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BGH - Entscheidung vom 27.09.2012

4 StR 217/12

Normen:
StGB § 20
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ 2013, 6
NStZ-RR 2013, 42

BGH, Urteil vom 27.09.2012 - Aktenzeichen 4 StR 217/12

DRsp Nr. 2012/20754

Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der Verneinung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie und bei Begehung von Kleindelikten

Da das Gesetz bei der Unterbringung nach § 63 StGB keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. Februar 2012 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von verschiedenen Tatvorwürfen freigesprochen, überwiegend wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit, in zwei Fällen, weil es strafbare Handlungen nicht als erwiesen angesehen hat. Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil zu Ungunsten des Angeklagten Revision eingelegt. Sie erstrebt mit der Sachrüge die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat keinen Erfolg.

I.

Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:

1.

Der Angeklagte ist polnischer Staatsangehöriger. Seit wann er sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ist nicht bekannt. Er leidet bereits seit längerer Zeit unter einer paranoiden Schizophrenie. Krankheitsbedingt ist er nicht in der Lage, soziale Kontakte zu unterhalten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen oder eine Wohnung zu bewohnen. Als Ausweg aus seiner Hilflosigkeit, mit alltäglichen Problemen umzugehen, konsumiert er Alkohol. Er ist nicht vorbestraft.

2.

Am 16. April 2011 entwendete der Angeklagte ein hochwertiges Mobiltelefon oder er fand dieses in der Zeit bis zum 19. April 2011 und nahm es in der Absicht an sich, es zu behalten. Am 8. Mai 2011 gegen 6.10 Uhr trank der Angeklagte auf dem Gehweg der Reeperbahn Wodka aus einer Glasflasche und warf die leere Flasche achtlos über die Schulter nach hinten. Die Flasche flog auf die Fahrbahn der dicht befahrenen Reeperbahn und auf die Motorhaube und gegen die Windschutzscheibe eines Taxis, das dort mit etwa 30 km/h fuhr. Die Scheibe splitterte. Der Taxifahrer erschrak und hielt sofort an. Am 15. Mai 2011 entwendete der Angeklagte ein Portemonnaie mit persönlichen Papieren oder er fand es und nahm es an sich, um es zu behalten. Am 18. Mai 2011 betrat der Angeklagte, ohne auf den Verkehr zu achten, die Fahrbahn einer Straße. Er drehte sich zu einer Autofahrerin um, die wegen ihm angehalten hatte, ließ die Hose herunter und präsentierte kurze Zeit sein entblößtes Geschlechtsteil. Am 30. Juli 2011 gegen 14.40 Uhr fuhr der Angeklagte mit mäßiger Geschwindigkeit mit einem Fahrrad aus einer Nebenstraße auf den Gehweg der Reeperbahn, obwohl er wegen eines Blutalkoholgehalts von 2,9 bis 3,3 ‰ nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Auf dem Gehweg der Reeperbahn kam ihm überraschend eine Seniorengruppe entgegen. Der Angeklagte versuchte, den Personen auszuweichen, geriet dadurch ins Schlingern und kollidierte letztlich mit einer 74jährigen Frau, die zu Boden fiel und dabei mit dem Kopf gegen einen Blumenkübel aus Beton stieß. Zudem erlitt sie einen Bruch eines Handknochens.

3.

Das Landgericht hat die Taten vom 16. April und 15. Mai 2011 als Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB ) oder Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB ), die Tat vom 8. Mai 2011 als fahrlässigen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 , Abs. 5 StGB ), die Tat vom 18. Mai 2011 als Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB ) und die Tat vom 30. Juli 2011 als vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs unter fahrlässiger Verursachung einer Gefahr (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a , Abs. 3 Nr. 1 StGB ) gewertet.

Es hat bei allen Taten angenommen, dass der Angeklagte nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit, § 20 StGB , gehandelt hat. Die paranoide Schizophrenie des Angeklagten durchdringe dessen gesamtes Denken, Erleben und Handeln in jeder Lebenssituation. Dies führe zu einer sicheren erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In Kombination mit vorhergegangenem Alkoholkonsum, der zu den Tatzeitpunkten festgestellt sei oder aber nicht ausgeschlossen werden könne, könne eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden.

4.

Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) hat das Landgericht abgelehnt. Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Taten des Angeklagten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen. Die Diebstahls- bzw. Unterschlagungstaten hat das Landgericht trotz der möglicherweise deutlich mehr als geringwertigen Beute als Bagatelldelikte eingestuft, weil sie nicht ausschließbar nur bei besonders guter Gelegenheit begangen worden seien. Durch das verwahrloste Äußere des Angeklagten und die dadurch gesteigerte Aufmerksamkeit etwaiger Opfer sei seine Gefährlichkeit herabgesetzt. Das sexualbezogene Verhalten habe an der Grenze der Erheblichkeitsschwelle des § 184g StGB gelegen. Der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr sei gerade noch in den Bereich der Bagatellstrafbarkeit einzuordnen. Der Angeklagte habe lediglich fahrlässig gehandelt; aus Sicht einer Gefährlichkeitsprognose sei ein Wegwerfen eines harten Gegenstandes in der Nähe einer Fahrbahn eher unwahrscheinlich. Auch das an sich dem Bagatellbereich zuzuordnende Führen eines Fahrrads trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit zeichne sich hier durch den unglücklichen und eher unwahrscheinlichen Umstand aus, dass der Angeklagte unbeabsichtigt mit einer aufgrund ihres Alters besonders verletzungsempfindlichen Fußgängerin kollidiert sei.

II.

Die Revision ist unbegründet.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB beschwert den Betroffenen auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB ) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 , 241 und vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11 Rn. 11 jeweils mwN; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12 Rn. 6).

Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten in Zukunft (nur) Straftaten zu erwarten sind, die in Art und Schwere den festgestellten Anlasstaten entsprechen. Auch seine Bewertung, die zu erwartenden Taten seien nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB , weist keinen Rechtsfehler auf.

Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12 Rn. 7 mwN). Dies hat die Strafkammer mit rechtsfehlerfreien Erwägungen verneint. Die Anlasstaten liegen eher im unteren Bereich der Kriminalität. Das Gewicht der Diebstahls- bzw. Unterschlagungstaten wird trotz der Höhe der Beute dadurch gemindert, dass dem Angeklagten die Tatausführung durch günstige Gelegenheiten erleichtert wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Januar 2009 - 4 StR 614/08 Rn. 9 zum Fall des Betrugs). Der Umstand, dass der Angeklagte bei dem Straßenverkehrsdelikt nach § 315b StGB fahrlässig gehandelt und die Gefahr fahrlässig herbeigeführt und bei demjenigen nach § 315c StGB die Gefahr fahrlässig herbeigeführt hat, reduziert auch das Gewicht dieser Taten maßgeblich, wie schon die verminderten Strafrahmen in § 315b Abs. 5 und § 315c Abs. 3 StGB zum Ausdruck bringen. Der Angeklagte hat sich nach den Urteilsfeststellungen nach Erkennen der Gefahr - vergeblich - darum bemüht, den Zusammenstoß mit der Fußgängerin zu vermeiden. Fremdaggressives Verhalten hat er bisher nicht gezeigt. Dass das Landgericht den Eintritt schwerer Folgen bei künftigen Taten für eher unwahrscheinlich gehalten hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 28.02.2012
Fundstellen
NStZ 2013, 6
NStZ-RR 2013, 42