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BGH - Entscheidung vom 13.01.2011

3 StR 429/10

Normen:
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 64
StGB § 243 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 13.01.2011 - Aktenzeichen 3 StR 429/10

DRsp Nr. 2011/2766

Bestehen eines Hangs i.S.d. § 64 Strafgesetzbuch ( StGB ) bei einer eingewurzelten und aufgrund psychischer Disposition bestehender oder durch Übung erworbener intensiver Neigung zur wiederkehrenden Einnahme von Rauschmitteln im Übermaß; Entkräftung der Regelwirkung des § 243 Abs. 1 S. 1 StGB durch einen geringeren Unrechtsgehalt einer versuchten Tat oder Vornahme einer Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2 , § 49 Abs. 1 StGB

Ein Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit zu bejahen. Vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss.

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 20. Juli 2010 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 54 bis 58 der Urteilsgründe jeweils wegen Computerbetruges verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 23 Abs. 2 ; StGB § 49 Abs. 1 ; StGB § 64 ; StGB § 243 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 54 Fällen, "davon in 32 Fällen nur als Versuch", und wegen Computerbetruges in 18 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er mit der allgemeinen Sachrüge begründet hat. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

1.

Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 54 bis 58 der Urteilsgründe jeweils wegen Computerbetruges verurteilt worden ist. Die Teileinstellung hat in der vorliegenden Sache nicht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge. Diese hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden Einzelstrafen (siebenmal ein Jahr, sechsmal zehn Monate, zweiundzwanzigmal acht Monate und zweiunddreißigmal fünf Monate Freiheitsstrafe) kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht ohne die in den eingestellten Fällen festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen (einmal ein Jahr und viermal zehn Monate) auf eine niedrigere als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten erkannt hätte.

2.

Der Bestand des Strafausspruchs wird im Ergebnis auch nicht dadurch gefährdet, dass das Landgericht in allen (32) Fällen des versuchten Diebstahls ohne Weiteres vom Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgegangen ist. Die hierfür gegebene Begründung, der Umstand der Nichtvollendung spiele für die Strafrahmenwahl keine Rolle, weil nach allgemeiner Meinung von der Regelwirkung auszugehen sei, wenn das Regelbeispiel wie vorliegend verwirklicht, das Grunddelikt indes nur versucht ist, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hätte vielmehr in allen Versuchsfällen prüfen müssen, ob der geringere Unrechtsgehalt der versuchten Tat die Regelwirkung entkräftet oder eine Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2 , § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB , 58. Aufl., § 46 Rn. 103 f.). Diese Prüfung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Der Senat sieht indes von der Aufhebung des Strafausspruchs ab, da die verhängte Rechtsfolge (fünf Monate Freiheitsstrafe) unter Berücksichtigung der für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen in allen Fällen angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO ). Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, zu der beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 136, 1447/05, NStZ 2007, 598 ).

3.

Nicht bestehen bleiben kann das Urteil hingegen, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Die sachverständig beratene Strafkammer hat diese Entscheidung damit begründet, dass beim Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln, aber keine Sucht und damit nicht der nach § 64 StGB erforderliche Hang vorliege. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verkannt hat. Ein Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur - wovon das Landgericht möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit zu bejahen. Vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Beschluss vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Fischer, aaO, § 64 Rn. 9 mwN). Die Feststellungen des Urteils legen auch nahe, dass bei dem Angeklagten ein Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum besteht. Ab dem Jahr 1997 konsumierte er Kokain und nahm gelegentlich Speed und Ecstasy zu sich. Nach zwei Entwöhnungstherapien war er zwar bis 2008 von Kokain abstinent, begann indes 2009 wiederum Drogen zu konsumieren. Im Sommer 2009 - kurz vor Beginn der gegenständlichen Tatserie - steigerte er seinen Kokainkonsum auf ein bis zwei Gramm täglich. Alkohol trank er mäßig, zu Zeiten des Kokainkonsums aber auch zuweilen stärker. Angesichts dieser Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht allein aufgrund der rechtsfehlerhaften Gleichsetzung von Sucht und Hang im Sinne des § 64 StGB die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterlassen hat. Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen vor und während der Tatserie Kokain und Alkohol konsumierte, kann weiterhin auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein bestehender Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen (vgl. Fischer, aaO, Rn. 12) - mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte die Taten beging. Dem Erfordernis einer hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg steht jedenfalls nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte bereits zwei stationäre Entwöhnungsmaßnahmen durchführte, zumal diese zumindest einen mehrere Jahre anhaltenden Erfolg erbrachten (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 334/08, NStZ-RR 2009, 77 , 78).

Danach muss über die Frage der Maßregelanordnung nach § 64 StGB neu verhandelt und entschieden werden.

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 20.07.2010