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BGH - Entscheidung vom 14.03.2012

XII ZB 502/11

Normen:
BGB § 1896 Abs. 1 a
BGB § 104 Nr. 2
BGB § 1896 Abs. 1a
BGB § 104 Nr. 2
BGB § 1896 Abs. 1a

Fundstellen:
FGPrax 2012, 110
MDR 2012, 585

BGH, Beschluss vom 14.03.2012 - Aktenzeichen XII ZB 502/11

DRsp Nr. 2012/7676

Erforderlichkeit der Prüfung einer freien Willensäußerung durch den Betroffenen bei Ablehnung der Einrichtung einer Betreuung

Stimmt der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zu, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 f.).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 31. August 2011 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Normenkette:

BGB § 104 Nr. 2 ; BGB § 1896 Abs. 1a ;

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1 wendet sich gegen die Einrichtung einer Betreuung für seine Mutter.

Die Betroffene leidet an einer Demenz vom Typ Alzheimer. Im Januar 2009 erteilte sie ihrer Tochter und dem Beteiligten zu 1 eine umfassende Vorsorgevollmacht. Diese Vollmacht wurde im September 2009 von der Betroffenen widerrufen. Gleichzeitig erteilte sie dem Beteiligten zu 1 eine umfassende Vorsorgevollmacht, die auf den 18. Februar 2009 rückdatiert wurde.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht zunächst den Beteiligten zu 2 zum Kontrollbetreuer bestellt. Nachdem Zweifel an der Wirksamkeit der zugunsten des Beteiligten zu 1 bestellten Vollmacht aufgekommen waren, hat das Amtsgericht am 16. Februar 2011 den Beteiligten zu 3 zum Verfahrenspfleger bestellt und am selben Tag eine erneute Anhörung der Betroffenen in deren Wohnung durchgeführt, bei der neben weiteren Personen auch ein Amtsarzt anwesend waren. Auf Anordnung des Gerichts hat der Amtsarzt die Betroffene noch während des Anhörungstermins untersucht und anschließend ein auf den 17. Februar 2011 datiertes "Amtsärztliches Zeugnis" zur Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen vorgelegt.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2011 hat das Amtsgericht die Kontrollbetreuung aufgehoben, für die Betroffene eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Wohnungsangelegenheiten, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge und Postangelegenheiten angeordnet und die Beteiligte zu 4 zur Betreuerin bestellt.

Gegen diesen Beschluss haben die Betroffene und der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt. Ihre Rechtsmittel sind jedoch ohne Erfolg geblieben. Mit der allein vom Beteiligten zu 1 eingelegten Rechtsbeschwerde möchte dieser die Aufhebung der Betreuung erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ) und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1, der bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt war, ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG .

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betroffene sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, die im Beschluss genannten Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dies ergebe sich aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 17. Februar 2011, dem früheren vom Betreuungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten, der Krankheitsgeschichte der Betroffenen sowie den aussagekräftig dokumentierten Anhörungen der Betroffenen durch das erstinstanzliche Gericht. Eine Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei entbehrlich gewesen, weil das Amtsgericht die Betroffene mehrfach angehört und die Ergebnisse jeweils detailliert dokumentiert habe und neue Erkenntnisse bei einer Anhörung durch das Beschwerdegericht nicht zu erwarten gewesen seien.

Die von der Betroffenen erteilten Vollmachten stünden der Einrichtung einer Betreuung nicht entgegen, da die Angelegenheiten der Betroffenen nicht ebenso gut durch die Bevollmächtigten wie durch einen Betreuer geregelt werden könnten. Die dem Beteiligten zu 1 erteilte Vollmacht sei mit einiger Sicherheit unwirksam. Zudem bestehe noch eine weitere Vollmacht zugunsten des Beteiligten zu 1 und dessen Schwester. Bruder und Schwester stünden zudem im Streit. Es fehle daher an einem zweifelsfrei legitimierten Bevollmächtigten. Außerdem sei der Gebrauch der Vollmacht durch den Beteiligten zu 1 durch den fortdauernden Streit mit seiner Schwester belastet, die darauf bestehe, dass die zunächst für beide Kinder erteilte Vollmacht maßgeblich sei.

Schließlich sei auch die Auswahl des Betreuers nicht zu beanstanden. Zwar habe die Betroffene bei ihrer Anhörung vor dem Betreuungsgericht den Wunsch geäußert, dass der Beteiligte zu 1 zum Betreuer bestellt werde. Diesem Wunsch habe das Amtsgericht jedoch zu Recht unter Hinweis auf das Wohl der Betroffenen nicht entsprochen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB . Nach dieser Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 -FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 -FamRZ 2011, 630 Rn. 8).

Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. So vermag ein an einer Psychose erkrankter Betroffener das Wesen und die Bedeutung einer Betreuung im Detail eher zu begreifen als der an einer Demenz leidende Betroffene. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB ) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (BT-Drucks. 15/2494 S. 28).

Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht verhält sich zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB nicht. Insoweit fehlt es auch an den erforderlichen Feststellungen. Insbesondere ergibt sich aus dem vom Beschwerdegericht zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommenen Gutachten der Sachverständigen Dr. D. und dem "Amtsärztlichen Zeugnis" vom 17. Februar 2011 nicht, ob die Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage ist.

Die Sachverständige Dr. D. kam in ihrem ärztlichen Betreuungsgutachten vom 9. Januar 2010 zwar zu dem Ergebnis, dass die Betroffene aufgrund ihrer Demenzerkrankung umfassender Hilfe in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vertretung vor Ämtern und Behörden sowie Vermögenssorge bedürfe. Die vom Betreuungsgericht gestellte Frage, ob andere Hilfsmöglichkeiten eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machen würde, beantwortete die Sachverständige jedoch nur dahingehend, dass sie in Anbetracht der vorhandenen familiären Konfliktsituation trotz der bestehenden Vorsorgevollmacht für die Einsetzung eines gesetzlich bestellten Betreuers plädiere. Dass die Betroffene wegen ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für ihre Lebensgestaltung zu erkennen, hat die Sachverständige indes nicht festgestellt.

Gleiches gilt für das amtsärztliche Zeugnis vom 17. Februar 2011. Auch darin finden sich keine Ausführungen zu der Frage, ob die Betroffene noch zu einer freien Willensbildung in der Lage ist. Der Amtsarzt Dr. S. führt in dem amtsärztlichen Zeugnis nur aus, dass bei der Auswahl des Betreuers zu bedenken sei, dass die Betroffene aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage sei, komplexere Zusammenhänge zu verstehen. Sie überblicke insbesondere nicht die in Frage stehende finanzielle Situation und den damit verbundenen Regelungsbedarf. Sie sei somit auch nicht in der Lage, aufgrund eigener Überlegungen zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen. Mit diesen Ausführungen hat der Sachverständige lediglich Schlussfolgerungen aus seinen Untersuchungsergebnissen gezogen, die einen Betreuungsbedarf im Bereich der Vermögenssorge begründen können. Aus ihnen lässt sich jedoch nicht schließen, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mehr zu einer freien Willensbildung iSv § 1896 Abs. 1 a BGB fähig war.

c) Da die Betroffene bei ihren Anhörungen mehrmals geäußert hat, dass sie eine Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten durch den von ihr bevollmächtigten Betroffenen zu 1 möchte, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu § 1896 Abs. 1 a BGB gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 35; Palandt/Diederichsen BGB 71. Aufl. § 1896 BGB Rn. 4).

3. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ausreichend aufgeklärt ist, an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG ).

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Beschwerdeverfahren eine erneute Anhörung der Betroffenen geboten sein dürfte.

Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht zwar von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschlüsse vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 7 und vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 12 f.). Dies gilt jedoch nicht für Verfahrenshandlungen, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 14).

Ein solcher Verfahrensverstoß durch das Betreuungsgericht ist hier nicht auszuschließen.

Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG ) zur Verfügung zu stellen (Senatsbeschlüsse vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 275 und vom 6. Juli 2010 - XII ZB 616/10 - FamRZ 2011, 1574 Rn. 11 jeweils mwN). Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 281 Rn. 11).

Aus den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen ist nicht zu entnehmen, ob der Betroffenen vor der Entscheidung über die Betreuerbestellung der Inhalt des "Amtsärztlichen Zeugnisses" vom 17. Februar 2011 zur Kenntnis gebracht worden ist und sie sich hierzu äußern konnte. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, wird das Beschwerdegericht vor einer erneuten Entscheidung dies nachholen müssen.

Vorinstanz: AG Brake, vom 18.02.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 5a XVII 135/10
Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 31.08.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 593/11
Fundstellen
FGPrax 2012, 110
MDR 2012, 585