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BGH - Entscheidung vom 16.06.2011

X ZR 150/10

Normen:
VO 261/2004/EG Art. 6
VO 261/2004/EG Art. 7

BGH, Beschluss vom 16.06.2011 - Aktenzeichen X ZR 150/10

DRsp Nr. 2011/14687

Voraussetzungen für die Geltendmachung von Entschädigungsleistungen für eine 25 Stunden verspätete Ankunft am Zielort aufgrund eines unverschuldet verpassten Anschlussfluges

Tenor

I.

Das Verfahren wird ausgesetzt.

II.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 6 und Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004 des Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11. Februar 2004 (ABl. EG L 46 vom 17. Februar 2004 S. 1 ff.) folgende Frage vorgelegt:

Steht dem Fluggast eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung zu, wenn sich der Abflug um eine Zeitspanne verzögert hat, die unterhalb der in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung definierten Grenzen liegt, die Ankunft am letzten Zielort aber mindestens drei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erfolgt?

Normenkette:

VO 261/2004/EG Art. 6; VO 261/2004/EG Art. 7;

Gründe

I.

Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für sich und seine Ehefrau Hin- und Rückflüge für die Strecke Frankfurt am Main Lissabon Recife. Der Kläger und seine Ehefrau erhielten in Frankfurt am Main Bordkarten für den gesamten Hinflug. Der Flug von Frankfurt am Main nach Lissabon sollte am 29. Oktober 2009 um 13.30 Uhr starten. Der Abflug verzögerte sich jedoch um 1 Stunde und 40 Minuten. Bei der Landung in Lissabon war der vorgesehene Anschlussflug bereits gestartet. Die Beklagte beförderte den Kläger und seine Ehefrau am folgenden Tag. Sie erreichten Recife mit einer Verspätung von 25 Stunden.

Der Kläger verlangt für sich und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau eine Ausgleichszahlung von je 600 €.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein Klageziel.

Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

II.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen Verspätung lägen nicht vor. Bei der Flugreise von Frankfurt am Main nach Recife via Lissabon handele es sich nicht um einen einheitlichen Flug; die Reise habe vielmehr aus zwei getrennt zu betrachtenden Flügen bestanden. Es mache insoweit keinen Unterschied, dass die Reisenden von Anfang an mit Bordkarten für den gesamten Hinflug ausgestattet worden seien. Die Abflugverspätung in Frankfurt am Main habe lediglich etwa 1 1/2 Stunden betragen. Der Abflug des gebuchten Fluges in Lissabon und die Ankunft in Recife seien pünktlich gewesen. Selbst wenn man die beiden Flüge als Einheit betrachten wolle, löse allein eine um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft den Ausgleichsanspruch nicht aus. Verspätete Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung seien nur solche, bei denen sich der Abflug um eine in Art. 6 genannte Zeitdauer verzögere. Einen Tatbestand der Ankunftsverspätung kenne die Verordnung nicht; etwas anderes sei auch dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. November 2009 (C-402/07, RRa 2009, 282 Sturgeon/Condor) nicht zu entnehmen.

III.

Ob die Klageforderung unter dem vom Berufungsgericht zu Recht allein geprüften Gesichtspunkt der Verspätung begründet ist, hängt, wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, davon ab, ob ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO auch dann in Betracht kommt, wenn keiner der Tatbestände der Art. 4 bis 6 erfüllt ist, d.h. weder eine "Nichtbeförderung" noch eine Annullierung noch eine (Abflug-)Verspätung im Sinne des Art. 6 FluggastrechteVO vorliegt. Denn die Verspätung in Frankfurt betrug nicht einmal diejenigen zwei Stunden, die nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a Voraussetzung für die bei Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger zu erbringenden Unterstützungsleistungen sind.

Diese Frage hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union bereits in dem Verfahren Xa ZR 80/10 mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 vorgelegt. Auf die Begründung wird Bezug genommen. Im Unterschied zu jenem Verfahren hängt die Berechtigung des Ausgleichsanspruchs im vorliegenden Verfahren ausschließlich von der Beantwortung dieser Frage, der dortigen ersten Frage, ab. Die zweite Frage, ob zur Ermittlung der Verspätung auf die Entfernung zum letzten Zielort oder auf die einzelnen Teilstrecken abzustellen ist, stellt sich hingegen nicht.

Verkündet am: 16. Juni 2011

Vorinstanz: AG Frankfurt am Main, vom 11.05.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 30 C 142/10
Vorinstanz: LG Frankfurt am Main, vom 25.11.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 24 S 88/10