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BGH - Entscheidung vom 30.04.2008

2 StR 82/08

Normen:
StPO § 244 Abs. 2 § 261

BGH, Beschluß vom 30.04.2008 - Aktenzeichen 2 StR 82/08

DRsp Nr. 2008/11498

Rüge der Aktenwidrigkeit des Urteils; Beweiswürdigung bei Flucht des Angeklagten

1. Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind revisionsrechtlich unerheblich, wenn sie sich nicht aus dem Urteil selbst ergeben. 2. Da sich auch ein Unschuldiger einem Strafverfahren mit einem für ihn ungewissen Ausgang entziehen kann, lässt die Flucht eines Angeklagten regelmäßig keinen tragfähigen Schluss darauf zu, was sich wirklich ereignet hat.

Normenkette:

StPO § 244 Abs. 2 § 261 ;

Gründe:

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 5. März 2008 bemerkt der Senat:

1. Die Rüge, die Kammer habe die von seinem Verteidiger für den Angeklagten am 10. Oktober 2006 abgegebene schriftliche Einlassung im Urteil verwertet, obwohl sie nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, bleibt ohne Erfolg.

Unbeschadet der in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts geäußerten Bedenken gegen ihre Zulässigkeit beruht das Urteil jedenfalls insoweit nicht auf einem etwaigen Verfahrensverstoß gegen § 261 StPO . Soweit das Landgericht in den Urteilsgründen (UA S. 15 Absatz 3 und S. 16 Absatz 1) die schriftliche Erklärung des Angeklagten vom 10. Oktober 2006 mitteilt und auf sich daraus ergebende Widersprüche zu seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. M. abstellt, handelt es sich um Einlassungen zum Tatvorwurf, die auch Bestandteil der in der Hauptverhandlung am 4. September 2007 von seinem Verteidiger verlesenen und vom Angeklagten bestätigten schriftlichen Erklärung zur Anklage vom 30. August 2007 sind. Soweit die Kammer (UA S. 16 Abs. 2) sich weiter bei ihrer Würdigung vor allem damit auseinander setzt, in der "ersten Einlassung" vom 10. Oktober 2006 habe der Angeklagte noch angegeben, eine Person "definitiv nicht gesehen" und dennoch das Messer geöffnet zu haben, um sich gegen einen etwaigen Angriff der unbekannten Person zu wehren, sind diese Angaben gleichermaßen in der in der Hauptverhandlung von ihm bestätigten Erklärung enthalten.

In diesem Zusammenhang dringt die Revision ebenso wenig mit ihrer Rüge durch, das Landgericht sei unter Verstoß gegen § 261 StPO und zugleich gegen die Gebote des sachlichen Rechts nicht auf das Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung eingegangen, obwohl der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung zur Sache geäußert habe. Auch unter diesem Blickwinkel beruht das Urteil nicht auf dem gerügten Verstoß. Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen mit der schriftlichen Erklärung vom 10. Oktober 2006 sowie mit der Einlassung des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen Dr. M. befasst, die zusammen genommen die in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten bestätigte Erklärung zum Tatvorwurf vom 30. August 2007 inhaltlich abdecken.

2. Die Revision kann nicht mit der Verfahrensrüge gehört werden, die Kammer habe es unter Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO versäumt, Beweis über die polizeilichen Aussagen des Zeugen Mo. vom 9. September 2006 durch Vernehmung des Zeugen KOK K. zu erheben. Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH revisionsrechtlich unerheblich, wenn sie sich nicht aus dem Urteil selbst ergeben (BGH NStZ 1992, 506 ). Ergibt sich der Widerspruch nicht aus dem Urteil selbst, so läuft die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO vielmehr auf die unzulässige Rüge der Aktenwidrigkeit hinaus (vgl. BGH NStZ 1995, 27, 28). So verhält es sich hier. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Widersprüche können in der Hauptverhandlung mit dem Zeugen Mo. unter Vorhalten, insbesondere der Augenscheinseinnahme des Videos vom Tatabend, erörtert und ausgeräumt worden sein.

Entgegen der Auffassung der Revision liegt in dem Schweigen der Urteilsgründe zu dem geltend gemachten Widerspruch auch keine Verletzung der sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung. Denn der Tatrichter ist nur gehalten, die zum Zeitpunkt der Urteilsfällung wesentlichen beweiserheblichen Umstände in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. BGH aaO.). Der Widerspruch zu Bekundungen eines Zeugen im Ermittlungsverfahren kann aber durch seine Aussage in der Hauptverhandlung oder durch sonstige Beweismittel so zweifelsfrei gelöst sein, dass kein Anlass für seine Darlegung in den Urteilsgründen mehr bestand (vgl. BGH StV 1992, 550 ).

3. Die Strafkammer hat bei ihrer Überzeugung, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, rechtsfehlerfrei auf die Gefährlichkeit des mit voller Wucht aus nächster Nähe in den Schulter-Hals-Kopf-Bereich gesetzten Messerstiches abgestellt und deshalb sogar erwogen, dass der Angeklagte gezielt und mit direktem Tötungsvorsatz zugestoßen hat (UA S. 25). Zwar ist die zusätzliche Überlegung, gegen ein "unvorhergesehenes und unvorsehbares Versehen" spreche auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, der nach der Tat floh und sich über längere Zeit verborgen hielt, bevor er sich stellte, nicht rechtsbedenkenfrei. Denn auch ein Unschuldiger kann sich einem Strafverfahren mit einem für ihn ungewissen Ausgang entziehen wollen, weshalb die Flucht eines Angeklagten regelmäßig keinen tragfähigen Schluss darauf zulässt, was sich wirklich ereignet hat (vgl. Senat BGH NStZ-RR 2008, 147 ).

Auf dieser Erwägung beruht das Urteil jedoch nicht. Der Senat kann unter den gegebenen Umständen sicher ausschließen, dass die Kammer ohne die Berücksichtigung des Nachtatverhaltens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Angesichts der sich auf das unmittelbare Tatgeschehen beziehenden Hauptargumente des Landgerichts handelt es sich bei seinen Ausführungen zum Nachtatverhalten ersichtlich um Hilfserwägungen, welche die Überzeugungsbildung nicht tragen.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 08.10.2007