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BGH - Entscheidung vom 26.01.2011

5 StR 395/10

Normen:
StGB § 66b Abs. 2

BGH, Urteil vom 26.01.2011 - Aktenzeichen 5 StR 395/10

DRsp Nr. 2011/3875

Nachträgliche Sicherungsverwahrung bei einem nicht therapierten und rachegedanken hegenden Inhaftierten

1. Das Merkmal "Hang" verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Es wird definiert als eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung zu Rechtsbrüchen.2. Die bloße Geneigtheit zur Begehung einer aus einem bestimmten Konflikt resultierenden Vergeltungstat kann dagegen nicht ausreichen, um eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen zu begründen; eine solche liegt nur bei einer über den einzelnen Konflikt hinausgehenden, überdauernden psychischen Grunddisposition vor.3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn nicht ein hohes Maß an Gewissheit über die Gefahr besteht, dass der Verurteilte besonders schwere Straftaten begehen wird.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 16. April 2010 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Normenkette:

StGB § 66b Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB ) abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

1.

Der Verurteilte wurde am 8. Juni 2004 wegen schwerer Vergewaltigung (Einsatzstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe), Vergewaltigung (Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe) und Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dieser Anlassverurteilung lagen Taten zugrunde, die der Verurteilte zwischen August 2002 und Juli 2003 überwiegend zu Lasten seiner am 11. Juni 1985 geborenen Stieftochter F. beging.

Die Strafhaft endete am 12. Januar 2010. Anschließend war der Verurteilte bis zum Ende der Hauptverhandlung am 16. April 2010 nach § 275a Abs. 5 StPO untergebracht.

Seine Haftzeit verbrachte er "weitgehend gleichförmig und eher zurückgezogen" (UA S. 12). Zu einer aufarbeitenden Therapie kam es auch deshalb nicht, weil der Verurteilte sich nicht zu seinen Taten bekannte und die in der Justizvollzugsanstalt tätigen Therapeuten es deswegen ablehnten, mit ihm zu arbeiten. Infolge der fehlenden Aufarbeitung der Delikte wurden Vollzugslockerungen nicht gewährt, der Verurteilte verbüßte seine Strafe schließlich vollständig. Gegenüber einem Mitgefangenen machte er für seine - von ihm als unrechtmäßig bewertete - Verurteilung seine damalige Lebensgefährtin und deren Tochter verantwortlich; er gab in diesem Zusammenhang gegen Ende seiner Haftzeit Rachegedanken kund. Darüber hinaus äußerte er Vergeltungswünsche in Bezug auf Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt und auf einen Kriminalbeamten, der an seiner Verhaftung beteiligt gewesen war.

Im Hinblick auf diese Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich die Sicherungsverwahrung anzuordnen.

2.

Das Landgericht hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil es sich auf der Grundlage der Gutachten der Sachverständigen K. und D. weder vom Vorliegen eines Hangs noch von der für die Anordnung der Maßregel notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Straftaten durch den Verurteilten zu überzeugen vermochte.

3.

Die Bewertung des Landgerichts hält - in Übereinstimmung mit der Bundesanwaltschaft - sachlich-rechtlicher Prüfung stand.

a)

Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Verurteilten der auch für die Anordnung der nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 5 StR 585/05, BGHSt 50, 373 ; vgl. dazu Fischer, StGB , 58. Aufl., § 66b , Rn. 34 f.) auf der Grundlage beider Gutachten nicht festgestellt werden kann. Das Merkmal "Hang" verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Es wird definiert als eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung zu Rechtsbrüchen (vgl. BGH, aaO, S. 381 f.; Fischer, aaO, § 66 Rn. 24). Die mögliche Geneigtheit zur Begehung einer aus einem bestimmten Konflikt resultierenden Vergeltungstat kann danach nicht ausreichen, um eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen zu begründen; eine solche liegt nur bei einer über den einzelnen Konflikt hinausgehenden, überdauernden psychischen Grunddisposition vor. Das Landgericht setzt sich in diesem Zusammenhang mit den Ausführungen des Sachverständigen K. auseinander, nach denen bei dem Verurteilten eine Geneigtheit besteht, Konflikte im personalen Nahfeld gewaltsam zu lösen. In rechtsfehlerfreier Weise kommt es zu dem Ergebnis, dass diese für sich genommen noch nicht die intensive Neigung zur Begehung auch erheblicher Straftaten begründet. Eine intensive Neigung des Verurteilten zu Straftaten, die den der Anlassverurteilung zugrunde liegenden Vergewaltigungstaten in ihrer Schwere vergleichbar sind, vermochte das Landgericht auch auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen K. nicht festzustellen.

b)

Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer, wonach der Verurteilte nicht im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB zukünftig gefährlich sei, weist - eingedenk der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 StR 246/07, NStZ-RR 2008, 40 , 41) - keinen Rechtsfehler auf. Ungeachtet weiterer notwendiger Konsequenzen, die aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) und vom 13. Januar 2011 (Beschwerde-Nr. 6587/04, 17792/07, 20008/07, 27360/04 und 42225/07) zu ziehen sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. November 2010 - 5 StR 394, 440, 474/10, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, NJW 2011), kommt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung jedenfalls nicht in Betracht, wenn nicht ein hohes Maß an Gewissheit über die Gefahr besteht, dass der Verurteilte besonders schwere Straftaten begehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2009 - 5 StR 21/09, BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 2; Beschluss vom 21. Juli 2010 - 5 StR 60/10, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, NJW 2010, 3315 ). Diesem strengen Maßstab trägt die Urteilsbegründung Rechnung. Das Landgericht hat die im Rahmen der Prognoseentscheidung gebotene Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs vorgenommen. Deren Darstellung in den Urteilsgründen lässt weder Lücken noch Widersprüche erkennen. Das Landgericht setzt sich insbesondere mit der Auffassung des Sachverständigen K. auseinander, wonach die Äußerungen des Verurteilten durchaus auf eine ernsthafte Beschäftigung mit Rachefantasien gegenüber seiner ehemaligen Lebensgefährtin und deren Tochter zurückgehen. Auch verkennt es nicht, dass der Verurteilte möglicherweise noch Zugriff auf eine Schusswaffe hat. In nachvollziehbarer Weise gelangt es gleichwohl zu dem Ergebnis, dass auch auf der Grundlage dieser Einschätzung eine für die Annahme der von § 66b StGB geforderten hohen Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten nicht ausreichende unklare Gefährdungslage vorliege. Denn es sei ungewiss, ob der Verurteilte zum einen eventuell zuvor vorhandene Rachepläne beibehalten und zum anderen gegebenenfalls zu dem Schluss kommen werde, sie in die Tat umzusetzen. Auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen D. bestehe eine noch geringere Gewissheit über die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr; entsprechende Tathandlungen seien in noch weitergehendem Maße von ungewissen Faktoren abhängig.

c)

Schließlich stellt es keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht eine auf § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB gestützte Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nicht ausdrücklich erwogen hat, obwohl dessen formelle Voraussetzungen ebenfalls vorlagen. Denn auch insofern hätte es der Feststellung eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten und der Prognose zukünftiger Gefährlichkeit des Verurteilten bedurft, die das Landgericht gerade nicht getroffen hat.

- Von Rechts wegen -

Vorinstanz: LG Itzehoe, vom 16.04.2010