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BGH - Entscheidung vom 17.02.2012

V ZR 24/11

Normen:
ZPO § 543 Abs. 2 S. 2

BGH, Urteil vom 17.02.2012 - Aktenzeichen V ZR 24/11

DRsp Nr. 2012/5473

Voraussetzungen für eine Anpassung der Höhe des Erbbauzinses im Erbbaurechtsbestellungsvertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage

Eine Erhöhung des Erbbauzinses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage scheidet von vornherein aus, wenn die Lebenshaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht um mehr als 150 % gestiegen sind.

Tenor

Auf die Revisionen der Parteien wird das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 22. Dezember 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

ZPO § 543 Abs. 2 S. 2;

Tatbestand

Der Beklagte ist Erbbauberechtigter an einem der Klägerin gehörenden Grundstück. In dem Erbbaurechtsbestellungsvertrag vom 28. Juni 1949 heißt es u.a.:

"3. Der Erbbauberechtigte hat an die jeweilige Grundstückseigentümerin als Erbbauzins jährlich einen Betrag zu zahlen, der 10 (zehn) vom Hundert des mit DM 2,- für den Quadratmeter angenommenen Wertes der Fläche entspricht. Die Grundstückseigentümerin behält sich vor, den Wert für den Grund und Boden zu erhöhen, wenn über einen einfachen Straßenausbau und der Verlegung der Hauptleitung für Licht hinaus weitere Aufschließungskosten für das Gelände entstehen.

Der Erbbauzins ist in vierteljährlichen Teilbeträgen am 1. Werktage der Monate Januar, April, Juli und Oktober hinterher zahlbar. Der Erbbauzins ist durch Eintragung einer Reallast sicherzustellen.

4. Für die ersten 5 (fünf) Jahre ermäßigt sich der Erbbauzins auf 4 (vier) vom Hundert des angenommenen Wertes der Fläche.

Die Höhe des danach zu entrichtenden Erbbauzinses wird alle 5 (fünf) Jahre, erstmalig am 1. Januar 1954 von der Finanzverwaltung festgesetzt werden. Gegen die späteren Festsetzungen steht dem Erbbauberechtigten nur die Beschwerde beim Senat, der endgültig entscheidet, offen."

Bis 1983 wurde der Erbbauzins schrittweise auf 10 % des angenommenen Grundstückswerts erhöht; das ergibt 94,90 Euro pro Jahr.

Der Beklagte erwarb das Erbbaurecht im Jahr 2000. Er schloss mit der Klägerin einen Schuldübernahmevertrag, in welchem er in den schuldrechtlichen Teil der Erbbaurechtsbestellung eintrat und alle sich daraus ergebenden Verpflichtungen anstelle des Veräußerers übernahm.

Im April 2004 verlangte die Klägerin - gestützt auf eine sich aus den arithmetischen Mitteln der Steigerung der Lebenshaltungskosten sowie der Löhne und Gehälter ergebende Steigerungsrate von 875,9 % - einen jährlichen Erbbauzins von 926,12 €. Der Beklagte sollte vom 1. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2008 jährlich 371,96 €, vom 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2010 jährlich 694,04 € und ab dem 1. Juli 2010 den vollen Jahresbetrag 926,12 € zahlen. Dem kam er nicht nach, sondern zahlte weiterhin nur den ursprünglichen Betrag von 94,90 € pro Jahr.

Die auf die Verurteilung zur Zahlung von 700,14 € (Differenz zwischen gezahltem und gefordertem Erbbauzins von Oktober 2005 bis Dezember 2008 und vorgerichtliche Kosten) zuzüglich 45,09 € bezifferter Zinsen und von weiteren 138,53 € vierteljährlich vom 1. Januar 2009 bis 1. Juli 2010 gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 534,88 € nebst 44,81 € Zinsen und zur Zahlung weiterer 482,21 € verurteilt. Mit der von diesem zugelassenen Revision will die Klägerin die vollständige Durchsetzung der Klage erreichen. Der Beklagte strebt mit seiner Revision die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung an. Beide Parteien beantragen jeweils die Zurückweisung des anderen Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann die Klägerin eine Anpassung der Höhe des Erbbauzinses nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage auf jährlich 370,45 € verlangen. Die von den Parteien des Erbbaurechtsbestellungsvertrags vereinbarte Möglichkeit der Anpassung des Erbbauzinses sei durch eine Entwicklung der Kaufkraft des Geldes entfallen, welche beide Parteien nicht vorausgesehen hätten. Die Regelungen in Nr. 3 und 4 des Vertrags seien dahin auszulegen, dass ursprünglich ein Erbbauzins von 4 % habe vereinbart werden sollen, der bis zu einer Grenze von 10 % habe erhöht werden können. Dabei handele es sich nicht um eine typische Wertanpassungsklausel; allerdings habe die Klausel auch dem Zweck der Wertsicherung dienen sollen. Die Anpassungsmöglichkeit sei durch die 10 %-Grenze beschränkt. Diese Grenze sei jedoch nicht als Risikobegrenzung für den Erbbauberechtigten, sondern lediglich als eine theoretische Grenze zur Vermeidung einer Genehmigungspflicht nach dem früheren § 3 WährG vereinbart worden. Es handele sich um eine Anpassungsklausel, die aus unvorhergesehenen Gründen ihren Zweck nicht mehr erfüllen könne. Deshalb müsse eine Anpassung ebenso wie in den Fällen möglich sein, in denen der Erbbaurechtsbestellungsvertrag keine Anpassungsmöglichkeit enthalte, wobei von einem anfänglichen Erbbauzins von 4 % auszugehen sei. Der Umstand, dass die Klägerin bei früheren Erhöhungen oder in früherer Zeit einen möglichen Erhöhungsanspruch nicht ausgeschöpft habe, bewirke nicht, dass sie nunmehr für einen späteren Zeitraum den von der Rechtsprechung eröffneten Erhöhungsrahmen nicht ausschöpfen dürfe.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

Zur Revision des Beklagten:

1. Die Revision ist wegen der Bindung des Senats an die Zulassung durch das Berufungsgericht (§ 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO ) statthaft; sie ist auch im Übrigen zulässig.

2. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

a) Zur Begründung verweist der Senat - um bloße Wiederholungen zu vermeiden - auf die Ausführungen in den Parallelverfahren V ZR 31/11 (Urteil vom 18. November 2011, GuT 2011, 404 Rn. 9-19) und V ZR 23/11 (Urteil vom 3. Februar 2012 unter II 2, 3 und 4). Hinzuzufügen ist lediglich, dass das Berufungsgericht - anders als der Beklagte vorträgt - nicht mit tatbestandlicher Wirkung festgestellt hat, die Obergrenze von 10 % solle eine "echte" Obergrenze sein; vielmehr hat es auf Seite 4 im vierten Absatz seines Urteils die in diesem Sinn verstandene Vertragsregelung als Ansicht des Beklagten wiedergegeben. Außerdem ist aufgrund der Bezugnahme des Berufungsgerichts auf das amtsgerichtliche Urteil davon auszugehen, dass die Lebenshaltungskosten zwischen 1983 und 2009 um 47,3 % gestiegen sind.

b) Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die notwendige ergänzende Vertragsauslegung nachholt. Eine Erhöhung des Erbbauzinses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage scheidet von vornherein aus, weil die Lebenshaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (1983) nicht um mehr als 150 % gestiegen sind (vgl. Senat, Urteil vom 18. November 2011 - V ZR 31/11, GuT 2011, 404, Rn. 19).

III.

Zur Revision der Klägerin:

1. Die Revision ist ebenfalls statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen unter III. seines Urteils vom 3. Februar 2012 in der Sache V ZR 23/11.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. Februar 2012

Vorinstanz: AG Lübeck, vom 11.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 21 C 2880/08
Vorinstanz: LG Lübeck, vom 22.12.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 14 S 21/10