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BGH - Entscheidung vom 09.02.2012

V ZB 305/10

Normen:
AufenthG a.F. § 62 Abs. 1
BGB § 126 Abs. 1
FamFG § 23 Abs. 1 S. 4

BGH, Beschluss vom 09.02.2012 - Aktenzeichen V ZB 305/10

DRsp Nr. 2012/6462

Begründetheit einer Abschiebungshaft bei fehlendem oder formunwirksamen Haftantrag

Tenor

Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Wassermann bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Aufhebung des Beschlusses der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 18. November 2010 festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Mainz vom 31. Juli 2010 und des Amtsgerichts Bingen vom 8. September 2010, mit denen Vorbereitungs- und Abschiebungshaft für die Zeit vom 31. Juli 2010 bis zum 9. Dezember 2010 angeordnet worden ist, den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Stadt Mainz zu 3/4 und dem Land Rheinland-Pfalz zu 1/4 auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt

3.000 €.

Normenkette:

AufenthG a.F. § 62 Abs. 1 ; BGB § 126 Abs. 1 ; FamFG § 23 Abs. 1 S. 4;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein somalischer Staatsangehöriger, wurde am 31. Juli 2010 in einem Zug der Deutschen Bahn AG ohne Fahrausweis, ohne Ausweispapiere und ohne Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet angetroffen und anschließend durch Beamte der Bundespolizei festgenommen. Am gleichen Tag hat das Amtsgericht Mainz gegen den Betroffenen nach dessen persönlicher Anhörung unter Bezugnahme auf einen Antrag der Beteiligten zu 3 (örtliche Polizeibehörde) Haft zur Vorbereitung der Abschiebung und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) hat das Amtsgericht Bingen mit Beschluss vom 8. September 2010 nach persönlicher Anhörung des Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 9. Dezember 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.

Der Betroffene hat gegen die amtsgerichtlichen Entscheidungen zwei Beschwerden mit den Anträgen eingelegt, die Verletzung seiner Rechte durch die Anordnung der Vorbereitungshaft nach deren Ablauf festzustellen, und den Beschluss über die Anordnung der Sicherungshaft aufzuheben. Das Landgericht hat die Beschwerden zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich der am 22. Dezember 2010 nach Italien abgeschobene Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er unter Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Beschlüsse der Amtsgerichte beantragt.

II.

Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass der die Anordnung der Vorbereitungshaft betreffende Feststellungsantrag zwar zulässig, aber unbegründet sei. Die Beteiligte zu 3 sei für die Beantragung von Vorbereitungshaft zuständig und ihr Haftantrag wirksam gewesen, weil dieser schriftlich gestellt worden sei und eine den Erfordernissen des § 417 Abs. 2 FamFG genügende Begründung enthalten habe. Auch die Voraussetzungen für die Anordnung von Vorbereitungshaft hätten vorgelegen.

Die zulässige Beschwerde gegen die Anordnung der Abschiebungshaft sei unbegründet. Es hätten Haftgründe vorgelegen, da der Betroffene unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und der begründete Verdacht bestanden habe, dass er sich der Abschiebung entziehen werde. Die Anordnung einer Abschiebungshaft für insgesamt vier Monate und eine Woche sei auch verhältnismäßig, da Sicherungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden dürfe.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde mit den Feststellungsanträgen nach § 62 FamFG ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154 , 155 Rn. 6 - insoweit nicht in BGHZ 184, 323 abgedruckt) und auch im Übrigen zulässig.

2. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg, weil alle in dem Antrag genannten Entscheidungen den Betroffenen in seinem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ) verletzt haben.

a) Die Anordnung von Vorbereitungshaft

Diese Haftanordnung verletzte den Betroffenen schon deshalb in seinen Rechten, weil es an einer ordnungsgemäßen Antragstellung der zuständigen Verwaltungsbehörde fehlte. Die Antragstellung nach § 417 FamFG stellt eine Verfahrensgarantie dar, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn. 19).

aa) Hier kann schon nicht festgestellt werden, dass die Beteiligte zu 3 bei dem Amtsgericht überhaupt einen Haftantrag gestellt hat. Die Antragstellung der Behörde muss aktenkundig sein (Senatsbeschluss vom 20. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn. 17). Das ist der Fall, wenn die Verfahrensakten einen vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten oder die Antragstellung der Behörde sich aus dem Protokoll der Anhörung des Betroffenen ergibt. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung durch den Haftrichter in den Rechtsmittelinstanzen regelmäßig selbst dann nicht möglich, wenn die Behörde in einem Rechtsbehelfsverfahren vorbringt, einen vollständigen Haftantrag gestellt zu haben (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2010 - V ZB 218/09, aaO).

So ist es hier. Der in der Akte befindliche Haftantrag ist nicht unterschrieben worden; ihm fehlt die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB . Dies stünde allerdings der Wirksamkeit eines Antrags nicht entgegen, weil die Unterschrift unter den verfahrenseinleitenden Antrag in § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG als Soll-Vorschrift ausgestaltet worden ist (Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41 , 42 Rn. 11). Es muss dann aber auf Grund anderer Umstände zweifelsfrei feststehen, dass es sich bei dem in der Akte befindlichen Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen der Behörde dem Haftrichter zugeleitet worden ist. Daran fehlt es, wenn der in der Verfahrensakte befindliche Haftantrag weder einen Ausgangsstempel der Behörde noch einen Eingangsstempel des Gerichts trägt und auch nicht festgestellt werden kann, dass der Antrag mit dem Betroffenen im Beisein von Mitarbeitern der Behörde erörtert worden ist (zu einer solchen Übernahme der Urheberschaft und Verantwortung für einen nicht unterschriebenen Haftantrag: Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41 , 42 Rn. 12), weil nach dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen kein Vertreter der antragstellenden Behörde anwesend war.

bb) Der Haftantrag genügte auch nicht den in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG gestellten inhaltlichen Anforderungen an die Begründung, was ebenfalls zur Unzulässigkeit der Antrags führt (Senatsbeschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8 und vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 , 318 Rn. 11). Nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 FamFG ist die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung zu begründen. Die Begründung muss sich an den Voraussetzungen der Vorschrift orientieren, die nach Ansicht der Behörde für die Anordnung der Freiheitsentziehung herangezogen werden soll (Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 417 Rn. 14). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt, da lediglich verschiedene Kästchen in einem eine Mehrfachauswahl anbietenden Vordruck angekreuzt worden sind, mit dem sowohl Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 1 AufenthG aF (in der Fassung in der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl. I S. 162) als auch von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG aF beantragt werden kann.

(1) Für eine Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 1 AufenthG aF fehlte es in dem Haftantrag an Ausführungen dazu, dass mit einer Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde, die mittels Abschiebung durchgesetzt werden soll, in einem Zeitraum von sechs Wochen zu rechnen war. Das ist deshalb notwendig, weil Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 1 AufenthG aF nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen angeordnet werden darf (vgl. BayObLGZ 1993, 378, 379; 1998, 124, 125 und OLG München, OLGR 2006, 205). Hier war mit einer Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde angesichts des Umstands, dass der Betroffene schon wegen unerlaubter Einreise nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig war (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 ), nicht zu rechnen.

(2) Für einen Antrag auf Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG aF fehlte es an Darlegungen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG zur Durchführbarkeit der Abschiebung. Hierzu sind auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, bezogene Ausführungen erforderlich. Anzugeben ist insbesondere, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betroffene Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 13, [...] und vom 4. Januar 2012 - V ZB 284/11, Rn. 5, [...]). Die Hinweise im Haftantrag über die Ausreisepflichtigkeit des Betroffenen auf Grund unerlaubter Einreise und auf eine Fluchtgefahr genügten diesen Anforderungen nicht. War die Beteiligte zu 3 (Polizeibehörde) infolge der nicht geklärten Staatsangehörigkeit des Betroffenen, der beim Aufgreifen über keine Papiere verfügte, und mangels eigener Erkenntnisse über die Durchführbarkeit von Abschiebungen zu den für einen Haftantrag erforderlichen Angaben nicht in der Lage, wäre allenfalls ein - hier nicht gestellter - Antrag auf eine einstweilige Anordnung nach § 427 Abs. 1 FamFG in Betracht gekommen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestanden, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung infolge Fluchtgefahr gegeben waren und ein dringendes Bedürfnis für eine sofortige Freiheitsentziehung vorlag.

b) Die Anordnung von Abschiebungshaft

Die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 8. September 2010 verletzte den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten, weil es an einer den Anforderungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG genügenden Prognose fehlte.

aa) Für die Anordnung von Sicherungshaft ist grundsätzlich nur Raum, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann (Senatsbeschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 13 und vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 6, [...], mwN). Die Prognose muss sich auf alle in Betracht kommenden Gründe erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (BVerfG, NJW 2009, 2659 , 2660).

bb) Die Feststellung des Amtsgerichts, Abschiebungshindernisse seien nicht ersichtlich, widerspricht dem Antrag der Beteiligten zu 2, die darin ausgeführt hat, dass sowohl eine Passersatzpapierbeschaffung als auch eine Abschiebung in das von dem Betroffenen genannte Heimatland Somalia derzeit nicht möglich seien und der Betroffene daher unverzüglich aus der Haft entlassen werden müsse, wenn es sich bei ihm um einen somalischen Staatsbürger handeln sollte. Haft zur Sicherung der Abschiebung hätte daher nur dann angeordnet werden dürfen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass die Angaben des Betroffenen zu seiner Nationalität falsch waren und eine Abschiebung in sein Heimatland innerhalb der 3 Monats-Frist möglich gewesen wäre. Das ist jedoch weder festgestellt noch ersichtlich.

cc) Die Anordnung von Abschiebungshaft kam mithin nur zur Sicherung einer Überstellung nach Italien gemäß Art. 16 ff. Dublin II-Verordnung in Betracht, weil der Betroffene bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht angegeben hatte, bereits in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben. Die darauf bezogene Prognose des Amtsgerichts, der Durchführbarkeit einer Rücküberstellung des Betroffenen innerhalb von drei Monaten stünden keine Bedenken entgegen, ist jedoch schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil für die Berechnung dieser Frist der Zeitpunkt der ersten Haftanordnung maßgebend ist (Senatsbeschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 139/11, Rn. 5, [...], mwN). Die nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF für die Beurteilung der Durchführbarkeit der Abschiebung maßgebende Frist lief daher bereits vom Beginn der gegen den Betroffenen verhängten Vorbereitungshaft und nicht erst von der Anordnung der Sicherungshaft an, was sich im Übrigen daraus ergibt, dass nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aF eine Vorbereitungshaft auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen ist.

Die Prognose des Amtsgerichts beruhte zudem auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage. Erforderlich sind konkrete Feststellungen zu dem Verfahrensablauf und zu dem Zeitraum, in dem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden. Der Tatrichter darf sich dabei nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken. Soweit diese keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es ihm gemäß § 26 FamFG nachzufragen (Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 2011 - V ZB 230/10, Rn. 6 und vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 6, beide in [...]). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Amtsgerichts offensichtlich nicht, weil er zu dem konkreten Verfahrensablauf bei einer Überstellung des Betroffenen nach Italien keine Feststellungen enthält. Eine Nachfrage seitens des Amtsgerichts, ob und welche Schritte die Beteiligte zu 2 insoweit bereits unternommen hatte und welche Zeit ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren nach Italien gemäß Art. 16 ff. Dublin II-Verordnung üblicherweise in Anspruch nimmt, ist nicht erfolgt.

c) Die Entscheidungen des Beschwerdegerichts

Auch die Entscheidungen des Beschwerdegerichts über die Rechtsmittel gegen die Anordnungen von Vorbereitungshaft und von Abschiebungshaft sind rechtsfehlerhaft und haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

aa) Dem auf die Anordnung der Vorbereitungshaft bezogenen Feststellungsantrag des Betroffenen hätte das Beschwerdegericht schon deshalb stattgeben müssen, weil es insoweit (siehe oben unter a) an einem zulässigen Haftantrag der Beteiligten zu 3 fehlte.

bb) Die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde gegen den die Sicherungshaft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.

(1) Das Beschwerdegericht hat nicht erkannt, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts auf einer fehlerhaften, weil nicht auf konkrete Tatsachen gestützten Prognoseentscheidung nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF beruhte (siehe oben b). Der Fehler ist auch nicht durch eine in der Beschwerdeinstanz mögliche Nachholung der Prognose (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 14) behoben worden; das Beschwerdegericht hat keine auf den Zeitpunkt der (ersten) Haftanordnung bezogene Feststellungen dazu getroffen, dass eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten (gerechnet von der ersten Anordnung der Haft) möglich erschien (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2010 - V ZB 311/10, Rn. 8, [...]). Dieser Mangel kann - nachdem der Betroffene abgeschoben worden ist - auch nicht mehr behoben werden, weil dem Betroffenen nicht mehr das rechtliche Gehör gewährt werden kann.

(2) Die Anordnung von Abschiebungshaft für einen Zeitraum von vier Monaten und einer Woche war auch nicht -wie das Beschwerdegericht meint -deshalb zulässig, weil nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aF Sicherungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann. Das ist lediglich die für die Haftanordnung höchstzulässige Frist (vgl. BayObLG InfAuslR 2000, 453, 454), deren Ausschöpfung aber nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden kann. § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF lässt vielmehr erkennen, dass Abschiebungshaft in der Regel nicht länger als drei Monate dauern soll (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361, 363; Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 , 1176 Rn. 19). Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haftanordnung ist nur dann zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann. An solchen Gründen fehlt es hier.

Eine über drei Monate hinausgehende Haftanordnung war nicht deswegen gerechtfertigt, weil der Betroffene bei seiner Festnahme keine Ausweispapiere besaß. Zwar ist eine über drei Monate hinausgehende Haftanordnung zulässig, wenn die Passersatzpapierbeschaffung regelmäßig mehr als drei Monate in Anspruch nimmt, und der Ausländer, der über keine Ausweispapiere verfügt, bei der Passersatzpapierbeschaffung nicht mitwirkt. Der Ausländer hat dann diejenigen Verzögerungen zu vertreten, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaats um die Feststellung seiner Identität und um die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 , 1176 Rn. 20). Anders verhält es sich jedoch, wenn - wie es die Beteiligte zu 2 in ihrem Haftantrag selbst ausgeführt hat - die Beschaffung von Passersatzpapieren und die Abschiebung des Ausländers in seinen Heimatstaat (Somalia) auf unabsehbare Zeit nicht möglich sind. Abschiebungshindernisse, die auf einen Bürgerkrieg und auf den Zusammenbruch der zentralen Regierungsgewalt in seinem Heimatland zurückzuführen sind, hat der Ausländer nicht zu vertreten.

Dass die Verzögerungen bei der Rücküberstellung nach Italien auf einem von dem Betroffenen zu vertretenden Umstand beruht hätten, ist weder festgestellt noch ersichtlich. Das Fehlen von Ausweispapieren stand einer Überstellung nach Italien gemäß Art. 16 ff. Dublin II-Verordnung nicht entgegen, da der Ausländer dafür kein gültiges Ausweispapier besitzen muss. Nach Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur Dublin II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003, ABl. L 222 vom 5. September 2003, S. 3) ist hierfür ein Passierschein (Laissez passer nach Anhang IV der Verordnung) ausreichend. Andere vom Betroffenen zu vertretende Umstände dafür, dass dieser erst nach fast fünf Monaten Abschiebungshaft nach Italien überstellt worden ist, sind nicht zu erkennen. Die Beteiligte zu 2 hat keine Gründe dafür vorgetragen, warum sie erst über einen Monat nach der Inhaftierung des Betroffenen eine Abfrage nach Art. 11 Abs. 1 Satz 2 Eurodac-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Errichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner-Übereinkommens, ABl. L 316 vom 15. Dezember 2000, S. 1) veranlasst und auch danach mit der Durchführung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahrens nach Italien gemäß Art. 16 ff. Dublin II-Verordnung lange Zeit zugewartet hat, obwohl der Betroffene bereits bei der Vernehmung anlässlich seiner Festnahme (wie auch bei allen weiteren Anhörungen) angegeben hat, im November 2008 auf dem Seeweg über das Mittelmeer in Europa (auf der Insel Lampedusa) angekommen zu sein. Dass der Betroffene im Rahmen seiner ersten Anhörung nicht angegeben hat, in Italien auch einen Asylantrag gestellt zu haben, stand einer Eurodac-Abfrage nicht entgegen, da diese gerade einer solchen Überprüfung dient (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Eurodac-Verordnung).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 , § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO ; die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 , § 30 Abs. 2 Satz 1 KostO . Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, dem Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Mainz, als denjenigen Körperschaften, denen die beteiligten Behörden angehören (vgl. § 430 FamFG) zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.

Vorinstanz: AG Mainz, vom 31.07.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 409 XIV 19/10
Vorinstanz: AG Bingen, vom 08.09.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 10 XIV 35/10
Vorinstanz: LG Mainz, vom 18.11.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 136/10