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BGH - Entscheidung vom 26.09.2013

VII ZR 2/13

Normen:
EStG § 48 Abs. 1, § 48a; BGB § 631 Abs. 1, § 273 Abs. 1
EStG § 48a Abs. 2
BGB § 242

Fundstellen:
BFH/NV 2014, 143
BauR 2014, 99
NJW 2014, 55
NZBau 2013, 6
NZBau 2013, 760
ZInsO 2013, 2209
ZfBR 2014, 44

BGH, Urteil vom 26.09.2013 - Aktenzeichen VII ZR 2/13

DRsp Nr. 2013/22537

Erstattung versehentlich vom Werklohn nicht einbehaltener Bauabzugsteuer; Erstattungspflicht des Unternehmers bei versehentlich vollständiger Zahlung des Werklohns an den Unternehmer; Erstattungspflicht der Bauabzugsteuer; Verpflichtung eines Auftragnehmers zur Auszahlung geleisteter Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen; Auszahlung eines Überschusses an den Auftraggeber

a) Zahlt der Besteller nach versehentlich vollständiger Zahlung des Werklohns an den Unternehmer die Bauabzugsteuer an das Finanzamt, trifft den Unternehmer eine aus dem Vertragsverhältnis resultierende Nebenpflicht, diesen Betrag an den Besteller zu erstatten.b) Der Unternehmer kann wegen seines nach § 48a Abs. 2 EStG gegebenen, fälligen Anspruchs auf ordnungsgemäße Abrechnung und damit auf Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung über den Steuerabzug bei Bauleistungen gegen einen solchen Erstattungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB geltend machen.

Tenor

I.

Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Revision das Vorbehalts- und Endurteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. Dezember 2012 teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Vorbehaltsurteil der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I vom 19. April 2012 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird durch Vorbehalts- und Endurteil verurteilt, an die Klägerin 1.483.224,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. September 2009 zu zahlen, Zug um Zug gegen Aushändigung einer Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG (durch Übergabe der von der Klägerin unterschriebenen dritten Ausfertigung der Anmeldung über den Steuerabzug bei Bauleistungen).

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.

Der Beklagten wird die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.

II.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.

Normenkette:

EStG § 48a Abs. 2 ; BGB § 242 ;

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung der versehentlich vom Werklohn nicht einbehaltenen Bauabzugsteuer, die die Klägerin für Rechnung der Beklagten an das Finanzamt abgeführt hat.

Die Beklagte ist ein in Österreich ansässiges Unternehmen. Sie erbrachte aufgrund eines am 6. April 2006 geschlossenen Werkvertrages über die Sanierung des B.-Museums in M. Bauleistungen für die Klägerin, die sie mit Rechnungen vom 20. September 2006 - 3. Oktober 2008 abrechnete. Für Rechnungen mit einem Gesamtbetrag in Höhe von 1.362.525,29 € (netto) lag der Klägerin eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG vor. Nach Rechnungsprüfung zahlte die Klägerin aufgrund eines Versehens in der Buchhaltung den als berechtigt errechneten Werklohnbetrag von 9.720.270,88 € (netto) in voller Höhe an die Beklagte aus, ohne gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG von dem Teilbetrag in Höhe von 8.357.745,59 € (netto), für den eine Freistellungsbescheinigung nicht vorlag, einen Steuerabzug für Bauleistungen in Höhe von 15 % des Bruttorechnungsbetrages vorzunehmen.

Am 20. August 2009 überwies die Klägerin die Bauabzugsteuer in Höhe von 1.483.224,28 € an das für die Beklagte zuständige Finanzamt M. II.

Mit Schreiben vom 1. September 2009 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich auf, den Geldbetrag in Höhe von 1.483.224,28 € bis zum 8. September 2009 an sie zurückzuzahlen.

Die von der Beklagten ihrerseits gemäß § 48c Abs. 2 EStG beantragte Auszahlung der überwiesenen Bauabzugsteuer lehnte das Finanzamt M. II mit der Begründung ab, dass eine Erstattung erst dann erfolgen könne, wenn die als Anlage zum Antrag beizufügende und von der Klägerin unterschriebene dritte Ausfertigung der Anmeldung über den Steuerabzug bei Bauleistungen (im Folgenden: dritte Ausfertigung) vorgelegt würde.

Eine Erstattung des Betrages in Höhe von 1.483.224,28 € durch die Beklagte an die Klägerin ist nicht erfolgt, ebenso wenig hat die Klägerin die vom Finanzamt M. II geforderte dritte Ausfertigung unterschrieben und an die Beklagte oder das Finanzamt herausgegeben. Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2011 hat sich die Klägerin bereit erklärt, Zug um Zug gegen Zahlung von 1.483.224,28 € die dritte Ausfertigung zu unterzeichnen und der Beklagten auszuhändigen.

Das Landgericht hat der im Urkundenprozess erhobenen Klage durch Vorbehaltsurteil stattgegeben. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hatte - bis auf einen Teil der zu Gunsten der Klägerin ausgeurteilten Zinsen -keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter; hilfsweise erstrebt sie eine Verurteilung zur zinsfreien Zahlung von 1.483.224,28 € Zug um Zug gegen Aushändigung einer Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG .

Entscheidungsgründe

Die Revision führt unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils und teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Bauabzugsteuer zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Aushändigung einer Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG (durch Übergabe der von der Klägerin unterschriebenen dritten Ausfertigung der Anmeldung über den Steuerabzug bei Bauleistungen).

I.

Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein vertraglicher Erstattungsanspruch zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei der Auftragnehmer verpflichtet, geleistete Voraus- und Abschlagszahlungen abzurechnen und einen Überschuss an den Auftraggeber auszuzahlen. Wenn die Summe der Voraus- und Abschlagszahlungen die dem Auftragnehmer zustehende Gesamtvergütung übersteige, sei dieser aufgrund einer stillschweigend getroffenen Abrede zur Zahlung des Überschusses an den Auftraggeber verpflichtet. Der vorliegende Sachverhalt sei hiermit vergleichbar.

Mit ihrem Einwand, die Klägerin müsse zuerst die dritte Ausfertigung der Anmeldung über den Steuerabzug bei Bauleistungen unterzeichnen und der Beklagten aushändigen, bevor eine Erstattung der Klageforderung zu erfolgen habe, dringe die Beklagte nicht durch. Es sei nicht die Klägerin, sondern die Beklagte, die vorleistungspflichtig sei. Dabei sei zwar eine Konnexität der beiderseitigen Ansprüche gemäß § 273 Abs. 1 BGB zu bejahen. Dennoch sei ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten zu verneinen, da die Beklagte nicht schutzwürdig sei. Die Klägerin habe lediglich versehentlich den vollen Werklohn an die Beklagte gezahlt. Es erscheine deshalb nicht sachgerecht, der Klägerin das Insolvenzrisiko der Beklagten aufzubürden. Daher sei zuerst die Klageforderung zurückzuzahlen. Erst dann sei die Klägerin verpflichtet, die dritte Ausfertigung zu unterzeichnen und diese der Beklagten auszuhändigen.

Das Gegenteil ergebe sich auch nicht aus § 48a Abs. 2 EStG . Dort sei zwar geregelt, dass der Leistungsempfänger mit dem Leistenden über den Steuerabzug abzurechnen habe. Die Regelung des § 48a Abs. 2 EStG gehe davon aus, dass der Leistungsempfänger an den Leistenden nur Werklohn in Höhe von 85 % gezahlt habe. Vorliegend sei aber durch die hundertprozentige Zahlung des Werklohns eine andere Ausgangslage gegeben, weshalb eine Vorleistungspflicht der Beklagten bestehe.

Selbst wenn man die Frage der Vorleistungspflicht anders beurteilen würde, sei die Beklagte nach § 242 BGB gehindert, sich auf ein Zurückbehaltungsrecht zu berufen. Die Beklagte zahle seit mehr als drei Jahren einen hohen Geldbetrag an die Klägerin nicht zurück, obwohl sie selbst die Rückerstattung eines wesentlichen Teils dieses Geldbetrags für angezeigt halte. Damit verhalte sich die Beklagte treuwidrig.

II.

Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin allerdings einen vertraglichen Anspruch auf Erstattung eines Betrages in Höhe der an das Finanzamt M. II abgeführten Bauabzugsteuer zuerkannt.

a) Das Berufungsgericht hat, ohne eine Prüfung nach dem deutschen Kollisionsrecht vorzunehmen, im Ergebnis zu Recht auf das Vertragsverhältnis der Parteien deutsches materielles Recht angewandt.

aa) In Fällen mit Auslandsberührung ist das deutsche Kollisionsrecht von Amts wegen zu beachten und anzuwenden (BGH, Urteil vom 27. Februar 2003 - VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110 , 114 m.w.N.). Die für die Anwendbarkeit des deutschen Kollisionsrechts nach Art. 3 Abs. 1 EGBGB a.F. erforderliche Auslandsberührung liegt vor, da die Beklagte ihren Sitz im Ausland hat.

bb) Nach den zur Akte gereichten Vertragsunterlagen haben die Parteien eine ausdrückliche Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB a.F. zugunsten des deutschen materiellen Rechts getroffen. In Ziffer 14.1., 1. Abs. der Vertragsinhalt gewordenen Allgemeinen Vertragsbestimmungen der Klägerin für technische Bauleistungen, Installationen und technische Ausrüstung, Stand 01/06, ist das deutsche Recht für die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander für anwendbar erklärt worden.

b) Ein Unternehmer im Sinne des § 2 UStG oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist als Auftraggeber einer Bauleistung, die im Inland erbracht wird, nach § 48 Abs. 1 , § 48d Abs. 1 Satz 1 EStG zu einem Abzug in Höhe von 15 % des Bruttobetrages der Gegenleistung und zur Abführung dieses Betrags an das für den Leistenden zuständige Finanzamt für Rechnung des Leistenden verpflichtet. Die Abzugspflicht besteht nicht, wenn die Gegenleistung im laufenden Kalenderjahr - vorbehaltlich der Sonderregelung des § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG - einen Mindestbetrag von 5.000 € nicht übersteigt oder der Leistende dem Leistungsempfänger eine Freistellungsbescheinigung im Sinne des § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG vorlegt (§ 48 Abs. 2 Satz 1 EStG ). Leistender ist grundsätzlich derjenige, der die Erbringung der Bauleistung schuldet.

c) Nach der Rechtsprechung des Senats begründet diese in § 48 Abs. 1 EStG geregelte Abzugsverpflichtung in Höhe des Abzugsbetrags für den Leistungsempfänger eine öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtung und Haftung gegenüber dem Finanzamt des Leistenden, die neben seine zivilrechtliche Leistungsverpflichtung gegenüber dem Leistenden zur Entrichtung des Werklohns gemäß § 631 Abs. 1 BGB tritt. Das zivilrechtliche Vertragsverhältnis wird durch die gesetzliche Abzugsverpflichtung abgabenrechtlich überlagert. Sofern der Leistungsempfänger seiner bestehenden Zahlungspflicht gegenüber dem Finanzamt des Leistenden zur Vermeidung einer Haftung nach § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG genügt, erfüllt er in Höhe des Abzugsbetrags seine Pflicht zur Zahlung des Werklohns, indem er der ihm abgabenrechtlich auferlegten Abzugsverpflichtung gegenüber dem Finanzamt des Leistenden nachkommt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - VII ZR 97/04, BGHZ 163, 103 , 106; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2001 - X ZR 13/99, BauR 2001, 1906 unter II. 2. b) = NZBau 2001, 625 , 627; Jansen/von Rintelen in Kniffka, Bauvertragsrecht, § 631 BGB Rn. 407 f.).

d) Diese Rechtsprechung, auf die auch das Berufungsgericht Bezug genommen hat, beantwortet nicht, welche Rechtsfolgen zivilrechtlich eintreten, wenn der Leistungsempfänger versehentlich den vollen Werklohn an den Leistenden auszahlt, ohne die gemäß § 48 Abs. 1 EStG vorgeschriebene Bauabzugsteuer in Höhe von 15 % des Bruttorechnungsbetrages abzuziehen, und er anschließend aufgrund der fortbestehenden steuerrechtlichen Anmeldungs- und Abführungspflicht nach § 48a Abs. 1 EStG und zur Vermeidung einer Haftung nach § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG die Bauabzugsteuer für Rechnung des Leistenden an das Finanzamt abführt.

e) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Leistende dem Leistungsempfänger in einem solchen Fall aufgrund eines vertraglichen Anspruchs zur Erstattung der Bauabzugsteuer verpflichtet ist.

Der Leistungsempfänger haftet dem Finanzamt gegenüber gemäß § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG für die Bauabzugsteuer; er nimmt die Zahlung jedoch für Rechnung des Leistenden vor, § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG . Eigentlicher - zumindest potenzieller - Steuerschuldner ist der Leistende, denn der Steuerabzug dient dazu, in bestimmtem Umfang die Einkommens- und Körperschaftsbesteuerung für den Gewinn des die Bauleistung erbringenden Unternehmers sowie die Besteuerung des Arbeitslohns der beim Erbringen der Bauleistung eingesetzten Arbeitnehmer zu sichern (Blümich/Ebling, EStG , KStG , GewStG , 117. Aufl., § 48 EStG Rn. 136; Hettler in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz , § 48 Rn. 66; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - VII ZR 97/04, aaO, S. 107). Im Innenverhältnis ist daher der Leistende gegenüber dem Leistungsempfänger verpflichtet, den Abzugsbetrag alleine zu tragen. Der Leistungsempfänger ist nicht nur berechtigt, sondern gemäß § 48 Abs. 1 EStG sogar verpflichtet, von dem Werklohn des Leistenden 15 % einzubehalten, um seine im Außenverhältnis gegenüber dem Finanzamt bestehende steuerrechtliche Pflicht erfüllen zu können. Die steuerrechtliche Verpflichtung gemäß § 48 EStG und die Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns beruhen letztlich beide darauf, dass der Leistungsempfänger mit dem Leistenden einen Bauvertrag abgeschlossen hat. Bei der Abrechnung der an den Auftragnehmer zu zahlenden Vergütung kann dementsprechend die von dem Auftraggeber auf die - potenzielle - Steuerschuld des Auftragnehmers erbrachte Leistung nicht außer Betracht bleiben. Eine Abrechnung ist abschließend erst möglich, wenn der Auftraggeber der steuerlichen Verpflichtung gemäß § 48 EStG nachgekommen ist. Hat er unter Berücksichtigung der an das Finanzamt gezahlten Bauabzugsteuer mehr als den dem Unternehmer zustehenden Werklohn bezahlt, steht ihm daher aus dem abgeschlossenen Bauvertrag ein Erstattungsanspruch in Höhe der Überzahlung zu. Im Falle einer versehentlichen vollständigen Zahlung des Werklohns trifft den Leistenden damit eine aus dem Vertragsverhältnis der Parteien resultierende Nebenpflicht, dem Leistungsempfänger den an das Finanzamt abgeführten Betrag zu erstatten (vgl. BAGE 26, 187, 191 zum Anspruch auf Erstattung nachgezahlter Lohnsteuer).

f) Der auf dieser Grundlage erwachsene Erstattungsanspruch ist auch dann gegeben, wenn entsprechend dem Vorbringen der Revision davon ausgegangen wird, dass eine Steuerschuld der Beklagten nicht besteht.

Der Leistungsempfänger darf im Verhältnis zum Leistenden den Abzugsbetrag auch dann an das Finanzamt abführen, wenn die steuerrechtliche Lage zur Zeit der Zahlung an das Finanzamt ungeklärt ist. Die Unklarheiten der steuerrechtlichen Lage betreffen in erster Linie das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Werkunternehmer als Steuerschuldner und der Finanzbehörde. § 48 EStG schaltet den Besteller als zunächst Außenstehenden lediglich in die Abwicklung dieses für ihn fremden Steuerverhältnisses ein. Demgemäß können nicht ihm die Risiken solcher Unklarheiten auferlegt werden; diese müssen vielmehr dem Steuerschuldner verbleiben. Der danach gebotene Schutz des Bestellers vor Gefahren, wie sie durch doppelte Inanspruchnahme, gerichtliche Auseinandersetzungen einerseits mit den Finanzbehörden, andererseits mit dem Gläubiger der Werklohnforderung etc. drohen, wird interessengerecht dadurch gewährleistet, dass der Besteller den Steuerabzug nach § 48 EStG unter den genannten Voraussetzungen auch dann vornehmen kann, wenn die steuerrechtliche Lage nicht geklärt ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - VII ZR 97/04, aaO, S. 108, 109). Nur dann, wenn für den Leistungsempfänger aufgrund der ihm im Zeitpunkt der Zahlung bekannten Umstände eindeutig erkennbar ist, dass eine Verpflichtung zum Steuerabzug nach § 48 EStG für ihn nicht besteht, hat ein Steuerabzug zu unterbleiben. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen hat die Revision nicht vorgetragen. Dass eine etwaige auf dem zwischen Deutschland und Österreich bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen beruhende Steuerbefreiung der Beklagten an der Verpflichtung der Klägerin zum Steuerabzug nichts änderte, folgt unmittelbar aus § 48d Abs. 1 Satz 6 EStG .

Aus den vorstehenden Erwägungen kommt es nicht darauf an, ob die Regelungen der §§ 48 ff. EStG - wie von der Revision angezweifelt wird - mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind (vgl. dazu BFH, BB 2009, 703 ).

2. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Berufungsgericht der Klägerin den Erstattungsanspruch zuerkannt hat, obwohl diese ihrer Pflicht zur Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG und in diesem Rahmen ihrer Pflicht zur Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung noch nicht nachgekommen ist.

a) Der Leistungsempfänger muss gegenüber dem Leistenden gemäß § 48a Abs. 2 EStG über den Steuerabzug abrechnen, um diesem die Anrechnung des Abzugsbetrages bei den eigenen Steuern gemäß § 48c Abs. 1 EStG oder die Erstattung gemäß § 48c Abs. 2 EStG zu ermöglichen (Blümich/Ebling, aaO, § 48a EStG Rn. 80 Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Loseblattkommentar zum Einkommensteuergesetz , 139. Lfg. Februar 2004, § 48a A 1, A 15; vgl. auch Kirchhof/Gosch, EStG , 12. Aufl., § 48c Rn. 3, 6). Zur Erfüllung dieses Abrechnungsanspruchs genügt es, wenn der Leistungsempfänger dem Leistenden den Durchschlag der Anmeldung, die sogenannte dritte Ausfertigung, überlässt (Erlass des BMF vom 27. Dezember 2002 zum Steuerabzug nach §§ 48 ff. EStG , BStBl I 02, 1399, Rn. 71; Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, aaO, § 48a C 2; Blümich/Ebling, aaO, § 48a EStG Rn. 82; Beck, BTR 2003, 124, 127).

b) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Erstattungsanspruch der Klägerin nicht zur Voraussetzung, dass diese zuvor ihrer Abrechnungspflicht gegenüber der Beklagten gemäß § 48a Abs. 2 EStG nachgekommen ist. Die Klägerin ist nicht vorleistungspflichtig. Ihr Erstattungsanspruch ist bereits daraus erwachsen, dass sie der Beklagten den vollen Werklohn entrichtet und zusätzlich für deren Rechnung die 15%ige Bauabzugsteuer an das Finanzamt gezahlt hat. Dem Umstand, dass die Beklagte mangels Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG noch nicht gemäß § 48c EStG mit dem Finanzamt abrechnen kann, kommt für die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs der Klägerin keine Bedeutung zu. Denn damit soll lediglich der Zustand hergestellt werden, wie er bei Einbehalt der Bauabzugsteuer vom Werklohn der Beklagten bestanden hätte.

3. Der Beklagten steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gegenüber der Klägerin wegen ihres Anspruchs auf eine ordnungsgemäße Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG ein Zurückbehaltungsrecht zu. Das macht die Revision mit Erfolg geltend.

a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht als Grundlage für eine Zurückbehaltung des Erstattungsbetrages allein auf § 273 Abs. 1 BGB und nicht auf § 320 Abs. 1 BGB abgestellt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin und der Abrechnungsanspruch der Beklagten beruhen zwar auf "demselben rechtlichen Verhältnis" im Sinne des § 273 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27. September 1984 - IX ZR 53/83, BGHZ 92, 194 , 196), stehen aber nicht in einer synallagmatischen Verknüpfung, wie dies für das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 BGB Voraussetzung wäre (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2006 - V ZR 40/05, BauR 2006, 1464 Rn. 20 = NZBau 2006, 645 ; MünchKommBGB/Krüger, 6. Aufl., § 273 Rn. 2; Palandt/ Grüneberg, BGB , 72. Aufl., § 320 Rn. 1).

b) Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB nicht abgesprochen werden.

aa) Das Berufungsgericht nimmt an, die Beklagte sei vorleistungspflichtig. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

(1) Eine Vorleistungspflicht lässt sich nicht mit dem Argument begründen, die Beklagte habe den vollen Werklohn nur versehentlich von der Klägerin erhalten. Dies lässt ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten daran, den Erstattungsanspruch der Klägerin nur Zug um Zug gegen Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG erfüllen zu müssen, nicht entfallen. Der Zweck des Zurückbehaltungsrechts, den Schuldner in erster Linie davor zu schützen, einseitig leisten zu müssen auf die Gefahr hin, die ihm gebührende Leistung nicht zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1979 - VIII ZR 284/78, BGHZ 73, 317, 319 f.), trifft auch für den Abrechnungsanspruch der Beklagten nach § 48a Abs. 2 EStG zu. Ohne Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG kann die Beklagte nicht mit dem Finanzamt nach § 48c EStG abrechnen. Den berechtigten Schutzinteressen der Klägerin ist demgegenüber auch mit Blick auf das Insolvenzrisiko der Beklagten hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Klägerin sich wegen ihres Erstattungsanspruchs ebenfalls auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB gegenüber dem Abrechnungsanspruch der Beklagten berufen kann. § 273 Abs. 1 BGB gewährt dem Schuldner das Recht, seine Leistung zu verweigern, bis der ihm gegenüber aus demselben rechtlichen Verhältnis verpflichtete Gläubiger leistet. Die beiderseitigen Leistungspflichten werden in der Weise verknüpft, dass der Schuldner seine Leistung so lange zurückhalten kann, bis er vom Gläubiger wegen seiner Forderung befriedigt wird und umgekehrt. Damit sich die beiden Leistungspflichten nicht gegenseitig blockieren, führt die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts zur Erfüllung Zug um Zug, § 274 Abs. 1 BGB (MünchKommBGB/Krüger, aaO, § 273 Rn. 1).

(2) Der Hinweis des Berufungsgerichts, § 48a Abs. 2 EStG betreffe nur die 15%ige Bauabzugsteuer, nicht aber die Rückerstattung zuviel gezahlten Werklohns, ist für die Frage der Vorleistungspflicht der Beklagten unbehelflich. Gleiches gilt für die Erwägung, die Möglichkeit einer zeitnahen Abrechnung des Leistenden mit dem Finanzamt nach § 48c EStG sei nur dann sachgerecht, wenn der Leistungsempfänger nur 85 % des Werklohns und nicht -wie hier -100 % an den Leistenden gezahlt habe. Muss die Beklagte den Abzugsbetrag erstatten, dann steht sie wirtschaftlich wieder so, als hätte die Klägerin nur 85 % des Werklohns an sie gezahlt.

bb) Auch mit der gegebenen Hilfsbegründung kann ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten nicht ausgeschlossen werden.

(1) Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht insoweit den Grundsatz berücksichtigt, dass das Zurückbehaltungsrecht als besonderer Anwendungsfall des Verbots unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB ) nicht in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise ausgeübt werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1984 - VIII ZR 302/82, BGHZ 91, 73 , 83; MünchKommBGB/Krüger, aaO, § 273 Rn. 72). Es liegt aber kein Sachverhalt vor, der es rechtfertigen könnte, im konkreten Fall die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts als treuwidrig zu werten.

(2) Das Berufungsgericht sieht ein treuwidriges Verhalten der Beklagten darin, dass sie seit mehr als drei Jahren einen hohen Geldbetrag an die Klägerin nicht zurückbezahle, obwohl sie selbst die Rückerstattung eines wesentlichen Teils dieses Geldbetrags für angezeigt halte. Hieraus lässt sich eine Treuwidrigkeit der Beklagten nicht ableiten, denn es ist ohne weiteres mit einem Zurückbehaltungsrecht vereinbar, dass der Inhaber dieses Rechts eine Forderung - auch über einen langen Zeitraum hinweg - nicht erfüllt, obwohl er einen wesentlichen Teil der Forderung für begründet hält. Ein Zurückbehaltungsrecht hindert die Durchsetzung einer Forderung und kommt überhaupt nur dann zum Tragen, wenn diese besteht.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten verneint hat. Es ist insoweit aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO .

Da im Umfang der Aufhebung keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, hat der Senat in der Sache zu entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO .

1. Der im Termin vorgebrachte Einwand der Revision, die Durchsetzung der Forderung sei treuwidrig, weil möglicherweise eine Erstattung der Bauabzugsteuer wegen des von der Klägerin zu vertretenden Zeitablaufs nicht mehr möglich sei, kann im Urkundenprozess nicht berücksichtigt werden.

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts steht der Beklagten wegen ihres nach § 48a Abs. 2 EStG gegebenen, fälligen Anspruchs auf ordnungsgemäße Abrechnung und damit auf Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung über den Steuerabzug bei Bauleistungen ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB zu.

a) Die Beklagte hat sich auf diese Einrede berufen. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung über den Steuerabzug sind weder streitig noch sonst problematisch. Der Berücksichtigung des Zurückbehaltungsrechts mit der Rechtsfolge der nur eingeschränkten Zug um Zug Verurteilung der Beklagten gemäß § 274 Abs. 1 BGB stehen damit weder § 531 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 , 214 ff.) noch der geführte Urkundenprozess entgegen (OLG Düsseldorf, BauR 2004, 1992;vgl. auch BGH, Urteil vom 18. September 2007 - XI ZR 211/06, BGHZ 173, 366 Rn. 13).

b) Sonstige Umstände, aus denen sich ein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.

Ein Fall, in dem die Annahme gerechtfertigt wäre, dass das Zurückbehaltungsrecht wegen einer untergeordneten Bedeutung der Gegenforderung im Vergleich zur Hauptforderung ausgeschlossen ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - X ZR 173/01, NJW 2004, 3484 , 3485; MünchKommBGB/Krüger, aaO, § 273 Rn. 72), liegt nicht vor. Die Beklagte ist zur Durchsetzung ihres Anrechnungs- oder Erstattungsanspruchs nach § 48c Abs. 1 und 2 EStG gegenüber dem Finanzamt M. II nach dem unstreitigen Sachverhalt auf eine ordnungsgemäße Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG durch die Klägerin und in diesem Rahmen zur Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung angewiesen. Die beanspruchte Abrechnung stellt den Schlüssel für die Erstattung durch das Finanzamt dar, deren Größenordnung die Klageforderung erreichen kann.

3. Entgegen der Ansicht der Revision wird der vom Berufungsgericht zuerkannte Zinsanspruch durch das Zurückbehaltungsrecht nicht berührt.

a) Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - III ZR 323/03, BauR 2005, 693 unter 3., m.w.N.). Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt (BGH, Urteil vom 25. November 1970 - VIII ZR 101/69, NJW 1971, 421). Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten (BGH, Urteil vom 25. November 1970 - VIII ZR 101/69, aaO).

b) Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 1. September 2009 aufgefordert, an sie 1.483.224,28 € bis 8.9.2009 zurückzuzahlen. Die Revision trägt keine im Urkundenprozess zu berücksichtigenden Tatsachen vor, aus denen sich ergäbe, dass die Beklagte trotz der fruchtlos verstrichenen Zahlungsfrist im Hinblick auf das ihr zustehende Zurückbehaltungsrecht entweder nicht in Verzug geraten ist oder nachfolgend den Verzug beendet hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 26. September 2013

Vorinstanz: LG München I, vom 19.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 12 HKO 19275/10
Vorinstanz: OLG München, vom 11.12.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 2013/12
Fundstellen
BFH/NV 2014, 143
BauR 2014, 99
NJW 2014, 55
NZBau 2013, 6
NZBau 2013, 760
ZInsO 2013, 2209
ZfBR 2014, 44