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BVerwG - Entscheidung vom 27.01.2011

3 C 14.10

Normen:
VO (EWG) Nr. 3886/92 Art. 14
RL 92/102/EWG
VO (EWG) Nr. 3887/92 Art. 6 Abs. 6
VO (EWG) Nr. 3887/92 Art. 10, 10c, 10d
RSVO § 5
VVVO § 24c
VO 1678/98/EWG Art. 10
VO 2066/92/EWG Art. 4g Abs. 4
VO 3508/92/EWG Art. 5
VO 3886/92/EWG Art. 14
VO 3887/92/EWG Art. 10
RSVO § 5 Abs. 1
RSVO § 5 Abs. 4
VVVO § 24c

BVerwG, Urteil vom 27.01.2011 - Aktenzeichen 3 C 14.10

DRsp Nr. 2011/4378

Verlust von Prämienansprüchen für männliche Rinder im Antragsjahr 1995 durch Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters

Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters führten als solche im Antragsjahr 1995 nicht zum Verlust von Prämienansprüchen für männliche Rinder.

Tenor

Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2010 wird geändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 17. Juni 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2006 aufgehoben wird, soweit darin unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide ein Betrag von mehr als 194,97 € zurückgefordert wird.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Normenkette:

VO 1678/98/EWG Art. 10; VO 2066/92/EWG Art. 4g Abs. 4; VO 3508/92/EWG Art. 5; VO 3886/92/EWG Art. 14; VO 3887/92/EWG Art. 10; RSVO § 5 Abs. 1 ; RSVO § 5 Abs. 4 ; VVVO § 24c;

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Rindersonderprämien, die er für das Jahr 1995 erhalten hatte.

Nach seiner Beteiligungserklärung vom 18. Januar 1995 beantragte der Kläger mit insgesamt sieben Anträgen die Gewährung von Sonderprämien für männliche Rinder, darunter für insgesamt elf Rinder der zweiten Altersklasse. Als Anlage zur Beteiligungserklärung legte er eine Kopie seines Bestandsverzeichnisses vor. Mit mehreren Bescheiden, die zwischen Juli 1996 und September 1997 ergingen, gab das Amt für Agrarstruktur den letzten fünf Anträgen statt und zahlte insgesamt 15 149,32 DM (= 7 745,72 €) an den Kläger aus, lehnte aber die ersten beiden Anträge teilweise, nämlich wegen insgesamt sechs Tieren der ersten Altersklasse ab, weil die Altersgrenze überschritten sei. Hiergegen legte der Kläger Widersprüche ein, die mit Blick auf ein anderweitiges Musterverfahren zunächst nicht beschieden wurden.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 7. Juni 2006 angehört worden war, wies die Beklagte die noch offenen Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 zurück, hob die ergangenen Bescheide teilweise auf und forderte Rindersonderprämie in Höhe von 1 386,63 € zuzüglich Zinsen zurück. Sonderprämie für die erste Altersklasse könne für sechs Tiere nicht gewährt werden, weil die Tiere bei der Schlachtung älter als 22 Monate gewesen seien und damit die Altersgrenze überschritten hätten (sog. Ablehnungsgrund K 11). Sonderprämie für die zweite Altersklasse könne für alle elf insoweit beantragten Tiere nicht gewährt werden, weil der Kläger den erforderlichen Altersnachweis nicht erbracht habe (sog. Ablehnungsgrund K 12); er habe das Bestandsregister nicht ordnungsgemäß geführt, mit dem allein dieser Nachweis geführt werden könne. Zwar werde ihm die mangelnde Chronologie nicht entgegengehalten, weil diese Anforderung erst im Dezember 1994 eingeführt worden sei. Er habe aber zahlreiche Tiere nicht mit Zugangs- oder Abgangsdaten versehen.

Mit seiner gegen die Rücknahme und Rückforderung wegen des Ablehnungsgrundes K 12 gerichteten Klage hat der Kläger eingewendet, vor 1997 habe es keine gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Führung des Bestandsverzeichnisses gegeben. Sofern ihm deshalb überhaupt Fehler unterlaufen seien, berührten sie den Prämienanspruch nur dann zur Gänze, wenn sie bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt worden seien. Die Behörden hätten Einwände aber vor 2006 durchweg nicht erhoben, weshalb er auch im guten Glauben gehandelt habe. Schließlich seien Rückforderungsansprüche verjährt.

Das Verwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 17. Juni 2009 aufgehoben, soweit darin die Bewilligungsbescheide geändert und Rindersonderprämie zurückgefordert wurde. Es könne dahinstehen, ob die Rücknahmevoraussetzungen vorlägen oder ob sich der Kläger jedenfalls auf Vertrauensschutz berufen könne. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten sei aber verjährt. Insofern sei die Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 anzuwenden, deren äußerste achtjährige Verjährungsfrist verstrichen sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Januar 2010 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rücknahme der Bescheide über die Gewährung von Rindersonderprämie für 1995 für Tiere der zweiten Altersklasse sei rechtmäßig. Rindersonderprämie hätte insoweit nicht gewährt werden dürfen; denn der Kläger habe das vorgeschriebene Bestandsregister nicht ordnungsgemäß geführt. Darin müssten alle im Betrieb gehaltenen männlichen Tiere mit einer fortlaufenden Nummer, ihrer Ohrmarke, dem Geburtsdatum, dem Tag des Zugangs bei Zukauf mit Name und Anschrift des Erzeugers, der Art der Nutzung (Bulle oder Ochse), dem Tag des Abgangs beim Verkauf mit Name und Anschrift des Käufers sowie sonstigen Bemerkungen aufgeführt werden. Das Bestandsregister diene nicht nur der Identifizierung und Registrierung der männlichen Rinder im Betrieb, sondern auch dem Nachweis, dass die Tiere das für die Gewährung der Rindersonderprämie der zweiten Altersklasse erforderliche Mindestalter von 23 Monaten erreicht hätten und mindestens vier Monate seit dem 20. Lebensmonat auf dem Betrieb gehalten worden seien. Auf ergänzende Informationsquellen könne nur zurückgegriffen werden, wenn das Bestandsregister zwar vollständig sei, aber Zweifel bestünden, dass es fortlaufend zeitnah geführt worden sei. Diese Rechtslage habe seit 1992 bestanden; darauf sei der Kläger durch Merkblätter hingewiesen worden. Die Rücknahmebefugnis der Beklagten sei als solche auch nicht verjährt. Der Verjährung unterliege allerdings der Rückforderungsanspruch. Insoweit gelte nach der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 jedoch eine zehnjährige Verjährungsfrist, die mit der nicht nur vorschussweisen Auszahlung der Prämie beginne und durch die Anhörung zur beabsichtigten Rückforderung im Juni 2006 unterbrochen worden sei.

Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor: Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts seien Fehler bei der Führung des Bestandsregisters nach ihrer jeweiligen Schwere zu ahnden und könnten keineswegs durchweg den vollständigen Prämienverlust zur Folge haben. Diese Ansicht habe das Berufungsgericht erst 2004 entwickelt; es stehe damit allein. Auch bei den Vor-Ort-Kontrollen der Behörde habe insbesondere etwa die richtige Chronologie der Eintragungen zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Richtig sei, dass bei einem Prämienantrag das Bestandsregister vorgelegt werden müsse und dass die Antragstiere darin mit den prämienrelevanten Angaben aufgeführt sein müssten; zur Behebung von Zweifeln etwa am Alter von Antragstieren dürfe auf andere Nachweise zurückgegriffen werden. Anderweitige Fehler des Bestandsregisters - namentlich bei Nichtantragstieren - führten nur dann zu Prämienkürzungen, wenn sie bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt würden. Nach diesen Maßstäben hätten die Voraussetzungen für die Gewährung von Rindersonderprämien für die zweite Altersklasse hier vorgelegen, weshalb die Bewilligungsbescheide nicht hätten zurückgenommen werden dürfen. Jedenfalls aber seien Rückforderungsansprüche verjährt.

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II

Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat die Beklagte für berechtigt erachtet, die Bewilligung von Sonderprämie für männliche Rinder der zweiten Altersklasse für 1995 zurückzunehmen und die gezahlten Beträge zurückzufordern, weil die Bewilligungsbescheide insoweit rechtswidrig gewesen seien; die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Sonderprämie hätten nicht vorgelegen. Zu diesen Voraussetzungen zählt es die Vorlage eines zeitnah und chronologisch geführten, inhaltlich vollständigen und richtigen Bestandsverzeichnisses. Das verletzt Bundes- und europäisches Gemeinschaftsrecht.

1.

Allerdings war der Kläger verpflichtet, ein Bestandsregister zu führen.

a)

Diese Pflicht war im Jahre 1995 im europäischen Recht lediglich durch eine Richtlinie vorgesehen. Nachdem der Rat im Jahr 1990 aus tierseuchenrechtlichen Gründen die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren für den innergemeinschaftlichen Handel und 1991 für die Einfuhr von Tieren aus Drittländern durch Richtlinien vorgeschrieben hatte, erließ er am 27. November 1992 die allgemeine Richtlinie 92/102/EWG über Mindestanforderungen für die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren (ABl Nr. L 355 S. 32). Geregelt war neben einem von der zuständigen Behörde zu führenden Betriebsverzeichnis (Art. 3) und der Kennzeichnung jedes Rindes durch eine Ohrmarke mit einem alphanumerischen Code (Art. 5 Abs. 2) auch ein von jedem Tierhalter zu führendes Bestandsregister (Art. 4). In Ansehung von Rindern wurde das Richtlinienrecht erst mit Wirkung vom 1. Juli 1997 durch gemeinschaftliches Verordnungsrecht, nämlich durch die Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern (ABl Nr. L 117 S. 1) ersetzt.

Die Richtlinie 92/102/EWG wurde freilich nicht mehr nur zu tierseuchenrechtlichen Zwecken, sondern auch zu Zwecken bestimmter gemeinschaftlicher Beihilferegelungen erlassen (vgl. deren dritten Erwägungsgrund). Dementsprechend bestimmte Art. 5 der am selben Tage erlassenen sektorenübergreifenden Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl Nr. L 355 S. 1), dass das System zur Kennzeichnung und Registrierung von Tieren, die für die Gewährung einer Beihilfe - auch etwa einer Sonderprämie - berücksichtigt werden, gemäß den einschlägigen Artikeln dieser Richtlinie einzurichten ist. Die grundlegende Sektorenverordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 148 S. 24), die für 1995 in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 2066/92 des Rates vom 30. Juni 1992 (ABl Nr. L 215 S. 49) galt, erwähnt das Bestandsregister zwar nur in Art. 4g Abs. 4 und damit im Zusammenhang mit der Begrenzung der Sonderprämie durch einen Besatzdichtefaktor. Jedoch knüpft Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391 S. 20), die für das Kalenderjahr 1995 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 3269/94 der Kommission vom 21. Dezember 1994 (ABl Nr. L 339 S. 46) galt und die Durchführungsbestimmungen für die Sonderprämie für männliche Rinder enthält, generell an die Pflicht zur Führung eines Bestandsregisters an; nur für den Fall, dass ein Mitgliedstaat die Richtlinie 92/102/EWG noch nicht umgesetzt hat, sieht Art. 59 der Verordnung Übergangsbestimmungen vor.

b)

Die Richtlinie 92/102/EWG wurde in Deutschland - teilweise schon vorzeitig - im Kontext der Viehverkehrsverordnung (VVVO), nämlich durch die Erste Verordnung zur Änderung der Viehverkehrsverordnung vom 19. Dezember 1986 (BGBl I S. 2651) umgesetzt. Weitere Regelungen wurden später in die Rinder- und Schafprämien-Verordnung ( RSVO ) vom 5. Februar 1993 (BGBl I S. 200) aufgenommen, die zu Beginn des Kalenderjahres 1995 bis zum 27. Oktober 1995 in der Fassung der Vierten Änderungsverordnung vom 17. Dezember 1994 (BGBl I S. 3846) galt. Die Gesamtregelung wurde dann durch die Änderungsverordnung vom 19. April 1995 (BGBl I S. 528) neu auf die Viehverkehrsverordnung und die Rinder- und Schafprämien-Verordnung aufgeteilt.

Dass ein Bestandsregister geführt werden muss, ergab sich bis zu der Änderungsverordnung aus § 5 Abs. 4 RSVO und hernach aus § 5 Abs. 1 RSVO i.V.m. § 24c VVVO. Seinen Mindestinhalt legte § 5 RSVO fest. Hiernach musste das Bestandsregister für jedes männliche Rind die Ohrmarkennummer (bzw. Ersatzohrmarkennummer), das Geburtsdatum, die Angabe, ob es kastriert ist, sowie bei Bestandsveränderungen das Zukauf- oder Abgabedatum und den Verkäufer oder Abnehmer verzeichnen. Seit dem 28. Oktober 1995 musste der Verkäufer oder Abnehmer nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit der Anschrift bezeichnet werden.

Dass das Bestandsregister chronologisch geführt werden müsse, ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht vorgeschrieben. Allerdings schreibt Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 vor, dass jedes im Betrieb gehaltene männliche Rind mit seiner Identifizierungsnummer spätestens am dritten Tag nach seinem Eintreffen im Betrieb in das Bestandsregister eingetragen werden muss; wird dies beachtet, so ergibt sich hieraus eine gewisse Chronologie der Eintragungen. Das "Eintreffen im Betrieb" erfasst jedenfalls einen Zugang durch Zukauf. Bei Zugängen durch Geburt im Betrieb hingegen dürfte die Dreitagesregel kaum einzuhalten sein; denn eine Eintragung ist erst möglich, nachdem die Behörde eine Identifizierungsnummer zugeteilt hat. Dabei ist zu bedenken, dass der Betriebsinhaber das in seinem Betrieb geborene Tier gemäß § 4 RSVO , § 19b VVVO regelmäßig binnen dreißig Tagen mit einer Ohrmarke kennzeichnen muss. Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 ist deshalb wohl dahin zu verstehen, dass im Betrieb geborene Tiere binnen drei Tagen nach Zuteilung einer Identifizierungsnummer in das Bestandsregister eingetragen werden müssen.

2.

Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters führten im Antragsjahr 1995 nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht zum vollständigen Prämienverlust.

a)

Welche Rechtsfolgen Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters nach sich ziehen, regelt die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391 S. 36), die für das Antragsjahr 1995 in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1648/95 der Kommission vom 6. Juli 1995 (ABl Nr. L 156 S. 27) galt. Diese Verordnung sieht lediglich bestimmte Prämienkürzungen vor, wenn bei antragsunabhängigen Vor-Ort-Kontrollen festgestellt wurde, dass nicht alle Tiere, die im Betrieb gehalten wurden, im Bestandsverzeichnis mit ihrer Kennzeichnung aufgeführt waren.

Nach Art. 6 Abs. 6 der Verordnung erstreckt sich eine behördliche Kontrolle vor Ort (Betriebskontrolle) bei einem Betrieb, dessen Inhaber auch Sonderprämie für männliche Rinder gewährt wird, unter anderem darauf, ob alle im Betrieb vorhandenen männlichen Rinder mit einem Alter von über 30 Tagen ordnungsgemäß identifiziert - also mit einer Ohrmarke versehen - und im Bestandsregister geführt sind. Diese Kontrolle steht nicht in zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang mit einem bestimmten Prämienantrag; das Bestandsregister wird nicht nur mit Blick auf Antragstiere, sondern mit Blick auf alle Tiere kontrolliert, die für eine Prämie in Betracht kommen. Verstöße führen dementsprechend auch nicht bei einem einzelnen Prämienantrag zu Sanktionen, sondern bei den Prämien, die in dem betreffenden Kalenderjahr insgesamt beansprucht werden.

In diesem Sinne prämienschädlich sind aber nicht sämtliche Fehler und Versäumnisse; prämienschädlich ist nur, wenn einzelne Tiere überhaupt nicht im Bestandsregister aufgeführt waren. Ferner führen nicht alle hiernach potentiell prämienschädlichen Fehler sogleich zum vollständigen Prämienverlust; vielmehr sieht das Gemeinschaftsrecht ein System abgestufter Sanktionen vor. So bestimmte Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in ihrer ursprünglichen Fassung, dass, wenn bei einer Kontrolle festgestellt wurde, dass die Zahl der im Betrieb vorhandenen und für eine Prämienbeantragung in Betracht kommenden Tiere nicht der Zahl der im Bestandsregister geführten Tiere entspricht, der Gesamtbetrag der Sonderprämien, die dem Betriebsinhaber für das betreffende Kalenderjahr zu gewähren sind, außer im Falle höherer Gewalt entsprechend gekürzt wird; nur bei erheblichen Abweichungen und bei wiederholter Abweichung bei zwei Kontrollen in demselben Kalenderjahr wird für dieses Kalenderjahr keinerlei Prämie gewährt. Art. 10 Abs. 4 der Verordnung in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1678/98 vom 29. Juli 1998 (ABl Nr. L 212 S. 23) und Art. 10c der Verordnung in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 2801/1999 (ABl Nr. L 340 S. 29) modifizieren diese Bestimmung, ergänzen insbesondere die "Fehler" des Bestandsregisters um "Versäumnisse" bei seiner Führung, ohne jedoch am Grundsatz etwas zu ändern. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob für das Kalenderjahr 1995 anstelle der ursprünglichen Fassung in Anwendung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl Nr. L 312 S. 1) eine der späteren Fassungen als günstigere Sanktionsregelung rückwirkend anzuwenden ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Dezember 2004 - 10 LC 67/02 - AUR 2005, 157).

b)

Daneben können Fehler im Bestandsregister, die einzelne Tiere betreffen, den Prämienanspruch für diese Tiere ausschließen sowie ggf. Anlass für weitere Prämienkürzungen bieten, wenn sie nämlich verhindern, dass diese Tiere im Sinne des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 als prämienberechtigt "festgestellt" werden können.

Das Gemeinschaftsrecht sah dies für das Kalenderjahr 1995 indes noch nicht vor. Erst seit der Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 durch die Verordnung (EG) Nr. 1678/98, die nur für Prämienanträge für das Jahr 1999 gilt, ordnet Art. 10 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchstabe b an, dass ein Rind nur dann als festgestellt gilt, wenn es ordnungsgemäß im Bestandsregister geführt ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 24. Mai 2007 - Rs. C-45/05, Maatschap Schonewille-Prins - Slg. I-4025 <Rn. 32, 40, 43>, wo ebenfalls ein Registrierungsfehler den Beihilfeanspruch gerade für das betroffene Tier ausschloss). Dasselbe bestimmt Art. 10d Unterabs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in der ab dem Jahr 2000 geltenden Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 2801/1999. Für die Jahre vor 1999 fehlt eine vergleichbare Bestimmung; Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in der 1995 anzuwendenden Fassung setzt für die Prämienfähigkeit eines Tieres in formeller Hinsicht lediglich voraus, dass es im Beihilfeantrag identifiziert wurde (Abs. 4 Unterabs. 1), knüpft die "Feststellung" der Prämienfähigkeit aber an keine darüber hinausgehenden formellen Voraussetzungen.

Für die Jahre vor 1999 verbleibt es damit bei den Rechtsfolgen des bereits erwähnten Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92, dass prämienschädlich nur sein kann, wenn im Bestandsregister nicht alle Tiere des Betriebes verzeichnet sind, und wenn dies bei einer (oder bei mehreren) Vor-Ort-Kontrollen festgestellt wird. Dass dies die einzige Rechtsfolge war, wird auch dadurch bestätigt, dass Art. 10 Abs. 3 nicht zwischen Antragstieren und Nichtantragstieren unterscheidet. Erst die erwähnten Änderungsverordnungen haben diese Unterscheidung eingeführt; nunmehr sind nicht ordnungsgemäße Eintragungen von Antragstieren unmittelbar prämienschädlich (Art. 10 Abs. 2 und 5 der Verordnung i.d.F. der Änderungsverordnung <EG> Nr. 1678/98), während der Anwendungsbereich der Nachfolgeregelung zu Art. 10 Abs. 3 - offenbar um Doppelsanktionen zu vermeiden - auf Nichtantragstiere beschränkt wurde (vgl. Art. 10 Abs. 4 der Verordnung i.d.F. der Änderungsverordnung <EG> Nr. 1678/98: "Bei anderen als den unter die Absätze 2 und 3 fallenden Rindern ...").

3.

Dass eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung des Bestandsregisters allein eine Versagung der Sonderprämien für männliche Rinder rechtfertigt, ergibt sich auch nicht aus dem nationalen Recht.

a)

§ 3 Abs. 1 , § 5 und § 13 RSVO regeln die Anforderungen für den Prämienantrag und die Schlachtbescheinigung, teilweise in Wiederholung, teilweise in Ergänzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben. Nach § 5 Abs. 5 RSVO - seit 28. Oktober 1995 nach § 5 Abs. 4 RSVO - muss der Erzeuger mit jedem Antrag auf Sonderprämie auch eine Abschrift oder Kopie des aktuellen Bestandsregisters vorlegen. Dies stellt ersichtlich eine bloße Ordnungsvorschrift dar. Ihr Zweck ist es, der Behörde die Prüfung zu erleichtern, ob die "beantragten Tiere" die Prämienvoraussetzungen erfüllen, also als prämienberechtigt "festgestellt" werden können; ferner dient es ggf. der Berechnung des Besatzdichtefaktors.

Die zuständige Behörde ist bei der Antragsprüfung nicht an die eigenen Angaben des Erzeugers im Beihilfeantrag gebunden, sondern gehalten, die Richtigkeit dieser Angaben von Amts wegen zu überprüfen (vgl. § 24 VwVfG ). Dabei ist sie in der Wahl ihrer Erkenntnisquellen frei, kann also neben dem Bestandsregister auch etwa auf das Zuchtbuch oder bei zugekauften Rindern auf den Kaufvertrag und das Bestandsregister des Verkäufers zurückgreifen. Auch die eigene Versicherung des Antragstellers kommt in Betracht. Aus Art. 59 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 lässt sich lediglich entnehmen, dass sie sich zur Frage des Alters eines Tieres nicht allein auf die eigenen Angaben des Erzeugers verlassen darf; lässt sich dieses nicht belegen, so ist der Altersnachweis nicht geführt.

Aus § 5 Abs. 5 RSVO a.F., § 5 Abs. 4 RSVO n.F. ist aber immerhin zu schließen, dass dem Bestandsregister besondere Bedeutung zukommt. Dabei hat die Behörde durchaus zu berücksichtigen, ob das Bestandsregister zeitnah geführt wurde und ob es vollständig ist. Bei gegebenem Anlass hat sie auch zu prüfen, ob es inhaltlich richtig ist. Je nachdem kommt einer Eintragung in das Bestandsregister nur eine geringe oder gar keine Beweiskraft zu.

b)

Das nationale Recht sieht aber nirgends vor, dass die Vorlage eines aktuellen Bestandsregisters - vollends eines einwandfrei geführten und inhaltlich vollständigen und richtigen Registers - in dem Sinne (formelle) Prämienvoraussetzung wäre, dass ein Prämienantrag andernfalls ohne Weiteres, d.h. also ohne Sachprüfung abgelehnt werden könnte.

Zu einer derart weitreichenden Sanktionierung der Pflicht zur Führung des Bestandsregisters wäre Deutschland auch gar nicht berechtigt (vgl. auch EuGH, Urteil vom 24. Mai 2007, a.a.O. <Rn. 65, 67 f.>). Art. 55 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 ermächtigt die Mitgliedstaaten zwar zum Erlass von geeigneten Vorschriften, um die ordnungsgemäße Durchführung dieser Verordnung zu gewährleisten. Sie sind mithin zur Konkretisierung ermächtigt, nicht jedoch zur Veränderung. Die Bestimmung, dass der Erfolg eines jeden Prämienantrags generell von der Vorlage eines in jedweder Hinsicht einwandfreien Bestandsregisters abhängen soll, stellte aber eine - und zwar erhebliche - Verschärfung der formellen Prämienvoraussetzungen dar. Das Gemeinschaftsrecht selbst sieht das nicht vor; es enthält auch keinen Ansatzpunkt, der in diese Richtung weist. Vielmehr knüpft es an Fehler des Bestandsregisters - wie gezeigt - ganz andere, und zwar abgestufte Rechtsfolgen.

Daraus ergibt sich zugleich, dass das Gemeinschaftsrecht die vom Berufungsgericht vertretene einschneidende Rechtsfolge umgekehrt auch nicht gebietet. Vielmehr genügt die dargestellte nationale Rechtslage ersichtlich auch der allgemeinen Anforderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, dass die Umsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems durch das nationale Recht die finanziellen Interessen der Gemeinschaft effektiv zu wahren geeignet sein muss, um Unregelmäßigkeiten vorzubeugen und diese zu ahnden (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2010 - Rs. C-375/08, Pontini u.a. - [...] <Rn. 57, 71 ff., 82 ff.>).

4.

Nach allem durfte die Behörde die Prämienanträge für das Kalenderjahr 1995 nicht allein deshalb ablehnen, weil der Kläger sein Bestandsregister nicht ordnungsgemäß geführt hatte. Das führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Rücknahme- und Rückforderungsbescheides; dies freilich nur, soweit der diesbezügliche Ablehnungsgrund "K 12" reicht, den der Kläger mit seiner Klage allein angefochten hat, soweit also bei der endgültigen Prämienabrechnung, die dem Bescheid zugrunde liegt, Sonderprämie für elf Tiere der zweiten Altersklasse von jeweils 211,88 DM nicht einbezogen wurde. Dies hat der Kläger im Revisionsverfahren nochmals klargestellt. Keiner Prüfung bedarf, ob diesem Prämienanspruch andere Gründe entgegenstehen könnten. Die Beklagte hatte in den zurückgenommenen Bewilligungsbescheiden die Prämienvoraussetzungen insofern geprüft und bejaht. Hiervon ist sie in ihrem Rücknahmebescheid nur aus Gründen abgerückt, die keinen Bestand haben können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO .

Verkündet am 27. Januar 2011

Vorinstanz: VG Stade, vom 17.06.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 2077/06
Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 19.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen OVG 10 LC 96/09