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BGH - Entscheidung vom 17.06.2008

4 StR 77/08

Normen:
StPO § 249 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ 2008, 685

BGH, Beschluß vom 17.06.2008 - Aktenzeichen 4 StR 77/08

DRsp Nr. 2008/14749

Beweiswert von Feststellungen in verlesenen, früheren Urteilen

1. Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu früheren Tatgeschehen einschließlich der Beweistatsachen, die in einem späteren Verfahren von Bedeutung sein können, binden den neu entscheidenden Tatrichter nicht. 2. Solche Feststellungen können zwar im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden; der neue Tatrichter darf sie jedoch nicht ungeprüft übernehmen.

Normenkette:

StPO § 249 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es sich gegen die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung richtet; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand, da die Strafkammer das Vorliegen von Rückfallverjährung (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB ) mit nicht tragfähiger Begründung ausgeschlossen hat.

a) Das Landgericht hat als frühere Verurteilungen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 13. Dezember 1983 und das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 13. Dezember 1995 herangezogen. Bezüglich der Verurteilung durch das Amtsgericht Koblenz hat es rechtsfehlerfrei den 7. Oktober 1983 als Tatzeitpunkt festgestellt. Zum Tatzeitpunkt der letzten durch das Urteil des Landgerichts Koblenz abgeurteilten Tat hat es Folgendes ausgeführt: Die damals erkennende Strafkammer habe zwar den Zeitpunkt der letzten Tat auf die Zeit zwischen Dezember 1992 und die erste Jahreshälfte 1993 bestimmt. Wenigstens eine der damals abgeurteilten insgesamt vier Missbrauchstaten sei jedoch im Frühjahr 1993 begangen worden, und zwar nach Aussage der Geschädigten, "als es bereits Sommer war, da es noch warm gewesen sei". Hieraus ergebe sich - so das Landgericht - dass wenigstens eine Tat in der ersten Jahreshälfte 1993 nach Sommeranfang begangen worden sei. Obwohl nach der Angabe der damaligen Geschädigten, es sei noch warm gewesen, eher der Spätsommer 1993 als Tatzeitraum in Betracht komme, sei für die Berechnung der Rückfallverjährung in Bezug auf die Anlasstat zu Gunsten des Angeklagten vom Sommeranfang, mithin dem 1. Juni 1993, als "frühestmöglichen" Tattag auszugehen.

b) Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden Bedenken.

aa) Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu früheren Tatgeschehen einschließlich der Beweistatsachen, die in einem späteren Verfahren von Bedeutung sein können, binden den neu entscheidenden Tatrichter nicht (BGHSt 43, 106 , 107; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. Einl. 170 m.w.N.). Solche Feststellungen können zwar im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden; der neue Tatrichter darf sie jedoch nicht ungeprüft übernehmen (BGH aaO.).

bb) Nach den Feststellungen ist das Landgericht Koblenz in den Gründen seines Urteils vom 13. Dezember 1995 davon ausgegangen, dass die letzte der abgeurteilten Taten im Zeitraum Dezember 1992 und erste Jahreshälfte 1993 begangen wurde. Danach wäre zu Gunsten des Angeklagten bezogen auf die Anlasstat von Rückfallverjährung auszugehen, da die Fünfjahresfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB unter Berücksichtigung der - allerdings nur pauschal - mitgeteilten Verwahrungszeiten (§ 66 Abs. 4 Satz 4 StGB ) am 15. April 1993, d.h. innerhalb des bezeichneten Tatzeitraumes, abgelaufen wäre.

cc) Die Strafkammer war - wie ausgeführt - an die Bestimmung des Tatzeitraums durch das Landgericht Koblenz nicht gebunden, sondern befugt, den Tatzeitpunkt zu präzisieren oder aber auch abweichend neu zu bestimmen. Ihre Annahme, "zu Gunsten" des Angeklagten sei vom 1. Juni 1993 als dem "frühestmöglichen" Tatzeitpunkt auszugehen, ist jedoch nicht tragfähig begründet. Das Landgericht stützt sich insoweit ausschließlich auf die - in sich widersprüchliche - Angabe der damaligen Geschädigten, es "sei bereits Sommer gewesen, da es noch warm war". Näheres wird hierzu nicht mitgeteilt, insbesondere bleibt offen, bei welcher Gelegenheit und in welchem Zusammenhang diese Aussage erfolgte. In Anbetracht des widersprüchlichen Inhalts der Aussage hätte ihre Verlässlichkeit jedoch näherer Erörterung bedurft. Dies gilt umso mehr, als auch der frühere Tatrichter ersichtlich diesen Teil der Aussage der Geschädigten nicht zum Anlass genommen hat, den Tatzeitpunkt näher zu konkretisieren, sondern es bei der zeitlichen Einordnung "Dezember 1992 bzw. in der ersten Jahreshälfte 1993" belassen hat.

2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. In der neuen Hauptverhandlung wird die Frage des Zeitpunktes der letzten durch das Landgericht Koblenz vom 13. Dezember 1995 abgeurteilten Tat im Wege des Strengbeweises (vgl. BGHSt 43, 106 ff.) zu klären sein. Des Weiteren sind die Verwahrungszeiten (vgl. § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB ) im Einzelnen, d.h. jeweils unter konkreter Bezeichnung von Beginn und Ende, festzustellen (vgl. auch Fischer StGB 55. Aufl. § 66 Rdn. 21 m.w.N.).

Vorinstanz: LG Saarbrücken, vom 19.09.2007
Fundstellen
NStZ 2008, 685