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BGH - Entscheidung vom 05.05.2008

II ZR 38/07

Normen:
GmbHG § 64 Abs. 2

Fundstellen:
BB 2008, 1590
BGH-Pressemitteilung 2008/91
BGHReport 2008, 961
DB 2008, 1428
DZWIR 2008, 350
GmbHR 2008, 813
MDR 2008, 925
NJ 2008, 557
NJW 2008, 2504
NZG 2008, 508
NZI 2008, 509
NotBZ 2008, 343
WM 2008, 1227
ZIP 2008, 1229
ZInsO 2008, 812

BGH, Urteil vom 05.05.2008 - Aktenzeichen II ZR 38/07

DRsp Nr. 2008/40026

Einschränkung der Geschäftsführerhaftung bei Zahlung nach Insolvenzreife

»Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Massesicherungspflicht aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG auch dann, wenn er mit Geldern, die von anderen Konzerngesellschaften auf das Geschäftskonto der GmbH gezahlt worden sind, Schulden dieser Gesellschaften begleicht; seine Haftung ist aber nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG ausgeschlossen, weil er bei den Auszahlungen angesichts des Zusammentreffens der Massesicherungspflicht mit der - durch § 266 StGB strafbewehrten - Pflicht zur weisungsgemäßen Verwendung der fremden Gelder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns gehandelt hat.«

Normenkette:

GmbHG § 64 Abs. 2 ;

Tatbestand:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter der L. GmbH Gesellschaft für Baubetreuung und Projektentwicklung (im Folgenden: Schuldnerin). Er nimmt den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer auf Rückzahlung von nach Eintritt der Insolvenzreife veranlassten Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen in Anspruch.

Die Schuldnerin ist Teil eines Konzerns. Nachdem eine wirtschaftliche Schieflage entstanden war, leiteten die Muttergesellschaft v. GmbH und verschiedene Schwestergesellschaften ab Februar 2002 - z.T. durch Abtretungen, z.T. durch Überweisungen - eingehende Zahlungen i.H.v. mehr als 504.000,00 EUR auf das Geschäftskonto der Schuldnerin, um eine Vereinnahmung des Geldes durch ihre Hausbanken zu verhindern. Von diesem Geld überwies der Beklagte am 15. Mai 2002 insgesamt 329.980,44 EUR an Gläubiger der anderen Konzerngesellschaften. An demselben Tage stellte er als Geschäftsführer (auch) der anderen Gesellschaften Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für die Schuldnerin stellte er den Insolvenzantrag am 5. Juni 2002.

Nach Klageabweisung im ersten Rechtszug hat das Berufungsgericht der Klage teilweise, nämlich i.H.v. 320.980,44 EUR stattgegeben. Der Beklagte verfolgt mit der von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision seinen Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur vollständigen Abweisung der Klage.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG in dem ausgeurteilten Umfang begründet. Der Beklagte habe nach Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin die in Rede stehenden Zahlungen der Schuldnerin bewirkt, die zu einer Masseverkürzung geführt hätten. Daran ändere der Umstand nichts, dass die Schulden der anderen Konzerngesellschaften mit deren Geld beglichen worden seien. Es habe nicht lediglich ein Aktiventausch stattgefunden. Vielmehr sei das Geld auf das Geschäftskonto der Schuldnerin geflossen und hätte daher zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger der Schuldnerin zur Verfügung gestanden. Ob bei Vorliegen eines Treuhandverhältnisses - ggf. in Form einer Cash-Pool-Abrede - etwas anderes gelten würde, könne offen bleiben. Denn ein Cash-Pool sei hier mangels einer schriftlichen Abrede und der Einrichtung eines Zentralkontos nicht gebildet worden.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Schuldnerin am 15. Mai 2002, als der Beklagte die Zahlungen in Höhe der noch im Streit befindlichen 320.980,44 EUR veranlasst hat, überschuldet war. Die Revision wehrt sich gegen diese tatrichterliche Feststellung nicht; sie ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden. Damit ist der objektive Tatbestand des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG erfüllt. Auf eine positive "Feststellung" der Überschuldung kommt es nicht an (BGHZ 143, 184 , 185).

2. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts scheitert eine Ersatzpflicht des Beklagten aber an § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG . Danach wird vermutet, dass die nach Insolvenzreife erfolgten Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar sind. Der Geschäftsführer kann diese Vermutung jedoch widerlegen, was dem Beklagten hier gelungen ist.

a) Dazu macht die Revision allerdings zu Unrecht geltend, die Zahlungen hätten eine Masseverkürzung nicht zur Folge gehabt (vgl. BGHZ 146, 264 , 274 f.).

Die Regelung des § 64 Abs. 2 GmbHG hat den Zweck, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (st.Rspr. s. etwa Senat, BGHZ 143, 184 , 186; Urt. v. 14. Mai 2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 , 1266). Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 31. März 2003 ( II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005 , 1006) ausgeführt hat, widerspricht es dieser Zielsetzung, eine Masseschmälerung nur deshalb zu verneinen, weil die Gesellschaft vor der Zahlung gleich hohe Zahlungen anderer (Konzern-)Gesellschaften erhalten hat, durch welche diese ihre Pflicht zum Aufwendungsersatz vorab haben erfüllen wollen (a.A. Ulmer in Hachenburg, GmbHG 8. Aufl. § 64 Rdn. 40; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 64 Rdn. 79; K. Schmidt, ZHR 168 [2004], 637, 646 ff.). Unabhängig davon, ob mit der Zahlung eine im Außenverhältnis eigene Schuld der Gesellschaft - wie in dem der zitierten Senatsentscheidung zugrunde liegenden Fall - oder lediglich Schulden der anderen Gesellschaften beglichen werden sollen, wird die Insolvenzmasse der auf die Schulden zahlenden Gesellschaft durch diese Zahlung verkürzt. Unterbleibt die Zahlung, stehen die von den anderen Gesellschaften zugeführten Gelder nämlich den Insolvenzgläubigern zur Verfügung, wobei die anderen Gesellschaften mit ihren eventuellen Ansprüchen wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB ) ebenfalls an dem Insolvenzverfahren teilnehmen. Die von der Gegenmeinung befürwortete teleologische Reduktion des § 64 Abs. 2 GmbHG (Ulmer, Schulze-Osterloh, aaO.) würde es dagegen in das freie Belieben des Geschäftsführers stellen, die Zahlung zu leisten und damit die Mittel dem Insolvenzverfahren zu entziehen oder auf die Zahlung zu verzichten und damit die Mittel für eine Verteilung an die Insolvenzgläubiger zu sichern. Das würde dem Erfordernis einer klaren, einfach handhabbaren Regelung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens widersprechen und dem Geschäftsführer einen Einfluss auf den Bestand der Insolvenzmasse geben, der ihm nach § 64 Abs. 2 GmbHG gerade nicht zukommen soll.

Die Schuldnerin war auch nicht "nach Art einer Bank" in die Zahlungsvorgänge eingeschaltet worden (Sen.Urt. v. 31. März 2003 aaO.). Eine Masseneutralität in diesem Sinne könnte allenfalls dann vorliegen, wenn die Gesellschaft die eingehenden Gelder auf Treuhandkonten verbuchen lässt und aufgrund dessen für die Treugeber Aussonderungsrechte nach § 47 InsO begründet (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 1992 - IX ZR 45/92, ZIP 1993, 213 ). Der Beklagte hat die Gelder jedoch auf das allgemeine Geschäftskonto der Schuldnerin fließen lassen. Damit fehlte es an der für ein Aussonderungsrecht erforderlichen "Verdinglichung" der Rechtsstellung der Treugeber. Sollten auf dem Geschäftskonto der Schuldnerin zu jener Zeit keine eigenen Gelder gebucht gewesen sein, kann das entgegen der Auffassung der Revision nicht ausreichen, um das Geschäftskonto als abgesondertes Treuhandkonto erscheinen zu lassen.

b) Die Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG sind aber deshalb erfüllt, weil der Beklagte bei den Zahlungen den Anforderungen entsprochen hat, die nach dieser Norm an einen Geschäftsführer in der Lage des Beklagten zu stellen sind.

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. Mai 2007 (II ZR 48/06, Tz. 12, ZIP 2007, 1265 ) ausgeführt hat, kann es einem Geschäftsführer nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht aus § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und Zahlungen nicht zu leisten, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. In jenem Fall ging es um die Strafvorschrift des § 266 a StGB , nach der sich strafbar macht, wer fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abführt. Angesichts dieser Strafandrohung kann - so hat der Senat angenommen - ein Vorrang der Massesicherungspflicht nicht anerkannt werden. Vielmehr muss das dem strafbewehrten Gebot entsprechende Verhalten des Geschäftsführers als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden. Ebenso hat der Senat die Abführung von Lohnsteuern beurteilt.

Auch der Beklagte war in einer vergleichbaren Lage, als er die Entscheidung zu treffen hatte, entweder die eingegangenen Zahlungen der anderen Konzerngesellschaften absprachegemäß zur Befriedigung von deren Gläubigern zu verwenden oder sie für das bevorstehende Insolvenzverfahren der Schuldnerin zurückzuhalten. Kraft des Treueverhältnisses zu den anderen Gesellschaften, das aufgrund der einverständlichen Weiterleitung von allein diesen zustehenden Geldern begründet worden war, oblag ihm die Pflicht, fremde, nämlich die Vermögensinteressen der anderen Gesellschaften wahrzunehmen. Diese Pflicht hätte er verletzt, wenn er die Zahlungen unterlassen und so die Gelder für die Insolvenzmasse der Schuldnerin gesichert hätte. In dieser Lage hatte die Massesicherungspflicht nicht Vorrang vor den - auch durch § 266 StGB geschützten - Interessen der anderen Konzerngesellschaften. Das Verhalten des Beklagten entsprach vielmehr der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns. Dass er sich als Geschäftsführer der anderen Gesellschaften nach § 64 Abs. 2 GmbHG ersatzpflichtig gemacht haben mag, spielt im Verhältnis zu der Schuldnerin keine Rolle.

Gründe (Auszug):

[Pressemitteilung]

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH. Er nimmt den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer auf Erstattung von Zahlungen in Anspruch, die dieser vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach Eintritt der Insolvenzreife veranlasst hat.

Die Gesellschaft war Teil eines Konzerns. Nachdem dieser in eine wirtschaftliche Schieflage geraten war, ließen die anderen Konzerngesellschaften an sie gerichtete Zahlungen in Höhe von mehr als 500.000 EUR auf das Geschäftskonto der GmbH überweisen, um eine Vereinnahmung der Gelder durch ihre Hausbanken zu verhindern. Von diesem Geschäftskonto ließ der Beklagte insgesamt 329.980 EUR an Gläubiger der anderen Gesellschaften auszahlen. An demselben Tag beantragte er für diese Gesellschaften, deren Geschäftsführer er ebenfalls war, die Eröffnung der Insolvenzverfahren. Kurz darauf stellte er auch für die GmbH einen Insolvenzantrag. Das Berufungsgericht hat der Klage auf Erstattung der 329.980 EUR im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.

Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat der Revision stattgegeben und die Klage abgewiesen. Zentrales Problem des Falles war die Frage, ob die Pflicht des Geschäftsführers zur Massesicherung nach § 64 Abs. 2 GmbHG auch dann eingreift, wenn er nach Insolvenzreife der eigenen Gesellschaft Gelder auszahlt, die der Gesellschaft lediglich treuhänderisch von anderen Konzerngesellschaften überlassen worden sind. Der Senat hat angenommen, dass grundsätzlich auch diese Gelder unter den Schutz des § 64 Abs. 2 GmbHG fallen, weil sie in der Insolvenz nicht von den anderen Gesellschaften herausverlangt werden können, sondern endgültig in die Insolvenzmasse fallen und damit zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zu verwenden sind. Ob das anders ist, wenn die Gelder auf gesonderten Treuhandkonten verwaltet werden, konnte der Senat offen lassen, da solche Treuhandkonten hier nicht eingerichtet waren.

Der Senat hat aber angenommen, dass der Beklagte durch die Zahlungen dennoch nicht ersatzpflichtig geworden sei, weil er in der konkreten Situation mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG gehandelt habe. Dafür war ausschlaggebend, dass der Beklagte zu den anderen Konzerngesellschaften ein besonderes Treueverhältnis begründet hatte, indem er die allein diesen Gesellschaften zustehenden Gelder zu dem Zweck entgegengenommen hatte, damit deren Schulden zu begleichen. Er war einerseits gehalten, die Gelder für die Insolvenzmasse der GmbH zu sichern, andererseits musste er aufgrund des Treueverhältnisses zu den anderen Gesellschaften die Gelder an deren Gläubiger auszahlen. Diese Pflichtenkollision hat der Senat mit dem Fall verglichen, dass ein Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung unter Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG zahlt, um sich nicht strafrechtlicher Verfolgung nach § 266 a StGB auszusetzen. Wie in diesem Fall hat er auch im vorliegenden Fall angenommen, der Geschäftsführer handle nicht sorgfaltswidrig, wenn er in einer derartigen Pflichtenkollision die Gelder auszahle.

Hinweise:

Anmerkung Podewils ZInsO 2008, 812

Vorinstanz: OLG Dresden, vom 28.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 81/06
Vorinstanz: LG Bautzen, vom 08.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 379/05
Fundstellen
BB 2008, 1590
BGH-Pressemitteilung 2008/91
BGHReport 2008, 961
DB 2008, 1428
DZWIR 2008, 350
GmbHR 2008, 813
MDR 2008, 925
NJ 2008, 557
NJW 2008, 2504
NZG 2008, 508
NZI 2008, 509
NotBZ 2008, 343
WM 2008, 1227
ZIP 2008, 1229
ZInsO 2008, 812