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BGH - Entscheidung vom 27.03.2013

IV ZR 256/12

Normen:
BGB § 307 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 286
ZPO § 411 Abs. 3
ZPO § 412

Fundstellen:
VersR 2013, 848
r+s 2014, 405

BGH, Beschluss vom 27.03.2013 - Aktenzeichen IV ZR 256/12

DRsp Nr. 2013/14559

Beurteilung bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit in der privaten Krankentagegeldversicherung in Zeiten der Arbeitsuche

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Juli 2012 durch Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen

vier Wochen.

Normenkette:

BGB § 307 Abs. 2 Nr. 2 ; ZPO § 286 ; ZPO § 411 Abs. 3 ; ZPO § 412 ;

Gründe

I. Der Kläger macht gegen den Beklagten soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung einen Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld für die Zeit vom 5. März bis 29. Mai 2009 in Höhe von 10.093,82 € geltend. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung des Beklagten (MB/KT) zugrunde. Vereinbart ist ferner der Tarif T 06, der Leistungen ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit vors ieht. In dem Tarif heißt es unter anderem:

"Nach diesen Tarifen können Personen versichert werden, die ihren Beruf als Selbständige ausüben und einkommensteuerpflichtig sind oder die als Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis stehen und lohnsteuer pflichtig sind."

Der Kläger war bis zur Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2008 bei der Firma K. als Projektleiter für Brandschutzanlagen tätig. Der Beklagte zahlte zunächst bis zum 22. Juni 2008 aufgrund unstreitiger Arbeitsunfähigkeit Krankentagegeld. Für die Zeit vom 23. Juni 2008 bis zum 31. August 2008 wurde der Beklagte durch Urteil des OLG Celle vom 12. Mai 2010 zur weiteren Zahlung von Krankentagegeld verurteilt. Diese Entscheidung hat der Senat mit Urteil vom 9. Mai 2011 (IV ZR 137/10, VersR 2011, 518) bestätigt. Der Senat hat hierzu entschieden, Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 3 MB/KT 94 liege auch dann vor, wenn sich der Versicherte an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsituation ausgesetzt sehe, hierdurch psychisch oder physisch erkranke und infolgedessen seinem bisher ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausübung nicht nachgehen könne (aaO Rn. 13 ff.).

Der Kläger war sodann seit dem 1. September 2008 zunächst arbeitslos. Er behauptet, seit dem 25. Januar 2009 bis zum 29. Mai 2009 erneut arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein und begehrt für diesen Zeitraum die Zahlung von Krankentagegeld . Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist hinsichtlich des Zahlungsantrags für das Krankentagegeld erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich seine Revision.

II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen nicht vor. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO ).

1. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen der grund sätzlicher Bedeutung zukommenden Frage zugelassen, auf welche konkrete berufliche Tätigkeit bei der Beurteilung bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit in der privaten Krankentagegeldversicherung in Zeiten der Arbeitsuche abzustellen ist. Tatsächlich bestehen Gründe für eine Zulassung der Revision nicht. Die maßgeblichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Senats geklärt.

a) Die Parteien haben zunächst in dem Tarif vereinbart, dass versicherungsfähig nur Personen sind, die ihren Beruf als Selbständige ausüben und einkommensteuerpflichtig sind oder die als Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis stehen und lohnsteuerpflichtig sind. Bei wörtlicher Anwendung dieser Klausel könnte der Kläger keine Ansprüche geltend machen, da er im Zeitpunkt der geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit arbeitslos war. Der Senat hat indessen eine ähnliche Klausel mit seinem Urteil vom 27. Februar 2008 wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB für unwirksam erklärt ( IV ZR 219/06, BGHZ 175, 322 ). Auf dieser Grundlage hat der Senat eine ergänzende Vertragsauslegung des Inhalts vorgenommen, dass die Versicherungsfähigkeit erst zu dem Zeitpunkt entfällt, für den feststeht, dass der Versicherungsnehmer eine neue Tätigkeit als Arbeitnehmer nicht mehr aufnehmen will , oder aufgrund objektiver Umstände festgestellt werden kann, dass die Arbeitssuche trotz ernsthafter Bemühungen ohne Erfolg bleiben wird (aaO Rn. 29). Diese Senatsrechtsprechung hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt und ist deshalb hinsichtlich des für das Revisionsverfahren nicht mehr erheblichen Feststellungsantrags zu dem Ergebnis gekommen, dass die Krankentagegeldversicherung nicht beendet ist.

Der Senat hat ferner in seinem Urteil vom 9. März 2011 ausgeführt, Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit sei der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung ( IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rn. 13 f.). Der Krankentagegeldversicherer könne von dem Versicherten, der durch besondere Umstände an seinem bisherigen Arbeitsplatz krank geworden sei, nicht einen Wechsel des Arbeitsplatzes, die Wahl eines anderen Arbeitsumfeldes oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber verlangen. Die Arbeitsunfähigkeit entfalle nicht deshalb, weil der Versicherte bei Bereinigung der Konfliktsituation an seinem konkreten Arbeitsplatz oder durch einen Wechsel seines Arbeitsplatzes wieder arbeitsfähig wäre. Bei einem weitergehenden Verständnis des Begriffs der beruflichen Tätigkeit wäre der Versicherte zu einem Ar beitsplatzwechsel gehalten, der ihm auch als Obliegenheit nicht abverlangt werde.

b) Das Berufungsgericht ist auf dieser Grundlage zutreffend davon ausgegangen, dass auf die konkrete bislang ausgeübte Berufstätigkeit abzustellen ist. Dies ist hier die Tätigkeit des Klägers als Projektleiter Brandschutz, wie sie im Einzelnen in der Vernehmung der Zeugen geschildert wurde und nach den Vorgaben des Berufungsgerichts auch der Beurteilung durch die Sachverständige zugrunde zu le gen war. Nicht zurückgegriffen werden kann demgegenüber auf zusätzliche Beschwernisse, die sich lediglich auf die ganz konkrete Arbeitsplatzsituation bei dem bisherigen Arbeitgeber ausgewirkt haben, hier also das vom Kläger geltend gemachte Mobbing. Dieses hat für die Frage, ob der Kl äger in Zeiten der Arbeitsuche arbeitsunfähig geworden ist, keine Auswirkungen mehr, weil der Kläger an diesem alten Arbeitsplatz nicht mehr beschäftigt ist und an ihn nicht mehr zurückkehren wird.

Dem Urteil des Senats vom 9. März 2011 kann nicht entnommen werden, dass dieses Berufsbild mit den spezifischen Erschwerungen bei dem bisherigen Arbeitsplatz auch dann noch gelten soll, wenn der Versicherungsnehmer an diesem nicht mehr tätig ist. Im Gegenteil hat der Senat gerade zur Begründung darauf abgest ellt, dem Versicherungsnehmer, der an seinem bisherigen Arbeitsplatz erkrankt sei, seien der Wechsel des Arbeitsplatzes, die Wahl eines anderen Arbeitsumfeldes oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber nicht zuzumuten. Irgendeine Obliegenheit zu einem Arbeitsplatzwechsel sei vertraglich nicht vereinbart. All diese Erwägungen treffen nur für den Fall zu, bei dem der Versicherungsnehmer noch im bisherigen Arbeitsverhältnis beschäftigt ist. Ist er demgegenüber nicht mehr an seinem alten Arbeitsplatz tätig, sondern arbeitsuchend und besteht für diese Zwischenphase noch Schutz aus der Krankentagegeldversicherung, so müssen besondere Umstände, die lediglich bei dem einen Arbeitgeber vorhanden waren, bei der Beurteilung des Berufsbildes unberücksichtigt bleiben. Eine andere Sichtweise würde demgegenüber dazu führen, dass die bei dem früheren Arbeitgeber bestehende Arbeitsunfähigkeit in die Zukunft perpetuiert wird. Hierdurch ginge der Bezug der konkreten beruflichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers zu dem von ihm gesuchten neuen Arbeitsplatz verloren.

Dem steht ferner nicht der Sinn und Zweck der Krankentagegeldversicherung entgegen. Sie hat für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar den Zweck, die durch einen vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft entstehenden Vermögensnachteile auszugleichen (Senatsurteil vom 9. März 2011 IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rn. 17). Zu einem Ausfall der Arbeitskraft in Zeiten der Arbeitsuche und damit dem Erfordernis des Ausgleichs von Vermögensnachte ilen kommt es - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - dagegen nicht, wenn er seine bisher ausgeübte berufliche Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber als bei seinem bisherigen ausüben könnte.

Die Revision zeigt schließlich ebenfalls nicht auf, dass zur Beurteilung der sich hier stellenden Fragen in Rechtsprechung und/oder Schrifttum abweichende Auffassungen vertreten würden.

2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht war nicht verpflichtet, die Sachverständige zur Erläuterung ihres Gutachtens zu laden. Die Überzeugungsbildung des Gerichts verstößt nicht gegen §§ 286 , 411 Abs. 3 , 412 ZPO .

a) Die Sachverständige Dr. R. hat bei dem Kläger eine depressive Verstimmung, Dysthymie, rezidivierende depressive Störung, Angststörung mit Panikattacken, narzisstische Persönlichkeitsstruktur mit starker Selbstunsicherheit, Hörminderung beidseits mit Tinnitus sowie Zustand nach Bandscheibenvorfall rechts im Bereich der LWS diagnostiziert. In ihrer zusammenfassenden Beurteilung hat sie ausgeführt, der Kläger sei auch nach längerer Krankheit und einer stationären Behandlung nicht mehr in der Lage, an seine frühere Arbeitsstelle zurückzukehren. Allerdings hat die Gutachterin zugleich ausge führt, der Kläger wäre einsatzfähig gewesen, wenn eine Tätigkeit an einem neuen Arbeitsumfeld an einer anderen Arbeitsstelle möglich gewesen wäre. Die beschriebene depressive Störung bestehe zwar auch jetzt noch. Der Kläger sei aber nunmehr in Vollzeit tätig und arbeitsfähig. Nach seiner Beschreibung habe in der Zeit von Januar bis Mai 2009 ein ähnlicher Zustand wie im Zeitpunkt der Untersuchung bestanden. In der Beantwortung der Beweisfragen heißt es sodann, der Kläger sei im fraglichen Zeitpunkt krankheitsbedingt völlig außerstande gewesen, seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit bei der Firma K. nachzugehen. Bei einer anderen Firma unter anderen Arbeitsbedingungen wäre ihm eine Tätigkeit wie die, die er als Projektleiter Brandschutz ausgeübt habe, eher möglich gewesen. Diese Feststellung sei allerdings hypothetisch, da er keine andere Arbeitsstelle zu dieser Zeit hatte.

Aus der Wortwahl "eher möglich" und "allerdings hypothetisch" will der Kläger schließen, dass die Sachverständige sich für ei ne Arbeitsfähigkeit in einem anderen Arbeitsumfeld nicht positiv festgelegt habe. Das ist aber nicht der Fall. Aus den vorangehenden Äußerungen der Sachverständigen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass sie von keiner bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit des Klägers in einem neuen Arbeitsumfeld an einer neuen Arbeitsstelle ausgeht. Hierzu stützt sie sich darauf, dass der Kläger für seine Tätigkeit im Zeitpunkt der Untersuchung durch die Sachverständige am 18. November 2011 (Techniker im Außendienst bei einer Firma, die Flüssiggas vertreibt) trotz psychischer Belastungen von Arbeitsfähigkeit ausgeht. Nach den eigenen Angaben des Klägers hat ein ähnlicher psychischer Zustand von Januar bis Mai 2009 bestanden. Dem Kläger wäre daher ohne die spezifisc hen Belastungen der Mobbingsituation an seinem bisherigen Arbeitsplatz auch eine Tätigkeit als Projektleiter Brandschutz in einem anderen Betrieb möglich gewesen. Die Einschränkung der Sachverständigen am Ende ihres Gutachtens bezieht sich lediglich darauf , dass der Kläger damals tatsächlich keine konkrete andere Arbeitsstelle hatte.

b) Das Berufungsgericht ist schließlich nicht zu Unrecht davon ausgegangen, dass verbleibende Unsicherheiten zu Lasten des Klägers gehen. Das Vorliegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Eintritts eines Versicherungsfalles ist vom Versicherungsnehmer zu beweisen (Senatsurteil vom 3. Mai 2000 IV ZR 110/99, VersR 2000, 841 unter II 1). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das Berufungsgericht für die Frage der Berufsunfähigkeit auf die bislang ausgeübte Berufstätigkeit ohne Berücksichtigung besonderer Erschwernisse am früheren Arbeitsplatz abgestellt hat. Hierbei geht es nicht um irgendeine Form von Verweisung, für die der Versicherer darlegungsund beweispflichtig wäre, sondern um die Frage, auf welches Berufsbild in der Phase der Arbeitssuche abzustellen ist. Insoweit ist auf die obigen Ausführungen unter II. 1. zu verweisen.

Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Vorinstanz: LG Aachen, vom 12.03.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 388/09
Vorinstanz: OLG Köln, vom 13.07.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 46/10
Fundstellen
VersR 2013, 848
r+s 2014, 405