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BGH - Entscheidung vom 09.04.2013

XI ZR 90/11

Normen:
ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 09.04.2013 - Aktenzeichen XI ZR 90/11

DRsp Nr. 2013/8354

Anspruch des Zedenten auf Rückabwicklung einer Beteiligung an einer GmbH & Co. KG wegen mangelnder ordnungsgemäßer Aufklärung des Zedenten über Rückvergütungen

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. Januar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 80.000 €

Normenkette:

ZPO § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.

Die Klägerin zeichnete nach vorheriger Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten am 13. Dezember 2004 eine Beteiligung an V 4 im Nennwert von 50.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 2.500 €. Aus Eigenmitteln zahlte die Klägerin 29.750 €, ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 wurde durch ein endfälliges Darlehen der H. finanziert.

Nach dem Inhalt des Verkaufsprospektes sollten 8,9% der Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von mindestens 8,5% der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Zedenten im Beratungsgespräch offengelegt wurde.

Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals nebst Zinsen ab Zeichnung der Beteiligung Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung. Ferner begehrt sie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligung sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des durch den Erwerb der Beteiligung entstandenen oder noch entstehenden Schadens und zur Zahlung des Betrages, der zur Ablösung des aufgenommenen Darlehens erforderlich ist.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten und der Klägerin sind zum ganz überwiegenden Teil erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten konkludent ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens habe die Beklagte nicht widerlegt.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135 , 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, die Klägerin über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung der Klägerin über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).

2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, die Klägerin hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).

3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin nur dann auszugehen ist, wenn die Klägerin bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, sie sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei einer - wie hier - feststehenden Aufklärungspflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 30 ff. mwN).

4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG .

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247 , 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006 , 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133 , 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131 ; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).

b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

aa) Die Beklagte hat mit ihrem Schriftsatz vom 23. August 2010 vorgetragen, dass für die Klägerin bei ihrem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe die Klägerin dem Mitarbeiter der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis ihres Mitarbeiters K. und die Parteivernehmung der Klägerin berufen.

bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv der Klägerin, sich an V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat die Vernehmung des angebotenen Zeugen unter anderem mit der Begründung verneint, die Beklagte habe insbesondere keine Äußerungen der Klägerin gegenüber dem benannten Zeugen vorgetragen, die im Falle ihrer Bestätigung den Rückschluss auf die behauptete hypothetische Reaktion der Klägerin erlauben würde. Das lässt sich nach den Umständen des Falles, insbesondere im Hinblick auf die Bezugnahme auf die Aussage des Zeugen K. in einem Parallelverfahren, nur damit erklären, dass es das solche Äußerungen enthaltende Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.

5. Die unterlassene Vernehmung des Anlageberaters als Zeugen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

6. Das Berufungsgericht wird den oben genannten Beweis zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es auch die Klägerin als Partei zu vernehmen haben. Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verheimlichte Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unter anderem unrichtige Angaben des Anlageberaters der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Henning, WM 2012, 153 ff.; auch Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.).

Vorinstanz: LG Hagen, vom 27.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 234/08
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 10.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen I-31 U 118/10