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BGH - Entscheidung vom 10.05.2012

V ZB 242/11

Normen:
WEG § 27
ZPO § 511 Abs. 4
ZPO § 574 Abs. 2

Fundstellen:
AnwBl 2013, 7
ZMR 2012, 796

BGH, Beschluss vom 10.05.2012 - Aktenzeichen V ZB 242/11

DRsp Nr. 2012/14089

Voraussetzungen für die Beschwer eines Wohnungseigentümers durch den Beschluss der Wohnungseigentümer über die Verteidigung gegen eine Anfechtungsklage

1. Ein Fehler bei der Bemessung der Beschwer liegt vor, wenn dass das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. 2. Die unterbliebene Entscheidung über die Zulassung der Berufung muß im Rechtsbeschwerdeverfahren nachgeholt werden, wenn die getroffenen Feststellungen eine solche Entscheidung erlauben. 3. Der Vollzug eines Beschluss führt zum Fortfall des Rechtsschutzinteresses an einer Beschlussanfechtungsklage, wenn im Einzelfall ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen kann und Auswirkungen der Beschlussanfechtung auf Folgeprozesse der Wohnungseigentümer untereinander, gegen den Verwalter oder gegen Dritte sicher auszuschließen sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 26. September 2011 wird auf Kosten des Klägers zu 1 als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.079,22 €.

Normenkette:

WEG § 27 ; ZPO § 511 Abs. 4 ; ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Kläger fechten im vorliegenden Verfahren einen Beschluss an, den die anwesenden 30 Wohnungseigentümer der aus den Parteien bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft auf einer außerordentlichen Miteigentümerversammlung am 18. Mai 2010 mit einer Mehrheit von 29 Stimmen fassten. Sie beschlossen, dass "die Eigentümergemeinschaft (mit Ausnahme der Kläger)" die Absicht habe, sich gegen eine von den Klägern erhobene Beschlussanfechtungsklage zu verteidigen, und Hausverwaltung und Beirat bitte, Rechtsanwalt Dr. L. zu beauftragen, der eine außergerichtliche Einigung versuchen sollte. Eine der anwesenden Wohnungseigentümer war nicht einverstanden und wollte sich selbst vertreten. Am folgenden Tag zeigte Rechtsanwalt Dr. L. in dem anderen Beschlussanfechtungsverfahren die Verteidigungsbereitschaft der übrigen Wohnungseigentümer mit Ausnahme der ursprünglich drei Kläger und der erwähnten Miteigentümerin, die sich selbst verteidigen wollte, an. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufungen der Kläger zu 1 und 3 hat das Landgericht durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers zu 1, mit welcher er die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen will.

II.

Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien durch das angefochtene Urteil nicht beschwert. Sie würden durch den Beschluss der Wohnungseigentümer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet. Sie seien ausdrücklich von der Beauftragung eines Gegenanwalts ausgenommen. Die Auslegung des Beschlusses ergebe, dass der Auftrag seitens der verklagten übrigen Wohnungseigentümer und nicht seitens des Verbands erteilt werden solle. So sei er auch umgesetzt worden. Mit dem Beschluss werde nicht über eine Verteilung der Prozesskosten auf die Wohnungseigentümer oder über eine Entnahme von Mitteln dafür aus dem Gemeinschaftsvermögen entschieden. Der Beschwerdewert sei schließlich auch nicht erreicht, wenn man der Argumentation der Kläger folge, durch den Beschluss würden sie mit den Kosten belastet. Der Anteil der Kläger an den Kosten betrage günstigstenfalls 345,35 € und erreiche den Beschwerdewert von 600 € ebenfalls nicht.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Zulässig ist sie nach § 574 Abs. 2 ZPO aber nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

2. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ) bedarf es einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht.

a) Im Ansatz zutreffend geht der Kläger zu 1 davon aus, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch erfordert, wenn die Anforderungen, die das Berufungsgericht stellt, überzogen sind und dem Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschweren (Senat, Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217 und vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488, 489 Rn. 7; vgl. auch: BVerfGE 40, 88 , 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG, NJW 1996, 2857 ; 2000, 1636 ; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533 ).

b) Eine solche unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung kann in einem Fehler bei der Bemessung der Beschwer liegen. Ein solcher Fehler liegt hier nicht vor.

aa) Voraussetzung dafür wäre, dass das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte. Denn die Bemessung der Beschwer kann auch in dem Verfahren über eine aus anderen Gründen zulässige Rechtsbeschwerde nur in dieser Hinsicht überprüft werden (Senat, Beschlüsse vom 9. Juli 2004 - V ZB 6/04, NJW-RR 2005, 219 , 220 und vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, NZM 2011, 488, 489 Rn. 8). Dem Berufungsgericht ist bei der Ausübung seines Ermessens zwar ein Fehler unterlaufen. Dieser hat sich aber nicht ausgewirkt.

bb) Das Berufungsgericht verneint eine Beschwer der Kläger in erster Linie mit der Begründung, sie würden durch den Beschluss der Wohnungseigentümer über die Verteidigung gegen die Anfechtungsklage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet. Das trifft in der Sache zu, stellt indes die Beschwer der Kläger nicht in Frage. Diese vertreten den gegenteiligen Standpunkt und begründen ihre Beschwer gerade mit der potentiellen Belastung mit Kosten.

cc) Mit dieser Kostenbelastung hat sich das Berufungsgericht aber befasst. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Belastung der beiden Berufungskläger 345,35 € beträgt und den Beschwerdewert von 600 € ebenfalls nicht erreicht. Dabei hat es sein Ermessen nicht überschritten. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der angefochtene Beschluss allenfalls zur Belastung der Kläger mit den anteiligen Kosten für die Vertretung der übrigen Kläger führen könnte, nicht dagegen zur Belastung mit den Kosten für die Vertretung der Wohnungseigentümerin, die gegen den Beschluss gestimmt hat. Denn zu der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit deren Vertretung sind Hausverwaltung und Beirat gerade nicht ermächtigt worden. Sie haben den Rechtsanwalt damit auch nicht beauftragt. Ferner können nur die Kosten der ersten Instanz berücksichtigt werden, weil der Beschluss sich zu nichts anderem verhält. Es spricht auch vieles dafür, dass nur die tatsächlich abgerechneten Kosten erster Instanz angesetzt werden können. Das bedarf keiner Entscheidung, weil das Berufungsgericht die Beschwer der Kläger auch auf der Grundlage des von diesen selbst angegebenen Kostenbetrags von 6.037,47 € berechnet hat. Auch dann liegt der Gesamtanteil der beiden Berufungskläger mit (56/979 von 6.037,47 € =) 345,35 € unter dem Beschwerdewert von 600 €.

c) Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung kann auch darin liegen, dass das Berufungsgericht die gebotene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht nachholt. Das ist indessen nur der Fall, wenn ein Grund für die Zulassung der Berufung auch vorliegt.

aa) Das Berufungsgericht ist gesetzlich verpflichtet, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es von einer über 600 € hinausgehenden Beschwer ausgegangen ist, und das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht hält (BGH, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 , 219 Rn. 12; Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82 , 83 Rn. 6). Die Prüfung war hier angezeigt, weil das Amtsgericht nach seiner Streitwertfestsetzung davon ausgegangen ist, dass die drei ursprünglichen Kläger die Berufungsbeschwer erreichen. Die unterbliebene Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuholen, wenn die getroffenen Feststellungen - wie hier - eine solche Entscheidung erlauben (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 250/10, WuM 2011, 432, 433). Sie ergibt, dass ein Zulassungsgrund nicht vorliegt. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

bb) Auf die von dem Kläger zu 1 als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die Eigentümergemeinschaft die Beschlusskompetenz dafür habe, darüber zu befinden, ob sich die einzelnen Eigentümer in einem Beschlussanfechtungsverfahren auf eigene Kosten anwaltlich vertreten ließen, kommt es nicht an. Die Klage ist unzulässig, weil ein Rechtsschutzinteresse hier ausnahmsweise nicht besteht. Der Beschluss ist vollzogen, weil der zu beauftragende Rechtsanwalt am folgenden Tag die Verteidigungsbereitschaft der übrigen Wohnungseigentümer angezeigt hat. Der Vollzug eines Beschluss führt zwar normalerweise nicht zum Fortfall des Rechtsschutzinteresses an einer Beschlussanfechtungsklage. Anders ist es aber dann, wenn im Einzelfall ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen kann und Auswirkungen der Beschlussanfechtung auf Folgeprozesse der Wohnungseigentümer untereinander, gegen den Verwalter oder gegen Dritte sicher auszuschließen sind (Senat, Urteil vom 13. Mai 2011 - V ZR 202/10, NJW 2011, 2660 , 2661 Rn. 16). So ist es hier. Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses könnte die erfolgte Verteidigung der übrigen Wohnungseigentümer gegen die Anfechtungsklage der Kläger nicht rückgängig machen. Diese Entscheidung mussten die übrigen Wohnungseigentümer nach der Zustellung der Klage treffen. Inhaltlich waren sie frei. Es geht allein darum, dass sie diese Entscheidung auf einer - auch nur dazu anberaumten - außerordentlichen Wohnungseigentümerversammlung und in der Form eines Wohnungseigentümerbeschlusses getroffen haben. Diese Form der Entscheidung hat keine Auswirkungen. Der Beschluss befasst sich nur mit dem Verhalten der übrigen Wohnungseigentümer. Er enthält keine Aussage zu der Aufbringung der Kosten der Prozessführung und einer etwaigen Inanspruchnahme von Verwaltungsvermögen. Er nimmt eine Entscheidung darüber auch nicht vorweg. Fragen würden sich erst ergeben, wenn die übrigen Wohnungseigentümer von ihnen zu tragende Prozesskosten aus dem Verwaltungsvermögen entnähmen. Dafür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

cc) Unerheblich ist auch die weitere von dem Kläger zu 1 aufgeworfene Frage danach, ob der Verwalter nach § 27 WEG ermächtigt ist, im Namen der Gemeinschaft der im Beschlussanfechtungsverfahren verklagten Wohnungseigentümer einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die Hausverwaltung hat von dieser Möglichkeit gerade keinen Gebrauch gemacht. Sie hat die Frage der Erklärung der Verteidigungsbereitschaft und der Beauftragung eines Rechtsanwalts vielmehr den Wohnungseigentümern vorgelegt und deren Entscheidung herbeigeführt. Die Ermächtigung der Verwaltung, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, folgt deshalb unabhängig von den gesetzlichen Befugnissen aus der von den Wohnungseigentümern getroffenen Entscheidung.

3. Aus den vorgenannten Gründen scheidet eine Zulassung der Berufung auch unter den Gesichtspunkten der grundsätzlichen Bedeutung oder der Fortbildung des Rechts aus.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO . Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens beruht auf § 49a Abs. 1 Sätze 1 und 2 GKG . Maßgeblich ist danach die Hälfte des Interesses aller Parteien und Beigeladenen. Das entspricht auf der Grundlage der von dem Kläger zu 1 genannten Kosten der ersten Instanz ohne die Wohnungseigentümerin, die sich selbst vertreten hat, einem Betrag von (6.037,47 € : 2 =) 3.018,74 €. Der Wert darf aber das Fünffache des Interesses des an dem Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch beteiligten Klägers zu 1 nicht übersteigen. Das sind (5 x 215,84 € =) 1.079,22 €.

Vorinstanz: AG Hameln, vom 16.02.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 42 C 25/10
Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 26.09.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 9 S 20/11
Fundstellen
AnwBl 2013, 7
ZMR 2012, 796