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BGH - Entscheidung vom 02.09.2013

VII ZR 242/12

Normen:
ZPO § 282 Abs. 1
ZPO § 296 Abs. 1
ZPO § 296 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 02.09.2013 - Aktenzeichen VII ZR 242/12

DRsp Nr. 2013/20642

Berücksichtigung von Angriffsmitteln einer Partei hinsichtlich werkvertraglicher Zahlungsansprüche laut Schlussrechnung

1. Bleiben Angriffsmittel einer Partei unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) der Partei verletzt. 2. § 531 Abs. 1 ZPO erlaubt es dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz zu Recht vorgenommen worden ist. Eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln darf nicht durch eine andere Begründung ersetzt werden. Insbesondere darf das Berufungsgericht nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben. 3.

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 7. August 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 32.544,12 €

Normenkette:

ZPO § 282 Abs. 1 ; ZPO § 296 Abs. 1 ; ZPO § 296 Abs. 2 ; ZPO § 531 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht werkvertragliche Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu 1, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und deren Gesellschafter, die Beklagten zu 2 und 3, geltend.

Die Beklagte zu 1 beauftragte den Zedenten im Juni 2009 mit Dachdeckerarbeiten an dem Bauvorhaben K. in A. Der Zedent führte seine Arbeiten aus und erstellte eine Schlussrechnung. Die Klägerin macht aus dieser Schlussrechnung einen Anspruch in Höhe von 32.544,12 € nebst Zinsen geltend. Die Klageforderung bezieht sich auf verschiedene von der Beklagten zu 1 nicht akzeptierte Positionen der Schlussrechung.

Das Landgericht hat mit Verfügung vom 16. Mai 2011 das schriftliche Vorverfahren angeordnet und mit Verfügung vom 6. Juli 2011, der Klägerin zugestellt am 11. Juli 2011, Gütetermin und Verhandlungstermin auf 16. August 2011 bestimmt und der Klägerin eine Frist zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung von zwei Wochen gesetzt. Die Klägerin hat per Telefax am 11. August 2011 einen vom 10. August 2011 datierenden Schriftsatz ohne Anlagen an das Landgericht übermittelt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 16. August 2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Schriftsatz vom 10. August 2011 im Original bzw. als Abschrift nebst Anlagen überreicht und erklärt, der Brief, der diesen Schriftsatz und die Anlagen enthalten habe, sei nicht ausreichend frankiert gewesen und deswegen zurückgekommen.

Das Landgericht hat die Klage unter Anwendung der Verspätungsvorschriften in § 296 ZPO abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin nach vorangegangenem Hinweisbeschluss durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt.

II.

1. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf den vorangegangenen Hinweisbeschluss im Wesentlichen ausgeführt, es habe nur die Tatsachen zugrunde zu legen, die vom Landgericht festgestellt worden seien. Im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesene Angriffsmittel blieben ausgeschlossen. Das Urteil des Landgerichts sei frei von Rechtsfehlern. Es stelle keinen Verfahrensfehler dar, dass das Landgericht die Klägerin mit ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 10. August 2011 ausgeschlossen und die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen habe. Das Landgericht habe die Zurückweisung wegen Verspätung unter anderem auf § 296 Abs. 2 ZPO gestützt. Dessen Voraussetzungen lägen vor. Mit dem Landgericht gehe das Berufungsgericht davon aus, dass die Klägerin gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO verstoßen habe. Das Landgericht habe ohne Rechtsverstoß in Bezug auf jedes einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel den Vortrag zurückgewiesen, weil seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhe.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

a) Bleiben Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) der Partei verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2013 VII ZR 58/12, BauR 2013, 1146 Rn. 9 = NZBau 2013, 433 Rn. 9; Beschluss vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9 jeweils m.w.N.).

b) So liegt der Fall hier. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 10. August 2011 nebst Anlagen gemäß § 531 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen bleibt.

aa) § 531 Abs. 1 ZPO erlaubt es nach seinem klaren Wortlaut dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz zu Recht vorgenommen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2006 IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 16). Das im Rechtsmittelzug übergeordnete Gericht darf eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln nicht durch eine andere Begründung ersetzen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007 , 1008) und insbesondere nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1981 VIII ZR 38/80, NJW 1981, 2255).

bb) Die Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO durch das Landgericht ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Nach § 296 Abs. 2 ZPO können Angriffsund Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Fahrlässigkeit beruht.

(1) Zu Unrecht hat das Landgericht die Zurückweisung auf § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 1 ZPO gestützt. § 282 Abs. 1 ZPO betrifft allein Angriffsund Verteidigungsmittel, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 6; Urteil vom 4. Mai 2005 - XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007 ; MünchKommZPO/ Prütting, 4. Aufl., § 282 Rn. 8; jeweils m.w.N). Bei dem Termin vom 16. August 2011 vor dem Landgericht handelte es sich um den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz.

(2) Die vom Landgericht gegebene Begründung trägt auch nicht die von ihm vorgenommene Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 2 ZPO .

(a) Das Landgericht hat die für die Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO erforderliche grobe Nachlässigkeit der Klägerin nicht hinreichend begründet. Grobe Nachlässigkeit im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO liegt dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei hätte als notwendig einleuchten müssen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2002 X ZR 69/01, NJW 2003, 200 , 202 m.w.N.). Dies muss das erstinstanzliche Gericht hinreichend begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2002 X ZR 69/01, aaO 202). Das hat das Landgericht nicht getan. Die Ausführungen des Landgerichts zur groben Nachlässigkeit der Klägerin beziehen sich, wie sich aus den Ausführungen auf Seite 9, 12, 13 und 14 des Urteils des Landgerichts ergibt, lediglich auf die unzureichende Frankierung beim Versand des die Stellungnahme zur Klageerwiderung enthaltenden Schriftsatzes nebst Anlagen. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Darlegung, dass die unzureichende Frankierung der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

Soweit das Landgericht im Übrigen ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin darin gesehen hat, dass der die Stellungnahme zur Klageerwiderung enthaltende Schriftsatz nicht rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. August 2011 eingereicht worden sei, hat es dies nicht als grobe Nachlässigkeit eingestuft.

(b) Außerdem fehlt es an der Ausübung des dem Landgericht bei der Entscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO zustehenden Ermessens (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 1982 VI ZR 272/80, WM 1982, 1281, 1282; BVerfG, NJW 1985, 1150 , 1151; zu den Kriterien für die Ermessensausübung vgl. Leipold in: Stein/Jonas, ZPO , 22. Aufl., § 296 Rn. 148 f.). Dem Urteil des Landgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es das ihm nach § 296 Abs. 2 ZPO zustehende Ermessen ausgeübt hat. Die Formulierung auf Seite 8 des Urteils des Landgerichts "Das Gericht muss ohne Durchführung einer Beweisaufnahme von dem Vorbringen der Beklagten ausgehen, weil die Vorlage der Unterlagen der Klägerin wegen Verspätung nach § 296 Abs. 1 , Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden" spricht vielmehr gegen eine Ermessensausübung seitens des Landgerichts. Entsprechendes gilt für die Formulierung auf Seite 13 des Urteils des Landgerichts, wonach das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 10. August 2011 "wegen Verspätung nach § 296 Abs. 1 , Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden" kann. Denn der eine gebundene Entscheidung vorsehende § 296 Abs. 1 ZPO und der eine Ermessensentscheidung vorsehende § 296 Abs. 2 ZPO werden jeweils in einem Zug angeführt.

c) Der angefochtene Beschluss beruht auf der Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Vortrag im Schriftsatz vom 10. August 2011 nebst Anlagen nicht nach § 531 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen hätte. Das gilt auch hinsichtlich des auf die Positionen 13.001 bis 13.018 bezogenen Zahlungsanspruchs wegen Materialkostenerhöhungen. Die Klausel in Nr. 21 der Allgemeinen Vertragsbedingungen, die Materialpreiserhöhungen zum Gegenstand hat und auf die sich das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss vom 4. Mai 2012, Seite 11 hilfsweise bezogen hat, betrifft weder einen Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB noch einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Nr. 6 Satz 1 VOB/B ; auf diese beiden Anspruchsgrundlagen hat die Klägerin den genannten Zahlungsanspruch auch gestützt.

Vorinstanz: LG Aachen, vom 04.10.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 7 O 132/11
Vorinstanz: OLG Köln, vom 07.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 19 U 185/11