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BGH - Entscheidung vom 14.04.2008

NotZ 100/07

Normen:
BNotO § 5

Fundstellen:
BRAK-Mitt 2008, 181

BGH, Beschluß vom 14.04.2008 - Aktenzeichen NotZ 100/07

DRsp Nr. 2008/10953

Auswahlkriterien unter mehreren Bewerbern um eine Notarstelle

Trifft die Justizverwaltung - zulässigerweise - ihre Entscheidung über die Besetzung von Notarstellen nach der Rangfolge der Bewerber in einem Punktsystem, so darf sie nicht ohne besonderen Grund von der rechnerisch ermittelten Rangfolge durch einen darüber hinausgehenden Individualvergleich der Bewerber abweichen.

Normenkette:

BNotO § 5 ;

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin schrieb im Amtsblatt für Berlin vom 31. März 2000 (ABl. S. 1091) 60 Notarstellen aus. Ablauf der Bewerbungsfrist war der 2. Mai 2000. Der Antragsteller und der weitere Beteiligte bewarben sich um eine dieser Stellen.

Der Antragsteller legte im Juli 1992 die Zweite juristische Staatsprüfung mit der Note "befriedigend" (6,52 Punkte) ab. Er ist seit September 1992 als Rechtsanwalt zugelassen und tätig.

Der weitere Beteiligte bestand im Juli 1990 die Zweite juristische Staatsprüfung ebenfalls mit "befriedigend" (7,13 Punkte). Er ist seit September 1990 als Rechtsanwalt zugelassen. Vom 3. August 1992 bis zum 31. Dezember 1995 war er auf der Grundlage von Honorarverträgen bei dem Landkreis X in Brandenburg tätig und dort insbesondere mit der Abwicklung offener Vermögensfragen betraut.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2001 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie beabsichtige, ihm nach dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens eine der Notarstellen zu übertragen. Ebenfalls unter dem 25. Oktober 2001 eröffnete die Antragsgegnerin dem weiteren Beteiligten, er komme für die Übertragung einer der Notarstellen nicht in Betracht. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, seine Beschäftigung bei dem Landkreis X könne nicht als hauptberufliche Anwaltstätigkeit angerechnet werden. Der hiergegen gerichtete Antrag des weiteren Beteiligten auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg. Das Kammergericht, dessen Entscheidung der Senat mit Beschluss vom 14. Juli 2003 ( NotZ 2/03 - NJW 2003, 2752) bestätigte, verpflichtete die Antragsgegnerin, den Antrag des weiteren Beteiligten auf Übertragung einer der ausgeschriebenen Notarstellen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es habe Anlass bestanden, die Vergabe von Sonderpunkten für die Tätigkeit bei dem Landkreis zu prüfen.

Daraufhin teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. Januar 2004 unter Abänderung ihrer Verfügungen vom 25. Oktober 2001 mit, er nehme nach einer Neubewertung im Auswahlverfahren nunmehr nur noch hinter dem weiteren Beteiligten den 61. Rangplatz ein, weshalb er bei der Besetzung der Notarstellen nicht mehr berücksichtigt werden könne. Auf die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Antragstellers hob der Senat mit Beschluss vom 22. November 2004 ( NotZ 16/04 - NJW 2005, 212 ) diesen Bescheid auf und verpflichtete die Antragsgegnerin, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Der Senat bezog sich hierbei insbesondere auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 (BVerfGE 110, 304 ), wonach den bei der Vorbereitung auf das angestrebte Notaramt gezeigten theoretischen Kenntnissen und praktischen Erfahrungen bei demgegenüber zurücktretender Bedeutung des Ergebnisses der Zweiten juristischen Staatsprüfung und der Zeit der Anwaltstätigkeit stärkeres Gewicht als bisher beizumessen war.

Die Antragsgegnerin forderte die Bewerber daraufhin auf, ihre Anwalts- und Urkundstätigkeit näher zu konkretisieren. Mit Schreiben vom 30. März 2006 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin um Mitteilung der von ihr nunmehr anzuwendenden Auswahlkriterien. Diese antwortete mit Schreiben vom 10. Mai 2006, sie werde die Auswahlentscheidung auf der Grundlage des Senatsbeschlusses vom 22. November 2004 treffen.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2006 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie beabsichtige wiederum, die noch zu vergebende Notarstelle dem weiteren Beteiligten zu übertragen. In entsprechender Anwendung des für die Ausschreibung von Notarstellen vom 8. April 2005 (ABl. S. 1242) anzuwendenden Punktesystems sei seine fachliche Eignung mit 121,39 Punkten zu bewerten. Demgegenüber ergebe sich für den weiteren Beteiligten eine Gesamtpunktzahl von 121,57 Punkten. Auch eine individuelle von dem Punkteergebnis unabhängige Eignungsprognose ergebe, dass der weitere Beteiligte besser für das Notaramt geeignet sei als der Antragsteller. Hierbei bezog sich die Antragsgegnerin insbesondere darauf, dass die Tätigkeit des weiteren Beteiligten beim Landkreis X in besonderem Maße als "notarnah" anzusehen sei.

Mit Schreiben vom 1. November 2006 zeigte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin weitere Zeiten an, in denen er eine Notarin vertreten hatte. Ferner beantragte er insoweit vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 6b Abs. 3 BNotO . Diesen Antrag wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. November 2006 zurück.

Gegen die Bescheide vom 16. Oktober und 13. November 2006 hat der Antragsteller Anträge auf gerichtliche Entscheidung gestellt, welche das Kammergericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen hat. Die nachträglich angezeigten Vertretungszeiten seien gemäß § 6b Abs. 4 BNotO nicht mehr zu berücksichtigen. Auch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren gewesen. Von dem für den weiteren Beteiligten errechneten Punkteergebnis seien allerdings 0,2 Punkte in Abzug zu bringen, da diesem ein Urkundsgeschäft zu viel zugerechnet worden sei. Im Übrigen sei die Punkteberechnung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Insbesondere habe die Antragsgegnerin dem weiteren Beteiligten für seine Tätigkeit beim Landkreis X 8,20 Sonderpunkte gutbringen dürfen. Auch sei es nicht zu bemängeln, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller über für Notarvertretungszeiten vergebene Wertungspunkte hinaus keine weiteren Sonderpunkte gutgeschrieben habe, auch wenn er im Rahmen seiner Anwaltstätigkeit "notarnah" gearbeitet habe. Dem weiteren Beteiligten seien - von den Sonderpunkten für die allerdings nicht als Anwaltstätigkeit zu qualifizierende Beschäftigung bei dem Landkreis X abgesehen - ebenfalls keine Sonderpunkte für "notarnahe" Anwaltstätigkeit zugebilligt worden. Auch wenn der Antragsteller unter Berücksichtigung der korrigierten Punkteberechnung nunmehr einen minimalen rechnerischen Vorsprung vor dem weiteren Beteiligten habe, werde dessen Bevorzugung von den Erwägungen der Antragsgegnerin in der individuellen Eignungsprognose getragen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Er ist der Auffassung, er habe insbesondere auch aufgrund der Antwort der Antragsgegnerin auf sein Schreiben vom 30. März 2006 nicht erkennen können, dass auch Notarvertretungen ohne Urkundstätigkeit mit Sonderpunkten honoriert werden würden. Deshalb seien die von ihm mit Schreiben vom 1. November 2006 mitgeteilten Notarvertretungen noch mit zusätzlichen 0,41 Punkten zu berücksichtigen. Weiter beanstandet er, dass dem weiteren Beteiligten 8,20 Sonderpunkte für dessen Tätigkeit beim Landkreis X zuerkannt wurden. Er ist der Auffassung, jedenfalls die Höhe der angerechneten Punktzahl sei unangemessen. Zumindest aber hätten ihm, dem Antragsteller, ebenfalls Sonderpunkte für eine notarnahe Anwaltstätigkeit zugebilligt werden müssen. Er habe durch eine Einzelfallliste nachgewiesen, dass seine anwaltliche Tätigkeit durchschnittlich mit deutlich über 50 v.H. engen Notarbezug gehabt habe. Der Antragsteller meint deshalb, ihm seien zusätzliche 6,30 Sonderpunkte zuzurechnen. Unter Berücksichtigung der weiteren 0,41 Sonderpunkte für die mit Schreiben vom 1. November 2006 vorgetragenen Notarvertretungen erhöhe sich sein rechnerischer Vorsprung gegenüber dem weiteren Beteiligten auf 128,10 zu 121,37 Punkte. Weiterhin greift der Antragsteller den individuellen Eignungsvergleich der Antragsgegnerin an.

Die Antragsgegnerin und der weitere Beteiligte treten den Rechtsansichten des Antragstellers entgegen. Die Antragsgegnerin nimmt überdies vorsorglich eine Neuberechnung der dem Antragsteller und dem weiteren Beteiligten zuzubilligenden Sonderpunkte vor. Hiernach sind dem weiteren Beteiligten neben den 8,20 Sonderpunkten für seine Tätigkeit beim Landkreis X weitere 7,80 Sonderpunkte für "notarnahe" Anwaltstätigkeit in den Jahren 1996 bis 2000 gutzubringen. Bei dem Antragsteller berücksichtigt die Antragsgegnerin außer den von ihm geforderten 6,30 Punkten für "notarnahe" Anwaltstätigkeit vom 3. November 1992 bis 30. April 1996 weitere 4,80 Punkte für derartige Tätigkeiten vom 1. Mai 1996 bis 2. Mai 2000. Hieraus errechnet die Antragsgegnerin (ohne Berücksichtigung der strittigen 0,41 Punkte für Notarvertretungen) ein Punkteverhältnis von 132,49 zu 129,17 Punkten zugunsten des Antragstellers. Sie meint, dieser rechnerische Vorzug sei jedoch nicht ausschlaggebend. Der Punktevorsprung beruhe allein darauf, dass dem weiteren Beteiligten seine Zeit beim Landkreis X nicht als Anwaltstätigkeit habe zugerechnet werden können. Dies sei unangemessen, insbesondere weil der weitere Beteiligte im Zeitraum vom 7. September 1990 bis zum 2. Mai 2000 wesentlich stärker notarbezogen tätig gewesen sei als der Antragsteller.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 16. Oktober 2006 und zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller die begehrte Notarstelle zu übertragen.

Die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung erweist sich auch unter Berücksichtigung ihrer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Gerichte (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse BGHZ 124, 327 , 330 f. und vom 14. März 2005 - NotZ 27/04 - NJW-RR 2006, 55 , 56) als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.

1. Mit Recht beanstandet der Antragsteller die Vergabe von Sonderpunkten in dem angefochtenen Auswahlbescheid für "notarnahe" Rechtsanwaltstätigkeiten entsprechend der Maßgabe 2 f cc der Ausschreibung von Notarstellen vom 8. April 2005.

a) Gegen die analoge Anwendung des nach der Maßgabe 2 der Ausschreibung vom 8. April 2005 für die Feststellung der fachlichen Eignung von Notarbewerbern geltenden Punktesystems auf das hier streitige Besetzungsverfahren bestehen keine Bedenken. Die Maßgaben setzen die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 (BVerfGE 110, 304 ) enthaltenen Vorgaben um, die nach dem Senatsbeschluss vom 22. November 2004 (NotZ 16/04 - NJW 2005, 212 , 213) für das hiesige Auswahlverfahren zu beachten sind.

b) Unzutreffend ist überdies die Rüge, dem weiteren Beteiligten hätten für seine Tätigkeit beim Landkreis X nicht 8,2 Sonderpunkte zugebilligt werden dürfen. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 14. Juli 2003 (NotZ 2/03 - NJW 2003, 2752, 2753) die Vergabe von Sonderpunkten für diese Tätigkeit als "notarnah" grundsätzlich für möglich gehalten. Auch die Anzahl der vergebenen Punkte ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat dem weiteren Beteiligten für jeden Monat, den dieser bei dem Landratsamt beschäftigt war, 0,2 Punkte zugebilligt. Dies hält sich im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsermessens, wie insbesondere der Vergleich der nach der Maßgabe 2 d aa für Beurkundungen zu vergebenden Punke ergibt. Danach sind für jede einzelne Urkunde, die der Bewerber innerhalb der letzten drei Jahre vor Ablauf der Bewerbungsfrist entworfen und protokolliert oder protokolliert und vollzogen hat, 0,4 Punkte gutzuschreiben. Im Verhältnis hierzu sind 0,2 Punkte für einen Monat "notarnaher" Tätigkeit nicht unverhältnismäßig viel. Unbeachtlich ist, ob, wie der Antragsteller geltend macht, in anderen Bundesländern eine Tätigkeit, wie sie der weitere Beteiligte ausgeübt hat, weniger günstig bewertet würde. Die Landesjustizverwaltungen verfügen über einen jeweils eigenen Beurteilungsspielraum.

c) Mit Recht verlangt der Antragsteller jedoch, dass auch ihm für "notarnahe" Tätigkeiten Punkte entsprechend der Maßgabe 2 f cc der Ausschreibung vom 8. April 2005 zuzubilligen sind. Er hat, wie die Antragsgegnerin nicht bezweifelt, vom 3. November 1992 bis 30. April 1996 zu 70,62 v.H. als Anwalt "notarnahe" Tätigkeiten ausgeübt. In der Zeit vom 1. Mai 1996 bis 2. Mai 2000 betrug diese Quote immer noch 38,55 v.H. Da die Antragsgegnerin für die hier noch zu treffende Auswahlentscheidung das für die Ausschreibung vom 8. April 2005 geltende Punktesystem analog heranzieht, sind dem Antragsteller entsprechend der sich daran orientierenden Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin für 42 Monate "notarnaher" Tätigkeit (3. November 1992 bis 30. April 1996) jeweils 0,15 Sonderpunkte und für 48 Monate (1. Mai 1996 bis 2. Mai 2000) je 0,10 Sonderpunkte (Maßgabe 2 f cc) anzurechnen. Dies ergibt insgesamt 11,10 Punkte.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, mit der sie im Übrigen ihr eigenes Bewertungssystem konterkariert, wird der Antragsteller durch die Berücksichtigung dieser Sonderpunkte gegenüber dem weiteren Beteiligten nicht unangemessen bevorzugt, weil die Anwaltstätigkeit, die zugunsten des Antragstellers bereits entsprechend Maßgabe 2 b berücksichtigt wurde, doppelt gewertet würde. Die nach der Maßgabe 2 b für die bloße Anwaltstätigkeit - selbst wenn diese keinen "notarnahen" Bezug aufweist - anzurechnenden Punkte honorieren lediglich die für die künftige notarielle Tätigkeit nützlichen allgemeinen Kenntnisse der Praxis der Rechtsbesorgung und ihrer organisatorischen Bewältigung, die Sicherheit des Bewerbers im Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum sowie das durch Erfahrung gewonnene Verständnis für dessen Anliegen (vgl. Regierungsbegründung des Entwurfs des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung , BT-Drucks. 11/6007, S. 10; Senatsbeschluss vom 22. November 2004 - NotZ 16/04 - NJW 2005, 212 , 214 m.w.N.). Die für "notarnahe" anwaltliche Tätigkeiten entsprechend der Maßgabe 2 f cc zu vergebenden Sonderpunkte berücksichtigen hingegen die über diese allgemeinen Erkenntnisse hinausgehenden besonderen Erfahrungen, die der Bewerber bei der Bearbeitung notarspezifischer Rechtsmaterien gewonnen hat. Da beide Maßgaben unterschiedliche Qualifikationen würdigen, besteht keine unzulässige Doppelwertung, wenn dem Antragsteller neben den nach Maßgabe 2 b anzurechnenden Punkten zusätzlich Sonderpunkte wegen "notarnaher" Tätigkeit gewährt werden.

Allerdings ist bei einem Vergleich des Antragstellers mit dem weiteren Beteiligten zu berücksichtigen, dass auch diesem über die für die Zeit vom 3. August 1992 bis zum 31. Dezember 1995 zugebilligten 8,2 Sonderpunkte für die Tätigkeit beim Landratsamt hinaus Sonderpunkte für "notarnahe" Anwaltstätigkeiten zustehen. Dieser hat von Anfang 1996 bis zum 2. Mai 2000 über 50 v.H. seiner Anwaltstätigkeit in "notarnahen" Rechtsgebieten ausgeübt. Damit stehen ihm nach der Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin für 52 Monate je 0,15 zusätzliche Sonderpunkte, zusammen 7,80 Punkte zu. Dies ergibt insgesamt 16,00 Punkte. Allerdings können nach der Maßgabe 2 f cc nur maximal 15 Punkte angerechnet werden.

Hieraus ergibt sich folgende Berechnung der dem Antragsteller und dem weiteren Beteiligten zustehenden Punkte:

Antragsteller:

Zweite juristische Staatsprüfung: 6,52 x 5 = 32,60 Punkte

Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt

90 x 0,25 = 22,50 Punkte

Fortbildungskurse 52 Halbtage x 0,5 = 26,00 Punkte

beurkundete Niederschriften 36,60 Punkte

Sonderpunkte

a) Erfahrungen bei Notarvertretungen 3,69 Punkte

b) für notarbezogene Anwaltstätigkeit 11,10 Punkte

insgesamt 132,49 Punkte

Dabei bleiben die vom Antragsteller für Erfahrungen bei Notarvertretungen zusätzlich beanspruchten 0,41 Punkte wegen der mit Schreiben vom 1. November 2006 mitgeteilten Vertretungszeiten noch außer Ansatz.

Weiterer Beteiligter:

Zweite juristische Staatsprüfung: 7,13 x 5 = 35,65 Punkte

Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt

116 Monate - 41 Monate (Landratsamt) = 75 x 0,25 = 18,75 Punkte

Fortbildungskurse 82 Halbtage x 0,5 = 41,00 Punkte

beurkundete Niederschriften 15,80 Punkte

Sonderpunkte

a) Erfahrungen bei Notarvertretungen 1,97 Punkte

b) für notarbezogene Anwaltstätigkeit 15,00 Punkte

insgesamt 128,17 Punkte

Damit ergibt sich insgesamt ein rechnerischer Vorsprung des Antragstellers in Höhe von 4,32 Punkten vor dem weiteren Beteiligten.

2. Auf sich beruhen kann, ob dem Antragsteller für die mit Schreiben vom 1. November 2006 angeführten Zeiten, in denen er eine Notarin vertreten hat, weitere 0,41 Punkte gutzubringen sind. Bereits sein rechnerischer Vorsprung von 4,32 Punkten ohne Berücksichtigung dieser zusätzlichen Punkte verschafft ihm einen ausschlaggebenden Vorsprung vor dem weiteren Beteiligten.

3. Die von der Antragsgegnerin angestellten Erwägungen zu der individuellen Eignungsprognose tragen die Entscheidung, dem weiteren Beteiligten ungeachtet seines rechnerischen Rückstandes gegenüber dem Antragsteller die zu besetzende Notarstelle zu übertragen, nicht.

a) Zwar hat die Justizverwaltung zur Ausschöpfung ihres Beurteilungsspielraums vor der endgültigen Auswahl zusätzlich zu prüfen, ob für die jeweiligen Bewerber Umstände ersichtlich sind, die in dem Punktebewertungssystem zwar keinen Eingang gefunden haben, die aber unerlässlich zu berücksichtigen sind, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Bewerber zutreffend und vollständig zu erfassen (Senatsbeschlüsse vom 23. Juli 2007 - NotZ 2/07 - juris Rn. 27 und vom 24. Juli 2006 - NotZ 3/06 - NJW-RR 2007, 63 , 65 Rn. 15 f). Darüber hinaus ist auch zu fragen, ob die in das Punktesystem aufgenommenen Kriterien und sonst eingeflossenen Gesichtspunkte im jeweiligen Einzelfall angemessen gewichtet sind. Die Justizverwaltung darf jedoch, wenn sie sich grundsätzlich eines Punktesystems bedient, nicht ohne besonderen Grund von der rechnerisch ermittelten Rangfolge durch einen darüber hinausgehenden Individualvergleich der Bewerber abweichen. Denn für eine derartige anlasslose Prüfung fehlt es mangels brauchbarer Beurteilungskriterien an einer tragfähigen Grundlage. Sie könnte daher im Ergebnis nur zu einer willkürlichen Abweichung von der ermittelten Rangfolge führen (Senatsbeschluss vom 23. Juli 2007 - NotZ 8/07 - ZNotP 2007, 475, 477 Rn. 14).

b) Die Erwägungen, die die Antragsgegnerin im Rahmen der "individuellen Eignungsprognose" zur Rechtfertigung des Vorrangs des weiteren Beteiligten vor dem Antragsteller angestellt hat, sind gemessen an diesen Maßstäben jedoch nicht tragfähig.

aa) Die individuelle Eignungsprognose in dem angefochtenen Bescheid vom 16. Oktober 2006 rechtfertigt die Vergabe der Notarstelle an den weiteren Beteiligten schon deshalb nicht, weil die Antragsgegnerin darin unzutreffend vorausgesetzt hat, beide Bewerber lägen punktemäßig praktisch gleichauf.

bb) Aber auch die in der Beschwerdeerwiderung enthaltene Abwägung, der die Antragsgegnerin den - fast zutreffenden - rechnerischen Unterschied von 3,32 Punkten zugrunde gelegt hat, trägt die Auswahlentscheidung nicht. Zwar mögen die Ausführungen gegebenenfalls über eine entsprechende Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO noch im gerichtlichen Verfahren zuzulassende Ergänzungen sein, um ein bis dahin bestehendes Ermessens- oder Erwägungsdefizit auszugleichen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2007 - NotZ 51/06 - juris Rn. 31 m.w.N.). Jedoch enthalten sie rechtsfehlerhafte Erwägungen.

(1) Die Antragsgegnerin meint, das rechnerische Ergebnis gebe die fachliche Eignung beider Bewerber nicht richtig wieder, weil der Vorsprung des Antragstellers allein darauf beruhe, dass dem weiteren Beteiligten für die Zeit, in der er als Syndikus beim Landkreis X beschäftigt gewesen sei, keine Punkte für hauptberufliche Anwaltstätigkeit zugute gekommen seien. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin für die Beurteilung der fachlichen Eignung nicht sachwidrig. Vielmehr hat der weitere Beteiligte während dieses Abschnitts seines Werdergangs die mit der hauptberuflichen Anwaltstätigkeit verbundenen Erfahrungen nicht oder jedenfalls nicht vollumfänglich sammeln können (vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. Juli 2003 - NotZ 1/03 - NJW 2003, 2750, 2751). Diese sind aber, wovon die Antragsgegnerin in ihrer Maßgabe 2 b der Ausschreibung vom 8. April 2005 selbst ausgeht, für die fachliche Eignung eines Notarbewerbers förderlich, weil er hierdurch allgemeine Kenntnisse der Praxis der Rechtsbesorgung und deren organisatorischer Bewältigung gewinnt, im Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum sicher wird sowie Verständnis für dessen Anliegen erlangt (siehe 1 c). Soweit der Antragsteller im Vergleich zu dem weiteren Beteiligten auf längere Erfahrungen als hauptberuflich tätiger Rechtsanwalt zurückblicken kann, hat er damit einen ins Gewicht fallenden Eignungsvorteil erlangt, den die Antragsgegnerin nicht über eine individuelle Eignungsprognose als unerheblich beiseite schieben darf.

(2) Nicht tragfähig ist auch die Erwägung der Antragsgegnerin, der weitere Beteiligte habe im Zeitraum vom 7. September 1990 bis zum 2. Mai 2000 erheblich "notarnäher" als der Antragsteller gearbeitet.

Für die Zeit ab dem 3. August 1992 hat dies bereits Eingang in die Bemessung der Sonderpunkte für "notarnahe" berufliche Tätigkeit entsprechend der Maßgabe 2 f cc gefunden. Die Antragsgegnerin rechnet pro Monat für mindestens 30 v.H. "notarnaher" Tätigkeit 0,1 Punkte, für mindestens 50 v.H. 0,15 Punkte und für mindestens 80 v.H. 0,2 Punkte an. Dementsprechend hat sie dem weiteren Beteiligten für 100 v.H. "notarnaher" Tätigkeit für den Zeitraum vom 3. August 1992 bis zum 31. Dezember 1995 0,2 Sonderpunkte pro Monat und für die Folgezeit bis zum 2. Mai 2000 monatlich 0,15 Punkte für die über der Hälfte seiner Beschäftigung liegende "notarnahe" Betätigung gutgebracht. Demgegenüber hat sie zugunsten des Antragstellers für dessen "notarnahe" Anwaltstätigkeit, die vom 3. November 1992 bis zum 30. April 1996 70,62 v.H. und vom 1. Mai 1996 bis zum 2. Mai 2000 38,55 v.H. seiner Beschäftigung ausmachte, monatlich nur 0,15 Punkte für den ersten Zeitraum und 0,1 Punkte für den zweiten angerechnet. Damit hat die Antragsgegnerin dem unterschiedlich hohen Anteil "notarnaher" Tätigkeiten beider Bewerber bereits angemessen Rechnung getragen. Da für eine vom rechnerischen Ergebnis abweichende Individualprognose grundsätzlich nur insoweit Raum ist als Umstände in Rede stehen, die im Punktesystem noch keine hinreichende Berücksichtigung gefunden haben, durfte die Antragsgegnerin den unterschiedlichen Umfang der "notarnahen" Berufstätigkeit nicht noch einmal in ihrem Individualvergleich berücksichtigen.

Soweit die Antragsgegnerin den Zeitraum vom 7. September 1990 bis 2. August 1992 im Rahmen des Individualvergleichs zugunsten des weiteren Beteiligten berücksichtigt, setzt sie sich in Widerspruch zu ihrer Bewertung innerhalb des von ihr angewandten Punktesystems. Sie hält die Angaben des weiteren Beteiligten zu seiner in dieser Zeit ausgeführten "notarnahen" Tätigkeit für nicht hinreichend konkretisiert, um die Vergabe von Sonderpunkten zu rechtfertigen. Ist dies der Fall, kann sie diese Tätigkeit aber auch nicht im Rahmen der Individualabwägung zugunsten des weiteren Beteiligten als ausschlaggebenden Gesichtspunkt berücksichtigen. Die fehlende Konkretisierbarkeit wirkt sich auch auf die Beurteilungsmöglichkeiten bei einer "freien" Eignungsprognose aus. Es lässt sich auch in diesem Rahmen nicht mit der notwendigen Zuverlässigkeit feststellen, inwieweit die Tätigkeit des weiteren Beteiligten diesem gegenüber dem Antragsteller einen entscheidenden Vorzug verschafft, der es rechtfertigen würde, trotz des beträchtlichen Punktevorsprungs des Antragstellers von einer besseren fachlichen Eignung des weiteren Beteiligten auszugehen.

4. Die Sache ist zugunsten des Antragstellers zur Endentscheidung reif. Neue entscheidungserhebliche Tatsachen sind, nachdem die streitige Besetzung bereits Gegenstand dreier gerichtlicher Verfahren war, nicht mehr zu erwarten. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin, die sich bereits umfassend und insbesondere unter Berücksichtigung der zutreffend berechneten Eignungspunkte des Antragstellers und seines Mitbewerbers mit der Sache befasst hat, im Rahmen eines erneuten Individualvergleichs noch zulässige Erwägungen wird anstellen können, die im Ergebnis ein Abweichen von der punktemäßig ermittelten Eignungsbeurteilung beider Kandidaten rechtfertigen könnte.

Da der Senat die Antragsgegnerin zur Vergabe der begehrten Notarstelle an den Antragsteller verpflichtet, sind dessen Anträge, die die Berücksichtigung der mit Schreiben vom 1. November 2006 mitgeteilten Vertretungszeiten zum Gegenstand haben, überholt und damit nicht mehr zu bescheiden.

Vorinstanz: KG, vom 01.06.2007 - Vorinstanzaktenzeichen Not 3/06
Fundstellen
BRAK-Mitt 2008, 181