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BGH - Entscheidung vom 03.12.2008

2 StR 435/08

Normen:
StGB § 46 Abs. 3
StGB § 57a Abs. 1
StGB § 176 Abs. 1
StGB § 176 Abs. 3
StGB § 211
StPO § 170 Abs. 2

Fundstellen:
BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 24
NStZ 2009, 260
NStZ-RR 2009, 103

BGH, Urteil vom 03.12.2008 - Aktenzeichen 2 StR 435/08

DRsp Nr. 2009/1979

Voraussetzungen der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld i.R.e. Verdeckungsmordes; Anforderungen an eine objektive Darlegung der schriftlichen Gründe eines Strafurteils

1. Die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld setzt voraus, dass das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, dass eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Täterprognose unangemessen wäre. 2. Allein aus dem Umstand, dass dem Tatopfer eine zur Tötung verwendete Schnur mehrmals um den Hals gelegt worden ist, lässt sich nicht ohne Weiteres der Vorwurf besonders großer krimineller Energie ableiten. 3. Ein besonderer schulderschwerender Gesichtspunkt kann sich bei einem Verdeckungsmord nicht aus Handlungen ergeben, die nicht über Maßnahmen der Sicherung und Verschleierung hinausgehen.

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 31. März 2008 im Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StGB § 46 Abs. 3 ; StGB § 57a Abs. 1 ; StGB § 176 Abs. 1 ; StGB § 176 Abs. 3 ; StGB § 211 ; StPO § 170 Abs. 2 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Ausspruchs besonders schwerer Schuld; im Übrigen ist sie unbegründet.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts veranlasste der Angeklagte am Abend des 5. Juni 1987 die damals 5jährige T. K., die sich besuchsweise bei einer Familie im 4. Stockwerk des Hauses aufhielt, dessen Erdgeschosswohnung der Angeklagte bewohnte, auf unbekannte Weise dazu, seine Wohnung zu betreten. Dort knebelte der Angeklagte das Kind und entkleidete es teilweise, um sexuelle Handlungen an ihm zu begehen. Hierbei drang er auch mit einem Finger oder einem Gegenstand in die Scheide des Mädchens ein. Als kurz darauf im Haus und der näheren Umgebung nach dem Kind gerufen und gesucht wurde, entschloss sich der Angeklagte, die Geschädigte zu töten, um den vorangegangenen sexuellen Missbrauch zu verdecken. Er erdrosselte das Kind mit einer um den Hals gelegten Paketschnur. Im Laufe der Nacht schaffte er die Leiche, die er in einem Wäschekorb verborgen hatte, trotz der inzwischen angelaufenen Suchaktion von Polizei und Feuerwehr aus der Wohnung zu seinem Gartenhaus in einer Kleingartenanlage; von dort trug er sie zum nahe gelegenen Neckar und warf sie in der Nähe einer Schleuse in einen Kanal. Dort wurde die Leiche am 14. Juni 1987 gefunden.

Der Angeklagte wurde zunächst als Zeuge befragt und am 20. Juni 1987 als Beschuldigter vernommen; das Verfahren gegen ihn wurde 1990 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Oktober 2006 wurde es wieder aufgenommen, nachdem neue DNA-Untersuchungen des Spurenmaterials an dem zur Knebelung verwendeten Heftpflaster sowie an der Kleidung des Tatopfers und neue Untersuchungen der aufgefundenen Faserspuren durchgeführt worden waren.

2.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, wesentlich auf die Ergebnisse der Sachverständigengutachten zu den am Opfer sowie in den Räumlichkeiten des Angeklagten aufgefundenen DNA- und Faserspuren gestützt. Das Tötungsmotiv der Verdeckungsabsicht hat das Landgericht im Wesentlichen aus den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitet; danach war das Tatopfer vor der Tötung sexuell missbraucht und geknebelt worden (UA S. 32).

Neben der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gem. § 211 StGB hat das Landgericht die besondere Schwere der Schuld gem. § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB festgestellt. Die zugrunde liegende Abwägung hat der Tatrichter auf folgende Erwägungen gestützt:

Für den Angeklagten spreche, dass er nicht vorbestraft sei, dass besondere Haftempfindlichkeit wegen seines Alters von nunmehr 64 Jahren bestehe und dass die Tat schon mehr als 20 Jahre zurückliege. Gegen ihn spreche, das dem Verdeckungsmord eine sehr schwerwiegende Anlasstat, nämlich der (verjährte) sexuelle Missbrauch gem. § 176 Abs. 1 und 3 a.F. StGB zugrunde gelegen habe; dass er mit großer krimineller Energie vorgegangen sei, da er das Opfer geknebelt habe; dass die Tatausführung besonders brutal gewesen sei, "indem der Angeklagte der kleinen T. die Paketschnur insgesamt achtmal um den kleinen Hals gewickelt hatte und erbarmungslos mit ganzer Kraft zuzog, bis das Mädchen erstickt war" (UA S. 37); schließlich das Nachtatverhalten, in dem erhebliche kriminelle Energie zum Ausdruck komme, "indem er die Leiche des Mädchens fest verpackte und verschnürte, damit er sie in einem Wäschekorb unbemerkt aus seiner Wohnung transportieren konnte, um sie anschließend im Neckarkanal zu versenken" (UA S. 37 f.).

3.

Der Schuldspruch und der Strafausspruch sind rechtsfehlerfrei. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt schon in seiner Zuschrift an den Senat dargelegten Gründen unzulässig; sie wären auch in der Sache offensichtlich unbegründet. Auch die Sachrüge hat insoweit keinen Erfolg; die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler nicht auf.

4.

Dagegen hält die Feststellung besonderer Schwere der Schuld der rechtlichen Prüfung nicht stand. Eine solche Feststellung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, dass eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Täterprognose unangemessen wäre (BGHSt 39, 121 , 122 ; vgl. auch BGHSt 40, 360 , 370 ; BGH, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 6). Ein solches über die Erfüllung des Mordtatbestands wesentlich hinausgehendes Maß von Tatschuld ist nach den bisherigen Feststellungen auch unter Berücksichtigung des Umstands nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass dem Revisionsgericht nur ein eingeschränkter Überprüfungsrahmen eröffnet ist (vgl. BGHSt 41, 57 , 62) .

Aus dem Umstand, dass dem Tatopfer die zur Tötung verwendete Schnur mehrmals um den Hals gelegt war, lässt sich der Vorwurf besonders großer krimineller Energie nicht ohne Weiteres ableiten. Die Erwägung, der Angeklagte habe "erbarmungslos mit ganzer Kraft zugezogen, bis das Mädchen erstickt war" (UA S. 37), begegnet im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Bedenken (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 296 ; Fischer StGB 55. Aufl. § 57a Rdn. 11). Es ist damit nicht mehr beschrieben als die Erfüllung des Tatbestands mit direktem Vorsatz. Ein besonderer schulderschwerender Gesichtspunkt ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte die Leiche des Kindes aus seiner Wohnung fortschaffte und in dem Kanal versenkte, um eine Entdeckung zu verhindern. Er ist insoweit nicht über Maßnahmen der Sicherung und Verschleierung hinausgegangen. Im Hinblick auf die zugunsten des Angeklagten angeführten Umstände, namentlich auch sein Lebensalter und den sich daraus ergebenden frühestmöglichen Aussetzungszeitpunkt gem. § 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB , sind das Gewicht der durch die Tötung verdeckten Missbrauchstat, zu welcher Einzelheiten nicht festgestellt werden konnten, und der Umstand, dass das Tatopfer geknebelt wurde, für sich allein zur Begründung besonders schwerer Schuld nicht ausreichend. Der Ausspruch war daher aufzuheben.

5.

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

Die schriftlichen Gründe eines Strafurteils sollten, namentlich auch bei der Schilderung des Tatgeschehens, um eine sachliche und objektive Darstellung bemüht sein. Ein literarischer oder journalistischer Stil der Darstellung ist möglichst zu vermeiden (vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl. Rdn. 240). Gefühlsbetonte oder moralisch wertende Beschreibungen sollten unterbleiben, denn sie können den Anschein nahe legen, das Gericht habe das Urteil nicht in ruhiger und sachlicher Erwägung gefunden, sondern sich auch von Emotionen oder Empörung leiten lassen.

Vermieden werden sollten Wiedergaben mutmaßlicher Gedanken oder Motivationen von Tatbeteiligten, die den Eindruck von (direkten oder indirekten) Zitaten erwecken. Sie beruhen auf Spekulationen, wenn sie sich nicht ausnahmsweise auf glaubhafte Aussagen stützen können, und sind auch dann für die Feststellung des Geschehens in der Regel überflüssig. Der Angeklagte hat die Tat bestritten; Zeugen des Tatgeschehens gab es nicht. Daher ist die Feststellung: "Für ihn war sie das ideale Sexualobjekt" (UA S. 6), ersichtlich spekulativ; ebenso die Formulierung seiner angeblichen Erwägung: "An ihr würde er seine aufgestauten Triebe hemmungslos abreagieren können", sowie die Feststellung: "Als die kleine T. nun erneut an seiner Wohnung vorbei...ging, erkannte der Angeklagte sofort, dass sich ihm jetzt die günstige Gelegenheit bot, seine sexuellen Phantasien in die Tat umzusetzen" (UA S. 6). Feststellungen solcher Art, die sich aus den verwerteten Beweismitteln nicht ergeben konnten, sind überflüssig und gefährden wegen ihres spekulativen Charakters den Bestand des Urteils.

Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 31.03.2008
Fundstellen
BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 24
NStZ 2009, 260
NStZ-RR 2009, 103