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BGH - Entscheidung vom 31.03.2011

5 StR 66/11

Normen:
StPO § 349 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 31.03.2011 - Aktenzeichen 5 StR 66/11

DRsp Nr. 2011/7547

Ausnutzungssituation i.S.d. Heimtücke bei Unaufklärbarkeit von Einzelheiten eines Geschehensablaufs

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ;

G r ü n d e

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine Revision hat mit der Sachrüge - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - Erfolg.

1.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts geriet der Angeklagte am 22. April 2010 mit dem späteren Tatopfer, seinem Schwager I. , nach einem Trinkgelage in der Wohnung des Zeugen L. in Streit, bei dem sich beide Kontrahenten gegenseitig an die Jackenkragen fassten. L. wies daraufhin I. zwischen 10.00 Uhr und 10.30 Uhr aus seiner Wohnung. Kurz nach 11.45 Uhr erschien der Angeklagte, der ein Küchenmesser aus der Wohnung des L. mitgenommen hatte, vor dem Wohnhaus seines Schwagers, wo er diesen vor seiner Haustür stehend antraf. I. war gerade im Begriff in das Haus zurückzukehren; sein Schlüssel steckte bereits in der Hauseingangstür. "Es kam dann zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden, in deren Folge der Angeklagte sein mitgeführtes Messer einsetzte, indem er den arg- und wehrlosen Schwager mehrere kräftige Stichverletzungen beibrachte, um diesen aus Verärgerung und Wut zu töten. Die Auseinandersetzung spielte sich unmittelbar im Eingangsbereich des Wohnhauses sowie auf einem kleinen angrenzenden Rasenstück ab. Die Einzelheiten blieben ungeklärt" (UA S. 9). Das Tatopfer erlitt zwei Stichverletzungen im linken Brustbereich, zwei Durchstichverletzungen am linken Arm sowie zwei Hautanritzverletzungen an der rechten Hand. Es verstarb kurz nach 12.00 Uhr aufgrund eines Bruststichs, der sein Herz durchtrennte.

Das Schwurgericht, das die Reihenfolge der Stichverletzungen nicht festzustellen vermochte, wertet die Tathandlung des Angeklagten als mit direktem Tötungsvorsatz begangenen Heimtückemord. Das Tatopfer sei zum Zeitpunkt des Erscheinens des Angeklagten arglos gewesen, weil die vorangegangene verbale und geringfügige Auseinandersetzung bereits eineinhalb Stunden zurückgelegen habe. Das Verletzungsbild und die Spuren am Tatort würden die "Annahme rechtfertigen, dass das Tatopfer vom Angeklagten überrumpelt wurde" (UA S. 19). Gestützt werde dies durch den eng umgrenzten Tatort, die mehrfache Beibringung kräftiger Stiche und die wenig ausgeprägten Abwehrverletzungen beim Tatopfer. Die nach dem Verletzungsbild kaum vorhandenen Relativbewegungen zwischen Angeklagtem und Opfer seien "ein weiteres Beleg für ein plötzliches und unnachgiebiges Vorgehen des Angeklagten". Auch der "kurze Zeitraum, in der die tödliche Begegnung stattgefunden" habe, sei ein "Hinweis für einen bereits zuvor zur Gewaltanwendung entschlossenen Angeklagten" und spreche gegen eine situative Zuspitzung des Aufeinandertreffens.

2.

Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit tötet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382 , 383 f. mwN). Für die Annahme von Arglosigkeit kommt es auf den Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an.

Die Feststellungen des Schwurgerichts belegen eine solche Ausnutzungssituation zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Sie lassen einerseits den Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Angeklagtem und Tatopfer offen, weil die Einzelheiten des Geschehensablaufs unaufklärbar geblieben sind. Andererseits geht das Landgericht aber davon aus, dass eine Auseinandersetzung vor der Hauseingangstür stattgefunden hat, in deren Folge der Angeklagte sein mitgeführtes Messer einsetzte. Feststellungen, wie sich das Kampfgeschehen bis zu diesem Zeitpunkt entwickelte, sind nicht getroffen; sie sind aber unentbehrlich, um das Vorliegen einer Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers beurteilen zu können.

Der Senat hebt deshalb das Urteil insgesamt auf. Es ist nicht gänzlich ausschließbar, dass das neue Tatgericht weitergehende Feststellungen treffen kann, die den Tatbestand des heimtückisch begangenen Mordes belegen. Das neue Tatgericht wird über die Frage der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, und zwar nicht nur im Blick auf dessen Alkoholkonsum, erneut kritisch zu befinden haben.

Vorinstanz: LG Zwickau, vom 27.10.2010