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BGH - Entscheidung vom 07.02.2013

3 StR 503/12

Normen:
StGB § 16
StGB § 239a Abs. 1 Alt. 1

BGH, Urteil vom 07.02.2013 - Aktenzeichen 3 StR 503/12

DRsp Nr. 2013/6589

Anforderung an die Beweiswürdigung des Tatrichters hinsichtlich der Bewertung des subjektiven Tatbestands des § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 9. August 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 16 ; StGB § 239a Abs. 1 Alt. 1;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten H. und S. jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und mit Nötigung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten B. hat es wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung jugendrechtliche Weisungen und Auflagen verhängt. Gegen dieses Urteil richtet sich die zuungunsten der Angeklagten eingelegte, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das -vom Generalbundesanwalt vertretene -Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Mitte des Jahres 2011 hatte der Angeklagte S. dem Geschädigten L. etwa 25 Gramm Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf übergeben. L. verkaufte dieses Marihuana jedoch in der Folgezeit nicht, sondern konsumierte es - jedenfalls zum Teil - selbst. Fortan ging er dem Angeklagten S. aus dem Weg und ignorierte dessen Kontaktversuche, da er davon ausging, dass dieser nun das Geld aus dem Verkauf der Betäubungsmittel, wenigstens 500 €, von ihm verlangen würde. Die Angeklagten H. und B. hatten von alledem Kenntnis.

Als die Angeklagten am Tattag mit dem BMW des Angeklagten S. eine Straße in N. befuhren, entdeckte der Angeklagte S. den Zeugen L. . Nachdem der Angeklagte B. den von ihm gesteuerten Pkw angehalten hatte, verließ der Angeklagte S. den Pkw, wobei er an dem Innenspiegel des BMW hängende Handschellen mitnahm. Gemeinsam mit dem Angeklagten H. näherte er sich dem Zeugen L. von hinten und schloss mit den Worten: "Jetzt haben wir Dich!" eine Seite der Handschellen um dessen linkes Handgelenk und die andere Seite um sein eigenes rechtes Handgelenk, um eine Flucht des Geschädigten zu verhindern. Der Angeklagte S. führte den Zeugen sodann zurück zu dem BMW, in dem der Angeklagte B. geblieben war. Aus Furcht weinte der Geschädigte bereits zu diesem Zeitpunkt und rief um Hilfe.

Der Angeklagte S. schob den Zeugen L. von links in den Fahrgastraum auf den hinteren rechten Sitz, löste die Handschellen von seinem eigenen Handgelenk und befestigte die nunmehr freie Seite der Fessel am Türgriff der hinteren rechten Tür, um auch weiterhin eine Flucht des Zeugen L. zu verhindern. Der Angeklagte H. setzte sich auf den Beifahrersitz. Sodann fuhr der Angeklagte B. auf Geheiß des -hinten links sitzenden -Angeklagten S. in Richtung Niederlande. Während der Fahrt sprach der Angeklagte S. die Geldschulden des Zeugen L. aus dem Betäubungsmittelgeschäft an sowie dessen Versuche, sich ihm zu entziehen. Der Zeuge L. schrie und weinte auch weiterhin. Im Laufe der Fahrt schlug der Angeklagte S. dem Zeugen L. mindestens zwei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht. Er nahm ihm ferner 50 € Bargeld aus der Hosentasche, die er dort bei der Suche nach dessen Mobiltelefon gefunden hatte. Das Geld und das Mobiltelefon nahm er dem Zeugen L. auch deshalb ab, damit dieser keine Hilfe rufen konnte und um ihm die Rückfahrt zu erschweren. Das Mobiltelefon gab er dem Zeugen jedoch zunächst noch während der Fahrt mit dem Hinweis zurück, dass er ihn anrufen solle, sobald er das Geld habe.

Der Angeklagte H. , der das Verhalten des Angeklagten S. billigte, drehte sich während der Fahrt mehrfach um, redete ebenfalls auf den Zeugen L. ein, wandte sich vom Beifahrersitz aus diesem zu und schlug dem Geschädigten mindestens zwei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht. Zudem hielt er eine Zigarette mit brennender Spitze an die linke Schläfe des Zeugen L. , wodurch dieser eine kleine Brandwunde erlitt. Während der gesamten Zeit folgte der Angeklagte B. , der das Geschehen wahrnahm, den Fahrtanweisungen des Angeklagten S. über die Autobahnen in Richtung Niederlande.

Nach etwa 30 Minuten endete die Fahrt in den Niederlanden, wo die Angeklagten H. und S. mit dem Zeugen L. ausstiegen, ihm die Handschellen abnahmen und in ein nahe gelegenes Waldstück gingen, das sich noch in Sichtweite des Angeklagten B. befand, der im Fahrzeug verblieb. Sodann brachten die Angeklagten S. und H. den Zeugen L. zu Boden und forderten ihn auf, sein Mobiltelefon herauszugeben sowie seine Hose und seine Schuhe auszuziehen. Sie beabsichtigten damit, dem Geschädigten das Herbeirufen von Hilfe und die Rückkehr nach Hause zu erschweren. Unter dem Eindruck der vorherigen Fesselung und der verabreichten Schläge folgte der Zeuge L. dieser Aufforderung zunächst. Auf seine Bitte und den Hinweis auf die winterlichen Temperaturen gab ihm der Angeklagte S. jedoch die Hose wieder. Die Angeklagten H. und S. gingen sodann wieder zum Pkw und fuhren mit dem Angeklagten B. nach N. zurück.

Das Landgericht hat auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten sowie der Angaben des Zeugen L. hinsichtlich des Tatplanes der Angeklagten angenommen, dass diese dem Geschädigten einen "Denkzettel verpassen" und ihn einschüchtern wollten, um zu erreichen, dass er den gegenüber dem Angeklagten S. aus dem Drogengeschäft geschuldeten Geldbetrag zu einem späteren Zeitpunkt entrichtet. Der Angeklagte S. habe nicht die Absicht verfolgt, das ausstehende Geld im Rahmen der Tat ganz oder teilweise einzutreiben. Hinsichtlich der durch den Angeklagten S. während der Fahrt weggenommenen 50 € sei dieser davon ausgegangen, dass ihm dieser Betrag aus dem Betäubungsmittelgeschäft zugestanden habe. Aufgrund des vergangenen Zeitablaufs und des Sichentziehens des Zeugen sei es lebensnah, dass der Angeklagte S. die Vorstellung gehabt habe, die Wegnahme des Geldes sei nicht rechtswidrig.

2. Diese Beweiswürdigung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung dessen ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Rechtsfehlerhaft ist auch, wenn der Tatrichter es versäumt, sich im Urteil mit anderen naheliegenden Möglichkeiten auseinanderzusetzen und dadurch über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 1993 - 1 StR 450/93, NStE Nr. 119 zu § 261 StPO ; Urteil vom 13. Dezember 2012 - 4 StR 177/12 mwN). Die Schlussfolgerungen des Tatrichters müssen zudem ausreichend mit Tatsachen abgesichert sein und dürfen sich nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 StR 259/09, NStZ-RR 2009, 351; KK-Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 45 mwN). Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft.

b) Dies gilt im Besonderen für die Feststellung des Landgerichts, die Angeklagten hätten nicht die Absicht verfolgt, die Forderung aus dem Betäubungsmittelgeschäft bereits im Rahmen der Tat ganz oder teilweise einzutreiben, sondern hätten diesem einen "Denkzettel" verpassen und ihn dazu bringen wollen, diese Geldschulden zu einem späteren Zeitpunkt zu begleichen. Insoweit hätte sich das Landgericht vor dem Hintergrund einer möglichen Strafbarkeit der Angeklagten nach § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB damit auseinandersetzen und erörtern müssen, ob die Angeklagten zu dem Zeitpunkt, als sie den Zeugen L. auf der Straße ergriffen, fesselten und in den Pkw verbrachten, die Absicht hatten, den Zeugen unter Ausnutzung der offensichtlichen Sorge um sein Wohl zu erpressen oder zu berauben. Das Erfordernis einer derartigen Erörterung ergibt sich aus Folgendem: Die Einlassungen der Angeklagten B. und H. sind zu ihrer Absicht im Zeitpunkt der Begründung der Bemächtigungslage über den Zeugen L. unergiebig. Der Angeklagte S. hat insoweit lediglich angegeben, er "habe sich bei alledem nichts gedacht, er sei einfach betrunken gewesen und verärgert." Nach den - insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen liegt ein anderer als der festgestellte Tatplan ausgesprochen nahe. Maßgebend sind insoweit hier die Vorgeschichte und der Anlass der Tat sowie das vor diesem Hintergrund zu beurteilende Vorgehen der Angeklagten. Danach war der Geschädigte dem Angeklagten S. seit längerem die Bezahlung von erhaltenen Betäubungsmitteln schuldig; die Angeklagten S. und H. bemächtigten sich mit von Anfang an zielgerichteten, verbal entsprechend begleiteten Handlungen des Geschädigten und misshandelten diesen während der Fahrt in die Niederlande nach Ansprache seines Zahlungsverhaltens körperlich; noch während der Fahrt nahm der Angeklagte S. dem gefesselten Geschädigten sodann Geld weg und zwang diesen zusammen mit dem Angeklagten H. nach dem Ende der Fahrt in den Niederlanden schließlich, sein Mobiltelefon und andere Gegenstände herauszugeben.

c) Die Erörterung eines zum Zeitpunkt der Begründung der Bemächtigungslage über den Geschädigten L. bestehenden, möglicherweise zur Strafbarkeit nach § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB führenden Tatplanes der Angeklagten war nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht die Absicht einer rechtswidrigen Zueignung des Angeklagten S. abgelehnt hat, als dieser dem Geschädigten 50 € wegnahm; denn die dieser Annahme zugrundeliegende Beweiswürdigung ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Die insoweit maßgebliche Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte S. sei bei dieser Wegnahme davon ausgegangen, "dass ihm diese aus dem Betäubungsmittelgeschäft mit dem Zeugen zustünden", beruht nicht auf einer rechtlich tragfähigen Grundlage, sondern stellt eine reine Vermutung dar. Eine derartige Vorstellung hat der Angeklagte S. selbst nicht behauptet, sondern hat sich insoweit dahin eingelassen, er habe mit der Wegnahme des Geldes dafür sorgen wollen, dass der Zeuge "nicht so schnell und einfach wieder nach Hause käme". Die nicht näher begründete Wertung des Landgerichts, "aufgrund des vergangenen Zeitablaufs und des Sichentziehens des Zeugen" sei "es auch lebensnah, dass der Angeklagte S. die Vorstellung hatte, die Wegnahme des Geldes sei nicht rechtswidrig", ist nicht schlüssig und vermag daher die entsprechende Feststellung des Landgerichts nicht zu begründen. Eine andere rechtlich tragfähige Beweisgrundlage für die festgestellte Vorstellung des Angeklagten S. , die den vom Landgericht angenommenen Tatbestandsirrtum dieses Angeklagten im Sinne von § 16 StGB tragen könnte, kann den Urteilsgründen auch im Übrigen nicht entnommen werden.

3. Wegen der aufgezeigten, die Schuldsprüche gegen alle Angeklagten betreffenden und für diese vorteilhaften Rechtsfehler kann das Urteil insgesamt nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf daher in vollem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es auf die weiteren von der Revision erhobenen Beanstandungen ankommt. Dies gilt auch für die Rüge der Beschwerdeführerin, das Landgericht hätte auch mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB erörtern müssen, ob die Angeklagten die durch die Bemächtigung des Zeugen L. begründete Lage zu einer Erpressung oder einem Raub ausnutzten.

4. Die Überprüfung des Urteils auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat demgegenüber keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erbracht (§ 301 StPO ).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Kleve, vom 09.08.2012