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BVerfG - Entscheidung vom 11.01.2007

2 BvL 7/06

Normen:
SGB VIII § 36a Abs. 1 S. 1
GG Art. 92 Art. 104 Art. 100 Abs. 1

BVerfG, Beschluss vom 11.01.2007 - Aktenzeichen 2 BvL 7/06

DRsp Nr. 2007/10165

Unzulässigkeit einer Richtervorlage betreffend die Durchführung und Finanzierung einer gerichtlichen Weisung durch das Jugendamt

Legt der Jugendrichter gem. Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor, ob § 36a Abs. 1 S. 1 SGB VIII mit Art. 92 und 104 GG vereinbar sei, weil mit der Entscheidung des Jugendamts über die Durchführung und Finanzierung von Maßnahmen der Jugendhilfe (hier: Betreutes Wohnen) letztlich von der Entscheidung des Jugendamts und nicht der Gerichte abhängig sei, ob die Maßnahme durchgeführt und eine entsprechende Weisung erteilt werden könne, so hat er auch darzulegen, dass das Jugendamt die Maßnahme abgelehnt hat. Fehlt es hieran, so fehlt es bereits an der Entscheidungserheblichkeit der für verfassungsrechtlich gehaltenen Norm.

Normenkette:

SGB VIII § 36a Abs. 1 S. 1 ; GG Art. 92 Art. 104 Art. 100 Abs. 1 ;

Gründe:

Das gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorlegende Amtsgericht - Jugendrichter - hält die Regelung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für unvereinbar mit Art. 92 GG in Verbindung mit Art. 104 GG . Die Vorschrift lautet in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729 [2731 f.]):

§ 36 a

Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung

(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. [...]

(2) [...]

(3) [...]

Die Vorschrift steht nach Ansicht des vorlegenden Gerichts im Widerspruch dazu, dass die Entscheidung über die Verpflichtung eines Jugendlichen oder Heranwachsenden zur Inanspruchnahme von Hilfen nach dem Jugendgerichtsgesetz , die in sachlichem Zusammenhang mit der Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung steht, dem Richter vorbehalten bleiben müsse. Dieser Richtervorbehalt dürfe sich nicht nur in einer formalen Entscheidungskompetenz erschöpfen, sondern müsse eine verbindliche Letztentscheidungskompetenz auch gegenüber den zur Umsetzung der auferlegten Hilfen berufenen Stellen beinhalten.

1. In dem Ausgangsverfahren wurde der Angeklagte mit Urteil vom 23. Januar 2006 unter Einbeziehung eines weiteren Urteils vom 8. Februar 2005 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Mit dem einbezogenen Urteil war der Angeklagte zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war. Maßgeblich für die damalige Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung war, dass der Angeklagte bereits ab Herbst 2004 aufgrund einer Genehmigung des Jugendamts in einer betreuten Außenwohngruppe lebte und erfolgreich ein berufsvorbereitendes Jahr absolvierte. Nach Beendigung der Heimunterbringung des damals gerade volljährigen Angeklagten im Mai 2005, kehrte dieser in seine Familie zurück, wurde noch im Mai und im Juli 2005 mit den durch Urteil vom 23. Januar 2006 abgeurteilten Taten erneut straffällig und brach im Herbst 2005 seine Ausbildung zum Maler ab. Die Entscheidung über die erneute Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung hat das Gericht gemäß § 57 Abs. 1 JGG einem nachträglichen Beschluss vorbehalten.

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kommt eine erneute Aussetzung der am 23. Januar 2006 verhängten Jugendstrafe zur Bewährung nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte der Betreuung und Aufsicht eines Betreuungshelfers gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 JGG in Verbindung mit § 30 SGB VIII (sog. Betreuungsweisung) unterstellt werde. Ohne dessen Hilfe sei der Angeklagte nicht in der Lage, weitergehende gerichtliche Weisungen in Bezug auf die Suche und den Antritt einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu befolgen. Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe sei in seinem Entscheidungsvorschlag zu der Einschätzung gelangt, dass es weiterer Maßnahmen, etwa einer Betreuungsweisung oder der Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs bedürfe, um den Entwicklungsweg des Angeklagten zu unterstützen. Obwohl sich das Amtsgericht mit dem Jugendamt in Verbindung gesetzt habe, habe dieses ein Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII , das Voraussetzung für die Finanzierung eines Betreuungshelfers wäre, bislang nicht eingeleitet.

2. Das vorlegende Gericht sieht sich durch die Regelung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII an der Erteilung der von ihm beabsichtigten Weisung und damit auch an der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung gehindert. Es ist der Ansicht, dass ihm die Entscheidungskompetenz über die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung genommen werde, weil es das Jugendamt seit der Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht mehr zur Umsetzung und Finanzierung der von ihm für erforderlich gehaltenen Weisungen verpflichten könne.

a) Der Richtervorbehalt nach Art. 92 GG erschöpfe sich nicht darin, dass nur der im Rahmen eines Strafverfahrens zu fällende Schuldspruch dem Richter vorbehalten bleibe, sondern beinhalte auch von Verfassungs wegen eine Entscheidung über die Rechtsfolgen. Aus Art. 104 Abs. 1 GG folge notwendigerweise, dass der Richter jedenfalls diejenigen Weisungen und Auflagen verbindlich anordnen müsse, deren Befolgung für die Entscheidung über die Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung nach § 21 , § 23 JGG maßgeblich sei. Der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG beinhalte daher die Entscheidung über Maßnahmen, die der Abwendung eines andernfalls erforderlichen Freiheitsentzugs dienten.

b) Dem Gericht müsse zudem eine Letztentscheidungskompetenz zukommen. Gerade weil die rechtsprechende Gewalt aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht selbst zur Vollstreckung der von ihr getroffenen Entscheidungen berufen sei, müsse die zur Vollstreckung von Urteilen berufene Gewalt hierzu verpflichtet werden können. Damit unvereinbar sei es, wenn das Jugendamt aufgrund eigener Prüfungskompetenz darüber zu befinden habe, ob es jugendrichterliche Weisungen tatsächlich umsetzen wolle.

c) Nach bisheriger Rechtslage (vor Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ) sei nicht ausdrücklich geregelt gewesen, wen die Kostentragungspflicht für jugendrichterliche Weisungen treffe. Die damalige Rechtslage sei nach Ansicht der vom vorlegenden Gericht insoweit vertretenen Mindermeinung verfassungskonform dahingehend auszulegen gewesen, dass die jugendrichterliche Weisung gegenüber dem Verurteilten zugleich eine verbindliche Entscheidung über die vom Jugendamt zu gewährende Hilfe nach dem Sozialgesetzbuch VIII beinhaltet habe. Nach damals herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung hatte die richterliche Weisung hingegen keine Bindungswirkung für das Jugendamt. Jugendrichter und Jugendamt waren vielmehr gehalten, ein Einvernehmen über die erforderlichen erzieherischen Maßnahmen herzustellen.

Problematisch seien auch nach Ansicht des vorlegenden Gerichts allein diejenigen Fälle, in denen nur der Jugendrichter einen erzieherischen Bedarf sehe, der vom Jugendamt verneint werde. Sehe das Jugendamt keine Möglichkeit mehr, die Vollstreckung einer Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen und schlage es deshalb die Erteilung von Weisungen und Auflagen nicht vor, werde dem Jugendrichter die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung abgenommen. Zur Lösung dieser Fälle habe auch die damals herrschende Auffassung keinen Beitrag leisten können.

d) Auch verfahrensrechtlich bestehe zwischen der Anordnung einer jugendrichterlichen Weisung nach dem Jugendgerichtsgesetz und der Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch VIII kein Unterschied. Der Gesetzgeber verpflichte die Jugendgerichtshilfe ausdrücklich dazu, aus Anlass der Einleitung eines Strafverfahrens entsprechende Untersuchungen anzustellen. Diese Untersuchung beinhalte im Bedarfsfall ein Hilfeplanverfahren, welches der Hauptverhandlung nach Möglichkeit vorauszugehen habe. Dessen Ergebnisse flössen in die Entscheidungsfindung des Gerichts ein, ohne jedoch diese abschließend mitzubestimmen.

e) Die bisherige Auffassung des vorlegenden Gerichts könne nach der Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht mehr vertreten werden. Eine abweichende Auslegung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sei in Anbetracht der Gesetzesbegründung nicht vertretbar.

f) In Anbetracht der Regelung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII könne der Jugendrichter nicht darauf verwiesen werden, den Jugendlichen oder Heranwachsenden anzuweisen, sich nach Kräften um die Gewährung von Hilfen zur Erziehung zu bemühen. Mit der eigenständigen Geltendmachung dieses Anspruchs wären diejenigen Jugendlichen und Heranwachsenden, die der Hilfe zur Erziehung bedürften, regelmäßig überfordert. Eine als Weisung angeordnete Verpflichtung, im Falle der Versagung der Hilfe Widerspruch zu erheben und gegebenenfalls den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten zu beschreiten, würde unzumutbare Anforderungen an den Jugendlichen oder Heranwachsenden stellen und sei nach § 10 Abs. 1 Satz 2 JGG unzulässig.

g) Entgegen einer häufig vertretenen Ansicht könne der Jugendrichter das Jugendamt auch nicht zur Vollziehung einer Betreuungsweisung verpflichten. Die Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 7 JGG beinhalte keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage, Betreuungsweisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 JGG auszusprechen. Dies folge bereits aus dem Wortlaut dieser Norm. Die Jugendgerichtshilfe sei zur Ausübung der Betreuung und Aufsicht des ihr unterstellten Jugendlichen nur im Fall einer bereits erfolgten Unterstellung verpflichtet. Dies setze aber eine wirksame Unterstellung bereits voraus. Sinn und Zweck der Vorschrift sei, überhaupt eine Zuständigkeit der Jugendgerichtshilfe für dieses von ihr bislang nicht wahrgenommene Aufgabenfeld zu begründen und zugleich zu gewährleisten, dass im Falle der Anordnung einer Betreuungsweisung auch ein Betreuungshelfer zur Verfügung stehe. Hieraus folge aber noch keine Pflicht des Jugendamts, jugendrichterliche Weisungen auszuführen. Aus der Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 7 JGG könne daher nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber dem Jugendrichter eine auf Betreuungsweisungen beschränkte Weisungsbefugnis habe einräumen wollen. Die Regelung habe vielmehr vorausgesetzt, dass dem Richter eine grundsätzliche Letztentscheidungskompetenz zukomme. Für den Fall, dass die Vorschrift des § 38 Abs. 2 Satz 7 JGG anders als von dem vorlegenden Gericht hätte verstanden werden müssen, sei dieser Interpretation jedenfalls durch die Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die Grundlage entzogen worden.

3. Die Entscheidung, die Vollstreckung der gegen den Angeklagten verhängten Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen und ihn der Aufsicht eines Betreuungshelfers zu unterstellen, hänge ebenso von der Gültigkeit der angegriffenen Norm ab, wie die Frage, ob dem Angeklagten eine positive Prognose gestellt werden könne. Für den Fall der Gültigkeit des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII könne das Gericht dem Angeklagten einen Betreuungshelfer nicht bestellen. Der Angeklagte könne auch nicht darauf verwiesen werden, sich diese Hilfe vor dem Verwaltungsgericht notfalls selbst zu erstreiten. Die finanziellen Mittel des Angeklagten ließen eine Selbstbeschaffung nicht zu. Der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe habe konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er eine solche Hilfe zur Erziehung nicht zu gewähren beabsichtige. Die Fortführung der Heimunterbringung des Angeklagten über Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus habe das Jugendamt als nicht notwendig angesehen; eine Weiterbetreuung durch einen Betreuungshelfer auf Veranlassung des Jugendamts sei nicht erfolgt. Auch das vorliegende Strafverfahren habe der örtliche Träger der Jugendhilfe nicht zum Anlass genommen, ein erneutes Hilfeplanverfahren einzuleiten. Einer Bestellung eines der beiden Vertreter der Jugendgerichtshilfe zum Betreuungshelfer stehe entgegen, dass das Gericht hierzu nicht berechtigt sei, soweit das Jugendamt nicht dem Grunde nach einer entsprechenden Hilfeleistung zugestimmt habe. Ferner würde dies zu einer zeitlichen Überforderung der damit betrauten Person führen. Weil das Gericht der Überzeugung sei, dass dem Angeklagten ohne eine entsprechende Betreuungsweisung eine positive Prognose nicht gestellt werden könne, könne die Jugendstrafe, zu der der Angeklagte bereits verurteilt worden sei, nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Für den Fall, dass die angegriffene Regelung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht mit der Verfassung vereinbar wäre, könnte das vorlegende Gericht eine Betreuungsweisung ungeachtet der ablehnenden Haltung des Jugendamts erteilen, und damit die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung schaffen.

Die Vorlage ist unzulässig. Das vorlegende Gericht ist den Begründungserfordernissen für eine Richtervorlage (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ) nicht gerecht geworden; es hat insbesondere die Vorlagebedürftigkeit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt, ohne andere Lösungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen.

1. Ein Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht stellt, muss zuvor nicht nur die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift, sondern auch deren Verfassungsgemäßheit sorgfältig prüfen und das Ergebnis dieser Prüfung ausführlich darlegen. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die für die Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der fraglichen Norm maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dargelegt werden. Dazu muss das vorlegende Gericht alle nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 86, 71 [78]; 88, 198 [201]; 93, 121 [132]).

Ferner muss das vorlegende Gericht zu erkennen geben, inwiefern es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt. Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist grundsätzlich Sache des zuständigen Fachgerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Hierzu hat sich das vorlegende Gericht eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinander zu setzen und die in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Rechtsauffassungen zu berücksichtigen, soweit sie für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten (vgl. BVerfGE 97, 49 [60]). Ist es der Auffassung, eine Vorschrift, über deren Auslegung Streit besteht, sei nur bei einer bestimmten Auslegung mit der Verfassung vereinbar, muss es seiner Entscheidung diese Auslegung zugrunde legen und darf nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen (vgl. BVerfGE 22, 373 [377]; 78, 20 [24]; 80, 54 [58]). Dasselbe muss gelten, wenn sich dem vorlegenden Richter durch die Auslegung einer anderen Vorschrift, die er zwar nicht zum Gegenstand der Richtervorlage macht, eine Möglichkeit zur Lösung des sich ihm stellenden Problems bietet. Denn es ist nicht Aufgabe des Instanzrichters, nach Wegen zur Anrufung des Verfassungsgerichts statt nach solchen zur Sachentscheidung zu suchen (vgl. Bettermann, Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz , Bd. I, Verfassungsgerichtsbarkeit 1976, S. 323 [362]).

2. Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht. Er weist drei entscheidende Mängel auf:

a) Wie von dem vorlegenden Gericht selbst erkannt, kommt es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift nur dann entscheidungserheblich an, wenn das Jugendamt die Durchführung und Finanzierung der von dem Jugendgericht in Erwägung gezogenen Weisung ablehnt (Bl. 12 f. des Vorlagebeschlusses; vgl. auch Höynck/Goerdeler, JAmt 2006, S. 170 [171]; DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2006, S. 26 [27]). Nur dann könnte sich das Gericht an der Erteilung einer Weisung gehindert sehen, weil diese ins Leere laufen könnte, wenn der Verurteilte kein Angebot des Jugendamts in Anspruch nehmen kann. Eine derartige Verweigerungshaltung des Jugendamts ergibt sich aus den vorgelegten Verfahrensakten und dem Vortrag des Gerichts aber gerade nicht. Vielmehr hatte der Vertreter der Jugendgerichtshilfe in seinem schriftlichen Bericht vom 23. November 2005 (Bl. 50 ff. der Verfahrensakte 254 Js 194/06 jug) auf der Grundlage vorheriger Strafverfahren gegen den Angeklagten, von Informationen des Allgemeinen Sozialdienstes des örtlich zuständigen Jugendamts, eines Gesprächs mit dem Angeklagten und seiner Mutter sowie einer Anhörung Ende September 2005 eine weitere Unterstützung des Lebenswegs des Angeklagten in Form einer Betreuungsweisung ("alternativ eines sozialen Trainingskurses") vorgeschlagen. Ferner hatte der Vertreter der Jugendgerichtshilfe ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls (Bl. 43 der Verfahrensakte 254 Js 66216/05 jug) in der mündlichen Verhandlung am 3. Januar 2006 ausdrücklich nochmals eine Betreuungsweisung oder einen sozialen Trainingskurs angeregt. Nicht nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund die Ansicht des vorlegenden Gerichts, das Jugendamt habe sich auf eine konkrete Anfrage des Jugendgerichts (Bl. 3 des Vorlagebeschlusses; gemeint ist wohl die Anfrage des Gerichts vom 16. Dezember 2005, Bl. 20 ff. des Bewährungshefts) nicht fallbezogen geäußert. Eine Verweigerungshaltung des Jugendamts ist insoweit ebenso wenig ersichtlich, wie aus dem vorangegangenen Verhalten des Jugendamts. Die Interpretation des vorlegenden Gerichts, der Träger der Jugendhilfe habe durch die Beendigung der Heimunterbringung des Angeklagten über die Vollendung des 18. Lebensjahrs hinaus, zum Ausdruck gebracht, dass er dem Angeklagten keine Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII mehr gewähren wolle (Bl. 30 des Vorlagebeschlusses), ist in Anbetracht der vorgelegten Akten des Ausgangsverfahrens nicht tragfähig. Aus den Berichten der Bewährungshilfe vom Mai 2005 (Bl. 11 f. und Bl. 15 des Bewährungshefts 11 Ls 411 Js 44496/04 Bew.) ergibt sich, dass der Angeklagte auf eigenen Wunsch und den Wunsch seiner Mutter hin nach Vollendung des 18. Lebensjahrs nach Hause entlassen werden sollte. Seine Entwicklung sei als positiv eingeschätzt worden und die familiäre Situation habe sich gebessert, so dass eine Einstellung der Maßnahme befürwortet werde. Bei aufkommenden Schwierigkeiten sollten sich der Angeklagte oder seine Mutter an das Jugendamt wenden; bei gerichtlichen Feststellungen könne dann auch eine Entscheidung über die Kostenübernahme etwaiger weiterer Maßnahmen getroffen werden.

Das Gericht setzt sich ferner nicht damit auseinander, dass möglicherweise in dem Entscheidungsvorschlag der Jugendgerichtshilfe vom 23. November 2005 und vom 3. Januar 2006 die Mitteilung über das Ergebnis eines schon im Vorfeld durchgeführten Hilfeplanverfahrens zu sehen sein könnte (vgl. hierzu etwa Wiesner, SGB VIII , 3. Aufl. 2006, § 36 a Rn. 34 f.; Münder, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII , 5. Aufl. 2006, § 52 Rn. 87). Ganz offensichtlich hatte sich das Jugendamt im Vorfeld der Hauptverhandlung mit etwaigen dem Angeklagten zu gewährenden Hilfen auseinander gesetzt. Es hat ferner - nachdem ein Gespräch mit dem Angeklagten und seiner Mutter stattgefunden hatte und der allgemeine Sozialdienst hinzugezogen worden war - dem vorlegenden Gericht einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet. Das vorlegende Gericht hat nicht erwogen, ob es sich bereits bei dem Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte unter Einbeziehung des Angeklagten und seiner Mutter zur Entwicklung eines Entscheidungsvorschlags, um ein Hilfeplanverfahren gehandelt haben könnte (vgl. zu den Anforderungen an das Hilfeplanverfahren Münder, aaO., § 27 Rn. 50; Wiesner, aaO., § 36 a Rn. 17). Allein das Fehlen der Aufstellung eines formellen, schriftlichen Hilfeplans führt nicht dazu, dass das Verfahren nicht den Vorschriften des Gesetzes entspricht, sofern Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe zur Erziehung auch in anderer Weise unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben festgestellt werden kann (vgl. Münder, aaO., § 27 Rn. 50).

Das Gericht hat ebenfalls keine Überlegungen dahingehend angestellt, dass das Jugendamt durch seinen Vorschlag nach § 38 Abs. 3 Satz 3 JGG , dem Angeklagten einen Betreuungshelfer zu bestellen, im Hinblick auf ein gegebenenfalls noch durchzuführendes Hilfeplanverfahren gebunden sein könnte (Münder, aaO., § 52 Rn. 88).

b) Darüber hinaus verschließt sich das vorlegende Gericht einer in der Literatur - auch noch nach Einführung der angegriffenen Vorschrift - vertretenen Auslegung des § 38 Abs. 2 Satz 7 JGG (Hauck/Noftz, SGB VIII , Loseblatt Stand: Dezember 2005, § 36 a Rn. 11, 15; vgl. auch Wiesner, aaO., § 30 Rn. 22), die ihm die verbindliche Anordnung einer Betreuungsweisung gegenüber dem Angeklagten ermöglichte. Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 7 JGG üben die Vertreter der Jugendgerichtshilfe im Fall der Unterstellung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 JGG die Betreuung und Aufsicht aus, wenn der Richter nicht eine andere Person damit betraut. Hieraus wird eine Verpflichtung des Jugendamts zur Durchführung der Betreuungsweisung (und Übernahme der hierdurch entstehenden Kosten) geschlossen (vgl. etwa Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz , 6. Aufl. 2003, § 38 Rn. 19; DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2002, S. 62; Goerdeler/Löhr, Verpflichtung zur Ausführung von Sozialem Trainingskurs und Betreuungsweisung, http://dvjj.de/artikel.php?artikel=415). Die Betreuungsweisung sei keine Hilfe zur Erziehung, sondern eine jugendrichterliche Erziehungsmaßregel, die ihre Rechtsgrundlage nicht in §§ 27 ff. SGB VIII , sondern in § 52 SGB VIII in Verbindung mit § 38 Abs. 2 Satz 7, § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 JGG finde.

c) Schließlich erwägt das vorlegende Gericht nicht, dass es sich bei der angegriffenen Regelung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch um eine Kostenvorschrift handeln könnte, die die Anordnungsbefugnis des Jugendrichters und seine richterliche Unabhängigkeit grundsätzlich nicht beeinträchtigt, weil sie eine Kostentragungspflicht der Justiz unberührt lässt. Ein derartiges Verständnis der angegriffenen Vorschrift erscheint angesichts der im Gesetzgebungsverfahren zu Tage getretenen Überlegungen nicht fern liegend: Die fachliche und wirtschaftliche Steuerungskompetenz des Jugendamts sollte gestärkt und sein Missbrauch als bloße "Zahlstelle" für von dritter Seite angeordnete oder selbst beschaffte Leistungen verhindert werden (BTDrucks 15/5616, S. 26). Das Jugendamt habe die Kosten grundsätzlich nur dann zu tragen, wenn es selbst vorab auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs VIII über die Gewährung der Hilfe entschieden hat. Ordnet das Jugendgericht eine Betreuungsweisung gegen den Willen des Jugendamts an, schließt sich hieran die Frage einer Kostentragungspflicht der Justiz an (vgl. zu dieser Problematik bereits vor Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII : Bizer, ZfJ 1992, S. 616 [620 f.]; Mayer, ZfJ 1993, S. 188 f.; DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2002, S. 62 f.; Ostendorf, ZRP 1988, S. 432 [436]; Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., 15. Lieferung 1998, Vorbem. §§ 27 bis 35 Rn. 42, sowie seit Einführung des § 36 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII : Rex, Kostentragung für jugendrichterliche Weisungen nach dem Jugendgerichtsgesetz , www.straffaelligenhilfe-sh.de/files/Stellungnahme Landesbeirat - KICK.pdf; Münder, aaO., § 36 a Rn. 24 f.). Diese nahe liegende Möglichkeit erörtert das vorlegende Gericht in seinem Beschluss nicht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: AG Eilenburg - 11 Ls 254 Js 66216/05 jug - 23.1.2006,