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BGH - Entscheidung vom 19.06.2013

V ZB 30/13

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2

BGH, Beschluss vom 19.06.2013 - Aktenzeichen V ZB 30/13

DRsp Nr. 2013/17652

Notwendigkeit von Ausführungen über das Zielland der Abschiebung für die Rechtmäßigkeit eines Haftantrags zur Sicherung einer Abschiebung

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 15. Februar 2013 und der Beschluss Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2013 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Tirschenreuth auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2;

Gründe

I.

Die Betroffene, eine armenische Staatsangehörige, reiste eigenen Angaben zufolge im September 2011 mit einem LKW in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die dafür notwendigen Papiere besaß sie nicht. Ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 24. Februar 2012 als offensichtlich unbegründet ab. Es forderte die Betroffene auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Zudem wurde die Abschiebung angedroht. Die Betroffene kam der Aufforderung zur Ausreise nicht nach. Vom 3. September 2012 bis zum 18. Januar 2013 war sie unbekannten Aufenthalts.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. Februar 2013 gegen die Betroffene mit sofortiger Wirkung Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens sechs Wochen angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 15. Februar 2013 zurückgewiesen. Nach dem Ende der Haftzeit will die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts sie in ihren Rechten verletzt haben.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft vor. Die Betroffene sei aufgrund ihrer unerlaubten Einreise und der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Es sei zu befürchten gewesen, dass sie sich der drohenden Zurückschiebung habe entziehen wollen.

III.

Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG ohne Zulassung und nach Erledigung der Hauptsache statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG ) Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben. Das gilt auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen das Rechtsbeschwerdegericht gemäß Nr. 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG , § 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festzustellen hat. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im verfahrensrechtlichen Sinn (siehe nur Senat, Beschluss vom 29. März 2012 V ZB 3/12, [...] Rn. 3 mit umfangreichen Nachweisen).

2. So liegt es hier. Der angefochtenen Entscheidung ist nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, über welchen Sachverhalt das Beschwerdegericht entschieden hat.

3. Einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache wegen dieses von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels bedarf es allerdings nicht. Denn aus dem Haftantrag der beteiligten Behörde, dessen Zulässigkeit eine Verfahrensvoraussetzung und deshalb in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen ist, ergibt sich der zu beurteilende Sachverhalt.

4. Die Haftanordnung hat die Betroffene schon deshalb in ihren Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8).

a) Der Haftantrag genügte den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung nicht, weil darin nicht alle in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten Punkte, zumindest knapp, behandelt wurden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, aaO Rn. 9).

b) Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in welches der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13). Notwendig sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, aaO Rn. 14). Soweit mit dem Zielstaat ein Rückübernahmeabkommen besteht (hier das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien vom 16. November 2006, BGBl. II 1404), sind die danach durchzuführenden Maßnahmen in dem Haftantrag darzustellen (Senat, Beschluss vom 14. Februar 2012 V ZB 4/12, [...] Rn. 3). Derartige Angaben fehlten hier. Das Rückübernahmeabkommen erwähnte die beteiligte Behörde nicht. Der Haftantrag enthielt auch zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Armenien keine konkreten Angaben. Die beteiligte Behörde hatte lediglich ausgeführt, die beantragte Haftdauer von sechs Wochen sei notwendig gewesen, um Kontakt mit der armenischen Botschaft wegen eines Passersatzpapiers aufzunehmen, um sodann unverzüglich die Abschiebung nach Armenien durchführen zu können. Diese Ausführungen sind als im Wesentlichen universell einsetzbare Leerformeln, die über die Durchführung der Abschiebung und deren Dauer im konkreten Fall nichts aussagen, nicht ausreichend.

5. Auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt. Dies kann der Senat trotz der fehlenden Sachverhaltsdarstellung in dem angefochtenen Beschluss ebenfalls feststellen. Denn entweder hat die beteiligte Behörde den Mangel des Haftantrags nicht behoben. Oder das Beschwerdegericht hat es im Fall der Behebung des Mangels versäumt, die Betroffene erneut anzuhören, damit sie sich zu der Ergänzung des Haftantrags äußern konnte. Damit hat das Beschwerdegericht gegen § 68 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG und Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GG verstoßen, weil die in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Voraussetzungen für das Absehen von der Anhörung nicht vorlagen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. August 2010 V ZB 119/10, [...] Rn. 13 f.).

6. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO . Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 128c Abs. 2 , § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Trier, vom 13.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 2/13
Vorinstanz: LG Trier, vom 15.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 6 T 5/13