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BFH - Entscheidung vom 25.11.2008

IX S 22/08 (PKH)

Normen:
FGO § 80 Abs. 1
FGO § 91 Abs. 1
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 155
ZPO § 227
GG Art. 103 Abs. 1

BFH, Beschluss vom 25.11.2008 - Aktenzeichen IX S 22/08 (PKH)

DRsp Nr. 2009/3468

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten; Mangelnde Vorbereitung eines Verfahrensbeteiligten als erheblicher Grund für die Zulassung einer Revision

Normenkette:

FGO § 80 Abs. 1 ; FGO § 91 Abs. 1 ; FGO § 96 Abs. 2 ; FGO § 155 ; ZPO § 227 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Antragstellerin (Klägerin) als unbegründet abgewiesen; die Revision gegen sein Urteil hat das FG nicht zugelassen. Dagegen erhob die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision und beantragte unter Hinweis auf ihre schlechten finanziellen Verhältnisse für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH). Eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde beigefügt.

II.

Der Antrag auf PKH ist unbegründet. Die mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S. von § 142 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) i.V.m. § 114 ff. der Zivilprozessordnung ( ZPO ); denn die von der Klägerin gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs ( Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO ) liegt nicht vor.

1.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn einem vor dem Termin gestellten Antrag auf Terminsänderung nicht stattgegeben worden ist. Die schlüssige Rüge einer Gehörsverletzung erfordert entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) auch keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39 , BStBl II 2001, 802).

Die Gewährung des Rechts auf Gehör besteht im finanzgerichtlichen Verfahren grundsätzlich darin, dem Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Äußerung zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen --regelmäßig im Rahmen der mündlichen Verhandlung-- zu geben. Inwieweit diese Gelegenheit wahrgenommen wird, ist Sache des Beteiligten. Durch seine prozessuale Mitverantwortung wird der Anspruch auf rechtliches Gehör begrenzt. Der Beteiligte hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Daran fehlt es, wenn weder der Beteiligte noch sein Prozessbevollmächtigter trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung zur mündlichen Verhandlung erscheinen und kein begründeter Antrag auf Terminsänderung gestellt wird ( BFH-Beschluss vom 19. Januar 2007 VII B 171/06, BFH/NV 2007, 947 ).

2.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt im Streitfall jedenfalls nicht darin, dass das FG in Abwesenheit der Klägerin entschieden hat; denn eine Anordnung i.S. des § 80 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nicht ergangen. Die Klägerin hat auch keine Gründe vorgetragen, die ihre persönliche Anwesenheit im Termin erfordert hätten. Vielmehr hat die Klägerin selbst durch ihren Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, sie könne "zum Sach- und Streitstoff nichts beitragen".

3.

Im Streitfall lag entgegen der Auffassung der Klägerin auch kein für eine Aufhebung oder Verlegung des Verhandlungstermins erforderlicher "erheblicher Grund" i.S. des § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO vor. Ein solcher Grund kann insbesondere nicht darin erblickt werden, dass den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt worden sei, sich in die verfahrenrelevanten Sachverhalte einzuarbeiten.

a)

Mangelnde Vorbereitung eines Verfahrensbeteiligten ist kein erheblicher Grund, es sei denn, der Beteiligte kann sie genügend entschuldigen ( § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO ). Vor diesem Hintergrund liegt ein erheblicher Grund für eine Verlegung oder Vertagung nur vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter schlüssig vorträgt und auf Verlangen glaubhaft macht, dass es ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden unmöglich sein wird oder war, sich ausreichend auf die Verhandlung vorzubereiten.

b)

Welche Zeit einem Prozessbevollmächtigten zur Vorbereitung zugebilligt werden muss, hängt vom Umfang und der Schwierigkeit des einzelnen Streitfalles ab. Die Ladungsfrist des § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO , welche regelmäßig mindestens zwei Wochen betragen muss, zeigt auf, dass der Gesetzgeber eine Vorbereitungszeit von zwei Wochen regelmäßig für ausreichend ansieht (vgl. BFH-Beschluss vom 28. September 2005 X S 15/05 (PKH), BFH/NV 2005, 2249 ).

Die Klägerin, die zu Verfahrensbeginn im Jahr 2001 von einem fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war --welcher das Mandat indes am 29. Juni 2006 niedergelegt hatte--, beauftragte unter dem 8. Mai 2008 eine acht Berufsträger umfassende Anwaltssozietät mit der Wahrnehmung ihrer Rechte. Der vom bisherigen Prozessbevollmächtigten geführte Schriftverkehr wurde den neuen Prozessbevollmächtigten übergeben. Unter dem 19. Juni 2008 verfügte der zuständige Senatsvorsitzende des FG Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2008.

Verbleibt danach --wie im Streitfall-- den (neuen) Prozessbevollmächtigten vom Zeitpunkt ihrer Mandatierung an noch ein Zeitraum von acht Wochen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, besteht auch dann hinreichend Zeit für die Einarbeitung in den Sach- und Rechtsstand, wenn der --ggf. federführend tätige-- Seniorpartner der Kanzlei in diesem Zeitraum einen kurzen Erholungsurlaub antritt. Dies gilt namentlich dann, wenn zum einen nicht substantiiert dargelegt wird, aus welchen Gründen in dieser (Urlaubs-)Zeit eine Vertretung des kurzzeitig urlaubsbedingt abwesenden Seniorpartners durch andere Sozien der Kanzlei nicht in Betracht gekommen sein soll, und zum anderen aus den dem erkennenden Senat vorliegenden Akten ersichtlich ist, dass sowohl die namens des Seniorpartners gefertigten und im Verfahren eingereichten Schriftsätze als auch der am Vorabend des Tages der mündlichen Verhandlung --d.h. "in letzter Minute"-- gestellte Antrag auf Terminsänderung jeweils von Kanzleikollegen des Seniorpartners unterzeichnet worden sind. Aus den Akten ergibt sich hierzu auch, dass der Seniorpartner der Kanzlei schriftsätzlich schon unter dem 8. Mai 2008 "so rasch wie möglich" ergänzenden Vortrag angekündigt und gegenüber dem Berichterstatter des FG Ende Mai 2008 erklärt hat, nunmehr ("am Wochenende") die Unterlagen des Streitfalles zu sichten. Hierzu wird im Schriftsatz vom 9. Juni 2008 bestätigt, dass diese Durchsicht vorgenommen worden sei; gleichzeitig wurde eine "abschließende Beurteilung" und Stellungnahme "nicht vor Ende Juni 2008" in Aussicht gestellt. Vor diesem Hintergrund ist die Mitte Juni 2008 verfügte Terminsbestimmung zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2008 nicht nur als ausreichend bemessen anzusehen, sondern auch im Einklang mit den eigenen Ankündigungen der Prozessbevollmächtigten geschehen.

c)

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen Antrag auf Terminsänderung auch damit begründet hat, dass verschiedene, die Streitsache betreffende Unterlagen des Ehemanns der Klägerin im Rahmen einer Steuerfahndungsmaßnahme gegen andere Beschuldigte beschlagnahmt worden seien, reicht diese pauschale und nicht näher begründete Bezugnahme auf fehlende Unterlagen angesichts der im Klageverfahren aufgeworfenen Fragen nicht aus, die mangelnde Vorbereitung des Prozessbevollmächtigten zu entschuldigen. Dieser hätte im Zeitraum zwischen seiner Mandatierung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit gehabt, sich durch Einsichtnahme in die Prozessakten beim FG, in denen sich eine große Zahl von Belegkopien zu den umstrittenen Punkten befinden, ausreichend vorzubereiten, um im Termin zur mündlichen Verhandlung seine Rechtsauffassung vorzutragen und ggf. sachdienliche Anträge --etwa zur Beiziehung weiterer entscheidungsrelevanter, aber beschlagnahmter Unterlagen-- zu stellen.

4.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren sind für dieses Verfahren nicht zu erheben.