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BGH - Entscheidung vom 08.01.2013

X ZR 138/09

BGH, Urteil vom 08.01.2013 - Aktenzeichen X ZR 138/09

DRsp Nr. 2013/3530

Patentfähigkeit eines Verfahrens zur Herstellung von L-Lysin durch Fermentation sowie hierzu geeignete Desoxyribonukleinsäuren (DNA), Bakterien und Proteine

Tenor

Die Berufung gegen das am 16. September 2009 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerinnen zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 733 710 (Streitpatents), das am 28. November 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität einer japanischen Anmeldung vom 8. Dezember 1993 angemeldet worden ist und unter anderem ein Verfahren zur Herstellung von L-Lysin durch Fermentation betrifft. Patentanspruch 1, auf den die übrigen zwölf Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"A DNA coding for a dihydrodipicolinate synthase originating from a bacterium belonging to the genus Escherichia having a mutation selected from the group consisting of a mutation to replace a 81st alanine residue with a valine residue, a mutation to replace a 118th histidine residue with a tyrosine residue, and a mutation to replace the 81st alanine residue with the valine residue and replace the 118th histidine residue with the tyrosine residue, as counted from the N terminal in an amino acid sequence of dihydrodipicolinate synthase defined in SEQ ID NO:3 in Sequence Listing."

Die Klägerinnen haben das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit und unzureichender Offenbarung in vollem Umfang angegriffen. Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen.

Mit ihrer Berufung greifen die Klägerinnen das Streitpatent nur noch wegen fehlender Patentfähigkeit an. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Im Auftrag des Senats hat Professor Dr. W.

ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerinnen haben gutachterliche Stellungnahmen von Professor Dr. We. , Professor emeritus B. und Professor Dr. N. vorgelegt, die Beklagte zwei gutachterliche Stellungnahmen von Professor Dr. K.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von L-Lysin durch Fermentation sowie hierzu geeignete Desoxyribonukleinsäuren (DNA), Bakterien und Proteine.

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift waren am Prioritätstag verschiedene Fermentationsverfahren zur Herstellung von L-Lysin bekannt, bei denen künstlich mutierte Bakterien eingesetzt werden. In verschiedenen Veröffentlichungen seien Verfahren unter Einsatz von Stämmen der Gattung Escherichia beschrieben, in denen die Dihydrodipicolinatsynthase (DDPS) verstärkt sei. In einigen dieser Veröffentlichungen sei die eingesetzte DDPS ein Wildtyp, der einer Rückkopplungshemmung durch L-Lysin unterliege und deshalb nicht zu einer zufriedenstellenden Produktivität führe. In einer anderen Veröffentlichung sei die DDPS aus einem Bakterium der Gattung Corynebacterium entnommen. Dieses unterliege zwar keiner Rückkopplungshemmung durch L-Lysin. Seine obere Temperaturgrenze für das Wachstum liege aber um rund 10°C niedriger als diejenige von Escherichia, was ebenfalls von Nachteil für die Produktivität sei.

Das Streitpatent betrifft das technische Problem, Mikroorganismen zur Herstellung von L-Lysin zur Verfügung zu stellen, bei denen keine Rückkopplungshemmung auftritt und deren obere Temperaturgrenze nicht unterhalb derjenigen von Escherichia liegt.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 Desoxyribonukleinsäure vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben):

a) Die DNA [1] kodiert für eine DDPS aus einem Bakterium der Gattung Escherichia [2] und

b) weist mindestens [4c] eine der beiden nachfolgend genannten Mutationen auf [3]: b1) Austausch des Alaninrests 81 gegen einen Valinrest [4a]; b2) Austausch des Histidinrests 118 gegen einen Tyrosinrest [4b].

3. Die in Merkmalsgruppe b definierte Mutation der DNA führt dazu, dass das damit erzeugte Enzym DDPS keiner Rückkopplung durch L-Lysin unterliegt. Da es sich um DDPS aus Escherichia handelt, kann ferner die für diese Gattung maßgebliche Temperaturobergrenze für das Wachstum ohne Einschränkungen genutzt werden.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für die Berufungsinstanz von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:

DNA mit den Merkmalen von Patentanspruch 1 sei in keiner der vorgelegten Veröffentlichungen beschrieben. In der Veröffentlichung von Hermann et al. (Consequences of Lysine Oversynthesis in Pseudomonas Mutants Insensitive to Feedback Inhibition, European Journal of Biochemistry 30 (1972), 100-106, NK5) werde auf eine mutierte DDPS hingewiesen, die gegenüber einer Rückkopplungshemmung durch L-Lysin unempfindlich sei. Diese Mutante werde in NK5 aber stofflich nicht weiter charakterisiert und zudem nur in einer Spezies der Bakteriengattung Pseudomonas nachgewiesen. In der Veröffentlichung der französischen Patentanmeldung 2 511 032 (NK6) und der Veröffentlichung von Dauce-Le Reverend et al. (Improvement of Escherichia coli Strains Overproducing Lysine Using Recombinant DNA Techniques, European J Appl Microbiol Biotechnol 15 (1982), 227-231, NK7) würden Escherichiacoli-Mutanten offenbart, in denen das native, für DDPS kodierende dapA-Gen überexprimiert werde. Mutationen dieses Gens oder des davon abgeleiteten Enzyms würden nicht genannt. Der Veröffentlichung sei nicht zu entnehmen, welche Gene mutiert seien und welche Mutationen die eingesetzte Hybrid-DNA enthalte. In der Veröffentlichung von Oh et al. (Improved L-Lysine Production by the Amplification of the Corynebacterium glutamicum dapA Gene Encoding Dihydrodipicolinate Synthetase in Escherichia coli, Biotechnology Letters 13 (1991), 727-732, NK11) werde lediglich ein Escherichia-coli-Stamm offenbart, in dem das native dapA-Gen aus dem Corynebacterium glutamicum in erhöhter Menge exprimiert werde.

Der Gegenstand des Streitpatents beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Dem Streitpatent liege objektiv die Aufgabe zu Grunde, eine effiziente Produktion von L-Lysin in Bakterien der Gattung Escherichia ohne den Einsatz heterologer Gene zu ermöglichen. Für die Lösung dieser Aufgabe durch die Lehre des Streitpatents finde sich im gesamten aufgeführten Stand der Technik kein Vorbild.

In NK11 werde zwar darauf hingewiesen, dass eine L-Lysin-Unempfindlichkeit der DDPS eine entscheidende Rolle spiele. Der dort offenbarte Vorschlag, ein hererologes dapA-Gen aus Corynebacterium glutamicum einzusetzen, gebe aber keinen Hinweis darauf, dass stattdessen auch ein mutiertes dapA-Gen aus Escherichia coli eingesetzt werden könne. In NK11 werde es vielmehr selbst im Hinblick auf das Enzym Aspartokinase III (AK III) als nachteilig eingestuft, hierfür ein mutiertes, homologes lysC-Gen zu verwenden.

In NK5 werde zwar darauf hingewiesen, dass DDPS nicht nur in Bakterien der Gattung Pseudomonas einer L-Lysin-Rückkopplungshemmung unterliege, sondern auch in anderen gram-negativen Bakterien wie zum Beispiel Escherichia coli. Daraus habe sich für den Fachmann jedoch keine Anregung ergeben, nicht nur die in NK5 beschriebenen Mutanten von Pseudomonas acidovorans als vorteilhaft anzusehen, sondern auch entsprechende Mutanten von Escherichia coli. Zwar seien die Biosynthesewege für L-Lysin in Bakterien unterschiedlicher Gattung stets identisch. Dies gelte aber nicht für die Regulation dieser Synthesewege. Aus NK5 sei ersichtlich, dass schon die zur gleichen Gattung gehörenden Bakterien der Typen Pseudomonas acidovorans und Pseudomonas putida Unterschiede hinsichtlich der Aspartokinase-Inhibition aufwiesen. Angesichts dessen habe der Fachmann keinen Anlass gehabt, die Erkenntnisse aus NK5 auf Bakterien einer anderen Gattung zu übertragen.

In NK7 werde es als ausreichend angesehen, die L-Lysin-Empfindlichkeit von AK III aufzuheben. Dagegen werde es als vorteilhaft bezeichnet, die Konzentration von DDPS trotz dessen L-Lysin-Empfindlichkeit zu erhöhen. Daraus habe sich nicht die Anregung ergeben, das für DDPS codierende dapA-Gen gentechnisch zu verändern.

Für den Fachmann habe es auch bei einer Zusammenschau der genannten Entgegenhaltungen und der ergänzenden Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens nicht nahegelegen, Escherichia-coli-Mutanten zu erzeugen, in denen die Rückkopplungshemmung von AK III und DDPS durch L-Lysin eliminiert sei. Zwar seien die im Streitpatent beschriebenen Maßnahmen zur Bereitstellung solcher Mutanten dem Wissen und Können des Fachmanns zuzurechnen. Dem Fachmann sei es, wie aus NK7 und NK11 hervorgehe, aber jedenfalls bis 1991 nicht gelungen, derartige Mutanten zu isolieren. Angesichts dessen habe der Stand der Technik dem Fachmann keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Beschreitung dieses Wegs vermittelt.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand.

1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents, dessen Neuheit auch die Klägerinnen nicht in Zweifel ziehen, ist dem Fachmann, einem Biochemiker, Chemiker oder Vertreter eines verwandten Fachgebiets mit fundiertem biochemischem Grundlagenwissen und mehrjähriger Erfahrung in der großtechnischen fermentativen Herstellung von Stoffen, durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

a) Wie in der Streitpatentschrift und zum Beispiel auch in der Veröffentlichung von Tosaka und Takinami (Lysine, in: Aida et al. (Hrsg.), biotechnology of amino acid production, progress in industrial microbiology 24 (1986), Ch. 14, 152-172, NB2) ausgeführt wird, war dem Fachmann am Prioritätstag bekannt, dass sowohl Aspartokinase, von der in Escherichia coli drei unterschiedliche Typen (AK I bis AK III) zu finden sind, als auch DDPS für die Synthese von Lysin in Escherichia coli von Bedeutung sind und dass sowohl AK III als auch DDPS in Escherichia coli einer Hemmung durch Lysin unterliegen (Streitpatent Abs. 5-8, NB2 S. 158 mit Tabelle 14-1). Bekannt war auch der Einsatz gentechnischer Mittel, mit denen die Produktion von hemmend wirkenden Stoffen unterdrückt (S. 163 f.), bestimmte Enzyme gegen eine Hemmung unempfindlich gemacht (S. 164 f.) oder die Expression bestimmter Enzyme verstärkt werden können (S. 166 f.).

Damit sind zwar die Techniken aufgezeigt, die auch dem Streitpatent zugrunde liegen. Ein konkreter Hinweis, die zur Verfügung stehenden Werkzeuge dazu zu nutzen, die für DDPS codierende DNA in Escherichia coli so zu modifizieren, dass Lysin keine Rückkopplungshemmung mehr entfaltet, ergibt sich daraus aber nicht. Insbesondere bestand für den Fachmann kein Anlass, gewissermaßen ins Blaue hinein Versuche mit allen in Betracht kommenden Methoden und allen am Syntheseweg beteiligten Enzymen durchzuführen. Angesichts der Vielzahl der hierfür in Frage kommenden Kombinationen, der vom gerichtlichen Sachverständigen geschilderten Komplexität der beteiligten Stoffwechselvorgänge und der zwischen diesen bestehenden Wechselwirkungen war nicht absehbar, dass ein derartiger Ansatz mit vertretbarem Aufwand zu brauchbaren Ergebnissen führen würde. Wie der Senat bereits in Zusammenhang mit einem anderen, ebenfalls ein Verfahren zur Herstellung von Lysin betreffenden Patent ausgeführt hat, hatte der Fachmann lediglich Anlass, sich mit denjenigen Faktoren zu befassen, von denen bekannt oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass sie limitierend wirken, d.h. bei den bekannten Verfahren nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - X ZR 115/09, GRUR 2012, 479 Rn. 31 - Transhydrogenase).

b) Aus den inhaltlich im Kern übereinstimmenden Entgegenhaltungen NK6 (Patte et al.) und NK7 (Dauce-Le Reverend et al.) ergaben sich zwar Hinweise darauf, dass DDPS bei der Produktion von Lysin in Escherichia coli limitierende Wirkung hat. Die Veröffentlichungen selbst gaben indes keine Anregung, diese Wirkung dadurch zu überwinden, dass die Rückkopplungshemmung durch Lysin unterbunden wird. Sie waren eher geeignet, den Fachmann von diesem Ansatz abzubringen.

In den beiden Veröffentlichungen wird ein mit TOCR21 bezeichneter Stamm von Escherichia coli beschrieben, der eine gegen die Rückkopplungshemmung durch Lysin unempfindliche Mutation von AK III aufweist (NK6 S. 6 Z. 3-7; NK7 S. 228 reSp unten). Dieser Stamm wird transformiert mittels eines Plasmids mit der Bezeichnung pDA1 (NK6 S. 6 Z. 8-13; NK7 S. 229). Dies führt dazu, dass die spezifische Aktivität von DDPS stark erhöht wird (NK6 S. 5 Z. 24-30 und S. 1 Z. 19-26; NK7 S. 229 mit Tabelle 1). Die damit erzielbare Verbesserung der Lysin-Ausbeute wird in NK6 (S. 7 Z. 1-4) auf das Acht- bis Zehnfache der ohne das Plasmid erreichbaren Menge geschätzt. In NK7 (S. 230 liSp mit Tabelle 2) wird angegeben, es könne eine Nettoerhöhung erzielt werden, die allerdings weniger dramatisch ausfalle als ursprünglich erwartet.

Der Umstand, dass eine Überexpression der natürlichen Form von DDPS zu einer gesteigerten Produktion führte, gab einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Verfügbarkeit dieses Enzyms von entscheidender Bedeutung für die Menge des produzierten Lysins ist. So wird auch in NK7 (S. 230 liSp unten) die Schlussfolgerung gezogen, im Stamm TOCR21 sei der limitierende Schritt eindeutig der durch das dapA-Gen codierte (gemeint ist: katalysierte) Kondensationsschritt, also die Umwandlung von Aspartatsemialdehyd durch DDPS (vgl. NK7 Figur 1).

Dass in NK7 zugleich ein Weg aufgezeigt wurde, die limitierende Wirkung ohne Mutation von DDPS zumindest abzumildern, gab für sich gesehen noch keinen Anlass, von der Suche nach anderen Wegen zur Erreichung dieses Ziels abzusehen. Wenn ein Schritt des Synthesewegs als limitierend erkannt ist und dem Fachmann mehrere erfolgversprechende Wege zur Verfügung stehen, um diese Wirkung zu überwinden, kann grundsätzlich Anlass bestehen, alle diese Wege in Erwägung zu ziehen, sofern ihre Gesamtzahl überschaubar ist.

Angesichts dessen ist nicht allein ausschlaggebend, ob NK6 und NK7 die Schlussfolgerung nahelegten, die limitierende Wirkung von DDPS könne schon durch verstärkte Produktion dieses Enzyms in seiner natürlichen Form vollständig überwunden werden. Eine zusätzlich oder stattdessen herbeigeführte Mutation von DDPS mit der Folge, dass die Rückkopplungshemmung durch Lysin unterbunden wird, war angesichts der Bedeutung des Enzyms als limitierender Faktor schon dann nahegelegt, wenn hinreichend Anlass zu der Erwartung bestand, dass sich auf diesem Weg vergleichbare Ergebnisse erzielen ließen wie mit der in NK6 und NK7 offenbarten Lösung.

Aus NK6 und NK7 ergab sich indes nicht, dass dieser alternative Weg erfolgversprechend sein würde. In NK7 wird bei der Bewertung der Versuchsergebnisse vielmehr ausgeführt, der Umstand, dass schon eine Erhöhung der DDPS-Aktivität zu einer Überproduktion von Lysin führe, stelle die invivo-Effizienz der Rückkopplungshemmung in Frage (S. 230 reSp). Trotz dieser Ausführungen blieb zwar die von den Privatgutachtern We. und B. aufgezeigte Möglichkeit offen, dass Lysin nicht nur in vitro, sondern auch in vivo auf einen erheblichen Teil der insgesamt vorhandenen Menge an DDPS hemmend wirkt, so dass ein Wegfall der Hemmungswirkung zu ähnlichen Ergebnissen führen könnte wie eine Mengensteigerung. Konkrete Hinweise darauf, dass sich diese Hoffnung bestätigen könnte, waren aber weder NK6 noch NK7 zu entnehmen.

c) Hinweise, die eine gegenüber NK6 und NK7 gesteigerte Erfolgserwartung hätten begründen können, ergaben sich nicht aus der Veröffentlichung NK5 (Hermann et al.).

In NK5 werden Versuche zur Unterbindung der Rückkopplungshemmung durch Lysin in Bakterien der Gattung Pseudomonas beschrieben. Beim Typ Pseudomonas putida entstanden Mutanten, bei denen Aspartokinase gegen eine Rückkopplungshemmung durch Lysin unempfindlich war. Diese Mutanten (T1A32 und T1A33) sonderten Lysin nicht in nennenswertem Umfang ab (S. 100 Nr. 3, S. 103 liSp mit Tabelle 2). Bei den Mutanten des Typs Pseudomonas acidovorans war DDPS gegen eine Rückkopplungshemmung durch Lysin unempfindlich, bei einem Teil der Mutanten darüber hinaus auch Aspartokinase. Alle diese Mutanten (L6A26, L6A45, L6A45AT10) sonderten Lysin ab (S. 100 Nr. 4 und S. 103 li/reSp mit Tabelle 3).

Hieraus ergab sich keine hinreichende Aussicht darauf, dass eine Mutation wie bei Pseudomonas acidovorans auch bei Escherichia coli mit Erfolg durchführbar sein und Einfluss auf die Produktion von Lysin haben könnte. Wie der gerichtliche Sachverständige näher dargelegt und auch der Privatgutachter B. im Kern bestätigt hat, weist die Feinregulation der Lysin-Synthese in Escherichia coli erhebliche Unterschiede zu derjenigen in Pseudomonas auf. Schon die im Vergleich dazu geringen Unterschiede zwischen einzelnen Typen der Gattung Pseudomonas haben bei den in NK5 beschriebenen Versuchen zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Angesichts dessen ergab sich aus NK5 keine begründete Aussicht darauf, dass sich bei Escherichia coli ähnliche Erfolge einstellen würden wie bei einer der beiden Pseudomonas-Typen.

Die vom Privatgutachter B. aufgezeigten Möglichkeiten, die Expression von AK III in Escherichia coli zu unterbinden und die Regulation der Lysin-Synthese damit derjenigen in Pseudomonas anzunähern, führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus NK5 ergaben sich keine Hinweise, dass solche Maßnahmen geeignet sein könnten, die Regulation in Escherichia coli so weit an diejenige von Psedomonas acidovorans anzunähern, dass sich vergleichbare Erfolge einstellen würden. Auch insoweit bestand angesichts der in NK5 offenbarten Versuchsergebnisse vielmehr Grund zu der Annahme, dass die für einen bestimmten Pseudomonas-Typ gewonnenen Erkenntnisse weder auf andere Typen dieser Gattung noch auf andere Gattungen ohne weiteres übertragbar waren.

d) Gewisse Anhaltspunkte dafür, dass eine Aufhebung der Rückkopplungshemmung von Lysin als Alternative in Frage kommen könnte, ergaben sich allerdings aus der Entgegenhaltung NK11 (Oh et al.).

In NK11 sind gentechnisch veränderte Stämme von Escherichia coli offenbart, die das für DDPS codierende dapA-Gen von Corynebacterium glutamicum enthalten. In diesen Stämmen zeigt die DDPS-Aktivität eine hohe Resistenz gegen eine Hemmung durch Lysin (S. 727 und 730). Bei zwei Stämmen, die gegenüber dem Lysin-Analogon S-2-Aminoethylcystein (AEC) empfindlich sind (TF13 und TF23), führte die beschriebene Veränderung nicht zu einer signifikanten Steigerung der Lysinproduktion. Bei einem gegen AEC unempfindlichen Stamm trat hingegen eine deutliche Steigerung ein (S. 731 mit Tabelle 3).

In NK11 wird daraus die Schlussfolgerung gezogen, DDPS katalysiere den limitierenden Schritt in der Biosynthese von Lysin. Hierbei wird auch auf die Veröffentlichung NK7 (Dauce-Le Reverend et al.) Bezug genommen, in der bereits beschrieben werde, dass die Lysinproduktion in Escherichia coli durch Genamplifikation verbessert werden könne. Als Unterschied wird hervorgehoben, das in NK7 eingesetzte dapA-Gen aus Escherichia coli unterliege einer Hemmung durch Lysin. Abschließend wird ausgeführt, die in NK11 offenbarten Versuchsergebnisse erlaubten trotz des Umstandes, dass auch andere Gene der Regulierung durch Lysin unterlägen und trotz der im Vergleich zu coryneformen Bakterien komplexeren Regulierungsmechanismen in Escherichia coli die Schlussfolgerung, dass die Expression des dapA-Gens aus Corynebacterium glutamicum zu einer Verbesserung der Lysinproduktion in Escherichia coli beitragen könne (S. 731).

Hieraus ergaben sich zwar keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die mit dem Gen aus Corynebacterium glutamicum erzielten Erfolge auf dessen Unempfindlichkeit gegenüber einer Rückkopplungshemmung durch Lysin beruhten. Die Bezugnahme auf NK7 und der Umstand, dass auch in NK11 eine Überproduktion von DDPS herbeigeführt wurde, deuteten, wie der gerichtliche Sachverständige zutreffend dargelegt hat, eher darauf hin, dass bei den in NK11 offenbarten Bakterien ebenfalls die erhöhte Menge an DDPS ausschlaggebend ist und der Rückkopplungshemmung entsprechend der in NK7 geäußerten Vermutung in vivo keine entscheidende Rolle zukommt. Andererseits wird in NK11 die Unempfindlichkeit gegenüber einer Rückkopplungshemmung als Unterschied zwischen den in NK11 und NK7 eingesetzten Bakterien ausdrücklich hervorgehoben. Hieraus ergaben sich gewisse Anhaltspunkte dafür, dass es lohnenswert sein könnte, den Einfluss dieser Hemmung näher zu untersuchen. Dies gilt nicht nur für das dapA-Gen aus Corynebacterium glutamicum. Angesichts der auch in der Streitpatentschrift als bekannt bezeichneten Temperaturempfindlichkeit dieses Fremdgens bestand vielmehr ein gewisser Anreiz, entsprechende Versuche auch mit dem dapA-Gen von Escherichia coli durchzuführen, dessen grundsätzliche Eignung schon durch NK7 belegt war.

Zusätzlichen Anreiz dafür mögen die vom Privatgutachter We. aufgezeigten Nachteile von Fremdgenen gegenüber homologen Genen geboten haben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Nachteile bei anderen bekannten Anwendungsfällen eher häufig oder nur gelegentlich auftraten. Solange nicht geklärt war, ob sie beim Einsatz von fremden dapA-Genen in Escherichia coli auftreten und Auswirkungen auf die Lysinproduktion haben würden, konnte es für den Fachmann jedenfalls von gewisser Attraktivität sein, diese mögliche Quelle von Problemen durch Einsatz des homologen dapA-Gens zu umgehen.

e) Trotz dieser Anhaltspunkte bestand indes keine hinreichende Aussicht, das dapA-Gen von Escherichia coli mit herkömmlichen Werkzeugen so modifizieren zu können, dass die exprimierte DDPS gegen eine Rückkopplungshemmung durch Lysin unempfindlich ist.

Der hierzu in der Streitpatentschrift offenbarte Weg einer Selektion mittels AEC entspricht zwar, wie die Privatgutachter We. und B. hervorheben, aber auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, einer bei anderen Mikroorganismen seit längerem mit Erfolg durchgeführten Verfahrensweise, die beispielsweise auch in NK5 (Herman et al.), NK11 (Oh et al.) und NB2 (Tosaka und Takinami) offenbart ist und kurz vor dem Prioritätstag erfolgreich eingesetzt wurde, um ein für DDPS kodierendes Gen aus Mais in Escherichia coli einzusetzen. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat, ergaben sich aber aus NK7 (Dauce-Le Reverend et al.) deutliche Hinweise darauf, dass bis zum damaligen Zeitpunkt (1982) keine desensibilisierte Mutante im Hinblick auf das dapA-Gen hatte isoliert werden können und dass gerade die Selektion mittels AEC insoweit nicht erfolgversprechend ist. Vor diesem Hintergrund hatte der Fachmann keinen Anlass, sich erneut mit diesem Ansatz zu befassen, zumal in NK7 und NK11 bereits zwei gangbare Wege zur Verbesserung des durch DDPS beeinflussten Syntheseschritts aufgezeigt worden waren und deshalb kein allzu großer Anreiz bestand, nach weiteren Wegen zu suchen, die nach den am Prioritätstag verfügbaren Erkenntnissen eher geringe Erfolgsaussicht boten.

Die vom Privatgutachter B. aufgezeigten zusätzlichen Erkenntnisse aus dem Zeitraum zwischen der Veröffentlichung von NK7 und dem Prioritätstag führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die Isolation und Sequenzierung des dapA-Gens von Escherichia coli und die Aufreinigung, Beschreibung und Kristallisierung von DDPS gaben, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, für sich betrachtet keine Hinweise darauf, dass eine Selektion mittels AEC entgegen der früher geäußerten Einschätzungen erfolgversprechend sein könnte, und boten auch keine greifbaren Vorteile bei der Selektion eines geeigneten Mutanten. Entsprechendes gilt für die in NK11 offenbarte Einbringung eines Fremdgens. Die auch in der Streitpatentschrift (Abs. 9) zum Ausdruck gebrachte allgemeine Erwartung, dass mutierte Stämme mit gegen Lysin unempfindlicher DDPS für die Lysinproduktion vorteilhaft wären, begründete ebenfalls keine Aussicht darauf, dass der in NK7 mit wissenschaftlich fundierter Begründung als nicht erfolgversprechend eingestufte Weg dennoch gangbar sein könnte.

Die vom Privatgutachter We. aufgezeigten Möglichkeiten zur Verbesserung der Selektion mittels AEC führen ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Zwar geht aus NK7 nicht im Einzelnen hervor, welche Methoden eingesetzt wurden, um gegen Lysin unempfindliche Mutanten von DDPS zu erlangen. Dies gab dem Fachmann aber keinen Anlass, die Angaben in Zweifel zu ziehen oder auf unzureichende methodische Ansätze zurückzuführen. Im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung von NK7 und dem Prioritätstag sind, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, auch keine grundlegend neuen Methoden bekannt geworden, die erneute Versuche in diese Richtung als erfolgversprechend hätten erscheinen lassen können. Die bereits erwähnte Isolation und Sequenzierung des dapA-Gens von Escherichia coli eröffnete zwar die theoretische Möglichkeit einer gezielten in-vitro-Mutagenese. Diese allein führte aber nicht zu einer gesteigerten Erfolgserwartung, solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlagen, an welcher Stelle des Gens Veränderungen vorzunehmen waren, um die Rückkopplungshemmung durch Lysin zu überwinden.

Entsprechendes gilt für die vom Privatgutachter We. als Alternative aufgezeigte Möglichkeit, für die Selektion Stämme einzusetzen, die einen AK-III-Defekt in der Rückkopplungsregulation aufweisen. Dass in NK5 ähnliche Wege beschritten wurden, gab schon im Hinblick auf die oben aufgezeigten Unterschiede in der Regulation des Synthesewegs keinen Anlass zu erneuten Versuchen mit Escherichia coli.

Vor diesem Hintergrund war der im Streitpatent beanspruchte Weg trotz der Gemeinsamkeiten mit ähnlichen Lösungen bei anderen Bakterien und bei Fremdgenen dem Fachmann am Prioritätstag nicht nahegelegt.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 8. Januar 2013

Vorinstanz: BPatG, vom 16.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 22/08 (EU)