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BGH - Entscheidung vom 18.09.2013

V ZB 129/12

Normen:
FamFG § 62

BGH, Beschluss vom 18.09.2013 - Aktenzeichen V ZB 129/12

DRsp Nr. 2013/22795

Anfordrungen an die persönliche Anhörung im Zusammenhang mit der Anordnung der Haftverlängerung bzgl. Abschiebungshaft; Notwendigkeit der Aushändigung einer Kopie des Haftverlängerungsantrags

Im Rahmen eines Haft(verlängerungs-)antrags sind die Anforderungen des Gebots rechtlichen Gehörs gegenüber einem betroffenen Ausländer nur gewahrt, wenn diesem eine Kopie des Haftantrags ausgehändigt und erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt wurde; dies muss in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden. Insbesondere kann die erforderliche Aushändigung der Kopie weder durch die Aushändigung vorausgegangener Haftanträge noch durch Aushändigung des erlassenen Haftbeschlusses ersetzt werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 5. Juni 2012 und der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 31. Mai 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Sachsen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

FamFG § 62 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt ohne gültige Einreisedokumente in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. August 2011 einen Asylantrag. Das zuständige Bundesamt stellte fest, dass der Betroffene bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, und bat Italien um Zustimmung zur Rücknahme, die am 2. Dezember 2011 erteilt wurde. Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 lehnte es den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung an. Der Betroffene reiste aber nicht freiwillig aus. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschlüssen vom 3. Mai 2012 und vom 16. Mai 2012 Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zuletzt zum 1. Juni 2012 an.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht die Haft mit Beschluss vom 31. Mai 2012 bis zum 29. Juni 2012 verlängert. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der vorgenannten Beschlüsse festzustellen.

II.

Das Beschwerdegericht hält die Haftverlängerung für rechtmäßig. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG lägen vor. Die Haftanordnung sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Betroffene in einem Haftkrankenhaus untergebracht und dort eine Trennung von den Strafgefangenen nicht gewährleistet sei.

III.

Die mit dem Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

1. Die Anordnung der Haftverlängerung durch das Amtsgericht ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil dem Betroffenen rechtliches Gehör nicht in der vorgeschriebenen Form gewährt worden ist.

a) Der Haft(verlängerungs-)antrag kann dem Betroffenen zwar erst zu Beginn der persönlichen Anhörung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 , 330 Rn. 16 mwN). Dabei muss dem Betroffenen aber in jedem Fall eine Kopie des Haftantrags ausgehändigt und erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt werden; dies muss in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschlüsse vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 , 258 Rn. 8 und vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, FGPrax 2012, 227 Rn. 9).

b) Diesen Anforderungen genügt das Verfahren des Amtsgerichts nicht. Es hat dem Betroffenen nach dem maßgeblichen Inhalt des Protokolls den Verlängerungsantrag nur "bekannt gegeben", aber nicht in Kopie ausgehändigt. Die Aushändigung konnte auch weder durch die Aushändigung vorausgegangener Haftanträge noch durch Aushändigung des erlassenen Haftbeschlusses ersetzt werden. Die vorausgegangenen Haftanträge konnten die Gründe nicht enthalten, die die beteiligte Behörde für die spätere Verlängerung anführt. Die Aushändigung der Beschlussausfertigung gibt Auskunft nur über die Gründe, die den Haftrichter zu seiner Entscheidung, die Haft zu verlängern, bewogen haben, aber nicht über das Vorbringen der Behörde zur Begründung des Verlängerungsantrags (Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2012 - V ZB 224/11, FGPrax 2013, 87 , 88 Rn. 13).

2. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht ist ebenfalls rechtswidrig. Der aufgetretene Verfahrensmangel konnte nur geheilt werden, in dem der Haftantrag dem Betroffenen nachträglich ausgehändigt und dieser von dem Beschwerdegericht erneut persönlich angehört wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2012 - V ZB 224/11, FGPrax 2013, 87 , 88 Rn. 15). Das ist nicht geschehen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , Art. 5 EMRK . Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Leipzig, vom 31.05.2011 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 153/12
Vorinstanz: LG Leipzig, vom 05.06.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 7 T 311/12