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BGH - Entscheidung vom 08.03.2012

V ZB 276/11

Normen:
AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 5

BGH, Beschluss vom 08.03.2012 - Aktenzeichen V ZB 276/11

DRsp Nr. 2012/6792

Erforderlichkeit der Aushändigung und Übersetzung eines Haftantrags vor Erlass der Haftanordnung bei Anordnung von Abschiebungshaft

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 8. November 2011 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Simmern vom 23. August 2011 zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Simmern vom 23. August 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden dem Rhein-Hunsrück-Kreis auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG a.F. § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 , 5;

Gründe

I.

Die Betroffene, eine albanische Staatsangehörige, versuchte vergeblich mit einer verfälschten griechischen Identitätskarte nach Großbritannien einzureisen. Anschließend wurde sie am 22. August 2011 auf dem Flughafen Hahn festgenommen.

Das Amtsgericht hat auf Antrag der Beteiligten zu 2 am 23. August 2011 Abschiebungshaft für die Dauer von 90 Tagen angeordnet. Die Beschwerde der Betroffenen, die sie nach ihrer am 30. August 2011 erfolgten Abschiebung nach Albanien auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung gerichtet hat, hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war der Haftantrag zulässig und begründet. Ein Haftgrund habe sowohl gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG aF als auch gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF vorgelegen.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die Anordnung der Haft war schon deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Die Betroffene rügt zu Recht, dass ihr der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht mitgeteilt worden ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Eröffnung des Haftantrags zu Beginn der Anhörung ausreichend gewesen wäre (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 4. März 2010 V ZB 222/09, BGHZ 184, 323 Rn. 16). Denn aus dem Anhörungsprotokoll geht nicht hervor, dass ihr wie es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erforderlich ist der Haftantrag vor Erlass der Haftanordnung ausgehändigt und übersetzt worden ist (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2010, aaO, Rn. 16 f.; Beschluss vom 21. Juli 2011 V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257 Rn. 8 f.). Festgehalten worden ist lediglich, ihr sei "der Sachverhalt vorgetragen" worden. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern.

Eine Heilung des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör ist nicht erfolgt. Zwar konnte der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen durch die in dem Beschwerdeverfahren gewährte Akteneinsicht Kenntnis von dem vollständigen Haftantrag erlangen. Infolge der zeitgleich erfolgten Abschiebung konnte die Betroffene hierzu aber nicht mehr angehört werden.

Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung drückt der gleichwohl angeordneten Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011, aaO, Rn. 10 mwN).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Simmern, vom 23.08.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 10 XIV 34/11
Vorinstanz: LG Bad Kreuznach, vom 08.11.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 140/11