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BGH - Entscheidung vom 10.07.2008

IX ZB 122/07

Normen:
InsO § 13 Abs. 2 § 15 Abs. 1, 2 § 21
BGB § 242

BGH, Beschluß vom 10.07.2008 - Aktenzeichen IX ZB 122/07

DRsp Nr. 2008/15717

Rücknahme des Insolvenzantrags nach Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers

»Der verbliebene Geschäftsführer der GmbH kann den von dem abberufenen Geschäftsführer vor seiner Abberufung gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 InsO zurücknehmen, wenn sich dies nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt.«

Normenkette:

InsO § 13 Abs. 2 § 15 Abs. 1 , 2 § 21 ; BGB § 242 ;

Gründe:

I. Die Schuldnerin, eine GmbH, hatte im Januar 2006 zwei jeweils allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer, nämlich den weiteren Beteiligten zu 1 und M.. Am 6. Januar 2006 beantragte der weitere Beteiligte zu 1, gestützt auf den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Diesen Antrag nahm M. für die GmbH mit Anwaltsschriftsatz vom 27. Januar 2006 zurück, weil der Antrag - wie M. geltend gemacht hat - missbräuchlich gestellt worden sei. In der Gesellschafterversammlung vom 14. Februar 2006 widerriefen die Gesellschafter die Bestellung des weiteren Beteiligten zu 1 zum Geschäftsführer; der Widerruf wurde im Handelsregister eingetragen. Unter dem 22. Februar 2006 erklärte M. nunmehr als alleiniger Geschäftsführer der Schuldnerin die Rücknahme des Insolvenzantrages vom 6. Januar 2006.

Am 28. November 2006 ordnete das Amtsgericht nach §§ 21 , 22 InsO Sicherungsmaßnahmen an und bestellte den weiteren Beteiligten zu 2 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist, ohne dass es einer Zulassung durch das Beschwerdegericht bedurft hätte, statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 7 InsO ) und auch im Übrigen zulässig. Der Entscheidung des Landgerichts liegt eine statthafte sofortige erste Beschwerde zugrunde (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO ). Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil die Rechtsfrage, ob der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft den Eigenantrag des vormaligen gesetzlichen Vertreters nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 InsO wirksam zurücknehmen kann, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen setzt grundsätzlich einen zulässigen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus (BGH, Beschl. v. 22. März 2007 - IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 f.). Wird der Antrag - wie hier - wirksam zurückgenommen, findet das Eröffnungsverfahren in der Hauptsache sein Ende. Für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ist dann kein Raum mehr.

a) Gemäß § 15 Abs. 1 InsO ist jedes Mitglied des Vertretungsorgans einer juristischen Person berechtigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der juristischen Person zu beantragen. Wer berechtigt ist, einen solchen Antrag wieder zurückzunehmen, ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt. Grundsätzlich sind Gläubiger und Schuldner antragsberechtigt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO ). Das jeweilige Mitglied des Vertretungsorgans handelt bei der Antragstellung somit nicht in eigenem Namen, sondern als von der Insolvenzordnung mit besonderer Vertretungsmacht ausgestatteter Vertreter des Schuldners (vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Bd. 4, Nachdr. 1983, S. 391). Wenn der Antrag allgemeinen Regeln entsprechend von demjenigen zurückgenommen werden kann, der ihn gestellt hat, Antragsteller die juristische Person ist und Sonderregeln für die Antragsrücknahme fehlen, liegt die Annahme nahe, insoweit bleibe es bei den allgemeinen Vertretungsregeln. Rücknahmeberechtigt ist dann jedes zur Vertretung des Schuldners berechtigte Organ (Delhaes, Der Insolvenzantrag S. 189 ff., 193 f.; ders., Kölner Schrift zur Insolvenzordnung 2. Aufl. S. 141, 150 ff.; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl. vor § 64 Rn. 48; Uhlenbruck in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch 3. Aufl. § 10 Rn. 4; Fenski BB 1988, 2265, 2266 f.). Allerdings stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Antragsrechts für einzelne Mitglieder des Vertretungsorgans, wenn dieser Antrag ohne oder sogar gegen den Willen des Antragstellers von (anderen) gesetzlichen Vertretern des Schuldners zurückgenommen werden kann. Überwiegend wird in Rechtsprechung und Literatur daher die Ansicht vertreten, dass der gemäß § 15 Abs. 1 InsO gestellte Antrag nur von derjenigen natürlichen Person zurückgenommen werden kann, die ihn gestellt hat (LG Tübingen KTS 1961, 158, 159; LG Dortmund ZIP 1985, 1341, 1342; AG Magdeburg ZInsO 1998, 43; AG Potsdam NZI 2000, 328; AG Duisburg NZI 2002, 209; Jaeger/Müller, InsO § 15 Rn. 57; MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl. § 13 Rn. 121, § 15 Rn. 15, 57, 82; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 13 Rn. 16; FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl. § 15 Rn. 20; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 13 Rn. 122 f; Smid, InsO 2. Aufl. § 13 Rn. 21; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG 18. Aufl. § 64 Rn. 43; Roth/Altmeppen, GmbHG 5. Aufl. § 64 Rn. 40). Ob dies auch dann gilt, wenn der antragstellende Geschäftsführer - wie im vorliegenden Fall - vor der Rücknahme des Eröffnungsantrages abberufen worden ist, ist wiederum streitig (dafür insbesondere LG Dortmund ZIP 1985, 1341, 1342; AG Duisburg ZIP 1995, 582 f.; NZI 2002, 209; AG Magdeburg ZInsO 1998, 43; Braun/Bußhardt, InsO 3. Aufl. § 13 Rn. 20; MünchKomm-InsO/Schmahl, aaO. § 15 Rn. 82; FK-InsO/Schmerbach, aaO. § 15 Rn. 21; Kübler/Prütting/Pape, aaO. § 13 Rn. 122 ff.; für ein Rücknahmerecht des neu bestellten oder noch verbliebenen vertretungsberechtigten Organmitglieds OLG Brandenburg NZI 2002, 44, 48; LG Berlin KTS 1974, 182, 184; Jaeger/Müller, aaO. § 15 Rn. 58; HK-InsO/Kirchhof, aaO. § 13 Rn. 16; Smid, aaO. § 13 Rn. 21; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, aaO. § 64 Rn. 43; HmbKomm-InsO/Wehr, 2. Aufl. § 13 Rn. 54; Uhlenbruck in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch aaO. § 10 Rn. 5).

b) Jedenfalls in dem auch hier gegebenen Fall, dass die Gesellschaft nach Ausscheiden des Antragstellers aus der Geschäftsführung nur noch durch den Geschäftsführer gesetzlich vertreten wird, der die Rücknahme des Antrages des Ausgeschiedenen erklärt hat, steht diesem das Recht zur Abgabe der verfahrensrechtlichen Erklärung aus § 13 Abs. 2 InsO zu. Bei diesen Vertretungsverhältnissen der Gesellschaft kann aus dem Sinn und Zweck der Erweiterung des Antragsrechts gemäß § 15 Abs. 1 InsO für eine Beschränkung des bis zur Verfahrenseröffnung geltenden Dispositionsgrundsatzes nichts gewonnen werden.

aa) Dass die Rücknahme des Antrags durch jeden vertretungsberechtigten Geschäftsführer einer GmbH erklärt werden kann, stimmt mit den vertretungsrechtlichen Grundsätzen überein. Antragstellerin ist die GmbH, die durch ihren oder ihre gesetzlichen Vertreter handelt. Ob ein Insolvenzgrund vorliegt, haben zunächst die berufenen Organe der juristischen Person zu entscheiden (Fenski, aaO. S. 2267). Meinungsverschiedenheiten und rechtliche Unklarheiten im Verhältnis zwischen den Gesellschaftern und der Geschäftsführung sind grundsätzlich mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts auszutragen (Delhaes, Kölner Schrift aaO. S. 151). Schutzwürdige Interessen desjenigen Mitglieds des Vertretungsorgans, welches den Insolvenzantrag gestellt hat, stehen der Rücknahme nicht entgegen; denn dieses Mitglied ist seiner Antragspflicht nachgekommen. Die Rücknahmeentscheidung hat es nicht zu verantworten (Fenski, aaO.; Delhaes, aaO. S. 151). Die juristische Person kann ihr Interesse am eigenen Fortbestand dadurch besonders wirkungsvoll wahren, dass sie unberechtigten Insolvenzanträgen einzelner Organmitglieder nicht nur im Rahmen der Anhörung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 InsO , sondern durch Rücknahme des Antrags entgegentritt (Uhlenbruck in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch aaO. § 10 Rn. 5; Delhaes, Kölner Schrift aaO. S. 151 f.).

Würde der Dispositionsgrundsatz insoweit nicht gelten, näherte sich das Eröffnungsverfahren über das Vermögen einer juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit einem Amtsverfahren an. Dieser Lösungsansatz ist schon von dem Gesetzgeber der Konkursordnung verworfen worden (vgl. Materialien zur Konkursordnung S. 325 zu § 95 des Entwurfs). Insbesondere der im Rahmen des damaligen Gesetzgebungsverfahrens ausführlich diskutierte Gläubigerschutz hat den Gesetzgeber nicht bewogen, vom Dispositionsgrundsatz abzurücken. Die Gesetzesbegründung sieht vielmehr nur aufgrund eines - fortbestehenden - Antrags die Rechtfertigung, ein Gesamtvollstreckungsverfahren zu eröffnen (Materialien zur Konkursordnung S. 442 f. zu § 194 des Entwurfs). Im Gesetzgebungsverfahren der Insolvenzordnung ist eine Verfahrenseröffnung von Amts wegen als mit der bestehenden Wirtschafts- und Privatrechtsordnung kaum vereinbar angesehen worden (BT-Drucks. 12/2443 S. 113).

Die Interessen der Allgemeinheit werden regelmäßig durch die vorhandenen Straf- und Haftungsvorschriften zum Nachteil derjenigen Organmitglieder geschützt, welche die Rücknahme erklärt haben (Delhaes, aaO. Kölner Schrift S. 151).

bb) Aus dem Sinn und Zweck der Erweiterung der Antragsbefugnis können sich allerdings Einschränkungen des Dispositionsgrundsatzes ergeben.

(1) Die Vorschrift wäre sinnlos, wenn ein Organmitglied den Insolvenzantrag stellen, ein anderes diesen Antrag jedoch sofort zurücknehmen könnte. Das Mitglied, das den Antrag gestellt hat, könnte so möglicherweise einer persönlichen Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 64 Abs. 2 GmbHG ) entgehen. Diese Haftung ist aber ebenso wie die gesetzliche Pflicht, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 64 Abs. 1 GmbHG ), kein Selbstzweck. Vielmehr sollen durch sie überschuldete und/oder zahlungsunfähige juristische Personen vom Geschäftsverkehr ferngehalten werden, die anderenfalls ihre vorhandenen und potenziellen Gläubiger schädigen oder gefährden könnten (BGHZ 126, 181 , 194; Hachenburg/Ulmer, GmbHG 7. Aufl. § 64 Rn. 1). Der beabsichtigte Schutz des Rechtsverkehrs würde nicht erreicht, wenn die juristische Person durch die Rücknahme auch in Fällen des Missbrauchs verhindern könnte, dass überhaupt eine sachliche Prüfung des Antrags erfolgt.

(2) Ob sich das Spannungsverhältnis zwischen dem in § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO zum Ausdruck kommenden Dispositionsgrundsatz und der auch im objektiven Gläubigerinteresse in § 15 Abs. 1 InsO normierten Erweiterung des Antragsrechts im Fall eines Insolvenzantrags nur eines von mehreren Mitgliedern des Vertretungsorgans (§ 15 Abs. 1 InsO ) in der Regel nur dadurch lösen lässt, dass eine Rücknahme des Antrags ausschließlich von derjenigen natürlichen Person erklärt werden kann, die den Antrag auch gestellt hat, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls dann, wenn - wie hier - im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung feststeht, dass allein der die Rücknahme erklärende Geschäftsführer die Gesellschaft vertreten kann, weil der antragstellende Geschäftsführer in der Zwischenzeit wirksam abberufen worden ist, ist die Rücknahme unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 InsO wirksam. Der umgekehrte Ansatz hätte zur Folge, dass die juristische Person oder die ihr nach § 15 Abs. 1 InsO gleichgestellte Gesellschaft in einem wichtigen Teilbereich handlungsunfähig wäre, weil sie in dem sie selbst betreffenden Insolvenzeröffnungsverfahren wirksame verfahrensrechtliche Erklärungen wegen eines nach den Grundsätzen des Gesellschaftsrechts beachtlichen Wechsels in der Geschäftsführung nicht abgeben könnte. Der abberufene Geschäftsführer ist jedenfalls nicht mehr berechtigt, die Gesellschaft in dem Insolvenzeröffnungsverfahren zu vertreten (BGH, Beschl. v. 20. Juli 2006 - IX ZB 274/05, NZI 2006, 700 ). Eine derart weitreichende Beschränkung des § 13 Abs. 2 InsO ist durch die Zwecke des § 15 InsO nicht geboten.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen können deshalb keinen Bestand haben.

3. Das Verfahren ist gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO zur Endentscheidung reif. Zwar hat der weitere Beteiligte zu 1 in den Vorinstanzen auch geltend gemacht, die Rücknahme des Insolvenzantrags sei rechtsmissbräuchlich. In den Tatsacheninstanzen sind hierfür jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen worden.

III. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren sind weder in der zweiten noch in der dritten Instanz angefallen (vgl. Nr. 2361 und 2364 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ). Die außergerichtlichen Kosten der Schuldnerin können den weiteren Beteiligten, insbesondere auch dem weiteren Beteiligten zu 1 nicht überbürdet werden, weil diese in Bezug auf die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen nicht Gegner der Schuldnerin im Sinne der § 4 InsO , § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind.

Vorinstanz: LG Bremen, vom 14.06.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 870/06
Vorinstanz: AG Bremen, vom 28.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 504 IN 24/06