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BGH - Entscheidung vom 15.04.2008

4 StR 42/08

Normen:
StGB § 249 Abs. 1

Fundstellen:
JuS 2008, 741

BGH, Urteil vom 15.04.2008 - Aktenzeichen 4 StR 42/08

DRsp Nr. 2008/10910

Wegnahmeentschluss nach der Gewaltanwendung

Die Anwendung des Raubtatbestandes scheidet aus, wenn der Täter den Wegnahmeentschluss erst zu einem Zeitpunkt fasst, in dem die aus anderen Gründen verübte Gewaltanwendung selbst nicht mehr andauert, sondern allenfalls noch in der Weise fortwirkt, dass sich das Opfer im Zustand allgemeiner Einschüchterung befindet.

Normenkette:

StGB § 249 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten L. der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl mit Waffen, "Verstoß gegen das Waffengesetz " und Bedrohung für schuldig befunden und ihn zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Den Angeklagten U. hat es wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 19. September 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten H. hat es wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verhängt. Den Angeklagten M. hat es wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Diebstahl einer geringwertigen Sache und wegen "Verstoßes gegen das Waffengesetz " zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der erkannten Strafen hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sie beanstandet insbesondere, dass die Angeklagten nicht jeweils auch wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes verurteilt worden sind. Dagegen greift die Beschwerdeführerin - wie der Senat der Revisionsbegründung entnimmt - die Verurteilung des Angeklagten M. nicht an, soweit das Landgericht ihn wegen des Waffendelikts zu der Einzelstrafe von 70 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt hat. Im Umfang der Anfechtung haben die - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Rechtsmittel Erfolg.

1. Nach den Feststellungen verdächtigten die Angeklagten den später geschädigten B., bei dem Angeklagten H. eingebrochen und dabei dessen Laptop sowie einen dem Angeklagten M. gehörenden Arbeitsspeicher entwendet zu haben. Allerdings waren sie sich nicht sicher, dass B. den Diebstahl verübt hatte, zumal ihr "Informant keineswegs eine sichere Quelle" war. In der Tatnacht suchten sie deshalb B. in seiner Wohnung auf. Während der Fahrt dorthin reichte der Angeklagte M. seine geladene Schreckschusspistole Walter P 99 an den Angeklagten L. weiter; beide Angeklagten waren nicht im Besitz des sog. kleinen Waffenscheins. Sogleich nach Betreten der Wohnung bezichtigten sie B. des Diebstahls und forderten ihn auf, sofort 10.000 Euro "oder ein bisschen was" herauszugeben. Der Angeklagte L. hielt ihm dabei die Pistole an den Kopf. Er und die Angeklagten U. und H. schlugen mit den Fäusten auf den Geschädigten ein. Auf dessen Bitte ließen die Angeklagten zu, dass der heftig blutende Geschädigte sich im Badezimmer waschen konnte, wohin ihn der Angeklagte U. begleitete. Während "der gesamten Einwirkung" öffnete der Angeklagte M. Schränke und Schubladen in der Wohnung des Geschädigten, ohne dabei etwas Brauchbares zu finden. Als der Angeklagte U. sich mit dem Geschädigten noch im Badezimmer befand, nahm der Angeklagte L. ein Mobiltelefon des Geschädigten an sich und steckte es ein. Zudem begannen er und die Angeklagten M. und H. damit, den PC des Geschädigten abzubauen und zum Abtransport bereitzustellen. B. bemerkte dies bei seiner Rückkehr ins Wohnzimmer; er ergriff eine Eisenstange und erklärte, die Angeklagten könnten alles mitnehmen, nur nicht seinen Rechner. Daraufhin stürzten sich die Angeklagten auf ihn, nahmen ihm die Eisenstange ab und verbrachten ihn erneut auf die Couch, wobei Möbel umgeworfen wurden und in der Wohnung weiterer Sachschaden entstand. Aus Enttäuschung darüber, dass man nichts gefunden hatte, trat der Angeklagte H. kräftig mit dem Fuß gegen den PC, wodurch dieser erheblich beschädigt wurde. Unmittelbar bevor die Angeklagten die Wohnung verließen, nahmen die Angeklagten L. und M. noch einige PC-Zubehörteile an sich, was zumindest der Angeklagte U. mitbekam. Beim Weggehen äußerte der Angeklagte L. gegenüber dem Geschädigten noch: "Es ist mir egal, ob du es warst oder nicht, finde heraus, wer das war, wir finden dich, solange du hier wohnst", und hielt ihm dabei die Pistole unmittelbar vor das Gesicht.

2. Das Urteil hat bezüglich aller vier Angeklagten deshalb keinen Bestand, weil es dem Senat nicht die Nachprüfung erlaubt, ob das Gericht zu Recht eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen (tateinheitlich verwirklichten) vollendeten schweren Raubes ausgeschlossen hat. Das Landgericht hat gemeint, für einen dahingehenden Schuldspruch fehle es bereits an einer finalen Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahmehandlung durch die Angeklagten L. und M.. Vielmehr sei die Gewaltanwendung beendet gewesen, als der Geschädigte sich im Bad das Blut abwaschen durfte; die Anwendung der Gewalt habe danach auch nicht als Drohung mit Gewalt fortgewirkt. Hinsichtlich der Angeklagten U. und H. komme hinzu, dass bei ihnen eine täterschaftliche Begehung des Raubes schon daran scheitere, dass sie nicht selbst mit Zueignungsabsicht gehandelt hätten.

Letztere Überlegung ist schon deshalb verfehlt, weil sie nicht die Rechtsänderung seit dem am 1. April 1998 in Kraft getretenen 6. Strafrechtsreformgesetz berücksichtigt, wonach bei den Eigentumsdelikten auch die Drittzueignung ("sich oder einem Dritten"; §§ 242 , 249 StGB ) erfasst wird.

Auch im Übrigen hält die rechtliche Beurteilung der Nachprüfung nicht stand. Zwar ist das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Anwendung des Raubtatbestandes ausscheidet, wenn der Täter den Wegnahmeentschluss erst zu einem Zeitpunkt fasst, in dem die aus anderen Gründen verübte Gewaltanwendung selbst nicht mehr andauert, sondern allenfalls noch in der Weise fortwirkt, dass sich das Opfer im Zustand allgemeiner Einschüchterung befindet (BGH NStZ 1982, 380 ; NStZ 1999, 510 ; NStZ-RR 1997, 298 ; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3). Das Landgericht hat aber bei seiner Annahme, die Angeklagten L. und M. hätten "allenfalls gelegentlich" der vorangegangenen, allein dem Versuch der Abpressung von "Schadensersatz" dienenden Gewaltanwendung die Gegenstände an sich genommen, die näheren Umstände des Tatgeschehens nicht hinreichend bedacht. Denn danach durfte der Geschädigte, nachdem er von den Angeklagten U., L. und H. verprügelt worden war, das Badezimmer nur in Begleitung des Angeklagten U. aufsuchen. Anschließend überwältigten ihn die Angeklagten, als er sich gegen den Abtransport seines Computers zur Wehr setzte, und zwangen ihn auf die Couch, von wo er das weitere Vorgehen der Angeklagten mit ansehen musste. Hiernach liegt es nahe, dass der Geschädigte die Wegnahme nur unter dem Eindruck der Gewalttätigkeit der Angeklagten duldete und die Angeklagten dies auch ausnutzten.

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

Davon abgesehen, könnte der den Angeklagten U. betreffende Strafausspruch - was der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen hat (§ 301 StPO ) - auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe keine Strafe in dieser Sache festgesetzt hat (vgl. UA 24) und auch die Mitteilung fehlt, welche jetzt einbezogene Strafe das Amtsgericht Neustrelitz gegen ihn in dem Urteil vom 19. September 2006 verhängt hat.

4. Für das weitere Verfahren verweist der Senat vorsorglich auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.

Vorinstanz: LG Neubrandenburg, vom 23.05.2007
Fundstellen
JuS 2008, 741