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BGH - Entscheidung vom 23.08.2012

1 StR 389/12

Normen:
StPO § 344 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
NStZ 2013, 98
NStZ-RR 2013, 163
NStZ-RR 2013, 165

BGH, Beschluss vom 23.08.2012 - Aktenzeichen 1 StR 389/12

DRsp Nr. 2012/20194

Anforderungen an Verfahrensrügen bzgl. der Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten i.R.e. Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung

1. Schizophrenie führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Aufhebung der Schuldfähigkeit.2. Die Entscheidung über Verfahrensrügen, die auf Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten gestützt sind, erfordert regelmäßig einen inhaltlichen Vergleich zwischen den beiden Gutachten.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 19. März 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO ).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StPO § 344 Abs. 2 S. 2;

Gründe

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte dreimal mit Betäubungsmitteln Handel getrieben und einmal seine Freundin massiv misshandelt und dabei lebensgefährlich verletzt hat, weil sie - statt ihn nach Hause zu fahren - ihren minderjährigen Sohn am Bahnhof abholen wollte. Deshalb wurde er zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (Einsatzstrafe: drei Jahre und sechs Monate wegen gefährlicher Körperverletzung) und es wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Außerdem muss er der Geschädigten 10.000 € Schmerzensgeld zahlen und ihre künftigen Schäden ersetzen.

Die Kammer folgt dem Sachverständigen in seinem Befund, soweit er eine paranoide Schizophrenie und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung des Angeklagten diagnostiziert hat. Sie referiert darüber hinaus die Bewertung des Sachverständigen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten nicht beeinträchtigt gewesen sei. Die psychische Erkrankung wirke sich jedoch auf die Steuerungsfähigkeit aus und beeinträchtige die Impulskontrolle; die Reizschwelle des Angeklagten sei herabgesetzt; das Maß der Gewalt und die Brutalität der Handlungen seien aber nicht einzig auf die psychiatrische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen. Die Kammer folgt dem Sachverständigen auch insoweit, als dieser auch beim Körperverletzungsdelikt kein akutes psychotisches Erleben festgestellt hat. Aufgrund dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Körperverletzungshandlung zwar erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben war.

Seine Revision ist auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützt. Die diesbezüglichen Ausführungen betreffen die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung und - im Blick auf § 827 BGB - die Adhäsionsentscheidung. Er sei bei der Tat schuldunfähig gewesen. Dies habe der Sachverständige auch in der Hauptverhandlung vertreten, wie bereits schon in seinem schriftlichen Gutachten. Daher habe auch die Staatsanwaltschaft in diesem Punkt Freispruch wegen Schuldunfähigkeit beantragt. Soweit das Urteil sich zur Begründung der Annahme (nur) erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf die Ausführungen des Sachverständigen berufe, gebe es diese falsch wieder. Daher sei es rechtsfehlerhaft, dass nicht die Schuldunfähigkeit des Angeklagten festgestellt worden sei.

Selbst wenn die Strafkammer aber den Sachverständigen so wie im Urteil dargelegt verstanden habe, hätte sie auf die dadurch entstehende Abweichung vom schriftlichen Gutachten hinweisen, einen weiteren Gutachter hinzuziehen und/oder die für die Änderung des schriftlichen Gutachtens maßgeblichen Gründe im Urteil behandeln müssen.

In der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft heißt es, die Verfahrensabläufe seien richtig und vollständig wiedergegeben.

Die Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO ).

I.

Soweit es die sachlich-rechtliche Überprüfung betrifft, ergibt sich aus den oben wiedergegebenen Urteilsausführungen nicht, dass der Sachverständige die Auffassung vertreten hat, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig gewesen. Ob die Voraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen haben, hat die Kammer rechtsfehlerfrei entschieden. Ihre Bewertung, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nur erheblich eingeschränkt gewesen, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Schizophrenie für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Aufhebung der Schuldfähigkeit führt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12; BGH NStZ-RR 2008, 39 ).

II.

Zu der verfahrensrechtlichen Beanstandung, das Urteil gebe die Bewertung des Sachverständigen zur Frage des § 20 StGB unzutreffend wieder, bemerkt der Senat:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind behauptete Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten oder dem Verlauf der Hauptverhandlung, wenn sie sich nicht aus den Urteilsgründen selbst ergeben, für sich allein regelmäßig revisionsrechtlich unerheblich (vgl. BGHSt 17, 351 ; BGH NStZ 1992, 506 f.; 1995, 27, 29; 1997, 294; 2008, 55). Eine Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht widerspricht - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - der Ordnung des Revisionsverfahrens (vgl. BGH NStZ 1992, 506 , 507; 1997, 296; 2008, 55).

III.

Mit den Verfahrensrügen wird der Sache nach geltend gemacht, das Urteil sei auch auf der Grundlage der dort niedergelegten Ausführungen des Sachverständigen aufzuheben, also auch dann, wenn dies nicht schon Folge der für geboten erachteten Rekonstruktion der Beweisaufnahme sei. Dem steht aber bereits entgegen, dass nur für den Fall der Erfolglosigkeit anderen Vorbringens, also hilfsweise angebrachte Verfahrensrügen, nicht zulässig sind (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 mwN).

Die Rügen blieben aber auch erfolglos, wenn sie nicht nur hilfsweise angebracht wären.

1.

Vorliegend wurde kein Sicherungs-, sondern ein Strafverfahren durchgeführt. Die zugelassene Anklage ist demgemäß von (sei es auch erheblich verminderter) Schuldfähigkeit ausgegangen. Auf die Möglichkeit eines anklagegemäßen Urteils muss nicht hingewiesen werden, unabhängig davon, ob Verfahrensbeteiligte - sei es auch die Staatsanwaltschaft - wegen ihrer Bewertung der Beweisaufnahme ein von der Anklage abweichendes Urteil beantragen.

2.

Allerdings entsprechen die im Urteil mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht dem Ergebnis seines vorbereitenden schriftlichen Gutachtens. Dieses kann aber nicht Urteilsgrundlage sein, sondern allein das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR 649/07). Für dessen Würdigung kann es jedoch bedeutsam sein, wenn der Sachverständige im Laufe des Verfahrens seine Meinung geändert hat (BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Ohne dass damit notwendig jeder denkbare Einzelfall - dessen Umstände stets maßgeblich sind - erfasst wäre, lassen sich jedenfalls die folgenden Fallgestaltungen unterscheiden:

a)

Sind in ihrer Bedeutung klar erkennbare neue Erkenntnisse angefallen (etwa wenn sich für die Beurteilung seines innerpsychischen Zustands wichtige Angaben des Angeklagten als falsch erwiesen haben [vgl. z.B. BGH, Urteile vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 und 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04]), bedürfte eine hierauf beruhende Änderung der Auffassung des Sachverständigen keiner besonderen Erklärung.

b)

Beruhte die Änderung auf für die übrigen Verfahrensbeteiligten weniger offenkundigen Erkenntnissen (etwa wenn der Sachverständige wegen Unterschieden des Aussageverhaltens in der Hauptverhandlung und bei der Exploration die Glaubwürdigkeit des Zeugen nunmehr anders einschätzt [vgl. z.B. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 - 1 StR 580/95]), müssten sich allein daraus - ebenfalls - noch keine Bedenken gegen das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten ergeben. Die für die Änderung maßgeblichen Gesichtspunkte wären aber eingehender als die für jedermann erkennbare Änderung von Erkenntnissen zu erläutern und sollten zweckmäßigerweise - zumindest knapp - auch in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. schon BGHSt 8, 113, 116 mwN).

c)

In einem - nach forensischer Erfahrung allenfalls seltenen - Fall, in dem ein Sachverständiger überhaupt keinen (nachvollziehbaren) Grund für die Änderung seiner Auffassung nennen könnte, würde dies allerdings Zweifel an seiner Sachkunde wecken und die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen nahelegen. Jedenfalls könnten danach die Ausführungen dieses Sachverständigen allein schwerlich maßgebliche Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung sein.

3.

Daraus folgt für den vorliegenden Fall:

a)

Die Entscheidung über Verfahrensrügen, die auf Unterschiede zwischen einem vorbereitenden und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten gestützt sind (vgl. BGHSt aaO), erfordert regelmäßig einen inhaltlichen Vergleich zwischen den beiden Gutachten. Nur so ist zuverlässig feststellbar, ob beide Gutachten auf identischer tatsächlicher Grundlage erstattet sind, oder ob sich die Differenzen aus unterschiedlichen tatsächlichen Grundlagen ohne weiteres von selbst erklären. Während sich jedoch die Grundlagen des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens regelmäßig aus den Urteilsgründen ergeben, ist dies hinsichtlich einer durch den weiteren Verfahrensablauf überholten Grundlage eines früheren Gutachtens nicht stets notwendig der Fall.

Dementsprechend hat der Revisionsführer in einem solchen Fall regelmäßig jedenfalls den wesentlichen Kern des ursprünglichen Gutachtens vorzutragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ) und kann sich nicht auf die Mitteilung beschränken, das ursprüngliche Gutachten sei zu einem anderen Ergebnis gekommen.

b)

So verhält es sich aber hier. Es ist lediglich ein Satz aus dem schriftlichen Gutachten mitgeteilt ("Damit gehe ich ... von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aus"), ohne dass Weiteres dargelegt wird. Dieses Vorbringen genügt aus den genannten Gründen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Daran ändert sich auch nichts durch den Vortrag, "aus Sicht der Verteidigung (sei) keine Abweichung zum schriftlichen Vorgutachten festzustellen." Die Feststellung, dass keine wesentliche Abweichung vorliegt, kann zwar Ergebnis einer Überprüfung des schriftlichen Gutachtens einerseits und der Urteilsgründe andererseits durch das Revisionsgericht sein. Eine entsprechende Bewertung durch den Verteidiger kann jedoch den Vortrag konkreter, ohne Bezugnahme auf den Akteninhalt aus sich heraus verständlicher Tatsachen, die zu diesem Ergebnis führen sollen, nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 503/06 mwN).

Die genannten Rügen sind daher (auch noch aus diesem Grunde) nicht ordnungsgemäß angebracht.

Vorinstanz: LG Ravensburg, vom 19.03.2012
Fundstellen
NStZ 2013, 98
NStZ-RR 2013, 163
NStZ-RR 2013, 165