Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 17.09.2008

III ZB 22/08

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2 § 233 § 517

BGH, Beschluß vom 17.09.2008 - Aktenzeichen III ZB 22/08

DRsp Nr. 2008/18900

Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes durch ein unzuständiges Gericht

Geht der - an das Berufungsgericht zu adressierende - Berufungsschriftsatz vor Ablauf der Berufungsfrist bei dem vorbefassten Gericht ein, so ist dieses aufgrund nachwirkender Fürsorgepflicht gehalten, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Auf die Weiterleitung darf die betreffende Prozesspartei aber nicht an einem arbeitsfreien Tag, der zwar kein gesetzlicher Feiertag ist (hier: Heilig Abend), vertrauen.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 § 233 § 517 ;

Gründe:

I. Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 4.173 EUR an die Klägerin. Die Entscheidung wurde seinem Prozessbevollmächtigten am 22. November 2007 zugestellt. Dieser legte mit an das Landgericht Hannover - Berufungskammer - gerichtetem Schriftsatz von Samstag, dem 22. Dezember 2007, im Auftrag des Beklagten Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ein. Infolge eines Eingabefehlers wurde der Schriftsatz jedoch per Telefax nicht an das Land-, sondern an das Amtsgericht Hannover versandt, wo er am 22. Dezember 2007 einging. Montag, der 24. Dezember 2007 war beim Amtsgericht dienstfrei. Deshalb blieb der Schriftsatz dort liegen und wurde erst nach den Weihnachtsfeiertagen am 27. Dezember 2007 an das Landgericht Hannover weitergeleitet, wo er am selben Tage einging.

Nachdem der Vorsitzende der Berufungskammer den Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Verfügung vom 8. Januar 2008 auf die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels hingewiesen hatte, hat dieser am 18. Januar 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die Berufung erneut eingelegt und zugleich begründet.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2008 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und seine Berufung gegen das angefochtene Urteil verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Allerdings ist das Rechtsmittel im Übrigen nicht zulässig. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO ).

Insbesondere ist dem Beklagten durch die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags und die Verwerfung seiner Berufung nicht der Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 29. April 2004 - III ZB 72/03 - BGH-Report 2004, 1102, 1103; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 367 , 368 m.w.N.).

1. Der Beklagte hat, wie er nicht in Abrede stellt, die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO ) versäumt, da die Berufungsschrift auch unter Berücksichtigung von § 222 Abs. 2 ZPO erst nach Ablauf dieses Zeitraums beim Berufungsgericht einging.

2. Entgegen der Auffassung des Beklagten war ihm auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Eine Partei kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlangen, wenn sie ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO ).

a) Wie die Beschwerde selbst nicht in Zweifel zieht, beruht die versehentliche Übersendung des Berufungsschriftsatzes an das Amts- statt an das Landgericht auf einem dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten.

b) Der zur Versäumung der Berufungsfrist führende Kausalverlauf ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch einen Fehler der Justizbehörden unterbrochen worden (vgl. hierzu z.B. BVerfGE 93, 99 , 115 f.; BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03 - NJW-RR 2004, 1655 , 1656). Zwar ist das vorbefasste Gericht aufgrund der einem Verfahren nachwirkenden Fürsorgepflicht gehalten, einen vor Fristablauf bei ihm eingehenden, aber ersichtlich für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz an dieses weiterzuleiten. Wird eine Rechtsmittelfrist versäumt, obwohl der Schriftsatz so zeitig bei dem vorbefassten unzuständigen Gericht einging, dass die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht noch ohne weiteres erwartet werden konnte, hat dieses auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BVerfGE aaO., S. 114 ff.; BVerfG NJW 2005, 2137 , 2138; BGH aaO.). Jedoch darf sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung bei gerichtlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur an dem Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 aaO. und Beschluss vom 5. Oktober 2005 - VIII ZB 125/04 - NJW 2005, 3776 , 3777). Aus diesem Grunde ist das unzuständige Gericht, bei dem fehlerhaft ein Rechtsmittelschriftsatz eingegangen ist, nur gehalten, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten (BVerfG NJW 2005 aaO.; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2005 aaO. und Beschluss vom 15. Juni 2004 aaO.).

Hiernach war das Amtsgericht Hannover nicht verpflichtet, die Berufungsschrift noch am 24. Dezember 2007 an das Landgericht weiterzuleiten, und der Prozessbevollmächtigte des Beklagten durfte hierauf nicht vertrauen. Eine solche Maßnahme hätte außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs gelegen, da der 24. Dezember 2007 ein arbeitsfreier Tag war. Auch wenn der 24. Dezember kein gesetzlicher Feiertag ist, ist er nach § 2 Abs. 3 der Niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten vom 6. Dezember 1996 ( Arbeitszeitverordnung - GVBl. S. 476) und gemäß § 6 Abs. 3 Tv-L dienst- beziehungsweise arbeitsfrei. Auf diese Regelungen musste das Amtsgericht seine Geschäftsorganisation einrichten. Auch der Prozessbevollmächtigte des Beklagten konnte und musste sich hierauf einstellen.

Vorinstanz: LG Hannover, vom 18.02.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 8 S 94/07
Vorinstanz: AG Hannover, vom 14.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 512 C 8825/07