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BVerfG - Entscheidung vom 07.05.2010

2 BvR 987/10

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 38 Abs. 1
BVerfGG § 32 Abs. 1

Fundstellen:
BVerfGE 125, 385
WM 2010, 1016

BVerfG, Beschluss vom 07.05.2010 - Aktenzeichen 2 BvR 987/10

DRsp Nr. 2010/8432

Verfassungsmäßigkeit der Gewährung finanzieller Mittel der Bundesrepublik Deutschland an Griechenland zur Stabilisierung des Europäischen Währungsraums

1. Aufgrund der Folgenabwägung im einstweiligen Anordnungsverfahren ist der Bundesrepublik Deutschland im Wege der einstweiligen Anordnung nicht zu untersagen, zur Stabilisierung des Europäischen Währungsraums Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu gewähren. 2. Weitere Aspekte: - Befürchtung schwerwiegender wirtschaftlicher Nachteile für die Allgemeinheit bei Abbrechen der Finanzhilfe Deutschlands an Griechenland durch die damit verbundene Gefährdung der Stabilität der Währungsunion - Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund der befürchteten Unfähigkeit Griechenlands zur Zurückerstattung von durch die Finanzhilfe gewährten Leistungen

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 14 Abs. 1 ; GG Art. 38 Abs. 1 ; BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

Gründe

A.

Die Beschwerdeführer begehren mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen, dass der Bundesrepublik Deutschland untersagt wird, zur Stabilisierung des Europäischen Währungsraums Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu gewähren.

I.

1.

Der Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) vom 7. Februar 1992 (ABl Nr. C 191/1; BGBl II 1992 S. 1253) sah eine gemeinsame Währungspolitik der Mitgliedstaaten vor, die stufenweise eine Europäische Währungsunion begründen und schließlich die Währungspolitik in der Hand eines Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) vergemeinschaften sollte. In der dritten Stufe wurde 2002 der Euro als einheitliche Währung eingeführt. Um Finanzdisziplin zur Unterstützung der einheitlichen Geldpolitik zu gewährleisten, trat gleichzeitig der Stabilitäts- und Wachstumspakt (Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt Amsterdam, 17. Juni 1997, ABl Nr. C 236/1) in Kraft, der im Interesse der Stabilität des Euro eine Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einen Schuldenstand von maximal 60 % des BIP vorsieht.

2.

Auch die Hellenische Republik ist seit 2001 Mitglied der Gruppe von 16 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Entscheidung des Rates 2000/427/EG vom 19. Juni 2000 gemäß Artikel 122 Absatz 2 des Vertrages über die Einführung der Einheitswährung durch Griechenland am 1. Januar 2001, ABl Nr. L 167/19), deren gemeinsame Währung der Euro ist (Euro-Gruppe). Die Angaben zur Größe des griechischen Haushaltsdefizits im Jahr 2009 mussten von 5 % auf knapp 13 % des BIP korrigiert werden; für 2010 wird mit einem Anstieg der Staatsverschuldung auf 125 % des BIP und damit mehr als das Doppelte des Referenzwerts von 60 % des BIP gerechnet (vgl. Pressemitteilung des Rates für Wirtschaft und Finanzen <ECOFIN-Rat>, 16. Februar 2010).

3.

Vor diesem Hintergrund kam der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs am 11. Februar 2010 in Brüssel zusammen, um im Interesse der Stabilität des Euro über mögliche Maßnahmen in Bezug auf Griechenland zu beraten. Der Europäische Rat verkündete bei dieser Gelegenheit, dass er, falls nötig, entschlossene und koordinierte Maßnahmen ergreifen werde, um die finanzielle Stabilität der gesamten Eurozone sicherzustellen (vgl. Statement by the Heads of State or Government of the European Union, 11. Februar 2010). Am 16. Februar 2010 verschärfte der ECOFIN-Rat das bereits im April 2009 in Gang gesetzte Defizitverfahren gegen Griechenland und verlangte, das Defizit innerhalb eines Jahres um 4 Prozentpunkte abzubauen (von 12,7 % im Jahr 2009 auf 8,7 % im Jahr 2010) und bis 2012 weiter auf höchstens 3 % des BIP zurückzuführen (vgl. Pressemitteilung des ECOFIN-Rates, 16. Februar 2010). Nach steigender Unruhe an den Finanzmärkten erklärten die Staats- und Regierungschefs der Euroländer am 25. März 2010 ihre Bereitschaft, Griechenland zusätzlich zu einer Finanzierung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit eigenen bilateralen Darlehen beizustehen (vgl. Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, 25. März 2010). Auch diese Erklärung konnte die Finanzmärkte nicht nachhaltig überzeugen und wurde als zu unkonkret empfunden. Insbesondere mangelnde Angaben über die Höhe einer Finanzhilfe und den von Griechenland zu zahlenden Zins wurden kritisiert. Nachdem die Ratingagentur Fitch am 9. April 2010 ihr Rating für Griechenland auf BBB- heruntergestuft hatte und die Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen auf Rekordhöhen schnellten, sahen sich die Euro-Finanzminister gezwungen, am 11. April 2010 eine Einigung über die Ausgestaltung der in Form von bilateralen Darlehen von Staaten der Eurozone zu gewährenden Hilfe für Griechenland sowie deren Umfang und die Zinshöhe zu erzielen. Um Griechenland Anreize zur Rückkehr zur Marktfinanzierung zu bieten, wird die Zinsberechnungsformel des IWF mit gewissen Anpassungen als Bezugsgröße für die Festsetzung der Bedingungen für die bilateralen Kredite herangezogen. Als Grundlage für Kredite mit variablem Zins gilt der 3-Monats-Euribor-Zinssatz, zu dem Banken einander Kredit in Euro gewähren. Festzinskredite werden auf der Grundlage der Euribor-Swapsätze für die jeweiligen Laufzeiten gewährt. Es wird ein Aufschlag von 300 Basispunkten (3 %) erhoben. Dieser Aufschlag erhöht sich auf 400 Basispunkte (4 %), sollte der zurückzuzahlende Betrag über drei Jahre ausstehen. Vom Auszahlungsbetrag wird eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 0,50 % für die beim Kreditgeber anfallenden Kosten einbehalten (vgl. Statement on the support to Greece by Euro area Members States, 11. April 2010). Am 12. April 2010 trat die Kommission in Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank (EZB) mit dem IWF und Griechenland in Verhandlungen ein, in denen die Bedingungen für das griechische Hilfspaket konkretisiert wurden. Die Unterstützung sollte aktiviert werden in dem Augenblick, in dem sie tatsächlich benötigt wurde. Die teilnehmenden Staaten sollten dann über die Auszahlungen entscheiden (vgl. Statement on the support to Greece by Euro area Members States, 11. April 2010).

4.

Am 23. April 2010 beantragte Griechenland Finanzhilfen der EU und des IWF (vgl. Joint statement by European Commission, European Central Bank and Presidency of the Eurogroup on Greece, IP/10/446, 23. April 2010). Daraufhin erklärten die Staaten der Euro-Gruppe am 2. Mai 2010 ihre Bereitschaft, im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des IWF mit einem geschätzten Gesamtfinanzierungsbedarf in Höhe von 110 Milliarden Euro bis zu 80 Milliarden Euro als Finanzhilfe an Griechenland in Form von koordinierten bilateralen Krediten bereitzustellen, davon bis zu 30 Milliarden Euro im ersten Jahr (vgl. Statement by the Eurogroup, 2. Mai 2010). Der Anteil der einzelnen Staaten an den Krediten bemisst sich nach dem jeweiligen Anteil der Staaten des Euro-Währungsgebietes am Kapital der EZB. Der Anteil Deutschlands unter den 15 Staaten der Euro-Gruppe (ohne die Hellenische Republik) beträgt 27,92 % (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 17/1544, S. 4). Der deutsche Anteil an den Krediten beläuft sich somit bei Teilnahme aller Euro-Gruppe-Staaten (außer Griechenland) auf rund 22,4 Milliarden Euro, davon bis zu 8,4 Milliarden Euro im ersten Jahr. Der IWF übernimmt einen Anteil von 30 Milliarden Euro (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 17/1544, S. 1). Die Finanzhilfe der Euro-Gruppe wird im Rahmen einer strengen Konditionalität zur Verfügung gestellt, die zwischen dem IWF und der Kommission (in Abstimmung mit der EZB) sowie Griechenland vereinbart wurde. Die Absprachen der Staaten der Euro-Gruppe mit Griechenland und untereinander umfassen zwei Vereinbarungen. Einerseits den Darlehensvertrag, in dem im Wesentlichen die Darlehenskonditionen und Voraussetzungen der Darlehensgewährung festgelegt werden (vgl. Entwurf des "Loan Facility Agreement" zwischen den Staaten der Eurozone und der Hellenischen Republik) und andererseits eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten der Eurozone, in der die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten untereinander bestimmt werden (vgl. Entwurf des "Intercreditor Agreement"). Beide Vereinbarungen beziehen sich hinsichtlich der finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen Griechenlands auf das mit Griechenland vereinbarte "Memorandum of Understanding" (vgl. Greece: Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, 2. Mai 2010), das die Bedingungen der Kreditvergabe festlegt und insbesondere die Auszahlung der Finanzhilfen an bestimmte, strenge Bedingungen hinsichtlich der Haushaltssanierung knüpft. Die Auszahlung der einzelnen Tranchen ist danach an die Einhaltung quantitativer Leistungskriterien gekoppelt. So sind für jedes Quartal detaillierte Einsparungsziele festgelegt, die durch Maßnahmen wie Steuererhöhungen oder Streichung von Gratifikationen im öffentlichen Dienst erreicht werden müssen (vgl. Greece: Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, 2. Mai 2010, S. 1). In der Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten (Entwurf des "Intercreditor Agreement", S. 3 f.) ist außerdem ein interner Zins- und Zahlungsausgleich für wirtschaftlich angeschlagene Geberländer geregelt. Danach kann ein Kreditgeber, der höhere Refinanzierungskosten hat als der Zins des Kreditnehmers im Rahmen des Darlehensvertrags, verlangen, dass ihm ein Zinsausgleich gewährt wird, der anteilig aus dem Zinsertrag der anderen Geber finanziert wird. Außerdem kann ein Kreditgeber, falls er höhere Refinanzierungskosten haben sollte als der Zins des Kreditnehmers im Rahmen des Darlehensvertrags, beantragen, an der Auszahlung der nächsten Tranche nicht teilzunehmen. Über diesen Antrag entscheiden die anderen Darlehensgeber mit Zweidrittelmehrheit ihrer Kapitalanteile. Sobald dieser Kapitalgeber wieder niedrigere Refinanzierungskosten hat als der Zins des Darlehensnehmers, ist vorgesehen, seinen Kreditanteil wieder an den im Darlehensvertrag vorgesehenen Anteil anzupassen. Kein Kreditgeber ist verantwortlich für die Verpflichtungen eines anderen Kreditgebers.

5.

Um die erforderlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene zu treffen, verabschiedete der Deutsche Bundestag am 7. Mai 2010 das angegriffene Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz - WFStG, BGBl I S. 537). Die Vorschriften des Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetzes lauten:

§ 1

Gewährleistungsermächtigung

(1)

Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, Gewährleistungen bis zur Höhe von insgesamt 22,4 Milliarden Euro für Kredite an die Hellenische Republik zu übernehmen, die als Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik erforderlich sind, um die Finanzstabilität in der Währungsunion sicherzustellen. Die Gewährleistung dient der Absicherung von Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau an die Hellenische Republik, die gemeinsam mit den Krediten der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Währung der Euro ist, und des Internationalen Währungsfonds ausgezahlt werden sollen. Grundlage bilden die zwischen dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Hellenischen Republik unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank vereinbarten Maßnahmen. Die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau sollen im ersten Jahr bis zur Höhe von 8,4 Milliarden Euro ausgezahlt werden.

(2)

Eine Gewährleistung ist auf den Höchstbetrag dieser Ermächtigung in der Höhe anzurechnen, in der der Bund daraus in Anspruch genommen werden kann. Zinsen und Kosten sind auf den Ermächtigungsrahmen nicht anzurechnen.

(3)

Vor Übernahme von Gewährleistungen nach Absatz 1 ist der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu unterrichten, sofern nicht aus zwingenden Gründen eine Ausnahme geboten ist. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus vierteljährlich über die übernommenen Gewährleistungen und die ordnungsgemäße Verwendung zu unterrichten.

§ 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Der auf Deutschland entfallende Anteil an den Hilfsmaßnahmen soll von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausgereicht werden, die hierfür eine Bundesgarantie benötigt. § 1 Abs. 1 WFStG ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, entsprechende Gewährleistungen zu übernehmen, die die Ausreichung des Kredits durch die KfW absichern.

6.

Für das Gesetzgebungsverfahren war am 7. Mai 2010 folgender Zeitplan vorgesehen: Bis 11:00 Uhr sollte im Bundestag die zweite und dritte Lesung sowie die namentliche Abstimmung stattfinden und sodann gegen 13:00 Uhr die Zustimmung durch den Bundesrat erfolgen. Nach Zustimmung durch die Bundesregierung (Art. 113 Abs. 1 Satz 1 GG ) sollte das zustandegekommene Gesetz gegen 14:00 Uhr dem Bundespräsidenten zur Ausfertigung vorliegen. Im Anschluss sollte das Bundesamt für Justiz bis 20:00 Uhr für die Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt sorgen, damit das Gesetz nach § 2 WFStG am 8. Mai 2010 in Kraft treten kann.

Tatsächlich wurde das Gesetz vom Bundestag um 12:00 Uhr verabschiedet. Der Bundesrat stimmte um 14:30 Uhr zu. Nach Unterzeichnung und Ausfertigung durch den Bundespräsidenten wurde das Gesetz am selben Tag im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl I S. 537).

II.

1.

Nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag und noch vor Zustimmung durch den Bundesrat haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz erhoben und zugleich beantragt, dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung die Ausfertigung des Gesetzes sowie der Bundesregierung den Vollzug des Gesetzes einstweilen zu untersagen. Mit der Verfassungsbeschwerde begehren die Beschwerdeführer die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Grundrechte aus Art. 38 Abs. 1 , Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass sie finanzielle Hilfen für die Hellenische Republik mit den anderen Mitgliedern der Euro-Gruppe vereinbart, finanzielle Hilfen für Griechenland gewährt, insbesondere durch das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz vom 7. Mai 2010 Kredite der KfW an die Hellenische Republik gewährleistet, und den IWF veranlasst, Griechenland finanziell zu unterstützen. Zudem beantragen sie festzustellen, dass die Vereinbarungen der EU, insbesondere der Euro-Gruppe, in welchen finanzielle Hilfen für die Hellenische Republik auch durch die Bundesrepublik Deutschland abgesprochen wurden, die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 38 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verletzen.

2.

Zur Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bringen die Beschwerdeführer vor, die drohende Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 , Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG könne nur dadurch abgewendet werden, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht durch Finanzhilfen zur Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik beitrage. Würde die Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden, bestünde die Gefahr, dass Deutschland an Griechenland finanzielle Leistungen erbringe, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, insbesondere weil Griechenland wegen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht in der Lage sei, die Finanzhilfen zurückzuerstatten. Darüber hinaus werde durch die Finanzhilfen für Griechenland einfait accompligeschaffen, auf das sich andere Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe, deren Zahlungsfähigkeit ebenfalls zweifelhaft sei, einrichteten. Würde die Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden, bestünde die Gefahr, dass die Finanzmärkte weitere Finanzhilfen für diese Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe erzwängen.

III.

Der Deutsche Bundestag hat sich zum Verfahren der einstweiligen Anordnung geäußert.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls unbegründet.

1.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>), der noch weiter verschärft wird, sobald eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen betroffen ist (vgl. auch BVerfGE 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>).

Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 118, 111 <122>). Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; stRspr).

2.

Der Antrag auf Erlass der begehrten Anordnung bleibt ungeachtet der Frage, ob der Antrag im Hinblick darauf, dass er vor V erkündung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gesetzes gestellt worden ist, unzulässig sein könnte (vgl BVerfGE 11, 339 <342>), sowie offener Fragen der Zulässigkeit und Begründetheit der Verfassungsbeschwerde jedenfalls aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg.

a)

Ergeht die einstweilige Anordnung, erweist sich aber die Übernahme der Gewährleistungen später als verfassungsrechtlich zulässig, drohen der Allgemeinheit schwere Nachteile.

Die Bundesrepublik Deutschland müsste im Fall des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung ihre Mithilfe an den Notmaßnahmen zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik gerade dann abbrechen, wenn sie gefordert ist. Dies würde nicht nur durch bisheriges Verhalten genährte Erwartungen der Partner im Euro-Währungsgebiet enttäuschen. Die Unaufschiebbarkeit der Maßnahme und das Volumen des dann fehlenden Hilfsanteils würde vor allem die Realisierbarkeit des Rettungspaketes insgesamt in Frage stellen. Damit entstünden nach Auffassung der Bundesregierung der Allgemeinheit voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile. Sollte das mit dem Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz verfolgte Ziel verfehlt werden, mithin eine unmittelbar drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nicht abgewendet werden können, wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Stabilität der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet.# Das Bundesverfassungsgericht hat keine hinreichenden Anhaltspunkte, die zu der Annahme zwingen, dass die währungs- und finanzpolitische Einschätzung der Bundesregierung fehlerhaft ist (vgl. BVerfGE 26, 259 <264>; 29, 179 <182>; 88, 173 <181>). Unter den Verfassungsorganen ist vor allem die Bundesregierung dazu berufen, derartige Einschätzungen vorzunehmen, die das Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt kontrollieren kann (vgl. BVerfGE 97, 350 <376>).

b)

Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, die vereinbarte Mitwirkung an den Finanzhilfen sich später aber als unzulässig erweist.

Ein wesentlicher Schaden erwächst dem Gemeinwohl nicht aus der Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Bundes im Eintrittsfall, deren Wahrscheinlichkeit die Bundesregierung für gering hält. Das potentielle Haftungsrisiko wird nach Einschätzung der Bundesregierung aufgewogen durch eine Verringerung der aktuellen Risiken für den Bundeshaushalt, die sich aus der Finanzinstabilität in der Europäischen Währungsunion ergeben könnten. Insoweit vermiedene Schäden in volkswirtschaftlicher Größenordnung müssen wenigstens saldierend berücksichtigt werden. Die Beschwerdeführer haben keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass demgegenüber insbesondere ihr Recht aus Art. 14 GG unmittelbar gerade in Folge der gewährleisteten Kreditgewährung schwer und irreversibel beeinträchtigt sein könnte.

Fundstellen
BVerfGE 125, 385
WM 2010, 1016