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BGH - Entscheidung vom 06.03.2013

5 StR 13/13

Normen:
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 4

BGH, Beschluss vom 06.03.2013 - Aktenzeichen 5 StR 13/13

DRsp Nr. 2013/5349

Aufhebung des gesamten Strafausspruchs eines wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen Verurteilten und der Anordnung der Sicherungsverwahrung

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Oktober 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 66 Abs. 1 Nr. 4 ;

G r ü n d e

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Nach den Feststellungen übernachtete der fast 13 Jahre alte Geschädigte an einem Wochenende im Januar 2012 auf Wunsch seiner Mutter bei dem Angeklagten, der ihr dies angeboten hatte. Anlässlich dieses Aufenthalts führte der Angeklagte in zwei Nächten in seiner Wohnung jeweils an dem unbedeckten Glied des Jungen masturbatorische Handlungen und Oralverkehr bis zum Samenerguss des Geschädigten aus. In beiden Nächten führte er außerdem die Hand des Zeugen an seinem eigenen unbedeckten erigierten Glied auf und ab und befriedigte sich bis zum Samenerguss selbst. Ferner forderte er das Kind in beiden Nächten auf, an ihm den Oralverkehr durchzuführen und ihm eine Kerze anal einzuführen. Die Ablehnung des Jungen akzeptierte er.

2. Der Angeklagte ist seit 1983 vielfach vorbestraft, unter anderem mehrfach wegen exhibitionistischer Taten zum Nachteil von Jugendlichen und Kindern (letztere gewertet als sexueller Missbrauch von Kindern). Während er die ersten Taten gegenüber Mädchen begangen hatte, waren die Geschädigten seiner letzten Taten Jungen. Im Jahr 1988 wurde der Angeklagte wegen Vergewaltigung einer erwachsenen Frau bestraft, die er in einem Park überfallen hatte. Seine letzte Vorstrafe beruht auf einem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 30. Oktober 2007, durch das er wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden war. Grundlage der Verurteilung waren Missbrauchshandlungen an zwei zwölf Jahre alten Jungen (unter anderem Oral- und Analverkehr an den Kindern). Die jetzt abgeurteilte Tat beging er gut fünf Wochen nach seiner Haftentlassung; er stand zu dieser Zeit unter Führungsaufsicht und war unter anderem angewiesen, zu Kindern und Jugendlichen keinen Kontakt aufzunehmen und sie nicht zu beherbergen.

Das Landgericht hat bei dem Angeklagten eine "ausgeprägte, tief verwurzelte Neigung zur Begehung von Sexualstraftaten" der verfahrensgegenständlichen Art (UA S. 21) festgestellt, aufgrund derer er mit hoher Wahrscheinlichkeit, erneut sexuelle Praktiken wie Oral- und Analverkehr mit männlichen Kindern ausüben werde; gestützt auf § 66 Abs. 1 StGB hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

3. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass dieser "nicht nur das Vertrauen des geschädigten Kindes, sondern auch das seiner Mutter erheblich missbraucht" habe (UA S. 20). Ein Missbrauch des Vertrauens der Mutter wird von den festgestellten Tatsachen indes nicht belegt. Die Mutter und der Angeklagte waren sich an dem Tatwochenende das erste Mal begegnet. Der Angeklagte hatte Mutter und Sohn auf den Wunsch der neuen Lebensgefährtin der Mutter, mit der diese das Wochenende verbringen wollte, am Berliner Hauptbahnhof abgeholt. Da beide keine Wohnung in Berlin hatten und zunächst in der "sehr vernachlässigten Einraumwohnung" eines weiteren Bekannten schlafen wollten, machte der Angeklagte den Vorschlag, den Jungen mit in seine eigene Wohnung zu nehmen. Die Mutter des Geschädigten, die nichts von den Vorstrafen des Angeklagten wusste, war einverstanden, "zumal sie auch Zeit mit ihrer Lebensgefährtin allein verbringen wollte" (UA S. 14). Dass die Mutter bei der Übergabe des Kindes an den ihr unbekannten Angeklagten jegliche gebotene Vorsicht außer Acht ließ, kann unter diesen Umständen nicht als Vertrauen gewertet werden, welches der Angeklagte missbrauchte.

Aufgrund der Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe lässt sich ein Beruhen der Straffindung auf dem Wertungsfehler trotz gewichtiger Strafschärfungsgründe nicht ausschließen.

b) Die daher gebotene Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zieht die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach sich. Das neue Tatgericht wird die Vorstrafenentwicklung des Angeklagten, der über lange Zeit hinweg seine sexuelle Neigung zu Kindern und Jugendlichen in Form deutlich weniger gewichtiger Straftaten ausgelebt hat, zu beachten und danach die Frage hoher Wahrscheinlichkeit schwerer Sexualstraftaten nach den Maßstäben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) kritisch zu überprüfen haben. Insbesondere wird auch nochmals zu prüfen sein, ob der Verurteilung aus dem Jahr 1988 wegen Vergewaltigung im Blick auf den festgestellten Hang des Angeklagten Symptomcharakter im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB zukommt.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 15.10.2012