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BFH - Entscheidung vom 16.01.2008

II R 30/06

Normen:
ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4 § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a § 10 Abs. 5 Nr. 1
AO § 38 § 119 Abs. 1 § 157 Abs. 1 S. 2
EStG § 36
BGB § 1922

Fundstellen:
BFH/NV 2008, 875
BFHE 220, 518
BStBl II 2008, 626
DB 2008, 1191
FamRZ 2008, 987
NJW-RR 2008, 676
ZEV 2008, 206

BFH, Urteil vom 16.01.2008 - Aktenzeichen II R 30/06

DRsp Nr. 2008/5446

Erbschaftsteuerliche Erfassung von privaten Steuererstattungsansprüchen; Erwerb aufschiebend bedingter, betagter oder befristeter Ansprüche; Erwerbszeitpunkt und Steuerentstehungszeitpunkt

»1. Private Steuererstattungsansprüche des Erblassers unterfallen mit dem beim Eintritt des Erbfalls materiell-rechtlich zutreffenden Wert der Erbschaftsteuer, ohne dass es auf deren Durchsetzbarkeit zu diesem Zeitpunkt ankommt. Werden die Ansprüche erst später fällig, entsteht die Erbschaftsteuer insoweit erst mit Eintritt der Fälligkeit. 2. Erwirbt der Erbe mit dem Nachlass einen aufschiebend bedingten, betagten oder befristeten Anspruch, verschiebt § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 2 ErbStG nicht den Erwerbszeitpunkt, sondern lediglich den Zeitpunkt der Steuerentstehung.«

Normenkette:

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4 § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a § 10 Abs. 5 Nr. 1 ; AO § 38 § 119 Abs. 1 § 157 Abs. 1 S. 2 ; EStG § 36 ; BGB § 1922 ;

Gründe:

I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres am 29. November 1994 verstorbenen Ehemannes (E). E war bis zu seinem Tod als Gesellschafter-Geschäftsführer an einer GmbH zu 50 % beteiligt gewesen und hatte 1990 von der GmbH eine Versorgungszusage erhalten. Der Klägerin stand nach dieser Vereinbarung eine lebenslängliche Witwenrente in Höhe von 60 % der dem E zugesagten Altersrente von monatlich 7 650 DM zu. Für die Kalenderjahre 1989 bis 1991 wurden die Klägerin und E 1993 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und die sich daraus ergebenden Erstattungen und Nachzahlungen noch vor dem Tod des Erblassers geleistet.

Nach dem Tode des E wurden die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1991 (teilweise mehrfach) geändert und für 1992 bis 1994 Zusammenveranlagungsbescheide erlassen und diese ebenfalls teilweise wieder geändert. Aus diesen Bescheiden ergaben sich folgende, auf den Erblasser entfallende Steuererstattungsansprüche und Nachzahlungen:

Beträge jeweils in DM

ESt-Bescheide

vom 1989 1990 1991 1992 1993 1994

Januar

1995 +59 268,00 +82 689,50

April

1996 +12 809,00 +23 324,00 +55 375,00 +122 376,00

Juni

1996 +2 196,50 +3 205,00

Juni/Juli

1996 +83 816,00

August

2000 +682,00 +451,00 +411,50 ./.18 110,00 ./.29 902,00 ./.52 590,00

Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte durch (Änderungs-)Bescheid vom 27. Dezember 2000 gegen die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von 60 885 DM fest. Hierbei rechnete es die sich aus den ergangenen Einkommensteuerbescheiden für die Kalenderjahre 1989 bis 1994 ergebenden Steuererstattungsansprüche dem Erwerb von Todes wegen hinzu und berücksichtigte die Nachzahlungsbeträge als Nachlassverbindlichkeiten. Wegen der Hinterbliebenenbezüge hatte das FA bereits am 28. Februar 2000 dem Antrag der Klägerin entsprechend, die Steuer gemäß § 23 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes ( ErbStG ) jährlich nach dem Jahreswert zu entrichten, einen Ergänzungsbescheid erlassen.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. Dezember 2000 sowie die Aufhebung des Ergänzungsbescheids vom 28. Februar 2000. Die Steuererstattungsansprüche gehörten nicht zum steuerpflichtigen Erwerb. Allein die materiell-rechtliche Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerrechtsverhältnis reiche nicht aus. Vielmehr sei entscheidend, ob die Erstattungsforderung durchgesetzt werden könne. Hierzu müsse ein entsprechender Steuerbescheid vorliegen. Die Besteuerung der Witwenrente sei verfassungswidrig; sie verstoße gegen Art. 3 und 6 des Grundgesetzes ( GG ). Der Versorgungsfreibetrag von 250 000 DM sei angesichts der Behandlung der übrigen Betriebsrenten, die nicht einmal steuerbar seien, in verfassungswidriger Weise zu niedrig.

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1076 und 1080 veröffentlichten Urteil den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. Dezember 2000 abgeändert sowie die Klage gegen den Ergänzungsbescheid abgewiesen und dabei hinsichtlich der Steuererstattungsansprüche die Auffassung vertreten, dass diese nur insoweit zum steuerpflichtigen Erwerb zählten, wie diese im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstanden und durchsetzbar gewesen seien. Entstanden und durchsetzbar seien nur die sich aus den erstmaligen Einkommensteuerveranlagungen für 1992 (59 268 DM) und 1993 (82 689,50 DM) vom Januar 1995 sowie für 1994 (83 816 DM) vom Juni/Juli 1996 ergebenden Erstattungsansprüche, weil diesen keine anderslautenden Bescheide entgegengestanden hätten.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 10 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 1 ErbStG . Steuererstattungsansprüche seien bereits dann dem Erwerb hinzuzurechnen, wenn sie am maßgeblichen Stichtag lediglich entstanden seien.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

Die Klägerin hat sich der Revision des FA angeschlossen. Sie wendet sich hiermit weiterhin gegen die Besteuerung der Witwenrente.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, soweit es die Klage abgewiesen hat, den Ergänzungsbescheid vom 6. März 2000 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 2001 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Anschlussrevision der Klägerin zurückzuweisen.

II. A) Revision des FA

Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat zu Unrecht die Berücksichtigung der Steuererstattungsansprüche davon abhängig gemacht, ob sie beim Tod des E bereits durchsetzbar waren oder nicht. Daher war die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. Dezember 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung betrifft, und insoweit in der Sache zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Private Steuererstattungsansprüche, die noch in der Person des Erblassers entstanden sind, gehören beim Erben zum steuerpflichtigen Erwerb i.S. des § 10 Abs. 1 ErbStG .

a) Noch in der Person des Erblassers entstanden sind Erstattungsansprüche, wenn und soweit beim Tod des Erblassers nach materieller Rechtslage bereits eine Überzahlung vorgelegen hat. Einkommensteuererstattungsansprüche, die sich aufgrund der Abrechnung nach § 36 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) ergeben, entstehen mit Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. April 1994 VII R 109/93, BFH/NV 1994, 839, unter 1., und vom 6. Februar 1996 VII R 116/94, BFHE 179, 547 , BStBl II 1996, 557 , unter 2.a) Demnach fallen sämtliche Einkommensteuererstattungsansprüche aus Veranlagungszeiträumen, die beim Tod des Erblassers bereits abgelaufen waren, in den nach § 10 Abs. 1 ErbStG steuerpflichtigen Erwerb, sofern und soweit sich bei Ablauf dieser Zeiträume nach materieller Rechtslage eine Überzahlung ergibt. Hinzu kommen noch diejenigen Einkommensteuererstattungsansprüche, die zwar beim Tod des Erblassers bereits abgelaufene Veranlagungszeiträume betreffen, aber erst nach deren Ablauf in der Zeit bis zum Tod des Erblassers dadurch entstanden sind, dass die Steuer fehlerhaft zu hoch festgesetzt und noch vom Erblasser (nach-)bezahlt worden ist. Dagegen entstehen Einkommensteuererstattungsansprüche, die das Todesjahr des Erblassers betreffen, jedenfalls bei einer Zusammenveranlagung mit dem überlebenden Ehegatten (dazu BFH-Urteil vom 13. November 1979 VIII R 193/77, BFHE 129, 262 , BStBl II 1980, 188 ) erst mit Ablauf des Todesjahres. Sie fallen damit nicht mehr in den steuerpflichtigen Erwerb nach § 10 Abs. 1 ErbStG .

b) Nicht erforderlich ist, dass die Einkommensteuererstattungsansprüche beim Tod des Erblassers auch durchsetzbar waren. Ein bereits vor dem Tod des Erblassers ergangener Jahressteuerbescheid, in dem eine zu hohe Einkommensteuer festgesetzt worden ist, hindert die Zugehörigkeit des Erstattungsanspruchs zum steuerpflichtigen Erwerb i.S. des § 10 Abs. 1 ErbStG nicht. Das ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG . Diese Regelung schließt es für die Erbschaftsteuer aus, die Zugehörigkeit der Einkommensteuererstattungsansprüche zum steuerpflichtigen Erwerb ebenso von dem zusätzlichen Erfordernis der Durchsetzbarkeit abhängig zu machen, wie dies für den Ansatz derartiger Ansprüche bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens und bei der Vermögensteuer geschehen ist (BFH-Urteile vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111 , BStBl II 1997, 796 , sowie vom 2. Dezember 2003 II R 5/03, BFHE 203, 512 , BStBl II 2004, 203 ). § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 2 ErbStG bestimmt u.a., dass die Erbschaftsteuer für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses entsteht. Die Erbschaftsteuer für den (unbedingten) Erwerb von Steuererstattungsansprüchen entsteht daher mit der Fälligkeit dieser Ansprüche. Die Fälligkeit, mit der die Steuererstattungsansprüche erst durchsetzbar werden, setzt aber die Entstehung dieser Ansprüche voraus. Folglich kann deren Durchsetzbarkeit keine Voraussetzung für ihre Entstehung sein. Da der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif.

a) Die vom FA angesetzten Einkommensteuererstattungsansprüche bezüglich der Veranlagungszeiträume 1989 bis 1993 sind sämtlich bereits vor dem Tod des E entstanden und damit dem Erwerb hinzuzurechnen. Die Veranlagungszeiträume sind vor dem Tod des E abgelaufen. Die Überzahlungen, die zu den Steuererstattungen geführt haben, wurden vor Ablauf der jeweiligen Veranlagungszeiträume geleistet. Der Einkommensteuererstattungsanspruch 1994, der das Todesjahr betrifft, ist wegen der Zusammenveranlagung mit der Klägerin als überlebender Ehegattin (dazu BFH-Urteil in BFHE 129, 262 , BStBl II 1980, 188 ) erst mit Ablauf des Todesjahres entstanden. Er fällt damit nicht mehr in den Nachlass des E. Die Summe der für die Veranlagungszeiträume 1989 bis 1993 entstandenen Erstattungsansprüche beträgt 362 787,50 DM.

b) Die in der obenstehenden Tabelle aufgeführten Steuerschulden der Jahre 1992 bis 1994 gehören ebenfalls nicht mehr in den Nachlass. Sie sind erst dadurch entstanden, dass das FA nach dem Tod des E zu hohe Erstattungen geleistet hat. Vielmehr sind die Erstattungen der Jahre 1992 und 1993 um diese Nachzahlungsbeträge (18 110 DM + 29 902 DM = 48 012 DM) zu kürzen; der Nachzahlungsbetrag 1994 ist bereits deshalb nicht zu berücksichtigen, weil auch der Erstattungsbetrag 1994 nicht mehr in den Nachlass fiel.

Danach sind dem steuerpflichtigen Erwerb der Klägerin Steuererstattungsansprüche in Höhe von 314 775,50 DM (362 787,50 DM abzügl. 48 012 DM) hinzuzurechnen.

c) Die verbliebenen Einkommensteuererstattungsansprüche zählten solange zu den betagten Ansprüchen i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG , wie nicht die Abrechnungen zu den jeweiligen Bescheiden nach § 36 Abs. 4 EStG auszuzahlende Überschüsse ergaben. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG betrifft allerdings nicht alle Ansprüche, die zivilrechtlich als betagt anzusehen sind. Aus der bewertungsrechtlichen Behandlung noch nicht fälliger Forderungen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes -- BewG --) folgt, dass die Erbschaftsteuer für solche Ansprüche, die zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt fällig werden, dem Regelfall des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechend bereits im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entsteht und dass diese Ansprüche ggf. mit ihrem abgezinsten Wert anzusetzen sind. Anders sind jedoch diejenigen betagten Ansprüche zu behandeln, bei denen der Zeitpunkt des Eintritts des zur Fälligkeit führenden Ereignisses unbestimmt ist. Hier versagt § 12 Abs. 3 BewG , weil es an einem bestimmten Zeitpunkt für den Eintritt der Fälligkeit fehlt und somit die Berechnungs- oder Schätzungsgrundlagen für eine Abzinsung oder den Ansatz eines niedrigeren Werts als des Nennwerts (§ 12 Abs. 1 BewG ) fehlen. In diesen Fällen entsteht die Erbschaftsteuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG --wie bei einer aufschiebend bedingten oder befristeten Forderung-- erst mit dem Eintritt des Ereignisses, welches zur Fälligkeit der Ansprüche führt (so BFH-Urteil vom 27. August 2003 II R 58/01, BFHE 203, 279 , BStBl II 2003, 921). Einkommensteuererstattungsansprüche gehören zu der zweiten Fallgruppe. Die Fälligkeit der materiell-rechtlich entstandenen Ansprüche hängt vom erstmaligen Ergehen, der Aufhebung, Änderung oder Berichtigung eines Bescheids sowie der damit verbundenen Abrechnung ab, die die Überzahlung ausweist (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 839, unter 2.). Ob und wann ein derartiger Bescheid ergeht, ist zunächst ungewiss.

Für den Streitfall folgt daraus, dass die Einkommensteuererstattungsansprüche 1989 bis 1993 in der um die Nachzahlungen für 1992 und 1993 geminderten Höhe beim Tod des E bereits bestanden und zum Erwerb der Klägerin nach § 10 Abs. 1 ErbStG gehört haben, aber die darauf jeweils entfallende Erbschaftsteuer anders als für den übrigen Erwerb nicht schon mit dem Tod des E, sondern erst zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten entstanden ist.

d) Obwohl dadurch die Erbschaftsteuer zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden ist, hat das FA in dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid die Steuer für den gesamten Erwerb der Klägerin unaufgeschlüsselt in einem Betrag festgesetzt. Dies führt jedoch auch unter dem Gesichtspunkt des § 14 Abs. 1 ErbStG nicht zur Unbestimmtheit des Bescheids (§ 119 Abs. 1 , § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung -- AO --). Unterschiedliche Steuerentstehungszeitpunkte sind nämlich nicht zwangsläufig mit unterschiedlichen Erwerbszeitpunkten verbunden. Im Urteil vom 2. März 2006 II R 57/04 (BFH/NV 2006, 1480 , unter II. 3. a) findet sich zwar die Aussage, verschiedene Steuerentstehungszeitpunkte bedeuteten selbständige Erwerbsvorgänge, für die grundsätzlich jeweils gesondert Erbschaftsteuer unter Berücksichtigung des § 14 ErbStG festzusetzen sei; an der Aussage kann jedoch in dieser Allgemeinheit nicht festgehalten werden.

aa) § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG regelt den Zeitpunkt der Steuerentstehung für zwei Fallgruppen. Die erste Gruppe betrifft die Fälle eines aufschiebend bedingten, betagten oder befristeten Erwerbs. Für diese Fallgruppe ist die Aussage zutreffend. Wird etwa ein Miterbe zusätzlich mit einem aufschiebend bedingten Vermächtnis (§ 2177 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) oder eine Person mit mehreren Vermächtnissen bedacht, die an unterschiedliche erst nach dem Tod des Erblassers erfüllbare aufschiebende Bedingungen geknüpft sind, liegen mehrere Erwerbsvorgänge vor (einen vergleichbaren Sachverhalt betraf das BFH-Urteil vom 28. März 2007 II R 25/05, BFH/NV 2007, 1421 , 1423).

bb) Die zweite Gruppe, zu der auch der Streitfall gehört, betrifft die Fälle des (unbedingten) Erwerbs aufschiebend bedingter, betagter oder befristeter Ansprüche. Für diese Fallgruppe ist die Aussage vom selbständigen Erwerbsvorgang nicht zutreffend. Solche Ansprüche sind zwar zunächst gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. den §§ 4 und 8 BewG nicht zu berücksichtigen; sie sind aber gleichwohl mit dem Übergang etwa auf einen Erben bereits erworben. Dies hat insbesondere Bedeutung für § 14 Abs. 1 ErbStG . Es liegt nur ein Vorerwerb i.S. des § 14 Abs. 1 ErbStG vor, wenn sich in dem (unbedingten usw.) Erwerb aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche befinden. Infolgedessen können auch nicht mehrere Zehn-Jahres-Zeiträume i.S. des § 14 Abs. 1 ErbStG betroffen sein.

cc) § 14 Abs. 1 ErbStG erfordert daher im Streitfall für sich allein keine Aufschlüsselung der festgesetzten Steuer. Da zudem sämtliche Erstattungsansprüche schon vor Ergehen des angefochtenen Bescheids fällig geworden waren, bestand auch unter dem Gesichtspunkt der Festsetzungsverjährung keine Notwendigkeit, die Steuer nach den unterschiedlichen Steuerentstehungszeitpunkten aufzuschlüsseln.

Danach ergibt sich folgende Steuerberechnung:

Reinnachlass ohne Erstattungen/Schulden

(s. Anlage zum Bescheid vom 17. Dezember 1999, Bl. 64 FA) 4 151 483,00

+ Steuererstattungsansprüche 314 775,50

Reinnachlass 4 466 258,50

./. Freibeträge

(s. Anlage zum Bescheid vom 27. Dezember 2000, Bl. 107 FA) 3 141 320,00

Steuerpflichtiger Erwerb 1 324 938,50

Steuersatz 11 %

./. Versorgungsrente

(Besteuerung des Jahreswerts unverändert mit 11 %) 802 130,00

Noch zu versteuern 522 808,50

Steuer 11 % von 522 800 57 508,00

(29 403,82 EUR)

B) Anschlussrevision der Klägerin

Die zulässige Anschlussrevision ist unbegründet. Das FG hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Besteuerung der Hinterbliebenenversorgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG rechtmäßig ist und gegen die Höhe des Versorgungsfreibetrages (§ 17 Abs. 1 ErbStG ) keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Es bleibt daher bei der oben zu II. A) vorgenommenen Steuerberechnung. Dieser Streitpunkt betrifft lediglich den Ergänzungsbescheid. Er wird durch die Herabsetzung der Steuer nach Maßgabe des Abschnitts II. A) nicht berührt.

1. Die vertraglich vereinbarten Versorgungsbezüge der Klägerin als Erbin des E gehören zu den in § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG genannten Zuwendungen aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall. Die Rechtsprechung, wonach solche Zuwendungen dann nicht der Erbschaftsteuer unterliegen, wenn es sich um den Erwerb einer Rente durch die Witwe eines Arbeitnehmers oder einer Person handelt, die einem Arbeitnehmer gleichzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 II R 23/85, BFHE 159, 228, BStBl II 1990, 322 , unter 2., und die dort angeführten Nachweise; zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung siehe Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5. Mai 1994 2 BvR 397/90, BStBl II 1994, 547 ), kommt im Streitfall nicht zur Anwendung. E war nicht im Sinne dieser Rechtsprechung Arbeitnehmer oder einem Arbeitnehmer gleichzustellen. Er war kraft seiner Beteiligung an der GmbH vielmehr herrschender Gesellschafter-Geschäftsführer, da er zusammen mit einem oder mehreren der anderen Gesellschafter-Geschäftsführer über die Mehrheit verfügte und keiner von diesen allein eine Mehrheitsbeteiligung innehatte (BFH-Urteil in BFHE 159, 228, BStBl II 1990, 322 , m.w.N., sowie BFH-Beschluss vom 24. Mai 2005 II B 40/04, BFH/NV 2005, 1571 ).

2. Ob die Höhe des Versorgungsfreibetrags gemäß § 17 Abs. 1 ErbStG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, kann im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 , BStBl II 1995, 671 ) offen bleiben. Das BVerfG hat angeordnet, dass das bisherige Erbschaftsteuerrecht weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1995 verwirklichten Tatbestände anzuwenden ist (BFH-Beschluss vom 5. Mai 1999 II B 31/98, BFH/NV 1999, 1463 ). Diese Anordnung erstreckt sich auch auf die Anwendung von § 17 ErbStG im Streitfall.

Vorinstanz: FG Hamburg, vom 14.02.2006 - Vorinstanzaktenzeichen III 214/05
Fundstellen
BFH/NV 2008, 875
BFHE 220, 518
BStBl II 2008, 626
DB 2008, 1191
FamRZ 2008, 987
NJW-RR 2008, 676
ZEV 2008, 206