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BGH - Entscheidung vom 30.08.2012

V ZB 281/11

Normen:
AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 5
FamFG § 417 Abs. 2

Fundstellen:
ZAR 2012, 42

BGH, Beschluss vom 30.08.2012 - Aktenzeichen V ZB 281/11

DRsp Nr. 2012/19544

Verletzung des Anspruchs eines Asylbewerbers auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch fehlende Übergabe einer schriftlichen Kopie des Haftantrags

Der Antrag auf Sicherungshaft ist dem Betroffenen vor Erlass der Haftanordnung in Kopie auszuhändigen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Olpe vom 8. November 2011 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 15. November 2011 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis Olpe auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 , 5; FamFG § 417 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste Ende April 2011 ohne die erforderlichen Dokumente in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt; zugleich ordnete dieses an, den Betroffenen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückzuführen.

Nach der Festnahme des Betroffenen am 8. November 2011 ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag Sicherungshaft bis zu der geplanten Abschiebung am 16. November 2011 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen aus der Haft entlassene Betroffene festgestellt wissen, dass ihn die Beschlüsse in seinen Rechten verletzt haben.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts haben die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG aF vorgelegen. Mildere Mittel zur Sicherstellung der Abschiebung seien nicht ersichtlich. Der Betroffene sei von dem Amtsgericht angehört worden; von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sei keine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die Haftanordnung war rechtswidrig, weil das Amtsgericht den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Der Betroffene rügt zu Recht, dass ihm der Haftantrag nicht ausgehändigt worden ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Eröffnung des Haftantrags erst zu Beginn der Anhörung ausreichend gewesen wäre (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 4. März 2010 V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 , 330, Rn. 16). Denn aus dem Anhörungsprotokoll geht nicht hervor, dass dem Betroffenen, wie nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erforderlich, der Haftantrag vor Erlass der Haftanordnung in Kopie ausgehändigt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 , Rn. 8 f.; Beschluss vom 14. Juni 2012 V ZB 284/11, Rn. 9, [...]; Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 48/12, Rn. 10, [...]). Festgehalten ist lediglich, dass dem Betroffenen der Haftantrag "durch Übersetzen bekanntgegeben" wurde. Das lässt auf eine nur mündliche Bekanntgabe des Haftantrags schließen. Eine solche genügt nicht (vgl. näher Beschluss vom 14. Juni 2012 V ZB 284/11, aaO). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG ) zu äußern.

Eine - nur mit Wirkung für die Zukunft mögliche - Heilung des Verstoßes gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs ist nicht erfolgt. Es ist schon zweifelhaft, ob der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen, dem die Akten erst am 15. November 2011 zur Einsicht zugeleitet worden sind, vor Erlass der Beschwerdeentscheidung Kenntnis von dem vollständigen Haftantrag erlangt hat. Jedenfalls scheitert eine Heilung daran, dass der Betroffene von dem Beschwerdegericht hierzu nicht mehr angehört worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, Rn. 12, [...]).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 u. 2, § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Olpe, vom 08.11.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 5 XIV 75/11
Vorinstanz: LG Siegen, vom 15.11.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 276/11
Fundstellen
ZAR 2012, 42