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BAG - Entscheidung vom 18.11.2009

5 AZR 41/09

Normen:
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1
ZPO § 84 S. 1
ZPO § 87
ZPO § 233
ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1
ZPO § 84 S. 1
ZPO § 87
ZPO § 233

Fundstellen:
AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 36
AuR 2010, 226
DB 2010, 400
NJW 2010, 1903
NZA 2010, 183

BAG, Urteil vom 18.11.2009 - Aktenzeichen 5 AZR 41/09

DRsp Nr. 2010/508

Rechtsfolgen widersprechender Prozesserklärungen; Zulässigkeit der Berufung nach Rücknahme durch einen von mehreren Prozessbevollmächtigten

1. Haben zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung eingelegt und nimmt einer von ihnen "die Berufung" ohne weitere Beschränkung zurück, bewirkt dies regelmäßig den Verlust des Rechtsmittels. 2. Gehen Rücknahmeerklärung und die Berufungsbegründungsschrift zeitgleich bei Gericht ein, sind diese einander widersprechenden Erklärungen wirkungslos geblieben. Zwar hat die Rücknahme der Berufung dann keine Rechtswirkung entfaltet, der Kläger hätte die Berufung aber auch nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils begründet.

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. September 2008 - 12 Sa 292/08 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Normenkette:

ArbGG § 66 Abs. 1 S. 1; ZPO § 84 S. 1; ZPO § 87 ; ZPO § 233 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist der D GmbH, der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers, am 1. Februar 2008 zugestellt worden. Am 27. Februar 2008 hat Rechtsanwalt H mit der Formulierung: "In vorstehender Sache lege ich als Prozessbevollmächtigter des Klägers", Berufung eingelegt. Am 3. März 2008 hat die D GmbH ebenfalls Berufung eingelegt. Am 31. März 2008 hat die D GmbH "die Berufung" zurückgenommen. Am selben Tag ist beim Landesarbeitsgericht eine Berufungsbegründungsschrift des Rechtsanwalts H eingegangen. Am 14. April 2008 hat Rechtsanwalt H Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufungsbegründungsschrift erneut eingereicht.

Der Kläger hat geltend gemacht, mit Schreiben vom 13. März 2008 habe er das Mandat der D GmbH gekündigt. Mit der Einlegung der Berufung durch Rechtsanwalt H "als Prozessbevollmächtigter des Klägers" sei zugleich der Widerruf der Vollmacht der D GmbH angezeigt worden. Die Berufungsrücknahme durch die D GmbH sei unvorhersehbar erfolgt, so dass zumindest dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entsprechen sei.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.

I. Der Kläger hat entweder die Berufungsfrist oder die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Dies hängt von den jeweiligen Zeitpunkten des Eingangs der Berufungsbegründungsschrift und der Rücknahme der Berufung ab, die vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden sind.

1. Der Kläger hat rechtzeitig am 27. Februar und 3. März 2008 Berufung einlegen lassen (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ). Hierbei handelte es sich um dasselbe Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden war (vgl. BAG 13. September 1972 - 2 AZB 32/71 - BAGE 24, 432; BGH 29. Juni 1966 - VI ZR 86/65 - BGHZ 45, 380, 383; 15. Oktober 1992 - I ZB 8/92 - NJW 1993, 269 ; 20. September 1993 - II ZB 10/93 - WM 1993, 2141 ; 2. Juli 1996 - IX ZB 53/96 - NJW 1996, 2659 ; 15. Februar 2005 - XI ZR 171/04 - MDR 2005, 824 ).

2. Ist die Rücknahmeerklärung der D GmbH am 31. März 2008 vor oder nach der Berufungsbegründungsschrift des Rechtsanwalts H beim Landesarbeitsgericht eingegangen, ist die Rücknahme der Berufung wirksam geworden.

a) Haben zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung eingelegt und nimmt einer von ihnen "die Berufung" ohne weitere Beschränkung zurück, bewirkt dies regelmäßig den Verlust des Rechtsmittels (vgl. BGH 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06 - Rn. 25 - 27 mwN, NJW 2007, 3640 ). Der Schriftsatz der D GmbH bezog sich auf das anhängige Rechtsmittel ("in dem Rechtsstreit ... nehmen wir die Berufung zurück") und nicht etwa nur auf die von der D GmbH selbst abgegebene Prozesserklärung. Ein anderer objektiver Erklärungsinhalt ergibt sich auch nicht aus den Umständen der Erklärung.

b) Die der D GmbH erteilte Prozessvollmacht war im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung nicht widerrufen. Für den Widerruf der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten gilt § 87 ZPO sinngemäß. Danach muss gegenüber dem Gericht in eindeutiger Form angezeigt werden, dass eine Prozessvollmacht erloschen ist. Die Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten für sich allein enthält nicht den Widerruf der Bestellung des früheren Prozessbevollmächtigten (vgl. BGH 21. Mai 1980 - IVb ZB 567/80 - NJW 1980, 2309, 2310). Wegen der Möglichkeit, gem. § 84 Satz 1 ZPO mehrere Bevollmächtigte zur Vertretung der Partei zu ermächtigen, enthält die Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten nur dann zugleich den Widerruf der Bestellung eines früheren Bevollmächtigten, wenn zum Ausdruck kommt, dass der weitere Bevollmächtigte anstelle des bisherigen bestellt werden soll. Das ist im Streitfall nicht geschehen. Rechtsanwalt H hat bei Einreichung der von ihm verfassten Berufungsschrift nicht auf seine alleinige Vertretungsmacht hingewiesen.

3. Sollten die Rücknahmeerklärung und die Berufungsbegründungsschrift zeitgleich am 31. März 2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen sein, sind diese einander widersprechenden Erklärungen wirkungslos geblieben (vgl. OLG München 26. April 2006 - 34 Wx 168/05 - ZMR 2006, 714 ; MünchKommZPO/von Mettenheim 3. Aufl. § 84 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 84 Rn. 2; Wieczorek/Schütze/Steiner ZPO 3. Aufl. § 84 Rn. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 84 Rn. 3). Dann entfaltete die Rücknahme der Berufung zwar keine Rechtswirkung, der Kläger hätte die Berufung aber auch nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ).

II. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 46 Abs. 2 ArbGG , §§ 234 , 236 ZPO zulässig, aber unbegründet. Der Kläger war nicht ohne eigenes oder ein ihm zuzurechnendes Verschulden seiner beiden Prozessbevollmächtigten an der Wahrung der Berufungs- bzw. Berufungsbegründungsfrist gehindert (§ 233 ZPO ).

Die Widersprüchlichkeit der Erklärungen beruhte auf der fehlerhaften Abstimmung der Prozessbevollmächtigten und konnte sich nur deshalb auswirken, weil weder der Kläger noch seine Prozessbevollmächtigten das Erlöschen der Vollmacht der D GmbH rechtzeitig gegenüber dem Landesarbeitsgericht angezeigt hatten. Die Rücknahme der Berufung durch die D GmbH muss sich der Kläger selbst dann zurechnen lassen, wenn diese weisungswidrig erfolgt sein sollte und ihm die Rücknahme zunächst nicht bekannt war. Nimmt ein Prozessbevollmächtigter die Berufung ohne oder entgegen einer Weisung des Mandanten zurück, kann für eine erneute, aber verspätet eingelegte Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (BGH 16. Mai 1991 - III ZB 1/91 - NJW 1991, 2839 ; 2. April 1998 - V ZB 6/98 - NJW-RR 1998, 1446 ; 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06 - NJW 2007, 3640 ). Das Risiko, dass mehrere Prozessbevollmächtigte widersprüchlich handeln, hat allein die Partei zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LAG Frankfurt/Main, vom 30.09.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 12 Sa 292/08
Vorinstanz: ArbG Frankfurt/Main, vom 24.01.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 19 Ca 8536/07
Fundstellen
AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 36
AuR 2010, 226
DB 2010, 400
NJW 2010, 1903
NZA 2010, 183