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BGH - Entscheidung vom 24.01.2012

4 StR 469/11

Normen:
StPO § 25 Abs. 2 S. 2

BGH, Beschluss vom 24.01.2012 - Aktenzeichen 4 StR 469/11

DRsp Nr. 2012/3919

Statthaftigkeit eines Befangenheitsantrags nach Beschlussfassung des Gerichts bei Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege

1. Entscheidet das Revisionsgericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege (hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO ), so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist.2. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt.

Tenor

1.

Die Befangenheitsanträge des Verurteilten vom 29. Dezember 2011 gegen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann und Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer werden als unzulässig verworfen.

2.

Die Anhörungsrüge sowie die "weiteren Grundrechtsrügen" des Verurteilten vom 29. Dezember 2011 gegen den Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2011 werden auf seine Kosten zurückgewiesen.

Normenkette:

StPO § 25 Abs. 2 S. 2;

Gründe

Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 26. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit seiner dagegen erhobenen Anhörungs- sowie einer "weiteren Grundrechtsrüge" beanstandet der Verurteilte unter anderem, dass das Beschlussverfahren nach § 349 Abs. 2 , 3 StPO nicht durchgeführt werden durfte und das Anhörungsrügeverfahren gegen die Verfassung verstoße. Zugleich hat er den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann und Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

1. Die Befangenheitsanträge sind unzulässig.

a) Ihnen liegt im Wesentlichen Folgendes zugrunde:

Der Verteidiger des Verurteilten hatte das Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 26. Mai 2011, mit dem der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war, mit mehreren Verfahrensrügen und der Beanstandung der Anwendung des materiellen Rechts begründet. In seiner Antragsschrift vom 27. September 2011 nahm der Generalbundesanwalt zu der Sachrüge ausführlich Stellung, zu den erhobenen Verfahrensrügen führte er indes lediglich aus, dass die Beanstandung, ein Beweisantrag sei zu Unrecht zurückgewiesen worden, unzulässig sei, weil die Revision weder den Beweisantrag noch den daraufhin ergangenen Gerichtsbeschluss mitgeteilt habe.

Dies war offensichtlich unzutreffend. Deshalb nahm der Berichterstatter des Senats fernmündlich Kontakt mit dem Leiter des zuständigen Referats des Generalbundesanwalts auf und teilte ihm mit, dass die Antragsschrift zu den Verfahrensrügen den Vortrag des Revisionsführers nicht ausschöpfe. Bundesanwalt kündigte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme an, die am 16. November 2011 beim Senat einging; in "Ergänzung" des Antrags vom 27. September 2011 nahm der Generalbundesanwalt dort zu den vom Verteidiger des Verurteilten erhobenen Verfahrensrügen im Einzelnen Stellung und kam zu dem Ergebnis, dass keine der Verfahrensrügen durchgreife. Zu der "Ergänzung" erklärte sich der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 18. November 2011. Ferner wurde ihm mit Schreiben des Berichterstatters vom 21. November 2011 mitgeteilt, dass er innerhalb zwei Wochen nach Zugang der "Ergänzung" durch den Generalbundesanwalt, also innerhalb der Frist, die § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO vorsehe, zu dieser Stellung nehmen könne. Nachdem innerhalb dieser Frist keine weitere Stellungnahme eingegangen war, verwarf der Senat mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet.

Mit seinen Befangenheitsanträgen macht der Beschwerdeführer insbesondere geltend, dass ein "Prozesshandlungshindernis für die Bundesanwaltschaft als Antragstellerin" in dem Beschlussverfahren nach § 349 Abs. 2 StPO bestanden habe, da der Sachbearbeiter der Bundesanwaltschaft durch die "grobe Panne", nämlich die offensichtlich unzutreffende Behauptung zur Unzulässigkeit der Verfahrensrüge in der Antragsschrift vom 27. September 2011, befangen gewesen sei. Die abgelehnten Richter hätten ihre Pflicht verletzt, entweder auf die Ablösung des befangenen Staatsanwalts hinzuwirken oder - statt einen neuen Verwerfungsantrag zu bestellen - wegen "des Prozesshandlungshindernisses für den befangenen Staatsanwalt vom Beschlussverfahren nach § 349 Abs. 2 StPO abzuweichen" (S. 3 f. des Schriftsatzes des Verteidigers des Verurteilten vom 29. Dezember 2011).

b) Das Ablehnungsgesuch des Verurteilten ist verspätet und daher unzulässig (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO ).

Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege (hier gemäß § 349 Abs. 2 StPO ), so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 2655/06, NStZ 2007, 709 , 710; BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2007 - 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416 ; vom 19. August 2010 - 4 StR 657/09; Meyer-Goßner, StPO , 54. Aufl., § 25 Rn. 11 mwN).

Dies in Frage zu stellen bietet der vorliegende Fall keinen Anlass. Denn dem Angeklagten war es nach Zustellung der "Ergänzung" des Antrags des Generalbundesanwalts vom 10. November 2011 und der erneuten Fristgewährung unter ausdrücklichem Hinweis auf § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO , aus dem deutlich zu erkennen war, dass der Senat eine Entscheidung im Beschlussverfahren in Erwägung zieht, unbenommen, seine Ablehnungsanträge schon vor der Entscheidung des Senats vom 21. Dezember 2011 anzubringen.

Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich, wie im vorliegenden Fall (siehe unten 2.) deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist. Denn § 356a StPO verfolgt allein den Zweck, dem Revisionsgericht, das in der Sache entschieden hat, Gelegenheit zu geben, im Falle des Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör diesem Mangel durch erneute Sachprüfung selbst abzuhelfen, um hierdurch ein Verfassungsbeschwerdeverfahren zu vermeiden. Der Rechtsbehelf dient hingegen nicht dazu, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG doch noch Geltung zu verschaffen (BGH aaO; ferner Beschluss vom 22. November 2006 - 1 StR 180/06).

Soweit der Verteidiger des Verurteilten die Befangenheitsanträge auf die "Überforderung" der abgelehnten Richter durch die Aufgabenzuweisungen in dem ab 1. Januar 2012 geltenden Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs stützt und meint, "ausnahmsweise rückwirkend" im Verfahren über die Anhörungsrüge diese Befangenheitsanträge anbringen zu können (S. 3 des Schriftsatzes vom 6. Januar 2012), verfängt auch dies nicht. Die dem zugrunde liegende Annahme des Verteidigers des - damals in Untersuchungshaft befindlichen - Verurteilten, der Senat habe am 21. Dezember 2011 im Beschlusswege über die Revision entschieden, weil er ab dem 1. Januar 2012 und in einer erst dann möglichen Hauptverhandlung nicht mehr ordnungsgemäß besetzt sei, entbehrt jeder Grundlage. Es besteht daher kein Anlass, die vom Verteidiger im Schriftsatz vom 23. Januar 2012 angekündigte Stellungnahme zu den "Entscheidungen vom 11. Januar 2012" (ersichtlich zur Besetzung des 2. und 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs) abzuwarten.

c) Infolge der Unzulässigkeit der Ablehnungsanträge bedurfte es weder der Einholung dienstlicher Stellungnahmen durch die abgelehnten Richter (vgl. Meyer-Goßner aaO § 26 Rn. 14 mwN), noch schieden diese aus dem Spruchkörper, der über die Anträge nach der Geschäftsverteilung des Senats zu entscheiden hat, aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO ).

2. Die Anhörungs- sowie die "weitere Grundrechtsrüge" des Verurteilten haben ebenfalls keinen Erfolg.

a) Der Senat hat bei seiner Revisionsentscheidung weder Verfahrensstoff noch Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Verurteilte zuvor nicht gehört worden ist. Auch wurde weder zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen, noch in sonstiger Weise der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt. Der Senat hat bei seiner Entscheidung vielmehr das Revisionsvorbringen des Angeklagten bzw. seines Verteidigers in vollem Umfang bedacht und gewürdigt, es aber für nicht durchgreifend erachtet. Da sich der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. September 2011 und der ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2011 sowohl zur Unbegründetheit der Sachrüge als auch zur Erfolglosigkeit der Verfahrensrügen geäußert hat, haben es weder Art. 103 Abs. 1 GG noch strafprozessuale Vorschriften geboten, im Rahmen der Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO diese Ausführungen zu wiederholen oder zu ihnen - auch bei Berücksichtigung des Vorbringens in dem außerhalb der Revisionsbegründungsfrist eingereichten Schriftsatz vom 18. November 2011 - ergänzend Stellung zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2007 - 2 BvR 120/07; vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07; vom 29. Januar 2008 - 2 BvR 2556/07; ferner: BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10, NJW 2011, 1497 ).

Die "weitere Grundrechtsrüge" ist nicht statthaft. Sie hätte auch als Gegenvorstellung keinen Erfolg, zumal der Senat die Bedenken des Verteidigers des Verurteilten gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 356a StPO und § 211 StGB nicht teilt.

b) Im Hinblick auf die Ausführungen des Verteidigers des Verurteilten in den Schriftsätzen vom 6. und 23. Januar 2012 bemerkt der Senat ergänzend:

Es entbehrt jeder Grundlage, dass der Senat beim Generalbundesanwalt einen Antrag "bestellt" habe. Dies wird nicht nur durch den Vermerk des Berichterstatters über das Telefongespräch mit Bundesanwalt vom 12. Oktober 2011 belegt, sondern auch dadurch, dass der Generalbundesanwalt seinen Verwerfungsantrag bereits mit der Übersendung der Akten an den Senat gestellt und später nicht abgeändert hat. Das Verfahren, mit dem dem Generalbundesanwalt Gelegenheit zur Ergänzung seiner Antragsschrift und anschließend dem Verteidiger zur nochmaligen Stellungnahme gegeben wurde, diente allein der Gewährung umfassenden rechtlichen Gehörs vor der Entscheidung des Senats.

c) Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 1 StR 676/10 mwN).