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BGH - Entscheidung vom 28.08.2012

3 StR 315/12

Normen:
StGB § 21
StPO § 349 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 28.08.2012 - Aktenzeichen 3 StR 315/12

DRsp Nr. 2012/19302

Notwendigkeit der Prüfung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) bei Begehung von Straftaten (u.a. Körperverletzungen) nach Alkoholkonsum in der Vergangenheit

Der Umstand, dass die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Angeklagten nicht beschwert, hindert das Revisionsgericht nicht, auf eine zulässig erhobene - und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende - Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen dazu gedrängt haben.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 23. Januar 2012, soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 21 ; StPO § 349 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Raubes, besonders schweren Raubes und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter vorsätzlicher Körperverletzung zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich hiergegen mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Der Ausspruch über die Rechtsfolgen hält hingegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Prüfung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) unterlassen, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Alkoholkonsum des Angeklagten und seinen Auswirkungen aufdrängte. Dies führt hier auch zur Aufhebung der gegen den Angeklagten festgesetzten Jugendstrafe.

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte vor den gegenständlichen Taten schon zweimal im alkoholisierten Zustand Körperverletzungen begangen hatte und deshalb bestraft worden war. Im Rahmen der Strafzumessung hat es ausgeführt, die Kammer vermöge nicht auszuschließen, dass wegen der Alkoholisierung des Angeklagten bei Begehung der Taten jeweils die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen hätten, der Angeklagte mithin jeweils in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Dieser Umstand vermöge aber an dem bestehenden Erziehungsbedarf nichts zu ändern, bestärke diesen vielmehr, denn dem Angeklagten sei bereits aus vorangegangen Taten bekannt gewesen, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbarem Verhalten neige. Auch einer der Zeugen habe glaubhaft bekundet, der Angeklagte habe ihn einige Zeit vor der Tat zum Nachteil K. (II. 3. der Urteilsgründe) in alkoholisiertem Zustand grundlos geschlagen. Eine Anzeige habe er deswegen allerdings nicht erstattet. Der Angeklagte habe nichts unternommen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, habe vielmehr unbeeindruckt durch Vorverurteilungen weiter getrunken und auch in Kauf genommen, dass er deswegen weitere Straftaten, wie sich in den vorliegenden Fällen gezeigt habe, begehen werde. Insoweit vermöge ihn der Alkoholeinfluss nicht zu entschuldigen, sei vielmehr deutlicher Hinweis darauf, dass gerade in dieser Richtung erheblicher Erziehungsbedarf bestehe. Die Jugendstrafe von drei Jahren sei (auch) erforderlich, um dem Angeklagten ausreichend Gelegenheit zu geben, sich mit seiner Alkoholproblematik auseinanderzusetzen.

2. Diese Feststellungen und Wertungen legen es nahe, dass bei dem Angeklagten der Hang gegeben ist, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und dass die gegenständlichen Taten - wie auch schon frühere Körperverletzungsdelikte - auf diesen Hang zurückgehen. Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Den Gründen des angefochtenen Urteils ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind. Vielmehr ergeben die bisherigen Feststellungen, dass das Landgericht von der Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Angeklagten überzeugt war, falls er seinen Alkoholkonsum fortführt.

Die Nachholung der Unterbringungsanordnung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ). Der Umstand, dass die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Angeklagten nicht beschwert, hindert das Revisionsgericht nicht, auf eine zulässig erhobene - und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 ) - Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen dazu gedrängt haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN).

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt hier den Strafausspruch nicht unberührt. Der Senat kann unter den gegebenen Umständen nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, gegen den Angeklagten eine Jugendstrafe zu verhängen. Der neue Tatrichter wird daher über den gesamten Rechtsfolgenausspruch nochmals zu befinden haben. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO ).

Vorinstanz: LG Aurich, vom 23.01.2012