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BGH - Entscheidung vom 19.10.2011

1 StR 476/11

Normen:
StPO § 136

BGH, Beschluss vom 19.10.2011 - Aktenzeichen 1 StR 476/11

DRsp Nr. 2011/19892

Übergang von der Zeugenvernehmung zur Beschuldigtenvernehmung bei ernstlichem Inbetrachtkommen der belehrten Person als Täter der untersuchten Straftat

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 14. April 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO ).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Die Rüge eines Verstoßes gegen § 136 StPO ist unbegründet. Nach pflichtgemäßer Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde muss erst dann von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen werden, wenn sich der Verdacht so verdichtet hat, dass die als Zeuge belehrte Person ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind - gerade bei Tötungsdelikten - erst dann überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (BGHSt 37, 48 , 51 f.; BGH, Beschluss vom 10. September 2004 - 1 StR 304/04, NStZ-RR 2004, 368 ) und auf diese Weise die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH, Urteil vom 21. Juli 1994 - 1 StR 83/94, BGHR StPO § 136 Belehrung 6). Auch kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zumal bei Tötungsdelikten - erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann (BGHSt 51, 367 , 372).

Gegen den bis dahin unbescholtenen Angeklagten, einen zur Tatzeit 48 Jahre alten, seit 1978 in Deutschland lebenden und seit 1981 bei der Stadt München angestellten türkischen Staatsangehörigen, drängte sich allein aus dem Umstand, dass er mit dem Getöteten, welcher auch in München lebte und wie er Mitglied eines türkischen Volksvereins war, kurz vor dessen Erschießung als Letzter telefoniert und ihn anschließend in seinem Pkw mitgenommen hatte, solange kein so starker Tatverdacht auf, als nicht ein Tatmotiv für die Ermittlungsbeamten offen erkennbar wurde oder mögliche Fremdeinwirkungen negativ abgeklärt waren. Hinzu kommt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der ersten Ermittlungen am 14. März 2010 ein Alibi für die Tatzeit nachweisen konnte, welches zwar falsch war, was sich aber erst am 19. März 2010 herausstellte. Außerdem wäre bei einem konkreten Tatverdacht zumindest eines Totschlags, wie es in solchen Fällen üblich ist, der Angeklagte sogleich am 14. März 2010 und nicht erst am 19. März 2010 festgenommen worden. Vielmehr ergab sich dieser Tatverdacht erst mit dem Widerruf der Aussage des Alibigebers und der damit zusammenhängenden Feststellung, dass der Angeklagte in der Nacht zum 14. März 2010, kurze Zeit nach der Tötung des Opfers, die Reifen seines Wagens wechselte und diese bis heute unauffindbar verschwinden ließ. Im Übrigen hat offenbar auch Rechtsanwalt S. , welcher am späten Nachmittag des 14. März 2010 noch während der Vernehmung des Angeklagten erschien und in der Folge mit ihm sprach, keine Veranlassung gesehen, ihn als Beschuldigten zu betrachten, und erklärt, dass seine Anwesenheit bei der Fortsetzung der Vernehmung nicht erforderlich sei. Daher konnte der Angeklagte am 14. März 2010, nachdem keine konkreten Beweisanzeichen gegen ihn festgestellt werden konnten, noch als Zeuge vernommen werden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob vorliegend bei anderer Beurteilung der Angeklagte sich auf ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Ergebnisse des Sachverständigengutachtens über das Vorhandensein von Schmauchspuren an der vom Angeklagten freiwillig herausgegebenen, am Tattag getragenen Kleidung berufen könnte, wenn er zuvor, ohne einen Widerspruch dagegen geltend zu machen, die Vernehmung des Polizeibeamten in der Hauptverhandlung hingenommen hatte, welcher die Kleidungsstücke am Abend des 14. März 2010 in der Wohnung des Angeklagten sicherstellte und hierüber berichtete.

Normenkette:

StPO § 136 ;
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 14.04.2011