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BGH - Entscheidung vom 23.08.2013

1 StR 135/13

Normen:
StGB § 66 Abs. 2
StGB § 66 Abs. 3 S. 1, 2
StGB § 176 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 23.08.2013 - Aktenzeichen 1 StR 135/13

DRsp Nr. 2013/19795

Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben einer Geschädigten in der Beweiswürdigung u.a. bei Verurteilung eines Vaters wegen Vergewaltigung und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (hier: der Tochter)

1. In einem Fall, in dem ein Angeklagter sich nicht einlässt, und nur die Aussage eines einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. 2. Das Schweigen als zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Angeklagten weder bei der Strafzumessung noch bei der Prüfung der Voraussetzungen der Maßregel der Sicherungsverwahrung angelastet werden.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 8. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO ).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 66 Abs. 2 ; StGB § 66 Abs. 3 S. 1, 2; StGB § 176 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten in fünf Fällen, wegen Vergewaltigung mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten in zehn Fällen, wegen Vergewaltigung mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten in fünf Fällen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Die der Verurteilung des Angeklagten wegen der Sexualdelikte zu Grunde liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen gebärdete sich der Angeklagte während des Verlaufs seiner 1993 eingegangenen Ehe despotisch und gewalttätig. Die Eheleute bekamen drei gemeinsame Töchter, darunter die am 6. März 1994 geborene F. . Im Jahre 2002 trennte sich die Ehefrau vom Angeklagten. Daraufhin hetzte der Angeklagte seine Tochter F. gegen die Mutter auf. F. wurde schließlich wegen aggressiven Verhaltens - so hatte sie ihre Mutter angegriffen - in einer Pflegefamilie untergebracht. Sie zog dann 2006 zu ihrem Vater. Fortan quälte er seine Tochter auf mannigfache Weise, auch durch Gewalttätigkeiten. Zudem übte er bei ihr im Mai 2007 in fünf Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Zwischen dem 1. Juni 2007 und dem 24. November 2007 wiederholte sich dies in weiteren zehn Fällen, jedes Mal versuchte das Mädchen jedoch, ihn wegzustoßen, wobei er ihr jeweils in den Schenkel kniff, um den Widerstand zu überwinden. Im Oktober 2007 schlug der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf von F. ein, so dass diese eine stark blutende Platzwunde und einen gebrochenen Finger an der zum Schutz hochgehaltenen Hand erlitt. Zwischen November 2007 und März 2009 war F. wegen des Verdachts der Misshandlung durch den Vater im Kinderheim untergebracht. Jedoch 'gelang" es dem Angeklagten, sie zu sich zurückzuholen. So kam es zwischen dem 6. März 2009 und Februar 2011 zu weiteren fünf Fällen des vaginalen Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des sich wehrenden Mädchens, das der Angeklagte dabei jeweils mit Gewalt niederdrückte.

Das Landgericht hat die Verurteilung des zu den Vorwürfen schweigenden Angeklagten auf die für glaubhaft erachteten Angaben der Geschädigten gestützt.

2. Auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148 f.; Beschluss vom 23. August 2012 - 4 StR 305/12, NStZ-RR 2012, 383 f.) weist die Beweiswürdigung wegen der Sexualdelikte Rechtsfehler auf.

In einem Fall, in dem ein Angeklagter sich nicht einlässt, nur die Aussage des einzigen Belastungszeugen zur Verfügung steht und die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem einen Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 2 StR 591/97, StV 1998, 250 ; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO , 26. Aufl., § 261 Rn. 72). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

a) Das Landgericht hat die Angaben der Geschädigten deshalb als glaubhaft erachtet, weil sie detailreich, in sich schlüssig, widerspruchsfrei und nicht von übermäßigem Belastungseifer getragen seien. Es ist indes den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und somit für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, worauf es diese Bewertung der Aussage stützt. Insbesondere der angenommene Detailreichtum findet weder in der kargen Darstellung des Tatgeschehens noch in der äußerst knappen Würdigung eine Stütze. Die Angaben der Geschädigten sind dort nur insoweit dargestellt, als die Zeugin die jeweiligen sexuellen Übergriffe 'eher pauschal mit 'vaginalem Eindringen' oder 'vaginalem Geschlechtsverkehr' beschrieb", was mit der Annahme von Detailreichtum oder Aussagegenauigkeit in einem gewissen, von der Strafkammer nicht aufgelösten Spannungsverhältnis steht.

b) Auch die Feststellungen in Bezug auf die Aussageentstehung lassen eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht zu. Hierzu teilt das Landgericht lediglich mit, ein Zeuge S. habe erklärt, dass die Geschädigte von sich aus keine Anzeige habe erstatten wollen und er die 'treibende Kraft" hierzu gewesen sei. Zum Zeugen S. wird im Rahmen der Darlegungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten lediglich mitgeteilt, dass im Jahr 2012 gegen den Angeklagten ein nicht rechtskräftiges amtsgerichtliches Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung zu dessen Lasten ergangen ist.

Das Landgericht sieht die Angaben des Zeugen S. allein als Beleg für den mangelnden Belastungseifer der Geschädigten. Dies lässt besorgen, dass es die Bedeutung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 5. November 1997 - 3 StR 558/97, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3; und vom 9. Juli 2009 - 5 StR 225/09) der Angaben der Geschädigten verkannt hat. So hätte erörtert werden müssen, ob in der 'treibenden Kraft" S. ein Motiv für eine Falschbelastung gelegen haben könnte.

Auch hätte es der Mitteilung bedurft, ob und welche Angaben die Geschädigte während ihrer Zeit im Kinderheim zu Übergriffen des Angeklagten gemacht und wie sie sich zu einer Rückkehr in den väterlichen Haushalt verhalten hat.

c) Den Urteilsfeststellungen kann zudem nicht entnommen werden, anhand welcher Anknüpfungspunkte im Beweisergebnis sich das Landgericht von der Anzahl der festgestellten Taten überzeugt hat. Das Landgericht teilt hierzu lediglich mit, dass die festgestellte Anzahl der Taten nur das 'absolute Minimum" sei, wie sich aus den Angaben der Zeugin ergebe. Diese Angaben der Geschädigten zur Häufigkeit werden indes nicht mitgeteilt, so dass - auch unter Berücksichtigung dessen, dass an die Feststellung einer bestimmten Anzahl von Straftaten einer gleichförmig verlaufenden Serie sexueller Missbrauchshandlungen keine übersteigerten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 1997 - 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107 , 109 f.; und vom 12. November 1997 - 3 StR 559/97, BGHR StGB § 176 Serienstraftaten 8) -eine nachvollziehbare Grundlage für die dahingehende Überzeugungsbildung fehlt.

II.

Da der Senat nicht ausschließen kann, dass die Rechtsfehler bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten sich auch auf die Beweiswürdigung hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung ausgewirkt haben, hebt er das Urteil insgesamt auf.

Sollte das neue Tatgericht erneut zur Verurteilung des Angeklagten gelangen, weist der Senat auf Folgendes hin:

Das Schweigen als zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Angeklagten weder bei der Strafzumessung noch bei der Prüfung der Voraussetzungen der Maßregel der Sicherungsverwahrung angelastet werden. Auf eine mangelnde Auseinandersetzung mit den hiesigen, vom Angeklagten nicht eingeräumten Taten kann weder die Begründung des Hangs noch der Gefahrenprognose gestützt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. März 2012 - 1 StR 64/12, StV 2012, 597 ; und vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9 ).

Auch im Übrigen hätten die Urteilsausführungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung revisionsgerichtlicher Kontrolle nicht standgehalten. Sollte sich für das neue Tatgericht die Frage der Anordnung der Maßregel erneut stellen, wird es sorgfältiger als bisher sowohl die formellen - anders als die Anordnungsvarianten nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB verlangt die des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB eine qualifizierte Vorverurteilung zu Freiheitsstrafe - als auch die materiellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu prüfen haben. Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster, bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist, bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272 ). Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484 ; Urteile vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204 ; und vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09). Diese tatrichterliche Gesamtwürdigung kann nicht durch den Verweis auf die Schlüssigkeit der sachverständigen Ausführungen und den Hinweis, dass diese von keinem Verfahrensbeteiligten angezweifelt worden seien, ersetzt werden.

Soll im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ein manipulatives Verhalten des Angeklagten verwertet werden, so ist dies entsprechend zu belegen. Auch die Frage, in welchem Zusammenhang zur eingeschliffenen Neigung zur Begehung bestimmter Delikte Vorahndungen wegen 'verschiedenster Delikte" oder das Fehlen einer 'konstanten Berufstätigkeit" stehen, ist entsprechend zu erörtern.

Vorinstanz: LG Kempten (Allgäu), vom 08.11.2012