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BVerwG - Entscheidung vom 07.06.2011

3 PKH 7.10

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwRehaG § 13 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 07.06.2011 - Aktenzeichen 3 PKH 7.10

DRsp Nr. 2011/12777

Rechtsstaatlichkeit von familienrechtlichen Entscheidungen in der DDR im Hinblick auf eine moralische Rehabilitierung

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 28. Oktober 2010, berichtigt mit Beschluss vom 5. Januar 2011, Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ; VwRehaG § 13 Abs. 2 ;

Gründe

Der Klägerin kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO ; § 173 VwGO i.V.m. § 78b Abs. 1 ZPO ).

Das Vorbringen der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin lässt bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung durch den Senat nicht erkennen, dass ein Revisionszulassungsgrund (§ 132 Abs. 2 VwGO ) vorliegt; ein solcher Zulassungsgrund drängt sich im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen auch nicht auf.

Die Klägerin erstrebt ihre moralische Rehabilitierung nach § 1a des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ( VwRehaG ). Ihren Antrag von 1997 lehnte das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales ab; die Landesdirektion Chemnitz gab ihm hinsichtlich eines vom Rat des Stadtbezirks Leipzig-Süd angeordneten Zwangsumzugs im Jahr 1989 statt, wies den Widerspruch im Übrigen jedoch zurück. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage auf weitergehende Rehabilitierung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen. Die von der Klägerin geltend gemachten Ereignisse seien entweder keine Verwaltungsentscheidungen oder aber keine mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbaren Maßnahmen. Andere Maßnahmen seien nicht erkennbar. Die von der Klägerin behaupteten jährlichen Ausreiseanträge über den Antrag von 1989 hinaus seien nicht nachvollziehbar.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil will die Klägerin Beschwerde einlegen. Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt (dazu 1), und die Sache werfe klärungsbedürftige Fragen auf (dazu 2).

1.

Die Ausführungen der Klägerin lassen nicht erkennen, dass ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Es wäre kein Aufklärungsmangel, wenn das Verwaltungsgericht zu Unrecht den von der Klägerin als falsch betrachteten Darstellungen sächsischer Behörden gefolgt wäre. Damit sind Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gerügt, die revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen sind (stRspr, Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Eine Verletzung allgemeiner Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze durch das Verwaltungsgericht, die einen Verfahrensmangel begründen könnte (vgl. Beschluss vom 16. März 2010 - BVerwG 3 B 48.09 - [...] Rn. 4 m.w.N.), ist nach dem Vortrag der Klägerin ebenfalls nicht ersichtlich.

Es spricht auch nichts dafür, dass das Unterlassen weiterer Aufklärungen der von der Klägerin behaupteten jährlichen Ausreiseanträge verfahrensfehlerhaft war. Das Verwaltungsgericht hat die zugänglichen Erkenntnisquellen ausgewertet und das Bestehen weiterer Aufklärungsmöglichkeiten verneint. Die Klägerin benennt keine sich aufdrängende oder auch nur naheliegende Alternative. Es genügt in diesem Zusammenhang nicht, dass sie subjektiv einen Zusammenhang zwischen ihrem - nach eigenen Angaben - ersten Ausreiseantrag 1985 und Repressalien in der Folgezeit sieht, wenn Unterlagen bekanntermaßen unvollständig sein sollten oder das Stellen weiterer Anträge von behördlichen Stellen nicht ausgeschlossen wird. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit weiterer Aufklärung verneint, weil keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder erkennbar seien, dass Ausreiseanträge bearbeitet oder zulasten der Klägerin berücksichtigt worden sind. Auch dieser Erwägung setzt die Klägerin nichts zulassungsrechtlich Erhebliches entgegen.

2.

Für eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist dem Vorbringen der Klägerin nichts zu entnehmen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn für die angegriffene Entscheidung eine konkrete, über den Einzelfall hinausweisende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.

Was die Zuständigkeit der Rehabilitierungsbehörde angeht, wird nicht aufgezeigt, dass es sich um einen entscheidungserheblichen Umstand handelt und dieser einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Weder der Widerspruchsbescheid noch das Urteil des Verwaltungsgerichts ist hierauf gestützt, und nach dem Vorbringen der Klägerin betrifft die Zuständigkeitsfrage frühere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Allein der Umstand, dass über die Zuständigkeit unterschiedliche Auffassungen bestanden, rechtfertigt keine Betrachtung in einem Revisionsverfahren.

Nicht ersichtlich ist auch, welche Rechtsfrage hinsichtlich der Maßnahmen des Rates des Kreises Wurzen ab März 1986 zu klären sein könnte. Mit diesen Maßnahmen ist der Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder und eine Heimerziehungsanordnung angesprochen, die im angegriffenen Urteil als mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht schlechthin unvereinbar im Sinne des § 1a VwRehaG bewertet worden sind. Diese Bewertung beruht auf den Umständen des konkreten Falles. Eine verallgemeinerungsfähige Klärung ist in einem Revisionsverfahren nicht zu erwarten; denn es liegt auf der Hand, dass familienrechtliche Entscheidungen auch in der DDR nicht generell als rechtsstaatswidrig angesehen werden können. Nur im Rahmen der Einzelfallwürdigung ist auch zu betrachten, welche Stellungnahme der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR abgegeben hat. In entsprechender Weise ist es ausgeschlossen, die Bedeutung der Einweisung der Klägerin in eine Klinik oder der ärztlichen Begutachtungen verallgemeinerungsfähig zu klären.

Zum behördlichen Vorgehen beim Fehlen aussagekräftiger Unterlagen (hier: zu Ausreiseanträgen) zeigt das Vorbringen der Klägerin nichts Klärungsbedürftiges auf. Maßgeblich ist § 13 Abs. 2 VwRehaG . Nach dessen Satz 1 können, wenn Beweismittel nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder verlorengegangen sind, Angaben des Antragstellers, die sich auf die Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme im Sinne des § 1a VwRehaG beziehen, der Entscheidung zugrunde gelegt werden, soweit sie glaubhaft erscheinen. Unter denselben Voraussetzungen kann die Rehabilitierungsbehörde vom Antragsteller die Abgabe der von der Klägerin angesprochenen Versicherung an Eides Statt verlangen, § 13 Abs. 2 Satz 2 VwRehaG . Welche Beweismittel in Betracht kommen und wie sie zu würdigen sind, ist eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall und verallgemeinernder Klärung entzogen. Das gilt auch für die letztlich aufgeworfene Frage der "Verarbeitung von DDR-Unterlagen, die falsche Angaben bzw. falsche Diagnosen beinhalten".

Vorinstanz: VG Leipzig, vom 28.10.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 132/09