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BGH - Entscheidung vom 19.10.2011

1 StR 273/11

Normen:
StGB § 211

BGH, Urteil vom 19.10.2011 - Aktenzeichen 1 StR 273/11

DRsp Nr. 2011/19489

Verneinung der Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe aufgrund einer Tendenz zur narzisstischen Selbstaufblähung des Täters

1. Ein Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.2. Für das bewusste Ausnutzen der Arglosigkeit reicht es aus, wenn der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.3. Eine Tötung in dem Bewusstsein, keinen Grund für die Tötung zu haben oder zu brauchen, stellt einen niedrigen Beweggrund dar, wenn der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können.4. Darauf, ob der Angeklagte seine Motive selbst als "niedrig" bewertetet, kommt es nicht an.

Tenor

1.

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16. Dezember 2010 werden verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

2.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Heilbronn zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 211 ;

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und den Angeklagten S. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Totschlag durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte R. mit zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge. Der Angeklagte S. erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin werden ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. Sie erstreben bezüglich beider Angeklagten eine Verurteilung wegen Mordes. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg.

II.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts brüstete sich der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte R. oftmals in seinem Umfeld in E. damit, dass er Kontakt zur Unterwelt habe. Er umgab sich mit jüngeren Jugendlichen, die ihn schätzten. Von Gleichaltrigen wurde er als Angeber verlacht. Dem damals 14-jährigen A. M. , dem späteren Opfer, verschaffte er einen scharfkantig geschliffenen Wurfstern. Als dessen Mutter den nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstand bei ihm fand, stellte sie ihren Sohn zur Rede und erstattete am 8. Dezember 2009 Anzeige bei der Polizei. Der Angeklagte R. und A. M. wurden von dieser vorgeladen.

R. verkündete als Reaktion auf diese Anzeige im Dezember 2009 und Januar 2010 mehrfach, er werde A. M. umbringen. Seine Altersgenossen machten sich darüber lustig. Einer wettete sogar mit ihm um 10 Euro, dass er dies nicht tun werde. Auch gegenüber dem späteren Opfer und in der Clique um den damals 14-jährigen Angeklagten S. äußerte er, er werde A. M. wegen dieser Sache umbringen. Dort wurde die Ankündigung ernst genommen. Da aber nichts geschah und R. mit A. M. wieder normalen Umgang pflegte, geriet die Sache immer mehr in den Hintergrund.

Der Angeklagte S. wusste, dass R. sich immer wieder damit gebrüstet hatte, er werde A. M. umbringen. Am 23. Februar 2010 machte er dies zum Thema in SMS, die er mit der Zeugin K. austauschte. Unter anderem schrieb er: "ich glaub der stirbt heut abend xP ..." . Als die Zeugin fragte, warum das eigentlich sein müsse, erwiderte er: "weil der kumpel bei bullen angezeigt hat ...".

Zwei Tage später, am 25. Februar 2010, kauften R. und A. M. gemeinsam ein. Sie erwarben einen Tetrapack Eistee und eine Flasche Wodka für Mixgetränke. Sie trafen auf die Gruppe um S. . Gemeinsam begaben sie sich zur elterlichen Wohnung des Angeklagten S. , um diesen zu veranlassen, sich der Gruppe anzuschließen. R. , der nun einen konkreten Tatplan hatte, wollte S. zur Mitwirkung beim Vorgehen gegen A. M. bewegen. Zu diesem Zweck stachelte er M. auf, S. im weiteren Verlauf des Abends zu schlagen. Er wollte dadurch eine feindselige Einstellung des Angeklagten S. gegenüber M. erreichen.

Die Gruppe zog dann mit dem überredeten S. hinter das Feuerwehrhaus von E. , um "herumzuhängen" und Eistee mit Wodka zu trinken. Tatsächlich kam es dort zwischen A. M. und dem Angeklagten S. zu einer Rangelei, die von ersterem ausging. Dabei konnte festgestellt werden, dass S. ein Klappmesser bei sich trug. Nachdem R. die Streitenden getrennt hatte, wollte S. gehen. M. stellte ihm noch ein Bein, so dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Er wurde schadenfroh ausgelacht und fühlte sich stark gekränkt. Dann ging er in Richtung Straße, um den Heimweg anzutreten.

2.

Zum Tatgeschehen hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte R. war entschlossen, A. M. an diesem Abend zu töten. Er hatte bereits ein Seil, ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 76 mm und gummierte Arbeitshandschuhe mitgebracht. R. wollte S. , eine Person seines Vertrauens, zur Absicherung und Unterstützung dabei haben. Deshalb eilte er ihm nach, zeigte ihm das Seil und sagte, heute werde er dem A. "was machen". Er könne das aber nicht alleine tun, es müsse noch jemand dabei sein. S. ging davon aus, R. werde A. M. mit dem Seil drosseln, aber nicht töten, um ihm so eine schmerzhafte Abreibung zu verpassen. Er wollte R. durch Dabeibleiben Hilfe leisten, weil ihm diese Abreibung auch wegen seiner eigenen vorangegangenen Auseinandersetzung mit M. verdient erschien.

Beide kehrten zum Platz hinter dem Feuerwehrhaus zurück. Sie gaben vor, dass sie den Streit zwischen M. und S. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Die übrigen Gruppenmitglieder entfernten sich. Es war gegen 19.30 Uhr.

Als die Angeklagten mit M. alleine waren, ging R. auf ihn zu und versetzte ihm einen wuchtigen Faustschlag mitten ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Er kam auf dem Bauch zu liegen und war zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Möglicherweise war er sofort bewusstlos (UA S. 32). R. zog die gummierten Arbeitshandschuhe über, legte dem A. M. das Seil von hinten schlingenförmig um den Hals und kniete sich auf dessen Rücken, um ihn mit seinem Körpergewicht am Boden zu halten. Dann wickelte er die Seilenden links und rechts um seine Handrücken und zog mit aller Kraft zu, um ihn zu töten. Er drosselte ihn mindestens zwei bis drei Minuten, bis dieser nur noch röchelte. Ob eine zweite Person Abwehrversuche unterbunden hat, konnte die Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Zu Gunsten des Angeklagten S. geht sie davon aus, dass er die Tat des R. nur durch seine Anwesenheit gefördert und ihm psychischen Beistand geleistet hat, indem er ihm ein Gefühl erhöhter Sicherheit vermittelte (UA S. 8, 32). Als S. bemerkte, dass M. nur noch röchelte, forderte er R. mit den Worten "es reicht jetzt" auf, den Drosselungsvorgang zu beenden. Dieser fuhr jedoch damit fort und erwiderte, er, S. , könne jetzt gehen, er werde nicht mehr gebraucht.

Spätestens jetzt wusste S. , dass R. A. M. bis zum Tode strangulieren werde. Ihm war auch klar, dass er eine Mitverantwortung für die Situation des Opfers trug und in der Lage war, dessen Tötung zu verhindern. Er hätte R. von dem am Boden liegenden, röchelnden und mit den Füßen zappelnden M. herunterstoßen oder zumindest mit dem mitgeführten Mobiltelefon Hilfe rufen können. Beides wäre ihm möglich und zumutbar gewesen. R. war ihm keinesfalls körperlich überlegen, und zudem hatte er sein Klappmesser bei sich. Er griff nicht ein, obwohl er sicher voraussah, dass sein Unterlassen unvermeidlich zur Tötung des A. M. führen würde, weil ihm dessen Person und Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Er billigte die Tötung durch R. und ging nach Hause.

Als er sich entfernt hatte, entschloss sich R. , A. M. mit dem mitgebrachten Messer zu töten, weil ihm das Strangulieren zu lange dauerte und zu anstrengend war. Er versetzte ihm 30 Messerstiche ins Genick und die rechte Halsseite. Die Stiche waren teils derart wuchtig, dass das Messer bis zum Heft in den Hals eindrang. Sie verletzten die rechte Halsschlagader und die tiefe Halsvene, was zum alsbaldigen Todeseintritt durch Verbluten führte.

Beim Angeklagten R. liegt eine akzentuierte Persönlichkeitsfehlentwicklung mit gefühlsarmen, empathiearmen, narzisstischen und verdeckt aggressiven Momenten vor, die jedoch den Schweregrad einer Persönlichkeitsstörung nicht erreicht. Aufgrund dessen entstand bei ihm ein gewaltiger innerer Handlungsdruck, endlich einmal ernst zu machen und sich Respekt zu verschaffen. Er wollte groß und bedeutend sein und dafür sorgen, dass er E. in aller Munde bringen werde. Dies war das Motiv für die Tat, nicht mehr die erstattete Strafanzeige.

3.

Der Angeklagte S. startete, zuhause angekommen, seinen Computer, loggte sich in den Internet-Dienst "kwick" ein und tippte um 19.42 Uhr auf seiner Seite den Text: "Stadt heute war geil".

Der Angeklagte R. zog nach der Tatausführung die Arbeitshandschuhe aus, verstaute das Seil in den umgekehrten Handschuhen und rief um 19.44 Uhr den Angeklagten S. auf dessen Mobiltelefon an. Dann klingelte er an der Tür S. , zeigte diesem seine blutigen Hände und sagte, A. sei tot, er habe ihm in den Hals gestochen. Nachdem er im Bad das Blut von seinen Händen gewaschen hatte, präsentierte er S. die Leiche. Dieser sah sie kurz an und ging wieder nach Hause. Danach berichtete R. auf dem Rathausplatz von E. zwei Bekannten, dass er M. getötet habe und zeigte ihnen zum Beweis das blutverschmierte Seil und die Handschuhe. Den Zeugen G. führte er zur Leiche. Er schilderte ihm auch Einzelheiten des Tathergangs. R. brüstete sich noch gegenüber weiteren Zeugen mit der Tötung. Später führte er auch den Zeugen B. zur Leiche und erklärte ihm, er habe A. M. "geschlitzt". Dabei lachte er "sich euphorisch ins Fäustchen".

4.

Die Strafkammer hat folgende Wertungen getroffen:

Beim Angeklagten R. hat sie die Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe, der Heimtücke und der grausamen Begehungsweise geprüft und verneint. Sie hat eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit weder aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur noch aufgrund der maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,8 o/oo bejaht.

Beim Angeklagten S. hat sie eine psychische Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung durch eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung infolge seiner Anwesenheit am Tatort angenommen. Aufgrund eines neuen Willensentschlusses zum Entfernen vom Tatort habe er sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht. Die Garantenpflicht ergebe sich aus seinem vorangegangenen rechtswidrigen Tun. Ein Mord liege bei dem von ihr festgestellten Motiv nicht vor. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sei auch bei ihm weder aufgrund seiner ausgeprägten Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit noch aufgrund seiner Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,2 o/oo gegeben.

III.

Die Revisionen der Angeklagten waren zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrügen hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Wegen der vom Angeklagten R. geltend gemachten Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin war das Urteil aufzuheben.

1.

Die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und aus niedrigen Beweggründen bei der Tatausführung durch den Angeklagten R. hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a)

Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln mit der Begründung abgelehnt, es habe weder ein hinterlistiger Angriff des Angeklagten R. auf A. M. festgestellt werden können, noch dass dieser die Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers ausgenutzt habe, um die Tat zu begehen. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft.

Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353 ; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382 ). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).

Das ist hier der Fall. Im Dezember 2009 und Januar 2010 hatte R. zwar wiederholt damit gedroht, M. wegen der Strafanzeige umzubringen. Im Februar aber pflegte er nach den Feststellungen wieder normalen Umgang mit ihm wie mit den übrigen jüngeren Jugendlichen aus der Clique. Am Tattag ging er sogar mit ihm Eistee und Wodka einkaufen für den folgenden gemeinsamen Verzehr. Zu dem Zeitpunkt war R. bereits zur Tötung an diesem Abend entschlossen und hatte die späteren Tatwerkzeuge bei sich. Er baute gezielt bei M. Vertrauen auf, indem er u.a. auch die von ihm selbst provozierte Rangelei mit S. als Streitschlichter beendete. Als er kurz vor der Tat S. vom Heimweg zurückholte und beide hinter das Feuerwehrhaus zurückkehrten, gaben sie vor, dass sie den Streit zwischen S. und M. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Sie wiegten ihn dadurch in Sicherheit, so dass er keineswegs mit einer von ihnen ausgehenden Gefahr rechnen konnte, als er mit ihnen allein zurückblieb. Dass der überraschende Faustschlag ins Gesicht, der erste Angriff, von vorne erfolgte, ändert an der heimtückischen Begehungsweise nichts. Zu dem Zeitpunkt war das Opfer infolge Arglosigkeit wehrlos, was R. bewusst ausnutzte. M. , der den Angriff erst im letzten Augenblick erkennen konnte, blieb keine Möglichkeit mehr, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es reicht aus, wenn der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535 ).

b)

Das Landgericht hat bei dem Angeklagten R. als bestimmendes Motiv seinen Drang angesehen, sich bei den Jugendlichen seines Umfelds Respekt zu verschaffen und nicht mehr verlacht zu werden. Diesen Drang nach sozialem Ansehen hat es objektiv als niedrigen Beweggrund bewertet, aber nicht ausschließen können, dass die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, insbesondere seine Tendenz zur narzisstischen Selbstaufblähung, ihm die Einsicht versperrt habe, aus einem niedrigen Beweggrund zu handeln. Dies begegnet rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat insoweit den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt. Darauf, ob der Angeklagte seine Motive selbst als "niedrig" bewertete, kommt es nicht an (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27). Das Landgericht hat seine Einsichtsfähigkeit beim Tötungsvorsatz bejaht und eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit verneint. Es hat ihm bei der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 JGG seine Tatmotivation angelastet. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Angeklagte bei seinem Handeln aus dieser Motivation von gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen bestimmt gewesen wäre, die er gedanklich nicht hätte beherrschen und willensmäßig nicht hätte steuern können. Die Strafkammer hätte insoweit in ihre Überlegungen das Vortat- und Nachtatverhalten des Angeklagten R. einbeziehen müssen. Er hat die Tat minuziös geplant. Er hat nicht nur die Tatwerkzeuge mitgebracht und beim Opfer Vertrauen aufgebaut, sondern auch die Tatbeteiligung S. s raffiniert iniziiert, indem er den Streit zwischen ihm und dem späteren Opfer provozierte. Nach der Tat war R. trotz seiner narzisstischen Selbstaufblähung nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Gü. sich durchaus darüber im Klaren, dass es polizeiliche Ermittlungen geben werde. Er war tunlichst bemüht, nicht in Verdacht zu geraten oder festgenommen zu werden. Dafür hat er etliche Vertuschungshandlungen vorgenommen. Er äußerte gegenüber Mitgliedern aus der Clique um S. , die vor der Tat ebenfalls hinter dem Feuerwehrhaus gewesen waren, er müsse für ein paar Tage aus E. verschwinden und sie sollten sagen, dass sie ihn am Tattag nicht gesehen hätten. Auf die Frage des Zeugen B. , ob man nicht die Polizei rufen solle, antwortete er, dass er das bloß nicht machen solle, weil ihm - R. - sonst nur wenig Zeit bleibe, um unterzutauchen. Dem Zeugen G. zeigte er eine Pistole und sagte, wenn die Polizei käme, werde er sich den Weg frei schießen. Diese Verhaltensweisen sind ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme, dem Angeklagten R. sei bei der Begehung der Tat die besondere Verwerflichkeit seines Tuns nicht bewusst gewesen. Bei Mord aus niedrigen Beweggründen ist diese Annahme umso eher zu verneinen, je schwerwiegender die Tat ist (BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 26).

2.

Beim Angeklagten S. begegnet die fehlende Annahme der Mordmerkmale aus niedrigen Beweggründen und der Heimtücke ebenfalls rechtlichen Bedenken.

a)

Nach den Urteilsfeststellungen war in seiner Person ein Grund für die Tötung des A. M. nicht gegeben. Er unterließ ein Einschreiten, weil ihm das Opfer als Person und dessen Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Nach Auffassung der Kammer kann Gleichgültigkeit schon "per se" kein niedriger Beweggrund sein.

Die Ablehnung dieses Mordmerkmals entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGHSt 35, 116 ; 47, 128 mwN). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Daran fehlt es hier.

Die Kammer hätte sich in diesem Zusammenhang mit dem SMS-Verkehr des Angeklagten S. zwei Tage vor der Tat und seinem Chatten unmittelbar nach dem Entfernen vom Tatort auseinander setzen müssen. Der Interneteintrag "Stadt heute war geil" bezieht sich naheliegend auf das gerade von ihm miterlebte Geschehen. Da er tatenlos nach Hause ging und die Tötung des A. M. durch R. sicher voraussah, könnte dies zu dem möglichen Schluss führen, dass er sich über die Tötung freute. Eine solche Freude wäre als niedriger Beweggrund in seiner Person anzusehen.

Dabei ist auch auf die SMS vor der Tat zwischen ihm und der Zeugin K. abzustellen. Daraus könnte zu entnehmen sein, dass S. die Tötung des Opfers als Bestrafung für die Anzeige bei der Polizei billigte und sich dieses Motiv zu eigen machte (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 5 StR 359/93; BGH NStZ 1996, 384 ). Als er der Zeugin mitteilte, ich glaub der stirbt heut Abend, weil der Kumpel bei Bullen angezeigt hat, antwortete sie "Booh, soh behindert mach ihn tod ...". Die Anzeigeerstattung als Tötungsmotiv ist hier ebenfalls als auf tiefster Stufe stehend anzusehen wegen des krassen Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat (BGH NStZ-RR 2010, 175 ). Hinzu kommt, dass nicht das Tatopfer, sondern dessen Mutter die Strafanzeige erstattete.

Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der gleichgültigen Haltung des Angeklagten S. gegenüber dem Opfer hätte die Kammer erörtern müssen, ob er den Totschlag durch Unterlassen in dem Bewusstsein beging, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung stellt einen niedrigen Beweggrund dar, wenn der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können (BGHSt 47, 128 ; BGHR aaO niedrige Beweggründe 44).

b)

Das Landgericht hat das Mordmerkmal Heimtücke beim Angeklagten S. nicht geprüft. Eine solche Prüfung hätte aber nach den festgestellten Umständen nahe gelegen. Die Kammer hat das Verhalten des Angeklagten S. vor der Tat und nach der Tat nur getrennt gesehen und nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt. Als R. den Angeklagten S. vom Heimweg zurückholte, das Seil zeigte und ihn um Unterstützung bat, weil er heute dem A. "was machen" werde, ist es im Hinblick auf den oben unter a) geschilderten SMS-Verkehr und auf das Chatten nach der Tat nicht fern liegend, dass S. schon zu diesem Zeitpunkt davon ausging, R. werde M. töten. Die Kammer stellt lediglich fest, wann S. "spätestens" vom Tötungsplan des R. wusste, und schließt einen gemeinsamen Tatplan aus. Wenn Söhner aber bei der Rückkehr zum Feuerwehrhaus den Plan des Angeklagten R. erkannt hatte und dann gemeinsam mit ihm vorgab, den Streit zwischen ihm selbst und M. klären und nach Entfernen der Übrigen mit diesem den Rest Eistee/Wodka trinken zu wollen, so erkannte er auch das Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch R. und schloss sich dessen Handeln an.

3.

Zudem hält die Beweiswürdigung hinsichtlich der Begründung fehlender Abwehrverletzungen ebenfalls revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Be. ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der zu Tode stranguliert wird, sich im Todeskampf wehrt und versucht, eine auf dem Rücken sitzende Person abzuschütteln, jedenfalls so lange bis er selbst bewusstlos geworden ist. Da jedoch Abwehrspuren bei A. M. fehlten, insbesondere Schürfungen an Ellenbogen und Knien, hält er es eher für wahrscheinlich, dass eine weitere Person beteiligt war, um das Opfer zu Boden zu bringen oder dort zu halten, und dass einer der Angreifer Abwehrversuche unterbunden hat. Die Kammer sieht die Möglichkeit, dass das Opfer durch eine zweite Person an der Gegenwehr gehindert wurde, hält es aber auch für möglich, dass es durch den ersten Angriff, den Faustschlag des Angeklagten R. , sofort bewusstlos war und sich deshalb nicht mehr wehren konnte. Von letzterem geht sie zu Gunsten des Angeklagten S. aus (UA S. 32).

Insoweit ist die Beweiswürdigung jedoch lückenhaft. Nach den Urteilsfeststellungen röchelte und zappelte das Opfer mit den Füßen, als S. sich vom Tatort entfernte (UA S. 9). Dem Angeklagten R. dauerte die Tötung durch Strangulieren zu lange und wurde zu anstrengend. Beides spricht eher gegen eine Bewusstlosigkeit sofort nach dem Faustschlag. Dies hätte die Kammer in ihre Überlegungen bezüglich der fehlenden Abwehrverletzungen einbeziehen müssen, zumal sie es an anderer Stelle auch als möglich ansieht, dass M. das Bewusstsein erst nach zwei bis drei Minuten des Strangulierens verloren haben könnte (UA S. 9). In dem Zusammenhang hätte sie auch erörtern müssen, wie M. nach einem Faustschlag mitten ins Gesicht auf dem Bauch zu liegen kam. Angaben des Sachverständen Be. dazu fehlen.

Wenn aber M. nicht schon nach dem Faustschlag durch R. bewusstlos war, so liegt es nahe, dass der einzige Anwesende, der Angeklagte S. , an der Unterbindung von Abwehrversuchen und der Lage des Opfers am Boden beteiligt war. Dabei wird auch die Aussage des Angeklagten S. in seiner zweiten polizeilichen Vernehmung zu berücksichtigen sein, in der er angegeben hat, als R. ihm das Seil gezeigt habe, habe er zu ihm gesagt, er werde A. heute umbringen, könne das aber nicht alleine tun. All diese Umstände deuten gerade nicht auf psychische Beihilfe zu einem Denkzettel hin. Bei aktiver Tatbeteiligung kann eine Mittäterschaft des Angeklagten S. am Heimtückemord in Betracht kommen, selbst wenn er die weitere Tatausführung dem Angeklagten R. überließ (§ 24 Abs. 2 StGB ).

IV.

Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zu verweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO ).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.

Bezüglich des Angeklagten R. wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, auch die Mordmerkmale der grausamen Begehungsweise und des Handelns aus Mordlust zu prüfen.

2.

Sollte es bezüglich des Angeklagten S. zu einem Schuldspruch wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Totschlags bzw. Mordes durch Unterlassen kommen, würde bezüglich der Konkurrenzverhältnisse Tateinheit in Betracht kommen. Auch eine Veränderung des Tatplans während der Tatausführung steht der Annahme natürlicher Handlungseinheit nicht grundsätzlich entgegen.

3.

Selbst wenn die Feststellungen insgesamt aufzuheben waren, sind bei der Bejahung der vollen Schuldfähigkeit hinsichtlich beider Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen Rechtsfehler nicht zu erkennen. Weniger naheliegend scheint demgegenüber die Verneinung schädlicher Neigungen beim Angeklagten S. .

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Tübingen, vom 16.12.2010