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BGH - Entscheidung vom 12.07.2011

1 StR 147/11

Normen:
StPO § 349 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 12.07.2011 - Aktenzeichen 1 StR 147/11

DRsp Nr. 2011/15212

Anforderungen an die tatrichterliche Ermittlung der Menge von veräußerten Betäubungsmitteln und deren Würdigung beim Strafausspruch

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. November 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a)

im Strafausspruch in den Fällen II. 1. a) bis c) der Urteilsgründe und

b)

im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO ). Der Erörterung bedarf lediglich die Bestimmung der von dem Angeklagten im Tatkomplex II. 1. der Urteilsgründe gehandelten Heroinmengen.

I.

Nach den Urteilsfeststellungen übergab der Angeklagte im Tatkomplex II. 1. der Urteilsgründe im Zeitraum von November 2006 bis September 2007 in drei Fällen dem anderweitig Verfolgten K. je eine Tüte mit Heroin mit dem Auftrag, das Heroin jeweils an eine andere nicht näher bekannte Person zu übergeben. Das Heroin war in Tüten aus Plastik verpackt, wobei das jeweilige Behältnis die Form einer Wurst mit einer Länge von 14,5 Zentimetern und einem Durchmesser von 3,5 Zentimetern aufwies. K. führte den jeweiligen Auftrag aus, entnahm aus den Paketen jeweils etwa zehn Gramm Heroin als Entlohnung für den Transport und übergab jeweils mindestens 245 Gramm Heroin der Restmenge in der ursprünglichen Verpackung an den Empfänger. Das Heroin war zumindest von durchschnittlicher Qualität und wies einen Mindestwirkstoffgehalt von zehn Prozent Heroinhydrochlorid auf (UA S. 14, 15).

Die für den Angeklagten transportierte Heroinmenge ermittelte das Landgericht auf der Grundlage der - rechtsfehlerfrei - für glaubhaft gewerteten Angaben des als Zeugen vernommenen K. wie folgt: Der Zeuge K. hatte angegeben, er habe vom Angeklagten jeweils durchsichtige, wurstähnliche Tüten mit einem braunen Pulver zum Weitergeben erhalten. Die Tüten seien etwa 15 Zentimeter lang gewesen, mit einem Durchmesser von etwa 3 Zentimetern, und hätten jeweils etwa 100 Gramm beinhaltet. Genaue Angaben zur Menge und zum Gewicht könne er nicht machen, weil er die Tüten nicht gewogen habe. Er habe jeweils zehn Gramm aus den Tüten als Entlohnung für den Transport zum Eigenverbrauch entnommen. Es habe sich bei dem Pulver um Heroin von durchschnittlicher Qualität gehandelt.

Zur genauen Feststellung der in den Tüten befindlichen Heroinmenge ließ das Landgericht den Zeugen K. die Form der Tüten zeichnen. Anschließend vermaß das Landgericht die Zeichnung mit einem handelsüblichen Lineal und ermittelte dabei als Abmessungen eine Länge von 14,5 Zentimetern und einen Durchmesser von 3,5 Zentimetern. Um feststellen zu können, welche Heroinmenge sich in den von dem Zeugen K. beschriebenen wurstähnlichen Verpackungen jeweils befunden hatte, holte das Landgericht bei dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg ein Sachverständigengutachten ein. Die Gutachter gelangten dabei zu dem Ergebnis, dass eine Tüte mit lockerem Heroinpulver mit den vorgegebenen Maßen 275 Gramm Heroinpulver enthalten habe. Dabei gingen die Gutachter von einer Dicke der Verpackung von maximal einem Millimeter und an den Enden der wurstähnlichen Verpackungseinheit von einem halben Zentimeter aus. Auf der Basis dieser Berechnung errechneten die Gutachter ein Innenvolumen des Behältnisses von 444 Kubikzentimetern. Dieses Volumen multiplizierten sie mit der für locker geschütteltes Heroinpulver zunächst experimentell auf drei Nachkommastellen (0,628 Gramm) bestimmten, dann aber auf 0,62 Gramm pro Kubikzentimeter abgerundeten Dichte (UA S. 18/19).

Das Landgericht schloss sich dieser Berechnung an, wobei es ebenfalls zugunsten des Angeklagten davon ausging, dass es sich um kein gepresstes Heroinpulver gehandelt habe. Von der errechneten Heroinmenge zog das Landgericht die von dem Zeugen K. als Entlohnung entnommene Menge ab und gelangte schließlich zu einer Gesamtmenge von mindestens 245 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 Prozent. Bei der Bestimmung der von dem Zeugen K. entnommenen Heroinmenge schätzte das Landgericht dessen Gewicht nicht auf den vom Zeugen K. angegeben Wert von 10 Gramm, sondern legte zugunsten des Angeklagten 10 Prozent der von ihm auf dem dargestellten Weg ermittelten Gesamtheroinmenge von 275 Gramm Heroingemisch zugrunde (UA S. 19).

II.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch; demgegenüber kann aber der Strafausspruch keinen Bestand haben, weil das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten von einer zu hohen Heroinmenge ausgegangen ist.

1.

Die Bestimmung der von dem anderweitig Verfolgten K. transportierten Heroinmenge ist rechtsfehlerhaft und beschwert den Angeklagten. Sie hält bereits deshalb der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil dem Landgericht - dem eingeholten Sachverständigengutachten folgend - ein Rechenfehler unterlaufen ist, der zu einer um den Faktor vier zu hohen Heroinmenge geführt hat. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht das Transportbehältnis als zylinderförmiges Behältnis angesehen und für die Berechnung von dessen Innenvolumen die mathematische Formel für Kreiszylinder grundsätzlich für anwendbar erachtet hat. Dabei hat es jedoch mathematisch und damit auch rechtlich fehlerhaft die Höhe des Zylinders statt mit dem quadrierten Radius mit dem mit sich selbst multiplizierten Durchmesser der Grundfläche vervielfacht. Dies führte zu einem um den Faktor vier überhöhten Rechenergebnis.

2.

Der Schuldspruch wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens in nicht geringer Menge wird von diesem Rechtsfehler nicht berührt. Angesichts der vom Landgericht festgestellten Schätzungsgrundlagen kann der Senat ausschließen, dass sich bei einer rechtsfehlerfreien Schätzung der Heroinmengen Wirkstoffmengen ergeben könnten, welche unterhalb der Grenze zur nicht geringen Menge liegen.

3.

Bei einer um den Faktor vier überhöhten Schätzung der von dem Angeklagten transportierten Heroinmengen beruhen allerdings die Strafaussprüche im Tatkomplex II. 1. der Urteilsgründe und der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe auf diesem Rechtsfehler. Die Sache ist daher insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und zur neuen Bestimmung der vom Angeklagten gehandelten Heroin-Wirkstoffmenge und zur neuen Strafzumessung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Im Hinblick auf die Bestimmung der Rauschgiftmenge weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf folgendes hin:

Kann eine Auskunftsperson - wie hier der Zeuge K. - nur vage Angaben zur Menge und Qualität des Rauschgifts machen, dann ist der Tatrichter gehalten, die notwendigen Feststellungen zu Menge und Wirkstoffgehalt im Wege einer Schätzung nach den dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu treffen (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Mai 2001 - 3 StR 36/01; vom 10. September 2009 - 3 StR 293/09; Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 360/08). Eine "exakte" Bestimmung der Menge, womöglich noch auf drei Nachkommastellen mittels einer Berechnung, die - wie hier - auf vagen Parametern aufbaut, ist in derartigen Fällen in der Regel nicht geboten, sogar untunlich; sie führt unter diesen Voraussetzungen nur zu einer Scheingenauigkeit. Derartige Berechnungen können allenfalls dazu dienen, die Angaben der Auskunftsperson im Wege einer Plausibilitätskontrolle auf ihre Verlässlichkeit zu überprüfen. Hier lässt eine "richtige" Nachrechnung die Mengenangaben des Zeugen (jeweils etwa 100 Gramm) durchaus plausibel erscheinen, so dass der Tatrichter nicht gehindert gewesen wäre, diese Angaben seiner Überzeugung zugrunde zu legen.

Vorinstanz: LG Nürnberg, vom 18.11.2010