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BGH - Entscheidung vom 11.09.2013

X ZB 8/12

Normen:
PatG § 21 Abs. 2 Nr. 1, PatG § 34 Abs. 4
PatG § 21 Abs. 2 Nr. 1
PatG § 34 Abs. 4

Fundstellen:
GRUR 2013, 1210

BGH, Beschluss vom 11.09.2013 - Aktenzeichen X ZB 8/12

DRsp Nr. 2013/22528

Hinreichende Offenbarung einer Patentanmeldung; Patent betreffend die Verwendung bestimmter Stoffe zur Senkung des Blutzuckerspiegels in Säugern

a) Dem Patentanmelder ist es grundsätzlich unbenommen, den beanspruchten Schutz nicht auf Ausführungsformen zu beschränken, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschrieben werden, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen, sofern dies dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in vollem Umfang zu erfassen.b) Ob die Fassung eines Patentanspruchs, die eine Verallgemeinerung enthält, dem Erfordernis einer ausführbaren Offenbarung genügt, richtet sich danach, ob damit ein Schutz begehrt wird, der nicht über dasjenige hinausgeht, was dem Fachmann unter Berücksichtigung der Beschreibung und der darin enthaltenen Ausführungsbeispiele als allgemeinste Form der technischen Lehre erscheint, durch die das der Erfindung zugrundeliegende Problem gelöst wird.c) Einer Umschreibung einer Gruppe von Stoffen nach ihrer Funktion in einem Verwendungsanspruch steht weder entgegen, dass eine solche Fassung des Patentanspruchs neben bekannten oder in der Patentschrift offenbarten Stoffen auch die Verwendung von Stoffen umfasst, die erst zukünftig bereitgestellt werden, noch dass die Bereitstellung erfinderische Tätigkeit erfordern kann.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss des 14. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 13. März 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

PatG § 21 Abs. 2 Nr. 1 ; PatG § 34 Abs. 4 ;

Gründe

A. Die Rechtsvorgängerin der Patentinhaberin hat am 25. April 1996 die Verwendung von Effektoren der Dipeptidyl-Peptidase zur Senkung des Blutzuckerspiegels zum Patent angemeldet. Patentanspruch 1 des darauf erteilten Patents 196 16 486 (Streitpatents) lautet:

"Verwendung von Effektoren der Dipeptidyl-Peptidase (DP IV)- bzw. DP IV-analoger Enzymaktivität zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säugerorganismus."

Gegen das Patent sind zwei Einsprüche erhoben worden. Nachdem die Einsprechenden ihre Einsprüche zurückgenommen haben, hat die Einspruchsabteilung des Patentamts das Einspruchsverfahren von Amts wegen fortgesetzt und mit Beschluss vom 21. März 2007 das Patent beschränkt aufrechterhalten. Der Anspruch wurde gemäß Hilfsantrag 2 der Patentinhaberin wie folgt gefasst:

"Orale Verwendung von Aminoacyl-Thiazolididen oder von Alanyl-Pyrrolidid als Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase (DP IV)-Enzymaktivität zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus, worin die Verabreichung der Aminoacyl-Thiazolidide oder von Alanyl-Pyrrolidid an Säuger der Verhinderung oder Milderung von Diabetes mellitus dient."

Gegen diesen Beschluss hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt und beantragt, das Patent auf der Grundlage eines neugefassten Hauptantrags, hilfsweise auf der Basis einer Reihe von Hilfsanträgen aufrechtzuerhalten. Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1aa und 1ac lauten:

Hauptantrag:

Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase (DP IV)-Enzymaktivität zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus bei Diabetes mellitus.

Hilfsantrag 1aa:

Orale Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase (DP IV)-Enzymaktivität zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus bei Diabetes mellitus, wobei es sich um hochaffine, niedermolekulare Enzyminhibitoren handelt.

Hilfsantrag 1ac:

Orale Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase (DP IV)-Enzymaktivität zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus bei Diabetes mellitus, wobei es sich bei den DP IV Inhibitoren um Alanyl-Pyrrolidid, Aminacyl-Thiazolidid, N-Valyl-Prolyl oder O-Benzoyl-Hydroxylamin handelt.

Das Patentgericht hat das Patent mit einem Patentanspruch gemäß Hilfsantrag 1ac unter Anpassung der Beschreibung und der Zeichnungen aufrechterhalten, im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Patentgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin, mit der sie Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht erstrebt.

B. Die kraft Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 108 Abs. 1 PatG ).

I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung bestimmter Stoffe zur Senkung des Blutzuckerspiegels in Säugern.

1. Zur Beeinflussung des krankhaft erhöhten Blutzuckerspiegels (Hyperglykämie) war es im Stand der Technik bekannt, Insulin zu verabreichen. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, die bisher bekannten Verfahren seien mit hohem Materialaufwand, hohen Kosten und oft auch mit einschneidenden Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Patienten verbunden. Neuere Verfahren wie die Installation subkutaner Depot-Implantate oder die Implantation intakter Langhansscher Zellen seien technisch aufwendig und risikobehaftet.

Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein einfaches, kostengünstiges und den Patienten wenig belastendes Verfahren zur Senkung des Blutzuckerspiegels zur Verfügung zu stellen.

2. Zur Lösung dieses Problems wird im einzig verbliebenen Anspruch in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung vorgeschlagen:

1.

Verwendung von Inhibitoren der Enzymaktivität der Dipeptidyl-Peptidase IV (DP IV)

2.

zur Senkung des Blutzuckerspiegels unter die für Hyperglykämie charakteristische Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus

3.

bei Diabetes mellitus

II. Das Patentgericht hat zur Begründung der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verwendung gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1a, 1aa und 1ab sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Mit dem einzigen Patentanspruch nach dem Hauptantrag werde die Verwendung von Inhibitoren beansprucht, die nur über ihre Reaktion mit DP IV, also über funktionelle Merkmale, charakterisiert würden. Damit sei eine nicht eingrenzbare Vielzahl von Verbindungen gleicher Funktionalität, unabhängig von ihren tatsächlichen stofflichen Merkmalen, eingeschlossen. Über die Nennung von vier Dipeptidderivaten hinaus erhalte der Fachmann, ein Team, das einen Biochemiker, einen Chemiker mit dem Spezialgebiet organische Chemie und einen Facharzt für Innere Medizin mit dem Spezialgebiet Diabetologie umfasse, keine Hinweise darauf, welche Verbindungen er zur Lösung der Aufgabe noch in Betracht ziehen könne. Es sei nicht ersichtlich, was über die vier genannten Verbindungen hinaus unter die Bezeichnung "Inhibitor" mit der im Anspruch angegebenen Wirkung zu subsumieren sei. Um solche Substanzen aufzufinden, sei eine Vielzahl aufwendiger Versuche erforderlich, für die der Fachmann in der Patentschrift keine Anleitung finde. Damit sei der Gegenstand des Anspruchs nicht ausführbar offenbart. Durch die generalisierende Formulierung über die dem Fachmann in der Gesamtheit der Unterlagen an die Hand gegebene Lösung hinaus sei der beanspruchte Gegenstand so weit verallgemeinert, dass der erstrebte Patentschutz über den Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik hinausginge. Der Patentspruch gemäß Hauptantrag verletze auch das Rechtsschutzbedürfnis der Öffentlichkeit, weil für Dritte nicht erkennbar sei, was unter Schutz gestellt werden solle. Ob es sich, wie die Patentinhaberin vortrage, um eine Pioniererfindung handele, könne dahinstehen, weil es für die Ausführbarkeit auf die Wirkstoffe ankomme, die für die im Schutzanspruch genannte Verwendung eingesetzt werden sollen. Diese müssten ohne Rückgriff auf das Fachwissen des Fachmanns individualisiert bereits in den Erstunterlagen offenbart sein. Denn nicht die Erklärung der Wirkungsweise, dass mit der Inhibierung des Enzyms DP IV der Blutzuckerspiegel gesenkt werden könne, sei die Lösung. Diese liege vielmehr darin, die konkreten Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen der angestrebte Erfolg erreicht werde. Für die Hilfsanträge 1a, 1aa und 1ab gelte nichts anderes.

III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Das Erfordernis einer ausführbaren Offenbarung der Erfindung steht einer Formulierung des Patentanspruchs, die eine gewisse Verallgemeinerung enthält, nicht generell entgegen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Patentgericht davon aus, dass ein Patent im Einspruchsverfahren zu widerrufen ist, wenn es die Erfindung nicht hinreichend offenbart. § 34 Abs. 4 PatG bestimmt, dass die Erfindung in der Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 PatG ist das Patent im Einspruchsverfahren zu widerrufen, wenn diesem Erfordernis nicht genügt wird. Das Erfordernis der deutlichen und vollständigen Offenbarung der Erfindung soll gewährleisten, dass das Ausschließlichkeitsrecht, das dem Anmelder erteilt wird, dem Umfang der Erfindung entspricht, die er der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Soweit das Patentgericht die Fassung des Anspruchs auch wegen fehlender Klarheit beanstandet hat, füllt dies keinen Widerrufsgrund aus. Die Beseitigung vermeidbarer Unklarheiten hat im Prüfungsverfahren zu erfolgen. Die Ausführungen des Patentgerichts hierzu sind im Übrigen nicht zutreffend. Der Umstand, dass als Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase potentiell eine Vielzahl von Stoffen erfasst wird, steht der Klarheit des Anspruchs nicht entgegen.

b) Grundsätzlich ist es dem Anmelder unbenommen, den beanspruchten Schutz nicht auf Ausführungsformen zu beschränken, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschrieben werden, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen. Enthält ein Patentanspruch eine verallgemeinernde Formulierung, kann dies dazu führen, dass sie auch Ausführungsformen umfasst, die in der Beschreibung nicht konkret angesprochen sind. Daraus folgt jedoch nicht notwendig, dass die Erfindung insgesamt oder teilweise nicht mehr so offenbart ist, dass der Fachmann sie ausführen kann. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

Wird Schutz für ein Erzeugnis begehrt, ist der Anmelder grundsätzlich gehalten, die Sache durch körperliche Merkmale zu umschreiben. Geht es um den Schutz eines chemischen Stoffes, kann dieser etwa durch seine wissenschaftliche Bezeichnung oder seine Strukturformel bezeichnet werden. Die Kennzeichnung kann jedoch auch auf andere Weise erfolgen, wenn eine Erfassung der offenbarten Lehre anders nicht möglich oder nicht praktikabel ist.

Entsprechendes gilt für andere Anspruchskategorien. So kann bei einem Patent auf ein chemisches Syntheseverfahren ein bestimmter Verfahrensschritt in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion auszuführen, versagen, in der Patentschrift aber zumindest ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist. Die darin liegende Verallgemeinerung ist zulässig, wenn aus fachlicher Sicht die allgemein bezeichnete Reaktion - und nicht nur die in der Beschreibung konkret aufgezeigte Reaktion - als Bestandteil der Lösung verstanden wird (BGH, Urteil vom 3. Mai 2001 - X ZR 168/97, BGHZ 147, 306 , 317 f. - Taxol; dazu Meier-Beck, Festschrift für Ullmann, 2006, 495, 501). Wollte man den Schutz in einem solchen Fall stets auf die konkret beschriebene Reaktion beschränken, könnte dies dazu führen, dass das Schutzrecht die Reichweite der Erfindung nur unzureichend erfasst.

Dagegen verstößt eine generalisierende Formulierung in einem Patentanspruch gegen das Gebot deutlicher und vollständiger Offenbarung, wenn sie den durch das Patent geschützten Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinert (BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 , 306 f. Thermoplastische Zusammensetzung; BGH, Urteil vom 27. November 2012 - X ZR 58/07, BGHZ 195, 364 Rn. 38 - Neurale Vorläuferzellen II; vgl. auch EPA Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 9. März 1994 - T 435/91, GRUR Int. 1995, 591, Rn. 22.1 - Reinigungsmittel/UNILEVER). Unzulässig ist es ferner, eine Sache oder ein Verfahren, auf die sich die Erfindung bezieht, mit Parametern zu kennzeichnen, die nur die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe umschreiben (BGH, Beschluss vom 19. Juli 1984 X ZB 18/83, BGHZ 129, 135 f. - Acrylfasern).

Nach dieser Maßgabe kann es zulässig sein, im Anspruch verallgemeinernd eine Gruppe von Stoffen aufzuführen, auch wenn nicht sämtliche zu dieser Gruppe gehörenden Stoffe für den erfindungsgemäßen Zweck geeignet sind, sofern der Fachmann die Eignung der einzelnen Stoffe unschwer durch Versuche feststellen kann (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1964 - Ia ZR 27/63, GRUR 1965, 473, 475 Dauerwellen; BGH, Beschluss vom 9. Oktober 1990 - X ZB 13/89, BGHZ 112, 297 , 305 - Polyesterfäden). Keine Bedenken ergeben sich daraus, dass unter einen so gefassten Anspruch auch Substanzen fallen, die es derzeit noch nicht gibt oder die bislang noch nicht aufgefunden wurden. Sofern durch ihre Verwendung von der Erfindung Gebrauch gemacht wird, ist es unbedenklich, wenn auch Stoffe erfasst werden, die nicht ohne erfinderisches Bemühen aufgefunden werden können.

c) Den dargestellten Grundsätzen entspricht es, dass nach der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts die Wahl eines funktionellen Merkmals zulässig ist, wenn die darin liegende Verallgemeinerung dem berechtigten Anliegen Rechnung trägt, die Erfindung in vollem Umfang zu erfassen (EPA Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 27. November 1986 T 68/85 Rn. 8.4 - Synergistische Herbizide/CIBA-GEIGY; vom 27. Januar 1988 - T 292/85 Rn. 3.1.2 bis 3.1.5 - Polypeptide Expression/ GENENTECH I; vom 8. Mai 1996 T 694/92, GRUR Int. 1997, 918 - Modifying plant cells/MYCOGEN; s. auch Lord Hoffmann in House of Lords, Urteil vom 31. Oktober 1996, RPC 1997, 1, 47 ff., in deutscher Übersetzung GRUR Int. 1998, 412, 417 Biogen v. Medeva; ebenso jüngst Lord Justice Kitchin in Court of Appeal, Urteil vom 21. Februar 2013 [2013] EWCA Civ 93 Rn. 94 ff.). Dem steht nicht entgegen, dass eine funktionelle Fassung des Merkmals die Verwendung noch unbekannter Möglichkeiten umfasst, die möglicherweise erst zukünftig bereitgestellt oder erfunden werden, wenn nur so ein angemessener Schutz gewährt wird (EPA Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 27. Januar 1988 - T 292/85 Rn. 3.1.2 Polypeptide Expression/GENENTECH I). In einem solchen Fall ist die Erfindung grundsätzlich bereits dann ausreichend offenbart, wenn sie dem Fachmann mindestens einen Weg zu ihrer Ausführung eindeutig aufzeigt. Das Gebot der deutlichen und vollständigen Offenbarung erfordert es dagegen nicht, dass die Beschreibung Hinweise darauf enthält, wie alle denkbaren Varianten der Komponenten, die unter die funktionelle Definition fallen, zu erzielen sind (EPA Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 27. Januar 1988 T 292/85 Rn. 3.1.5 - Polypeptide Expression/ GENENTECH I). Wollte man eine solche Forderung aufstellen, scheiterte eine verallgemeinernde Fassung des Anspruchs regelmäßig am Gebot der deutlichen und vollständigen Offenbarung.

Ob die Fassung eines Patentanspruchs, die eine Verallgemeinerung enthält, zulässig ist, richtet sich mithin im Einzelfall danach, ob damit ein Schutz begehrt wird, der über dasjenige hinausgeht, was dem Fachmann unter Berücksichtigung der Beschreibung und der darin enthaltenen Ausführungsbeispiele als allgemeinste Form der technischen Lehre erscheint, durch die das der Erfindung zugrunde liegende Problem gelöst wird (EPA Technische Beschwerdekammer, Entscheidung vom 9. März 1994 - T 435/91, GRUR Int. 1995, 591 Rn. 2.2.1 Reinigungsmittel/ UNILEVER; vom 8. Mai 1996 - T 694/92, GRUR Int. 1997, 918 Rn. 5 - Modifying plant cells/MYCOGEN; Meier-Beck, Festschrift für Ullmann, 2006, 495, 502).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die angefochtene Entscheidung des Patentgerichts keinen Bestand haben.

Der Patentanspruch nach dem Hauptantrag enthält ein funktionelles Merkmal. Beansprucht wird nicht lediglich die Verwendung eines bestimmten Stoffes oder einer Mehrzahl von konkret bezeichneten Stoffen zur Senkung des Blutzuckerspiegels bei Diabetes mellitus, sondern die Verwendung sämtlicher Stoffe, die als Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase IV (DP IV) wirken. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts und der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 des Europäischen Patentamts, die mit ähnlicher Begründung das europäische Patent 896 538 widerrufen hat, ist diese Fassung des Anspruchs nicht schon deshalb wegen unzureichender Offenbarung zu beanstanden.

Zwar trifft es zu, dass diese Anspruchsfassung nicht nur die in der Beschreibung konkret bezeichneten Dipeptidderivate erfasst, sondern sämtliche Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase. Das genügt jedoch, wie ausgeführt, für sich genommen nicht, um eine unzureichende Offenbarung zu begründen. Der Sachverhalt, der der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zugrunde zu legen ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Fassung des Patentanspruchs nach dem Hauptantrag über das hinausgeht, was der Fachmann der Patentschrift als allgemeinste Form der beschriebenen technischen Lehre entnimmt.

a) Nach der Patentschrift betrifft die Erfindung ein einfaches Verfahren zur Senkung der Blutzuckerkonzentration. Das technische Problem wird dahin beschrieben, ein kostengünstiges und einfaches Verfahren zur Senkung des Blutzuckerspiegels bereitzustellen. Dieses Problem soll durch die Gabe von Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase gelöst werden. Nach den Angaben in der Beschreibung liegt dem folgendes zugrunde: Die Aufnahme von Nahrung und der damit einhergehende Anstieg des Blutzuckerspiegels führt zur Ausschüttung bestimmter Inkretine, die als GIP1-42 und GLP-17-36 bezeichnet werden. Diese Inkretine bewirken die Erhöhung der Sekretion von Insulin und reduzieren zugleich die Sekretion von Glucagon, einem Peptidhormon, das die Erhöhung des Blutzuckerspiegels bewirkt. Sie stellen damit beim gesunden Menschen sicher, dass es nicht zu überhöhten Blutzuckerwerten kommt. Dieser Mechanismus kann durch eine Erkrankung, etwa bei Diabetes mellitus, gestört sein, jedoch behält GLP-17-36 auch bei Diabetes-Typ-II-Patienten die Fähigkeit, die Insulin-Sekretion zu erhöhen und die Glucagon-Sekretion zu vermindern.

Die Stabilität der genannten endogenen Inkretine wird durch die Aktivität des Enzyms Dipeptidyl-Peptidase beeinträchtigt. Die Gabe eines Inhibitors unterdrückt oder vermindert die Aktivität dieses Enzyms und führt damit zu einer erhöhten endogenen Stabilität der genannten Inkretine. Das wiederum führt zu einem erhöhten Insulinspiegel und damit letztlich zur Absenkung des überhöhten Blutzuckerspiegels.

b) Mangels gegenteiliger Feststellungen im angefochtenen Beschluss ist für die Prüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde das tatsächliche Vorbringen der Patentinhaberin zur Reichweite der in der Patentschrift beschriebenen Erfindung zu unterstellen, von dem im Wesentlichen auch das Patentgericht bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Hilfsantrags 1 ac ausgegangen ist.

Danach war im Prioritätszeitpunkt die Bedeutung der genannten endogenen Inkretine für den Blutzuckerspiegel und die Beeinträchtigung ihrer Stabilität durch die Dipeptidyl-Peptidase bekannt. Die Bemühungen, diesen Mechanismus zu therapeutischen Zwecken zu beeinflussen, gingen jedoch in andere Richtungen, etwa dahin, dem Patienten solche Inkretine zusätzlich (exogen) zuzuführen, oder auch dahin, Analoge zu diesen Inkretinen zu suchen, die durch DP IV nicht beeinflusst werden. Der gezielte Einsatz von Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase war an sich bekannt, jedoch nur für andere therapeutische Zwecke. Zur medikamentösen Behandlung von Diabetes Typ II waren nur andere Wirkstoffklassen (Insulin, Sulfonylharnstoffe, Biguanide sowie Kombinationen dieser Stoffe) verbreitet. Legt man den Vortrag der Patentinhaberin zugrunde, liegt die technische Lehre des Patents nicht allein darin, ganz bestimmte, in der Beschreibung des Patents konkret benannte Stoffe über eine Beeinflussung der Dipeptidyl-Peptidase zur Senkung des krankhaft überhöhten Blutzuckerspiegels einzusetzen, sondern - verallgemeinernd - darin, hierfür Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase einzusetzen.

Weiter ist danach davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Anmeldung bereits eine Reihe von Inhibitoren der Dipeptidyl-Peptidase bekannt war, wenn diese auch bis dahin ausschließlich für andere Zwecke eingesetzt wurden. Auf welche Weise der Fachmann ermitteln konnte, ob ein solcher Inhibitor sich auch zu der vorgeschlagenen Verwendung eignete, ist in der Patentschrift (Sp. 4, Z. 40 ff.) beschrieben. Dass die danach anzustellenden Versuche mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden wären, ist nicht festgestellt.

3. Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben.

Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für notwendig erachtet (§ 107 Abs. 1 PatG ).

Vorinstanz: BPatG, vom 13.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen (pat) 7/07
Fundstellen
GRUR 2013, 1210