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BGH - Entscheidung vom 21.07.2009

EnVR 12/08

Normen:
EnWG § 23a Abs. 3
EnWG § 23a Abs. 4
EnWG § 118 Abs. 1b
StromNEV § 3 Abs. 1
StromNEV § 10

BGH, Beschluss vom 21.07.2009 - Aktenzeichen EnVR 12/08

DRsp Nr. 2009/21270

Zulässigkeit der Rückwirkung einer Entgeltgenehmigung für den Netzzugang; Berücksichtigung der Kosten sog. Verlustenergie bei der Festsetzung des Entgelts

1. Eine rückwirkende Entgeltgenehmigung ist zur Vermeidung einer Preisanpassung in sämtlichen Rechtsbeziehungen des Netzbetreibers mit den Stromversorgern durch § 23a Abs. 5 S. 1 EnWG i.V.m. § 118 Abs. 1b S. 2 EnWG a.F. untersagt. 2. Bei § 10 Abs. 1 S. 2 StromNEV handelt es sich nicht um eine abschließende Regelung, weshalb im Hinblick auf die Kosten der sogenannten Verlustenergie gesicherte Erkenntnisse über das Planjahr gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 Hs. 2 StromNEV berücksichtigt werden können.

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. Dezember 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens übertragen wird.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 216.453,83 EUR festgesetzt.

Normenkette:

EnWG § 23a Abs. 3 ; EnWG § 23a Abs. 4 ; EnWG § 118 Abs. 1b ; StromNEV § 3 Abs. 1; StromNEV § 10;

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz im Versorgungsgebiet der Stadt Erding, der Gemeinden Berglern, Eitting und Marzling sowie Teilen der Gemeinden Fraunberg, Langenbach und Wartenberg. Am 31. Oktober 2005 beantragte sie bei der Landesregulierungsbehörde die Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a EnWG . Mit Bescheid vom 31. Oktober 2006 genehmigte die Landesregulierungsbehörde - unter Ablehnung des weitergehenden Antrags - für den Zeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2007 niedrigere als die beantragten Höchstpreise. Sie begründete dies unter anderem mit einer Kürzung der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie und mit der vollen Berücksichtigung der kostenmindernden Zinserträge aus den im Übrigen mangels Nachweises der Betriebsnotwendigkeit gekürzten liquiden Mitteln.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid angeordnete Rückwirkung der Entgeltgenehmigung und gegen die Kürzung der Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie wendet. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Rückwirkung

Die Rechtsbeschwerde# ist im Hinblick auf die in dem Genehmigungsbescheid angeordnete Rückwirkung der Entgeltgenehmigung begründet.

a)

Das Beschwerdegericht hat die Zulässigkeit der Rückwirkung damit begründet, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Rückwirkung vorausgesetzt habe, weil nur so materiell rechtmäßige Zustände hätten hergestellt werden können. Die Verweisung in der Übergangsvorschrift des § 118 Abs. 1b Satz 2 EnWG (in der bis zum 31. Oktober 2008 geltenden Fassung) auf die entsprechende Geltung des § 23a Abs. 5 EnWG stehe einer Rückwirkung nicht entgegen, weil jene Norm keinen materiellen, sondern lediglich einen formellen Behaltensgrund statuiere.

b)

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Wie der Senat mit Beschluss vom 14. August 2008 ( KVR 27/07, RdE 2008, 334, Tz. 30 ff. - Stadtwerke Engen) im Einzelnen begründet hat, verbieten § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG i.V. mit § 118 Abs. 1b Satz 2 EnWG a.F. zur Vermeidung einer Preisanpassung in sämtlichen Rechtsbeziehungen des Netzbetreibers mit den Stromversorgern eine rückwirkende Entgeltgenehmigung. Vielmehr sind Mehrerlöse, die ein Netzbetreiber dadurch erzielt, dass er bis zur Genehmigung der Netzentgelte seine ursprünglichen Entgelte beibehalten hat, periodenübergreifend auszugleichen (Senat, Beschl. v. 14.8.2008 - KVR 39/07, RdE 2008, 323, Tz. 8 ff. - Vattenfall).

Entgegen der Rechtsbeschwerdeerwiderung hat die Antragstellerin eine rückwirkende Entgeltgenehmigung auch nicht beantragt (dazu Senat RdE 2008, 334, Tz. 32 - Stadtwerke Engen) oder hiermit auf andere Weise ihr Einverständnis erklärt. Soweit sie in ihrem Entgeltgenehmigungsantrag vom 31. Oktober 2005 eine Genehmigung zum 1. Mai 2006 erbeten hat, betraf dies ersichtlich einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt, weil die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Antragstellung aus objektiver Sicht - wie auch § 23a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 EnWG nahe legen - von einer Dauer des Genehmigungsverfahrens von höchstens sechs Monaten ausgehen durfte. Diese Sichtweise steht auch in Einklang mit ihrem späteren Schreiben vom 13. März 2006, in dem sie sich, sollte sich die Genehmigung nicht mehr bis zum 1. Mai 2006 durchführen lassen, auch mit einer späteren Genehmigung einverstanden erklärte. Soweit sie daher mit Schreiben vom 12. April 2006 einer rückwirkenden Genehmigung ausdrücklich widersprach, war hiermit - anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint - keine nachträgliche Einschränkung ihres Antrags verbunden, sondern lediglich eine nochmalige Klarstellung ihrer von Anfang an geäußerten Rechtsposition.

Die in dem Genehmigungsbescheid angeordnete Rückwirkung kann daher keinen Bestand haben. Der Bescheid vom 31. Oktober 2006 ist deshalb dahin abzuändern, dass die genehmigten Entgelte erst mit Zustellung des Bescheids der Landesregulierungsbehörde wirksam werden.

2. Verlustenergie

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist auch begründet, soweit sie sich gegen die Annahme des Beschwerdegerichts wendet, als Kosten der sogenannten Verlustenergie nach § 10 StromNEV seien ausschließlich die tatsächlichen Kosten des abgelaufenen Kalenderjahres anzusetzen, während gesicherte Erkenntnisse über das Planjahr i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StromNEV nicht berücksichtigt werden dürften.

a)

Das Beschwerdegericht hat dies damit begründet, dass die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 StromNEV eine abschließende Regelung darstelle, die § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StromNEV verdränge.

b)

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Wie der Senat mit Beschluss vom 14. August 2008 ( KVR 36/07, RdE 2008, 337 Tz. 9 ff. - Stadtwerke Trier) entschieden und im Einzelnen begründet hat, handelt es sich bei § 10 Abs. 1 Satz 2 StromNEV nicht um eine abschließende Regelung. Vielmehr verbleibt es bei der allgemeinen Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StromNEV, wonach die Berücksichtigung gesicherter Erkenntnisse über das Planjahr (dazu Senat , Beschl. v. 7.4.2009 - EnVR 6/08, Tz. 8 - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar) nicht ausgeschlossen ist.

Da das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht überprüft hat, inwieweit gesicherte Erkenntnisse über höhere Kosten von Verlustenergie bestanden haben, wird es diese Feststellungen nachzuholen haben.

3. Kostenmindernde Zinserträge

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Berücksichtigung der gesamten Zinserträge aus der Anlage liquider Mittel trotz deren Kürzung wendet.

Die Rechtsbeschwerde rügt, das Beschwerdegericht habe sich unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht mit dem Vorbringen der Antragstellerin befasst, die netzkostenmindernde Berücksichtigung sämtlicher mit den liquiden Mitteln erzielter Zinserträge bei gleichzeitiger pauschaler Kürzung der insgesamt vorhandenen liquiden Mittel auf 2/12 des Jahresumsatzes sei rechtswidrig.

Hiermit kann sie keinen Erfolg haben. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, aufgrund welchen Vortrags sich das Beschwerdegericht hätte veranlasst sehen sollen, auf diese Frage einzugehen und gegebenenfalls insoweit von Amts wegen zu ermitteln. Der Untersuchungsgrundsatz zwingt das Beschwerdegericht nicht, Feststellungen der Regulierungsbehörde, die im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen worden sind, von Amts wegen zu überprüfen (BGHZ 163, 296 , 300 m.w.N. - Arealnetz). Auch ein Verstoß gegen den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.

In dem mit der Beschwerde angefochtenen Genehmigungsbescheid hat die Landesregulierungsbehörde im Zusammenhang mit der Kürzung der von der Antragstellerin angesetzten liquiden Mittel eine anteilige Verminderung der Zinserträge abgelehnt, weil die Antragstellerin keine kostenverursachungsgerechte Zuordnung der Zinserträge vorgenommen habe. Dies ist von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen worden. Die Beschwerdebegründung enthält auf S. 54 zu der von ihr beanstandeten Kürzung der liquiden Mittel lediglich die Erklärung, die Kürzung stehe "in Widerspruch zu bilanzwirtschaftlichen Vorgaben, da die - in voller Höhe kostenmindernd angerechneten - Zinserträge mit den von der Beschwerdegegnerin letztlich zuerkannten liquiden Mitteln gar nicht hätten erwirtschaftet werden können". Dabei handelt es sich aber nur um ein Begründungselement im Rahmen ihrer Beanstandung der Kürzung ihrer liquiden Mittel, nicht jedoch um einen eigenständigen - hilfsweise zu führenden - Angriff gegen den vollen Ansatz der Zinserträge.

III.

Die Sache ist demnach an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens übertragen ist.

IV.

Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 216.453,83 EUR festgesetzt. Dies ist die Differenz zwischen den nach der Auffassung der Antragstellerin zu berücksichtigenden, im Rechtsbeschwerdeverfahren noch geltend gemachten Netzkosten und den von der Bundesnetzagentur anerkannten Netzkosten und entspricht dem Interesse der Antragstellerin (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V. mit § 3 ZPO ).

Vorinstanz: OLG München, vom 13.12.2007 - Vorinstanzaktenzeichen Kart 1/06