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BGH - Entscheidung vom 17.09.2009

Xa ZR 128/05

Normen:
IntPatÜbkG Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1

BGH, Urteil vom 17.09.2009 - Aktenzeichen Xa ZR 128/05

DRsp Nr. 2009/24240

Zurückweisung der Nichtigkeitsklage gegen ein Patent für ein Verfahren zum Übertragen kodierter Daten, da der Gegenstand des Patentanspruchs neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 15. Juni 2005 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert:

Das europäische Patent 745 307 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass in den Patentansprüchen 1 und 15 jeweils vor dem Wort "includes" und in den Patentansprüchen 7, 13 und 14 jeweils vor den Wörtern "the size" die Wörter "for each graphic image" eingefügt werden und die Rückbeziehungen auf Patentansprüche 1 und 7 jeweils die so beschränkte Fassung dieser Patentansprüche betreffen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.

Normenkette:

IntPatÜbkG Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität der europäischen Voranmeldung 94 203 642.7 vom 14. Dezember 1994 (Anlage NK1 zur Nichtigkeitsklage) am 12. Dezember 1995 angemeldeten, auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 745 307 (Streitpatents), das u.a. ein "Verfahren zum Übertragen codierter Daten" betrifft und fünfzehn Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

"A method of transmitting encoded data defining a graphic image in the form of a rectangular region for display within an area of an active video signal, the pixels forming said region being individually defined by the encoded data, characterized in that the encoded data includes the size and position of said region and a time stamp representing the time at which said region is to be displayed."

In der Übersetzung der Patentschrift lautet der Patentanspruch:

"Verfahren zum Übertragen codierter Daten, die ein graphisches Bild in Form eines rechteckigen Gebietes innerhalb eines aktiven Videogebietes definieren, wobei die Pixel, die das genannte Gebiet bilden, durch die codierten Daten einzeln definiert werden, dadurch gekennzeichnet, dass die codierten Daten die Größe und die Lage des genannten Gebietes und eine Zeitmarke umfassen, welche die Zeit darstellt, in der das genannte Gebiet wiedergegeben werden soll."

Wegen der übrigen Patentansprüche des Streitpatents wird auf die Patentschrift verwiesen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die Veröffentlichung Digital Video Broadcasting DVB Document A009, Oktober 1995, Abschnitt 6 (NK2), die Zusammenfassung ("Abstract") der Veröffentlichung der japanischen Patentanmeldung Hei 07 099 616 A (NK4), das US-Patent 5 208 665 (NK5) und die ISO/IEC-Norm 13818-1 (NK6), 1994, Kapitel 2.6.12, 2.4.3.7 und Anhang A bis ausschließlich A.2.2 (NK6) bildeten, nicht patentfähig.

Das Patentgericht hat das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig erklärt.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit mehreren Anspruchssätzen jeweils in englischer Sprache. Nach Hilfsantrag 1 sollen in den Patentansprüchen 1 und 15 jeweils vor dem Wort "includes" die Wörter "for each graphic image" eingefügt werden und die Rückbeziehungen auf Patentansprüche 1 und 7 jeweils die so beschränkte Fassung dieser Patentansprüche betreffen. Die Beklagte hat sich damit einverstanden erklärt, dass auch in den weiteren, nicht auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüchen entsprechende Änderungen vorgenommen werden. Wegen der weiteren Hilfsanträge wird auf die Akten Bezug genommen.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

Im Auftrag des Senats hat Professor Dr.-Ing. T. S. , Technische Universität B. , Fakultät IV, Institut für Telekommunikationssysteme, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe

Über die Klage ist trotz des Nichterscheinens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung durch streitiges Endurteil zu entscheiden (BGH, Urt. v. 30.4.1996 - X ZR 114/92, GRUR 1996, 757 - Tracheotomiegerät; v. 18.11.2003 - X ZR 128/03, Mitt. 2004, 171, 172 - Leuchter).

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, soweit das Streitpatent zulässigerweise mit dem Hilfsantrag 1 verteidigt wird. Dagegen hat das Streitpatent in seiner erteilten Fassung gegenüber dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit keinen Bestand (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG).

I.

Das Streitpatent betrifft u.a. ein Verfahren zum Übertragen kodierter Daten, die ein graphisches Bild in Form eines rechteckigen Gebiets innerhalb eines aktiven Videogebiets definieren.

1.

Die Beschreibung des Streitpatents gibt an, dass ein bekanntes Verfahren zum Übertragen graphischer Bilder unter der Bezeichnung "Teletext" bekannt sei. Das Teletextsystem werde insbesondere zur Übertragung von Untertiteln bei Fernsehprogrammen verwendet. Die digitale Fernsehnorm MPEG-2 (ISO/IEC 13818) werde inzwischen zum Übertragen digitaler Fernsehprogramme zum Nutzer über verschiedene Übertragungswege weltweit angewandt. Die MPEG-2-Kompressions- und Multiplex-Technologie könne dem Nutzer eine große Programmauswahl bieten, wofür eine benutzerfreundliche "Mensch-Maschine-Schnittstelle" (manmachine interface) erforderlich sei. Bei Satellitenübertragung führe der Umfang des Empfangsgebiets dazu, dass Fernsehprogramme häufig für eine Anzahl von Sprachgebieten gesendet würden, wodurch eine mehrsprachige Ausgestaltung der Untertitel erforderlich sein könne. Das bekannte Teletextsystem sei auf die Übertragung von Schriftzeichen beschränkt ("a characterbased transmission system"). In ihm erfolge die Übertragung von kodierten Daten, die definierten, welche Zeichen dargestellt werden sollten. Die Darstellung nach Schriftart, Zwischenraum, graphischen Möglichkeiten und Farben werde durch die Hardware festgelegt. Zudem könne das System komplexe Zeichensätze wie chinesische oder japanische Zeichen ohne sehr teure und aufwändige Zeichengeneratoren nicht unterstützen.

2.

Durch das Streitpatent soll ein gutes Textübertragungssystem zur Verfügung gestellt werden. Weiter soll eine allgemein einsetzbare Lösung für mehrsprachige Untertitelung insbesondere in einer MPEG-2-Umgebung bereitgestellt werden (vgl. Beschr. S. 2 Z. 48/49), wobei die Untertitel auch unabhängig von ihrem Übertragungszeitpunkt sollen wiedergegeben werden können (Beschr. S. 3 Z. 1 - 5).

3.

(1)

wobei die kodierten Daten ein graphisches Bild definieren

(1.1)

in Form eines rechteckigen Gebiets

(1.1.1)

innerhalb eines aktiven Videogebiets (area of an active video signal),

(2)

wobei die Pixel, die das (rechteckige) Gebiet bilden, durch die kodierten Daten einzeln definiert werden,

(3)

und die kodierten Daten umfassen

(3.1)

die Größe und die Lage des Gebiets und

(3.2)

eine Zeitmarke, die die Zeit darstellt, in der das Gebiet wiedergegeben werden soll.

Hierzu wird durch Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren zum Übertragen kodierter Daten geschützt,

Dem entsprechen im Wesentlichen auch die weiteren unabhängigen Patentansprüche 7 (Verfahren zum Empfangen kodierter Daten), 13 (Sender zum Übertragen kodierter Daten), 14 (Empfänger, gekoppelt mit einem Wiedergabeschirm zum Empfangen kodierter Daten) und 15 (Bildsignal mit kodierten Daten).

Demnach kann bei dem Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents das Erscheinungsbild von graphischen Bildern pixelweise gesteuert werden, da bitmap- statt zeichenkodierte Regionen vorgesehen sind, die das Videosignal überlagern (Beschr. S. 56 - 58). Die Kodierung umfasst dabei (zwingend) Lage und Größe des durch die Pixel gebildeten Gebiets und die Wiedergabezeit (einen "Zeitstempel", "Presentation Time Stamp", PTS); weitere Kodierungen (z.B. nach der darzustellenden Farbe) sind nicht ausgeschlossen. Die Daten können dabei in sog. Packetized-Elementary-Streams-Paketen mit einem Anfangsetikett ("header") und einer Nutzinformation ("payload") innerhalb eines freien Transportstroms (private data stream) übermittelt werden (vgl. die Beschreibung des Ausführungsbeispiels, auf das der durch den allgemeiner gefassten Patentanspruch 1 geschützte Gegenstand allerdings nicht beschränkt ist). Das graphische Bild ("graphic image") umfasst Darstellungen beliebiger Art und - begrenzt durch die Bildschirmgröße - auch Größe (vgl. Beschr. S. 2 Z. 58 - S. 3 Z. 1). Das rechteckige Gebiet kann durch die Koordinate eines Eckpunkts und die Angabe der Höhe und der Breite festgelegt werden.

Das Streitpatent beschreibt damit eine Möglichkeit zur Übertragung "graphischer Bilder" definierter Größe, deren Inhalte am Empfänger an definierter Stelle in einem Rechteck des aktiven Videogebiets zeitsynchronisiert für eine definierte Zeitdauer dargestellt werden können (Merkmalsgruppe 1). Als Anwendung steht - ohne wiederum hierauf beschränkt zu sein - die Übertragung von Untertiteln im Vordergrund, die am Empfänger synchron zu einem Film dargestellt werden. Die notwendigen Informationen über Größe, Lage im aktiven Videogebiet und Präsentationsdauer werden in kodierter Form mitübertragen (Merkmalsgruppe 3), wobei Patentanspruch 1 entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf beschränkt ist, die Übertragung für jedes Bild mit der Nutzinformation ("payload") vorzunehmen; erfasst wird vielmehr auch eine Übertragung im Anfangsetikett ("header") einer Sequenz. Da die Bildpixel im Datenstrom einzeln definiert werden (Merkmal 2), kann der Inhalt des graphischen Bilds, z.B. des Untertitels, beliebig definiert werden; es bedarf daher keines Textgenerators auf Empfängerseite.

Nach dem zusätzlichen Merkmal nach Hilfsantrag 1 sollen

(3') die Angaben zur Größe und Lage jeweils für jedes graphische Bild kodiert sein.

II.

Die Begründung des angefochtenen Urteils hält der Nachprüfung nicht stand.

1.

Das Patentgericht hat ausgeführt, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents beruhe gegenüber der vor dem Prioritätszeitpunkt veröffentlichten US-Patentschrift 5 208 665 (NK5) nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Aus dieser Entgegenhaltung sei ein Verfahren zum Übertragen kodierter Daten bekannt, die ein graphisches Bild definierten (Merkmal 1). Das durch das graphische Bild definierte Gebiet befinde sich innerhalb eines aktiven Videogebiets (Merkmal 1.1.1). Da als Beispiel Fotografien erwähnt seien und diese üblicherweise pixelorientiert in digitaler Form gespeichert und übertragen würden, seien die Pixel durch die kodierten Daten (im Sinn des Merkmals 2) einzeln kodiert. Die kodierten Daten würden als sog. Datenobjektive ("data objects") in einem Transportstrom übertragen. Zu ihnen gehörten auch sog. Scripts, die eine die Wiedergabezeit des genannten Gebiets festlegende Zeitmarke enthielten; außerdem umfassten sie die zur Strukturierung der Präsentation durch Größe und Lage notwendigen Informationen (Merkmalsgruppe 3). Nicht zu entnehmen sei der US-Patentschrift, welche Form das Gebiet habe, in dem die Graphik dargestellt werde (Merkmal 1.1). Für den Fachmann, einen Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit Berufserfahrung und mehrjähriger Entwicklertätigkeit auf dem Gebiet der Fernseh- und Videotechnik, habe sich die Rechteckform in naheliegender Weise als besonders vorteilhaft angeboten, u.a. weil sie aus dem zeilenförmig aufgebauten Fernsehbild durch besonders wenige Angaben, nämlich der Adresse eines Eckpunkts, der Zahl der Zeilen in vertikaler Richtung und der Bildpunkte in horizontaler Richtung, festlegen lasse. Zwar betreffe die Entgegenhaltung ein interaktives Multimediasystem. Da aber Patentanspruch 1 nicht auf die Darstellung von Untertiteln beschränkt sei, könne hierin ein patentbegründender Unterschied nicht liegen. Auch die in der US-Patentschrift vorgesehene zusätzliche Übertragung von Daten in textkodierter Form führe nicht zur Schutzfähigkeit, da sie auch im Streitpatent nicht ausgeschlossen sei.

2.

Dieser Begründung vermag der Senat nicht beizutreten.

Wie der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten zutreffend ausgeführt hat, lässt die Entgegenhaltung an keiner Stelle erkennen, dass sie hinsichtlich der Erzeugung und Darstellung der graphischen Einblendungen ("graphic overlays"), auf die das Patentgericht maßgeblich abgestellt hat, über den im Streitpatent erörterten Stand der Technik hinausgeht. Weder an den vom Patentgericht angeführten Stellen noch sonst findet sich in der Beschreibung ein Hinweis darauf, dass die graphischen Einblendungen wie Photographien kodiert werden, d.h. durch einzeln definierte Pixel (Merkmal 2). Die vom Patentgericht nicht näher erörterten Kurzzitate aus der Entgegenhaltung beziehen sich auf die Bildelemente (Einzelbilder) der Präsentation, nicht auf die graphischen Einblendungen. Der Fachmann hat daher, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, keinen Anlass zu der Annahme, dass es sich bei den graphischen Einblendungen um etwas anderes handelt als die im Prioritätszeitpunkt übliche Übertragung von Zeichenketten oder allenfalls Liniengraphiken. Ebenso fehlt es an einem Hinweis darauf, dass Lage und Größe der graphischen Einblendungen im Datenstrom signalisiert werden (Merkmal 3.1). Soweit ein Skript übertragen wird, das die Darstellung der Präsentation beschreibt, fehlt es an einem Anhalt für die Annahme, das mit diesem Skript auch die Dauer der Darstellung einer graphischen Einblendung übertragen werde (Merkmal 3.2); wie der gerichtliche Sachverständige erläutert hat, ist dies jedenfalls nicht zwingend. Somit ist nicht erkennbar, wie die Entgegenhaltung NK5 den Gegenstand des Streitpatents nahelegen könnte.

III.

Die Beurteilung der Schutzfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 erweist sich indessen aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend.

2.

Der Sachverständige hat ferner im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass auch die Entgegenhaltung van der Meer, The Full Motion System For CD-I (NB2), den Gegenstand der Erfindung nicht vorwegnimmt. Anhaltspunkte dafür, dass sie ihn für sich oder in Verbindung mit einer anderen Entgegenhaltung nahegelegt haben könnte, sind nicht hervorgetreten.

3.

Der Entwurf der ISO/IEC-Norm 13818-1 ("Information Technology - Generic Coding of Moving Pictures and Assiciated Audio: Systems, Recommendation H.222.0"; NK6) war jedenfalls am 13. November 1994 und damit vor dem Prioritätstag der Fachöffentlichkeit allgemein zugänglich. Dies hat die Befragung des gerichtlichen Sachverständigen, der selbst an der Entwicklung dieses Standards beteiligt war, zur Überzeugung des Senats ergeben. Demnach war die Erarbeitung des Standards der gesamten interessierten Fachöffentlichkeit ohne Einschränkungen zugänglich und innerhalb der interessierten Kreise bestand freier Zugang zu allen Dokumenten, darunter auch solchen wie der NK6.

Der Entwurf beschreibt Details des MPEG-2-Systemstandards. Es wird spezifiziert, wie Audio- und Video-Bitströme für die Übertragung zu einem Bitstrom gebündelt werden können. Dieser Standard sieht insbesondere eine Kodierung von Videobildsequenzen vor. In einem MPEG-2-Systems-Bitstrom können auch mehrere MPEG-2-Videobitströme transportiert werden (NK6 S. X: "The systems part of this recommendation ... addresses the combination of one or more elementary streams of video and audio, as well as other data, into a single or multiple streams which are suitable for storage or transmission", d.h.:

Der Systemteil dieser Empfehlung ... spricht die Vereinigung eines oder mehrerer Video- und Audio-Elementarströme sowie anderer Daten zu einem einzigen oder mehrfachen Strömen an, die zur Speicherung oder Übermittlung geeignet sind). Dabei ist es wesentliches Ziel, eine zeitliche Synchronisation der einzelnen Video- und Audioinformationen zwecks synchroner Darstellung am Empfänger zu erreichen. Video- und Audiodaten werden kodiert und somit in Bitströme umgewandelt. Die Bilder der Videosequenzen sind rechteckig, und es kann auch die Lage der beiden Bildsequenzen auf dem Bildschirm festgelegt werden. Dabei kann auch nur ein Einzelbild kodiert werden. Die Pixel, die das Gebiet eines Bilds bilden, werden einzeln kodiert. Die im Bitstrom kodierten Zeitstempel erlauben es dem Empfänger, eine auf alle Bitströme bezogene Zeitbasis zu berechnen, die eine synchrone Darstellung erlaubt.

Die kodierten Dateien definieren dabei jedenfalls potenziell auch ein graphisches Bild. Das ergibt sich daraus, dass das Bild (der MPEG-2-Standard hat in erster Linie bewegte Bilder im Auge) aus einzelnen Pixeln zusammengesetzt wird. Diese Art der Darstellung ermöglicht neben der Darstellung von photographischen Bildern auch die Darstellung von graphischen Bildern, selbst wenn man darunter - im Wesentlichen im Sinn der Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung - nicht die regellose Anordnung von Pixeln, sondern nur - wie etwa bei Raster- oder Vektorengraphiken - einem bestimmten Algorithmus folgende Darstellungen verstehen will, denn auch diese Graphiken lassen sich nicht anders als photographische Abbildungen durch einzelne Pixel darstellen.

Die kodierten Daten definieren auch ein graphisches Bild "innerhalb eines aktiven Videogebiets" (Merkmal 1.1.1). Dies folgt daraus, dass in Abschnitt 2.6.12 (S. 74 = S. 15 f. der Teilübersetzung) ein Hintergrundrasterdeskriptor ("target background grid descriptor") beschrieben wird, der für den Fall gedacht ist, dass der oder die dekodierten Videoströme nicht dazu bestimmt sind, den vollständigen Wiedergabebereich zu belegen. Der Hintergrundrasterdeskriptor wird verwendet, um ein Netz von Einheitspixeln ("grid of unit pixels") zu beschreiben, die auf den Wiedergabebereich projiziert werden. Mittels des Fensterdeskriptors ("video window descriptor") wird sodann der Ort auf diesem Netz definiert, an dem das linke obere Pixel des Wiedergabefensters (-rechtecks) wiedergegeben werden soll. Der Sachverständige leitet hieraus zu Recht ab, dass zwei Videosequenzen kodiert und mittels des MPEG-2-Bitstroms übertragen werden können, von denen einer eine im Hintergrund dargestellte Filmsequenz und der andere ein im Vordergrund dargestelltes Bild, das auch eine Graphik sein kann, kodieren könne.

Entgegen der Auffassung der Beklagten offenbart der MPEG-2-Systemstandard auch das Merkmal 3.1. Der Beklagten kann nämlich nicht darin beigetreten werden, dass - worauf die Beklagte indessen ihre diesbezügliche Argumentation aufgebaut hat - nach diesem Merkmal die Größen- und Lageinformation nur zusammen mit einer Nutzinformation ("payload") innerhalb eines freien Transportstroms (private data stream) übermittelt werden darf (s. oben unter I 3). Der MPEG-2-Systemstandard lehrt indessen bereits, dass mittels des Fensterdeskriptors Lage und Größe des (zweiten) Fensters definiert werden können. Er bietet mithin auch die Möglichkeit, kodierte Daten zu übertragen, die Größe und Lage des ein graphisches Bild wiedergebenden zweiten Fensters und damit Größe und Lage des graphischen Bilds selbst definieren.

Damit waren alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in seiner erteilten Fassung aus der NK6 bekannt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist daher nicht neu (Art. 54 Abs. 1, 2 EPÜ).

IV.

Mit den in der mündlichen Verhandlung verteidigten Patentansprüchen hat das Streitpatent hingegen Bestand.

2.

Mit dem zusätzlichen Merkmal kann dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht abgesprochen werden, dass er neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Art. 56 EPÜ).

Die modifizierte Merkmalsgruppe 3, nach der die kodierten Daten für jedes graphische Bild Größe und Lage des Gebiets umfassen, ist aus dem MPEG-2-Systemstandard nicht bekannt. Denn Größe und Lage des Fensters, das auch ein graphisches Bild aufnehmen kann, werden nicht durch die Videodaten, sondern durch die Systemdaten bestimmt, indem mittels des Fensterdeskriptors die Merkmale des Fensters, in dem die Filmsequenz oder das Bild gezeigt werden sollen, neu definiert werden. Nach Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung wird hingegen der betreffende Code für jedes Bild mit den dessen Pixel kodierenden Daten übertragen. Die Übertragung muss, da der Videodatenstrom des MPEG-2-Standards hierfür nicht geeignet ist, mit einem freien Datenstrom erfolgen, der nach dem Standard in den MPEG-2-Systems-Bitstrom eingebunden werden kann.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine solche technische Lehre für den Fachmann nahegelegen hat, sind bei der eingehenden Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nicht hervorgetreten. Da bei der erfindungsgemäßen Ausgestaltung Lage und Größe des graphischen Bildes für jedes Bild neu definiert werden, ist es etwa möglich, bei der Untertitelung eines Films die im Untertitel wiedergegebene Wortfolge dem jeweils Sprechenden räumlich zuzuordnen, oder Untertitel zu erzeugen, die kontinuierlich über den Bildschirm wandern. Um ausgehend von dem MPEG-2-Standard zu einer solchen Lösung zu gelangen, hätte der Fachmann den Fensterdeskriptor als geeignete Grundlage zur Darstellung von filmbegleitenden Graphiken wie Untertiteln und dergleichen ins Auge fassen und sodann den weiteren Schritt tun müssen, den Code für die Größen- und Lagedefinition des Fensters vom Systemstrom in den freien Datenstrom zu verlagern. Dazu ist eine Anregung nicht erkennbar. Es ist bereits fraglich, ob der Fachmann Veranlassung hatte, den Fensterdeskriptor überhaupt zur Darstellung von Untertiteln und dergleichen heranzuziehen. Der MPEG-2-Standard, der zur Kodierung, Übertragung und Dekodierung bewegter Bilder bestimmt war, war zwar, wie dargelegt, auch zur Darstellung von Untertiteln, Grafiken und dergleichen geeignet. Die von den MPEG-Standards ermöglichte Umstellung auf eine digitalisierte Datenübertragung mag es grundsätzlich nahegelegt haben, auch Untertitel und dergleichen als ohne weiteres pixelbasiert definierbare Bilder ins Auge zu fassen. Jedoch erforderte ein weiteres Fenster auf dem Wiedergabeschirm, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, grundsätzlich auch einen zweiten Dekoder auf der Empfängerseite und damit einen gewissen Aufwand, der dagegen sprechen konnte, die Nutzbarmachung der zur Verfügung stehenden "Fensterim-Fenster-Technik" für Untertitel in den Blick zu nehmen. Jedenfalls war die "Fensterim-Fenster-Technik" aber nicht für springende Untertitel ausgelegt, wie sie das Streitpatent in seiner verteidigten Fassung ermöglicht. Eine derartige wechselnde räumliche Zuordnung des Untertitelfensters kann mit dem Fensterdeskriptor zwar theoretisch auch realisiert werden. Die Fensterdefinition des Standards ist jedoch grundsätzlich auf eine gewisse Dauer ausgelegt, weshalb sie auch durch den Systemstrom und nicht durch den Videodatenstrom erfolgt. Von dieser Vorgabe musste sich der Fachmann lösen, um zu der erfindungsgemäßen Lehre zu gelangen, mit den das graphische Bild kodierenden Daten auch die Kodierung von Lage und Größe des Bilds zu übertragen.

3.

Für die nebengeordneten, beschränkten Patentansprüche 7, 13, 14 und 15 kann nichts anderes gelten. Die Patentanspruch 1 nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 6 und die Patentanspruch 7 nachgeordneten Patentansprüche 8 bis 11 werden, nachdem keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass ihrer Patentfähigkeit andere Gesichtspunkte entgegenstehen könnten, durch ihre Rückbeziehung getragen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. §§ 91 , 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. September 2009

Vorinstanz: BPatG, vom 15.06.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 Ni 38/03 (EU)