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BGH - Entscheidung vom 25.04.2012

IV ZR 93/11

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 25.04.2012 - Aktenzeichen IV ZR 93/11

DRsp Nr. 2012/10339

Auslegung einer Abgeltungsvereinbarung im Zusammenhang mit einem Immobilienkaufvertrag

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn Gerichte das erhebliche Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis nehmen und nicht bei der Urteilsfindung in Erwägung ziehen oder erhebliche Beweisantritte unberücksichtigt lassen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2011 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 60.000 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch, das sie diesen im Zusammenhang mit einem Immobilienkaufvertrag gewährt hatte. Im Kern streiten die Parteien um die Auslegung einer Abgeltungsvereinbarung.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 26. Juni 2006 veräußerte die Klägerin an die Beklagten einen Miteigentumsanteil eines Grundstücks in M. , verbunden mit dem Sondereigentum an einer Gewerbeeinheit, deren Mieter die Beklagten waren. Der Vertrag enthielt in § 6 ein Rücktrittsrecht für die Klägerin für den Fall, dass ihr ein Verkauf des Gesamtobjekts möglich war. In diesem Fall sollten die Beklagten unter anderem den Abschluss eines neuen Mietvertrages mit einem Mietzins von höchstens 7,50 €/qm verlangen können. Der Kaufpreis wurde später durch notarielle Ergänzungsvereinbarung auf 639.000 € festgelegt.

Auf den Kaufpreis zahlten die Beklagten zunächst einen Betrag von 40.000 €. Da die den Erwerb finanzierende Bank ein Eigenkapital der Beklagten von 100.000 € verlangte, diesen jedoch kein weiteres Geld zur Verfügung stand, gewährte die Klägerin den Beklagten mit Vertrag vom 23. April 2007 ein Darlehen über 60.000 €. Dieses wurde vereinbarungsgemäß nicht ausbezahlt, sondern der Betrag dem im Kaufvertrag angegebenen Konto gutgeschrieben. Damit galt die Kaufpreisforderung in dieser Höhe als getilgt. Die restlichen 539.000 € zahlten die Beklagten am 9. Mai 2007.

Nachdem die Klägerin ihr vertragliches Rücktrittsrecht ausgeübt hatte, schlossen die Parteien am 21. Dezember 2007 einen notariellen "entgeltlichen Rückabwicklungsvertrag", der in § 2 einen Rückkauf des Objekts zum Gegenstand hatte. Demgemäß sind in diesem Vertrag die Beklagten als Verkäufer und die Klägerin als Käufer bezeichnet. Der Kaufpreis betrug wiederum 639.000 €. In § 3 Abs. 2 Buchst. e des Vertrages heißt es unter anderem:

"Mit vollständiger Kaufpreiszahlung an den Verkäufer sind alle wechselseitigen Ansprüche der Beteiligten aus dem Darlehensvertrag vom 23.04.2007 abgegolten. Die Rechte aus dem Darlehensverhältnis werden bis zu diesem Zeitpunkt gestundet (Kaufpreiszahlung)."

Die Klägerin, die den Kaufpreis von 639.000 € in voller Höhe an die Beklagten gezahlt hat, verlangt nunmehr die Rückzahlung des Darlehens.

Die Beklagten haben sich darauf berufen, dass die Darlehensforderung durch die zitierte Regelung in § 3 des Rückabwicklungsvertrages erloschen sei. Zu dieser Vereinbarung sei es gekommen, weil im neuen Mietvertrag ein wesentlich höherer Mietzins vereinbart worden sei, als ihn die Klägerin nach der Rücktrittsklausel in dem ursprünglichen Kaufvertrag im Falle des Rücktritts hätte verlangen können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsforderung stattgegeben.

II. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der Rückzahlungsanspruch nicht durch die Vereinbarung in § 3 Abs. 2 des Rückabwicklungsvertrages erloschen sei, wie es unter Zugrundelegung des Wortlauts der Regelung der Fall wäre. Aufgrund der Beweisaufnahme und des Parteivorbringens sei das Berufungsgericht davon überzeugt, dass die Parteien die Regelung übereinstimmend anders gemeint hätten.

Für die Klägerin habe kein Anlass bestanden, auf den Darlehensrückzahlungsanspruch zu verzichten oder ihn den Beklagten zu erlassen. Die Behauptung der Beklagten über die Zahlung eines zu h ohen Mietzinses, der mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch habe verrechnet werden sollen, sei nicht nachvollziehbar. Denn der neue Mietvertrag sei im Zeitpunkt der Beurkundung des Rückabwicklungsvertrages noch nicht abgeschlossen gewesen.

Nachvollziehbar sei demgegenüber die Behauptung der Klägerin, die Parteien hätten mit "vollständiger Kaufpreiszahlung an den Verkäufer" einen aus dem Kaufvertrag vom 26. Juni 2006 noch geschuldeten Restkaufpreis gemeint. Zwar sei ein solcher tatsächlich nicht mehr geschuldet worden; jedoch hätten die Klägerin und ihr Bevollmächtigter die Gutschrift des Darlehensbetrages auf dem Kaufpreiskonto offensichtlich nicht als Erfüllung der Kaufpreisschuld angesehen. Die sinnvolle und zunächst ins Auge gefasste Regelung, die Darlehensschuld mit der von der Klägerin geschuldeten Kaufpreisrückzahlung zu verrechnen, se i nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin nicht möglich gewesen, weil der volle Kaufpreis von 639.000 € zur Ablösung der Grundpfandrechte benötigt worden sei.

Die Darstellung der Klägerin sei zudem durch die glaubhaften Zeugenaussagen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und des den Rückabwicklungsvertrag beurkundenden Notars bestätigt worden. Beide hätten übereinstimmend bekundet, mit der vertraglichen Regelung habe klargestellt werden sollen, dass die Beklagten noch 60. 000 € an die Klägerin zu zahlen hatten. Hierzu hätten sie durch die Kaufpreisrückzahlung in die Lage versetzt werden sollen. Das sei auch von ihnen so verstanden worden.

III. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt, indem es seiner Überzeugung, die Parteien hätten die streitige Vereinbarung übereinstimmend anders gemeint als sie dem Wortsinne nach zu verstehen sei, unter anderem die Annahme zugrunde gelegt hat, dass Abschluss und Inhalt eines Mietvertrages zur Zeit der Beurkundung des Rückabwicklungsvertrages überhaupt nicht bekannt gewesen seien. Dies führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisun g.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerfG NJW 2000, 131 ) sowie erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2005, 1487 und NJW 1991, 285 , 286). Danach durfte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, dass der neue Mietvertrag bei Beurkundung des Rückabwicklungsvertrages nicht bekannt war.

Die Beklagten haben sich im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 3. November 2010 auf einen Mietvertrag vom 21. Dezember 2007, also dem Tage der Beurkundung des Rückabwicklungsvertrages, bezogen, der eine Miete von 11,30 €/qm enthalte. Sie haben dazu in der Anlage eine wenn auch unvollständige Kopie dieses Mietvertrages vorgelegt. Dieser auszugsweise vorgelegte Mietvertrag trägt auf S eite 1 das Datum 21. Dezember 2007 sowohl aufgedruckt oben rechts als auch handschriftlich unten bei den Unterschriften. Ferner befindet sich a uf der Seite 1 oben links der handschriftliche, vom Notar unterschriebene Vermerk, dass es sich um eine Anlage zur notariellen Urkunde UR -Nr.

429/2007 vom selben Tage handele das ist der Rückabwicklungsvertrag zwischen den Parteien. Des Weiteren hat der Notar im Rahmen seiner Zeugenvernehmung ausdrücklich bekundet, dass der Mietvertrag als Anlage 2 zur Urkunde genommen worden sei, wie es zudem in § 4 Abs. 7 des Rückabwicklungsvertrages ausdrücklich angegeben ist.

Damit hat sich das Berufungsgericht m it seiner nicht näher begründeten Annahme, ein neuer Mietvertrag sei zur Zeit der Beurkundung des Rückabwicklungsvertrages noch nicht abgesc hlossen, Abschluss und Inhalt eines solchen Mietvertrages seien daher nicht bekannt gewesen, über das Vorbringen der Beklagten zum Abschluss des Mietvertrages hinweggesetzt, ohne dieses auch nur ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen.

2. Die hierin liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten ist entscheidungserheblich.

Die angeblich mangelnde Nachvollziehbarkeit des von den Beklagten angegebenen Grundes für die Erledigung des Darlehens ist eines der tragenden Elemente für die Erwägung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe für einen Erlass des Darlehensrückzahlungsanspruchs keinerlei Anlass gehabt. Das Berufungsgericht hat ein vom Wortlaut abweichendes Verständnis der Parteien bezüglich des Inhalts der vertraglichen Regelung unter anderem damit begründet, de ren wortgetreue Anwendung führte zu dem Ergebnis, dass die Beklagten den gesamten Kaufpreis zurückerhielten und zusätzlich von ihrer Darlehensverpflichtung befreit würden. Dies spreche dafür, dass die Parteien bei den Formulierungen "vollständiger Kaufpreiszahlung" und "Verkäufer" den Rückabwicklungsvertrag mit dem ursprünglichen Vertrag vom 26. Juni 2006 vermischt hätten. Die Bedenken dagegen, dass ein diesem Wortlaut entsprechendes Ergebnis von den Parteien gewollt war, könnten aber entfallen, wenn es möglich erscheint, dass die Parteien die Rückführung des Darlehensbetrages wirtschaftlich über die Zahlung eines erhöhten Mietzinses herbeiführen wollten.

Vorinstanz: LG Marburg, vom 15.04.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 11/10
Vorinstanz: OLG Frankfurt am Main, vom 14.04.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 15 U 170/10