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BGH - Entscheidung vom 29.05.2012

1 StR 178/12

Normen:
BtMG § 29a Abs. 2
StPO § 154 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2012, 280

BGH, Beschluss vom 29.05.2012 - Aktenzeichen 1 StR 178/12

DRsp Nr. 2012/13956

Annahme von Bewertungseinheiten bei der Abgabe von Marihuana an Minderjährige

1. Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen.2. Deshalb sind dann unter anderem Erwerb und Veräußerung in dem pauschalisierenden, verschiedene Tätigkeiten umfassenden Begriff des Handeltreibens zu einer Bewertungseinheit verbunden.3. Der Zweifelssatz gebietet es nicht, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil eine nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass diese ganz oder teilweise aus einer einheitlich erworbenen Menge stammen.4. Auch wenn es nahe liegt, dass jeweils eine gewisse - freilich kaum konkret quantifizierbare - Anzahl der abgeurteilten Verkaufs- bzw. Abgabemengen aus einheitlichen Vorräten stammten, kann kein unverhältnismäßiger Aufwand verlangt werden, um eventuell eine Bewertungseinheit festzustellen.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 10. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

BtMG § 29a Abs. 2 ; StPO § 154 Abs. 2 ;

Gründe

I.

1. Der Angeklagte wurde wegen folgender Taten schuldig gesprochen:

a) acht Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge:

- zweimal Erwerb von zehn Platten Haschisch à 100 Gramm zwischen Januar und März 2010; hiervon verkaufte der Angeklagte fünfmal 100 Gramm an U. ;

- je einmal Erwerb von 500 Gramm Marihuana und weiterer Betäubungsmittel im Januar und Anfang April 2010;

- Veräußerung von viermal 400 Gramm Marihuana zwischen Februar und September 2010 an R. .

b) Einfuhr von 50 Gramm Haschisch aus den Niederlanden zwischen April und Oktober 2010;

c) 62 Fälle der Abgabe von ein bis zwei Gramm Marihuana an insgesamt drei Minderjährige:

- 42 Abgaben an P. zwischen Januar und Oktober 2010;

- acht Abgaben an S. zwischen Februar und Ende April 2010;

- zwölf Abgaben an B. zwischen Anfang Mai und Ende Juli 2010.

Die Qualität der Betäubungsmittel war auf der Grundlage des Zweifelssatzes überwiegend als gering eingestuft worden, von höherer Qualität war die letzte der veräußerten Mengen von 400 Gramm Marihuana.

2. Die Feststellungen beruhen auf einem im Rahmen einer Verständigung (§ 257c StPO ) abgelegten Geständnis des Angeklagten, dessen im Einzelnen geschildertes Zustandekommen die Strafkammer ebenso wie das Ergebnis ihrer sonstigen Beweisaufnahme näher gewürdigt hat.

3. Es wurden folgende Strafen verhängt:

Wegen des Handeltreibens Einzelstrafen zwischen 15 und 18 Monaten, wegen der Abgaben Strafen von jeweils neun Monaten (§ 29a Abs. 2 BtMG ), wegen der Einfuhr sechs Monate. Hieraus wurden nach näher dargelegter Aufteilung unter Einbeziehung einer Reihe anderweitig verhängter Strafen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe und eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von je zwei Jahren und drei Monaten gebildet.

4. Die Vorwürfe des Verkaufs von über 300 Gramm Marihuana in über 90 Einzelfällen in Portionen von zwei und fünf Gramm an W. zwischen Dezember 2009 und Oktober 2010 und des Besitzes von 20 Gramm Marihuana und 400 Ecstasy-Tabletten im Oktober oder November 2010 zum gewinnbringenden Weiterverkauf hat die Strafkammer gemäß § 154 Abs. 2 StPO behandelt.

II.

Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Der Generalbundesanwalt hat näher ausgeführt, hier liege nahe, dass zumindest "einige der ... Verkäufe der Kleinstmengen sich auf dieselbe Einkaufsmenge bezogen haben", so dass insoweit die von der Strafkammer nicht erörterte Möglichkeit einer Bewertungseinheit vorliege. Er hat beantragt, die 62 Fälle der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 154 Abs. 2 StPO zu behandeln und im Übrigen die Revision zu verwerfen. Es sei auszuschließen, dass die Strafkammer ohne die eingestellten Fälle geringere Gesamtfreiheitsstrafen verhängt hätte.

2. Der Senat folgt dem Antrag auf eine Beschränkung des Verfahrensstoffs nicht.

a) Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen. Deshalb sind dann unter anderem Erwerb und Veräußerung in dem pauschalisierenden, verschiedene Tätigkeiten umfassenden Begriff des Handeltreibens zu einer Bewertungseinheit verbunden (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG , 7. Aufl., § 29 , Teil 4, Rn. 409 mwN; zu Besonderheiten bei der Abgabe an Minderjährige vgl. ders. aaO § 29a Rn. 30 mwN).

b) Die Strafkammer war sich dieser Grundsätze bewusst. Dies ergibt sich daraus, dass der Angeklagte hinsichtlich der zweimal zehn Platten zu je 100 Gramm Haschisch zutreffend nur wegen Handeltreibens in zwei Fällen verurteilt wurde (vgl. I 1a), obwohl die Strafkammer zusätzlich feststellen konnte, dass der Angeklagte aus diesen Vorräten fünfmal je 100 Gramm verkauft hatte.

c) Es ist nicht zu beanstanden, dass sie nicht auch hinsichtlich der Abgabe von Marihuana an Minderjährige die Möglichkeit von Bewertungseinheiten erörtert hat. Der Zweifelssatz gebietet es nicht, festgestellte Einzelverkäufe (bzw. hier: Abgaben an Minderjährige) zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil eine nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass diese ganz oder teilweise aus einer einheitlich erworbenen Menge stammen. Auch wenn es nahe liegt, dass jeweils eine gewisse - freilich kaum konkret quantifizierbare - Anzahl der abgeurteilten Verkaufs- bzw. Abgabemengen aus einheitlichen Vorräten stammten, kann kein unverhältnismäßiger Aufwand verlangt werden, um eventuell eine Bewertungseinheit festzustellen (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Patzak aaO § 29, Teil 4, Rn. 412 mwN). Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass naheliegende Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft worden wären (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 1997 - 1 StR 146/97).

d) Der Frage, unter welchen Umständen dann gleichwohl im Wege einer Schätzung Feststellungen hinsichtlich einer (oder mehrerer) Bewertungseinheit(en) zu treffen sind (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 5. März 2002 - 3 StR 491/01; vgl. auch die Beispiele b. Weber- BtMG , 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 531 ff. mwN), braucht der Senat hier nicht nachzugehen. Der Angeklagte hat Marihuana - auch unterschiedlicher Qualität - in Mengen von 400 Gramm ebenso abgegeben wie in Mengen von einem oder zwei Gramm.

Die Feststellungen zur Menge des abgegebenen Marihuanas sind nicht annähernd deckungsgleich mit den Feststellungen zur Menge des erworbenen Marihuanas, ohne dass es noch darauf ankäme, dass der Verfahrensstoff hinsichtlich des Verdachts des Verkaufs (nicht des Erwerbs) einer insgesamt nicht unerheblichen Menge von Marihuana in einer Vielzahl weiterer einzelner Handlungen beschränkt wurde. Es besteht auch zwischen dem Erwerb der größeren Mengen Marihuana und der Abgabe an die Minderjährigen insgesamt kein erkennbarer enger zeitlicher Zusammenhang.

Vielmehr ist, wie schon die unterschiedlichen Mengen von erworbenem und abgegebenem Rauschgift zeigen, insgesamt nur ein begrenzter Teil der auf Erwerb und Abgabe bezogenen Handlungen des Angeklagten erfasst.

e) Nach alledem fehlen tatsächliche Grundlagen für eine tragfähige Schätzung dafür, welche und wie viele der zahlreichen abgegebenen Einzelmengen jeweils aus einem Erwerbsvorgang stammen und wie dies abzugrenzen und zeitlich einzuordnen wäre. Es käme daher lediglich eine willkürliche Zusammenfassung in Betracht, die rechtlich aber nicht zulässig ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16. November 2005 - 2 StR 296/05 mwN).

Unter diesen Umständen war - anders als hinsichtlich der Haschischplatten - hinsichtlich der Abgaben von Marihuana an Minderjährige für die Annahme von Bewertungseinheit(en) kein Raum. Mangels konkreter Anhaltspunkte waren auch keine entsprechenden Erörterungen geboten.

Der Senat sieht daher keine Veranlassung, aus Gründen der Prozessökonomie hinsichtlich der entsprechenden Schuldsprüche gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorzugehen.

3. Da die Revision im Ergebnis auch nach Auffassung des Generalbundesanwalts keinen Erfolg haben kann (vgl. II 1), kann der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO entscheiden, auch wenn er dem Antrag gemäß § 154 Abs. 2 StPO keine Folge leistet (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 - 2 StR 243/00 mwN).

RiBGH Hebenstreit ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.

Vorinstanz: LG Traunstein, vom 10.01.2012
Fundstellen
NStZ-RR 2012, 280