese als einen solchen verstanden.

Am späten Abend des 3. Juni 1996 verließen die Angeklagte, Ka. und das spätere Tatopfer die Wohnung des Angeklagten L. , der dort zurückblieb, und fuhren von K. aus in die Niederlande. Anlass und Ziel der Fahrt konnte das Landgericht nicht feststellen. Gegen 0.00 Uhr am 4. Juni 1996 hielt die Angeklagte, die zuvor mitgeteilt hatte, austreten zu müssen, das von ihr gesteuerte Fahrzeug auf einem Seitenweg in einem Waldgebiet im niederländischen Lo. an. Nach kurzer Verständigung mit der Geschädigten in polnischer Sprache stiegen beide Frauen aus dem Fahrzeug aus. Die Angeklagte begab sich in den Wald und urinierte. J. W. suchte in der gleichen Absicht den Schutz nahe gelegener Bäume und zog sodann Hose und Unterhose herunter. Nicht ausschließbar fasste Ka. in dieser Situation spontan den Entschluss, J. zu töten. Er entnahm aus dem Kofferraum einen Hammer, folgte der Geschädigten und schlug der nicht mit einem Angriff rechnenden Geschädigten mit Tötungsabsicht mehrfach und mit großer Wucht mit dem Hammer auf den Kopf- und Halsbereich. J. W. verstarb am Tatort aufgrund einer Kombination von komprimierender Gewalteinwirkung gegen den Hals und starkem Blutverlust nach außen. Die Angeklagte beobachtete das - für sie überraschende - Tatgeschehen, ohne einzuschreiten. Gemeinsam mit Ka. fuhr sie wieder zurück in die Wohnung des Angeklagten L. nach K. . Was dabei zwischen ihnen gesprochen wurde, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Dem Angeklagten L. berichteten sie, dass und wie J. W. zu Tode gekommen war. Wie dieser hierauf reagierte, konnte das Landgericht nicht feststellen. Keiner von ihnen benachrichtigte in der Folgezeit die Polizei.

J. W. wurde am Vormittag des 4. Juni 1996 tot aufgefunden. Ermittlungen der niederländischen Polizei zur Identität der Toten blieben erfolglos, auch konnte ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden. Im Jahre 2009 ergab ein Abgleich mit der beim BKA geführten DNA-Analysedatei, dass sich an Gegenständen des Tatopfers DNA-Spuren des Angeklagten L. befanden. Dies führte nach Übernahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Köln im Juni 2010 zu einem Haftbefehl gegen den Angeklagten, der zunächst angab, das Tatopfer nicht zu kennen, sich schließlich aber doch an sie erinnerte und im Zuge von Vernehmungen einräumte, von der Tötung des Opfers durch Ka. , der dieses im Beisein der Mitangeklagten in den Niederlanden erschlagen habe, zu wissen. Ka. räumte die Tat in seiner umfangreichen polizeilichen Vernehmung am 3. Juli 2010 ein, wobei seine Angaben, die das Landgericht wörtlich in den Urteilsgründen wiedergegeben hat, nicht widerspruchsfrei sind. Weitere Angaben zum Tathergang und zum Auslöser der Tat machte Ka. gegenüber seinem Verteidiger und gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen, bevor er am 8. Oktober 2010 in der JVA eines natürlichen Todes starb.

Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Das Landgericht hat sich bei seinen Feststellungen im Wesentlichen auf die Angaben des verstorbenen früheren Mitbeschuldigten Ka. sowie der Angeklagten in ihren polizeilichen Vernehmungen gestützt. Es hat sich die Überzeugung, die Angeklagten seien an der Tötung des Tatopfers durch Ka. beteiligt gewesen, nicht bilden können und hat sie freigesprochen. Eine Auftragserteilung an die Angeklagte S. und Ka. durch den Angeklagten L. sei nicht nachweisbar gewesen. Dass Ka. und die Angeklagte ausdrücklich oder konkludent den Plan gefasst oder verabredet hätten, J. W. (gemeinsam) zu töten, sei nicht anzunehmen. Die Tat stellte sich aus Sicht der Kammer als eine mit der Mitangeklagten unabgesprochene Spontantat des Ka. dar, zu deren Ausführung er zwar durch Äußerungen des Angeklagten L. veranlasst, aber nicht im Sinne des § 26 StGB vorsätzlich bestimmt worden sei (UA S. 182).

II.

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Die Verfahrensrügen greifen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 18. Mai 2012 dargelegten Gründen nicht durch.

2. Auch die Sachrüge deckt durchgreifende Rechtsmängel der landgerichtlichen Entscheidung nicht auf. Entgegen der Ansicht der Revision hält die angegriffene Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung stand.

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. In der Beweiswürdigung selbst muss sich der Tatrichter mit den festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei dürfen die Indizien nicht nur isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr in eine umfassende Gesamtwürdigung aller bedeutsamen Umstände eingebracht werden. Der Tatrichter darf insoweit keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforderliche Gewissheit stellen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die Strafkammer hat in einer umfassenden Beweiswürdigung die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen einer Gesamtschau abgewogen. Sie hat insoweit rechtsfehlerfrei dargelegt, weshalb sie sich von einer Tatbeteiligung der Angeklagten nicht hat überzeugen können. Die von der Revision geltend gemachten Rechtsmängel liegen - wie schon der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Antragsschrift dargelegt hat - nicht vor.

a) Zentraler Punkt der landgerichtlichen Würdigung sind die Angaben des früheren Mitbeschuldigten Ka. , die das Landgericht - der besonderen Beweisbedeutung entsprechend - in ihrem Wortlaut in den Urteilsgründen wiedergegeben hat. Dies ermöglicht es dem Senat, ohne Weiteres in allen Einzelheiten nachzuvollziehen, dass Ka. sich zu Tatvorgeschichte, Tathergang und Nachtatgeschehen nicht einheitlich und schlüssig, sondern vielmehr mit logischen Brüchen und Ungereimtheiten eingelassen hat. Soweit die Strafkammer - wie dies die Revision rügt - einigen Angaben des Ka. gefolgt ist, andere für widersprüchlich und andere als zu "schwammig" für ihre Überzeugungsbildung gehalten hat, begegnet dies deshalb keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Diese sorgfältige und eingehende Würdigung der die Angeklagten belastenden Angaben gebietet im Übrigen - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - der Umstand, dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, ihr Recht auf Befragung des vor der Hauptverhandlung gestorbenen Ka. auszuüben (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) MRK ). Das Tatgericht war aus diesem Grund gehalten, den eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten Rechnung zu tragen und die in ihrem Beweiswert geminderten Angaben von Ka. einer besonders sorgfältigen und kritischen Beweiswürdigung zu unterziehen.

b) Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aus der einzig festgestellten Äußerung des Angeklagten L. vor der Tat, J. W. müsse weg, weil es mit ihr Probleme gebe, nicht als "strafbare" Anstiftung zu ihrer Tötung angesehen hat. Die Strafkammer hat im Einzelnen dargelegt, wie diese Mitteilung des Angeklagten L. zu verstehen gewesen sein könnte, und warum sie sich nicht von einer Beauftragung von Ka. und der Mitangeklagten überzeugen konnte. Diese Würdigung hat sie nicht isoliert, sondern unter weiterer Berücksichtigung für und gegen einen solchen Auftrag sprechender Umstände vorgenommen, wobei maßgeblich eingeflossen ist, dass Ka. mehrfach von seinem spontanen Tatentschluss und in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung davon gesprochen hat, es sei doch nicht geplant gewesen, "das Mädchen umzubringen". Die insoweit gezogenen Schlüsse sind durchweg möglich und beruhen auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Demgegenüber erweisen sich die von der Revision geltend gemachten Bedenken, etwa gegen die Annahme des Landgerichts, Anlass und Ziel der gemeinsamen Fahrt hätten nicht festgestellt werden können, im Kern als bloßer Versuch, anstelle des Tatrichters eigene Schlussfolgerungen anzustellen, ohne damit Rechtsfehler aufzuzeigen.

c) Es stellt auch keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht trotz der festgestellten Umstände, dass die Angeklagte die Tötung des Opfers durch Ka. beobachtete und mit diesem zurückfuhr, ohne dass Ka. von Vorwürfen ihm gegenüber berichtet habe, nicht von einer Beteiligung der Angeklagten an dessen Tat ausgegangen ist. Die Strafkammer hat in dem passiven Verhalten der Angeklagten zwar einen Hinweis auf ihr Einverständnis mit der Tötung gesehen, hat allerdings daraus nicht den Schluss ziehen wollen, die Tat sei mit Ka. vorab verabredet worden. Vor dem Hintergrund mehrfacher Angaben von Ka. , er habe die Tat spontan begangen, weil es "über ihn gekommen" sei, und weiterer Zeugenaussagen zum Verhältnis zwischen Ka. und der Angeklagten konnte das Landgericht Angst vor Ka. als eine (einer Verabredung oder Unterstützung der Tat entgegenstehende) Erklärungsmöglichkeit für ihr passives Verhalten nicht ausschließen. Diese mögliche Schlussfolgerung beruhte - entgegen der Ansicht der Revision, die auch an diese Stelle revisionsrechtlich unbeachtlich eine eigene Würdigung der Beweise vornimmt - auf einer tragfähigen Grundlage, ohne dass das Landgericht damit überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung (§ 261 StPO ) gestellt hätte.

III.

Auch der nicht näher begründeten sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung über die Entschädigung erlittener Untersuchungshaft bleibt der Erfolg versagt. Es ist nicht ersichtlich, dass ein durchgreifender Ausschlussoder Versagungsgrund (§§ 5 , 6 StrEG ) gegeben ist.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Köln, vom 29.06.2011