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BVerfG - Entscheidung vom 30.04.2007

1 BvR 1090/06

Normen:
GG Art. 8 Abs. 1
StGB § 113

BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 - Aktenzeichen 1 BvR 1090/06

DRsp Nr. 2007/10191

Gewährleistung der Versammlungsfreiheit bei Unfriedlichkeit der Versammlung

1. Die Strafgerichte haben bei der konkretisierenden Auslegung und Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen, etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer spannungsreichen Lage, geschuldet sind und in der Folge in einer fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen. Entscheidend ist, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte.2. Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden, sind rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gem. § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde. Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschließt.

Normenkette:

GG Art. 8 Abs. 1 ; StGB § 113 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft in erster Linie eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; der Beschwerdeführer hatte sich gegen die Festnahme und den Abtransport aus einer Versammlung unter anderem mittels eines Fußtritts zur Wehr gesetzt.

A. I. 1. Der Beschwerdeführer tritt als Wahlgegner, Gegner des herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und Anarchist für eine herrschaftsfreie Gesellschaft ein. Er ist langjähriges Mitglied der so genannten Projektwerkstatt in Saasen (Hessen). Im Bundestagswahlkampf 2002 verunstaltete er mit seinen Mitstreitern Wahlplakate durch Aufkleber. Deswegen sowie wegen des Verdachts anderer den Wahlkampf störender Aktivitäten wurde die "Projektwerkstatt" am 10. Januar 2003 durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte unter anderem dort benutzte Computer. Das Landgericht Gießen erklärte die Durchsuchungsanordnung mit rechtskräftigem Beschluss vom 26. Februar 2003 - Qs 44/03 - für rechtswidrig. Die Anordnung einer Durchsuchung und die Sicherstellung sämtlicher Computer einschließlich Zubehör seien unverhältnismäßig gewesen.

An dem Tag nach der Durchsuchung, dem 11. Januar 2003, fand in der Fußgängerzone der Gießener Innenstadt eine Wahlveranstaltung der CDU statt. Anwesend waren unter anderem der Hessische Innenminister sowie der Polizeipräsident Gießens. Es waren ein Stand mit Informationsmaterial und einige Stehtische aufgestellt worden. Mit etwa zehn bis zwölf weiteren Personen begab sich der Beschwerdeführer in die Nähe dieses Wahlstandes, um eine Aktion durchzuführen. Die Gruppe war mit einem Megaphon und einem Transparent mit der Aufschrift "Freiheit stirbt mit Sicherheit" ausgerüstet. Während die Begleiter des Beschwerdeführers das Transparent ausbreiteten, begann der Beschwerdeführer mit einer Ansprache durch das Megaphon. Darin prangerte er nach seiner Auffassung rechtswidrige Übergriffe der Polizei an und stellte die Durchsuchung der "Projektwerkstatt" als einen unerhörten, rechtswidrigen Übergriff staatlicher Gewalt dar. Dabei stand er etwa zehn bis zwölf Meter vor dem Wahlstand und sprach in Richtung des Stands sowie der sich dort aufhaltenden Personen. Er sprach insgesamt mindestens zehn Minuten lang.

Nach den landgerichtlichen Feststellungen, die insofern im Wesentlichen mit denen des Amtsgerichts übereinstimmen, hatten der Hessische Innenminister und der Gießener Polizeipräsident dem Einsatzleiter der Polizei mitgeteilt, dass man sich "das" - gemeint sei die Aktion des Beschwerdeführers gewesen - nicht bieten lassen wolle. Der Einsatzleiter habe Verstärkung herbeigerufen. Als etwa acht bis neun weitere Beamte eingetroffen gewesen seien, habe der Einsatzleiter "das Tun des Beschwerdeführers und seiner Begleiter beenden" wollen. Der Einsatzleiter sei zusammen mit weiteren Polizeibeamten an den Beschwerdeführer herangetreten. Dieser habe sofort gewusst, dass er aufhören und am besten mit seinen Mitstreitern habe weggehen sollen. Der Beschwerdeführer habe jedoch mit beiden Händen und Unterarmen das Megaphon umklammert. Mit der Androhung, es werde dem Beschwerdeführer abgenommen, wenn er es nicht freiwillig herausgebe, habe der Einsatzleiter nach dem Megaphon gegriffen. Da es nicht gelungen sei, dem Beschwerdeführer das Megaphon abzunehmen, habe der Einsatzleiter dem Beschwerdeführer erklärt, dieser werde in Gewahrsam genommen, wenn er weiter die Herausgabe verweigere. Nachdem auch diese Androhung erfolglos geblieben sei, hätten der Einsatzleiter und ein weiterer Beamter den Beschwerdeführer an den Oberarmen ergriffen, um ihn zu einem unweit abgestellten Polizeifahrzeug zu bringen, das ihn zur zuständigen Polizeistation habe transportieren sollen. Aus dieser Situation hätten sich sodann tumultartige Szenen entwickelt. Verschiedene Begleiter des Beschwerdeführers hätten dabei von der Seite oder von hinten nach den Polizeibeamten gegriffen, um sie vom Beschwerdeführer wegzuziehen. Dies wiederum hätten weitere Beamte zu verhindern versucht, um den Abtransport des Beschwerdeführers sicherzustellen. Zuletzt hätten drei bis vier Beamte den Beschwerdeführer zu einem Polizeifahrzeug gezogen und getragen.

Vor der Schiebetür des Polizeiwagens hätten die Beamten den Beschwerdeführer auf die Straße gesetzt. Der Einsatzleiter habe den Beschwerdeführer zum Einsteigen aufgefordert. Da der Beschwerdeführer dies verweigert habe, sei er angehoben und in das Fahrzeug geschoben und gezogen worden, wobei der Einsatzleiter die Füße des Beschwerdeführers gepackt habe. Dieser habe eine Abwehrbewegung mit dem Bein in Richtung des Kopfes des Einsatzleiters gemacht, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass er schwere, halbhohe Schnürstiefel angehabt habe, deren Sohlen vorn mit einem Eisen verstärkt gewesen seien, und obwohl er gesehen habe, dass der etwas gebückte Einsatzleiter mit seinem Gesicht in der Nähe seiner Füße gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe den Einsatzleiter, freilich nicht mit großer Wucht, aber doch schmerzhaft, mit der Schuhspitze in der Mitte der Stirn getroffen. Dieser habe sich kurz an die schmerzende Stirn gelangt, jedoch sogleich wieder den Fuß des Beschwerdeführers ergriffen und ihn unter Mithilfe zweier weiterer Beamter anschließend in das Fahrzeug gebracht. Der Beschwerdeführer sei bis zum Schluss der Informationsveranstaltung der CDU in Polizeigewahrsam gehalten worden. Noch am gleichen Nachmittag habe der Einsatzleiter eine Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer gestellt, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung.

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Vorgänge mit dem angegriffenen Urteil wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Die Strafe wurde mit den für weitere mitangeklagte Taten verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten zusammengefasst. Die Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Die Diensthandlung des Einsatzleiters, die Ingewahrsamnahme durch Verbringung zum Polizeibus, sei rechtmäßig gewesen. Der Beschwerdeführer habe eine angemeldete Wahlveranstaltung durch lautstarke Ansagen mittels Megaphon gestört. Dies habe durch die Polizei mit den von ihr gewählten Mitteln unterbunden werden dürfen.

3. Auf die Berufung des Beschwerdeführers hob das Landgericht mit dem gleichfalls angegriffenen Urteil das Urteil des Amtsgerichts - wegen Mängeln der Verurteilung hinsichtlich anderer mitangeklagter Taten - auf und verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Wegen des Fußtrittes am 11. Januar 2003 setzte auch das Landgericht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung fest. Die Vollstreckung der Strafe setzte das Landgericht ebenfalls nicht zur Bewährung aus.

Der Beschwerdeführer habe in dem Bewusstsein der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen gehandelt. Es habe auf der Hand gelegen, dass eine genehmigte Wahlveranstaltung, zumindest nach allgemeinem Polizeirecht, nicht minutenlang durch Lautsprecherdurchsagen aus kurzer Entfernung beeinträchtigt werden dürfe. Die von dem Einsatzleiter vorgenommene Diensthandlung sei im Sinne von § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig gewesen. Der Einsatzleiter sei zuständig gewesen. Bei der gegebenen Sachlage habe er sich angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu Recht zum Einschreiten entschlossen. Ob dabei die Wünsche des Innenministers und des Polizeipräsidenten eine Rolle gespielt hätten, sei daher ohne Belang gewesen. Das Verlangen, das Megaphon herauszugeben, sei nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung der Lage durch den Einsatzleiter auch notwendig gewesen, um weitere Durchsagen zu unterbinden. Da sich der Beschwerdeführer allem widersetzt habe, seien auch seine Festnahme und der Abtransport zum Polizeiwagen rechtmäßig gewesen.

4. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht mit dem gleichfalls angegriffenen Beschluss mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Höhe eines jeden Tagessatzes für die verhängten Einzelgeldstrafen auf 1 Euro festgesetzt wurde. Im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung führte das Oberlandesgericht unter anderem aus, eine Genehmigung nach dem Versammlungsgesetz habe für die Versammlung des Beschwerdeführers und etwa zwölf weiterer Personen am 11. Januar 2003 nicht vorgelegen.

5. Die Kammer hat die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem landgerichtlichen Urteil auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 17. Mai 2006 durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Diese wurde mit Beschluss vom 6. November 2006 wiederholt.

6. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde in erster Linie eine Verletzung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG .

Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verletze Art. 8 GG , weil die Strafgerichte dabei einen offensichtlich rechtswidrigen Polizeiangriff auf eine Versammlung als rechtmäßig bewertet hätten. Gemäß § 113 Abs. 3 StGB sei die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig sei. Der Polizeieinsatz einschließlich seiner Festnahme im Moment einer Rede auf der Demonstration habe gegen Art. 8 GG verstoßen. Die spontane Versammlung sei eine Reaktion auf die Hausdurchsuchung mit umfangreichen Beschlagnahmen am 10. Januar 2003 gewesen. Die Aussage des Oberlandesgerichts, eine Genehmigung nach dem Versammlungsgesetz habe nicht vorgelegen, sei offensichtlich rechtsfehlerhaft, weil für eine Versammlung eine Genehmigung nicht notwendig sei. Es habe an einer formgültigen Auflösung der Versammlung gefehlt. Vor einer solchen Auflösung sei die Anwendung direkter Polizeigewalt gegen ihn als Redner einer Demonstration unzulässig. Für eine Gewahrsamnahme des Teilnehmers einer nicht aufgelösten Versammlung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Auch seien die rechtfertigenden Voraussetzungen für eine Versammlungsauflösung nicht gegeben gewesen. Von der Demonstration sei keine Gefahr ausgegangen. Die von der Polizei geltend gemachte Lärmbelästigung betreffe ein nachrangiges Schutzgut. Das Interesse eines CDU-Wahlstandes vor Ruhestörung durch eine zehn Minuten lange Rede sei nicht als höherrangig einzustufen als das Recht auf freie Versammlung. Die vermeintliche Lärmbelästigung sei aber jedenfalls kein Grund, ohne Vorwarnung, Auflösung oder dergleichen sofort eine zwangsweise Zerschlagung der Demonstration durchzuführen.

7. Ferner rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG , die darin liege, dass das Amts- und Landgericht die Aussagen der Polizei und einer Politikerin als glaubwürdig anerkannt hätten, während die entlastenden Aussagen von Zeugen als unglaubwürdig behandelt worden seien. Auch verletze die weitere Verurteilung wegen Beleidigung einer Oberbürgermeisterkandidatin den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GG .

II. Gelegenheit zur Stellungnahme haben die Hessische Landesregierung, der Bundesgerichtshof sowie das Bundesverwaltungsgericht erhalten. Die Hessische Landesregierung und der Bundesgerichtshof haben von einer Stellungnahme abgesehen. Der 6. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts verweist unter anderem auf seinen Beschluss vom 14. Januar 1987 - BVerwG 1 B 219.86 -, NVwZ 1988, S. 250 , wonach die zuständige Behörde in den Fällen, in denen die Auflösung einer Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG als unverhältnismäßig ausscheide, ein milderes und angesichts der konkreten Sachlage angemessenes Mittel zur Abwehr der von der Veranstaltung ausgehenden unmittelbaren Gefahr einsetzen und hierbei gegebenenfalls von den ihr landesrechtlich zustehenden Befugnissen Gebrauch machen könne.

B. I. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers insoweit angezeigt, als er eine Verletzung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen - soweit sie das Verhalten am 11. Januar 2003 betreffen - rügt.

Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 69, 315 [342 ff.]; 84, 203 [209 ff.]; 104, 92 [103 ff.]; 111, 147 ff.; BVerfGK 4, 154 [157 ff.]) hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Der Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB ) ist gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stattzugeben.

1. Dem Beschwerdeführer stand der Schutz der Versammlungsfreiheit zu.

a) Die vom Beschwerdeführer aus Protest gegen die Durchsuchung der "Projektwerkstatt" initiierte Veranstaltung am 11. Januar 2003 war eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und damit eine Versammlung (vgl. BVerfGE 104, 92 [104]). Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig und angemeldet war (vgl. BVerfGK 4, 154 [158]). Insofern bedarf es vorliegend keiner Klärung, ob die Voraussetzungen einer Spontan- oder Eilversammlung erfüllt waren. Die Versammlung fiel auch nicht deshalb aus dem Gewährleistungsbereich des Art. 8 GG heraus, weil durch den Einsatz des Megaphons die Wahlveranstaltung der CDU gestört wurde. Zwar können auch Rechtsgutverletzungen oder -gefährdungen, die aus einem Verhalten im Schutzbereich der Versammlungsfreiheit herrühren, im Rahmen der die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 2 GG beschränkenden Gesetze abgewehrt werden. Der Schutz der Versammlungsfreiheit wird dadurch jedoch nicht beseitigt.

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob der Informationsstand ebenfalls eine Versammlung war (vgl. VG Berlin, Urteil vom 8. März 2006 - 1 A 129.03 -, JURIS, Rn. 23 ff., m.w.N.). Ebenso ist nicht entscheidungserheblich, ob oder unter welchen Umständen Versammlungen unter freiem Himmel den Schutz des Art. 8 GG verlieren können, wenn sie ausschließlich die Verhinderung einer anderen Versammlung bezwecken (vgl. BVerfGE 84, 203 [209 ff.]; VG Berlin, Urteil vom 23. Februar 2005 - 1 A 188.02 -, JURIS, Rn. 19 ff.). Denn die Gerichte haben vorliegend bereits nicht festgestellt, dass es dem Beschwerdeführer mit seiner Versammlung darum gegangen wäre, die Wahlveranstaltung durch seine Einwirkung zu verhindern.

b) Der auf das Recht, sich "friedlich und ohne Waffen" zu versammeln, bezogene Schutz durch Art. 8 GG entfiel vorliegend nicht wegen Unfriedlichkeit der Versammlung oder eines unfriedlichen Verhaltens des Beschwerdeführers.

aa) Es kann dahinstehen, ob die Versuche einiger der Teilnehmer der Versammlung, den Abtransport des Beschwerdeführers zu verhindern, für sich genommen die Grenze zur Unfriedlichkeit überschritten. Jedenfalls war im Zeitpunkt des Beginns der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen, auf deren Rechtmäßigkeit es vorliegend ankommt, nicht damit zu rechnen, dass die Demonstration einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehmen würde oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf angestrebt oder gebilligt hätten. Im Übrigen bleibt der Schutz der Versammlungsfreiheit grundsätzlich erhalten, wenn nur einzelne Demonstranten oder eine Minderheit im Verlauf der Versammlung Ausschreitungen begehen (vgl. BVerfGE 69, 315 [361]).

bb) Der Beschwerdeführer selbst überschritt die Schwelle zur Unfriedlichkeit nicht dadurch, dass er das Megaphon umklammert hielt und sich gegen seinen Abtransport zum Polizeifahrzeug sträubte. Dadurch wollte er seinen Willen zur weiteren Teilnahme an der Versammlung durchsetzen, nicht aber den Charakter der bis dahin friedlichen Versammlung oder seiner auf die Erfüllung des Versammlungszwecks gerichteten Handlungen ändern.

cc) Mit seinem Fußtritt beging der Beschwerdeführer allerdings im Zuge seines schon zuvor begründeten Widerstands eine Gewalttätigkeit gegen den Einsatzleiter, der ihn aus der Versammlung entfernen wollte und im Zeitpunkt des Tritts schon entfernt hatte. Die Tätlichkeit war eine Reaktion auf die nach Auffassung des Beschwerdeführers rechtswidrige Maßnahme des Polizeibeamten und stand mit dem Zweck der Versammlung als solcher oder der Art ihrer beabsichtigten Durchführung in keinem inhaltlichen Zusammenhang.

2. Die polizeiliche Maßnahme, auf deren Rechtmäßigkeit es nach § 113 Abs. 3 StGB ankommt, war auf die Entfernung des Beschwerdeführers aus der Versammlung gerichtet und stellte daher einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar. Die hier allein angegriffene strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des gegen die Entfernung aus der Versammlung gerichteten Widerstands bewirkte einen eigenständigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Dieser Eingriff war nicht gerechtfertigt.

Dabei ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB von einem eingeschränkten Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgehen und nicht verlangen, dass alle in dem jeweiligen in Bezug genommenen Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erfüllt sein müssen (zum Stand der strafrechtlichen Diskussion vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch , 54. Aufl. 2007, Rn. 9 ff. zu § 113 m.w.N.). Soweit es sich um Maßnahmen im Schutzbereich eines Grundrechts, hier der Versammlungsfreiheit, handelt, dürfen strafrechtliche Sanktionen allerdings nur unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Grundrechts verhängt werden. Dem haben die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend Rechnung getragen. Die gegen den Beschwerdeführer gerichteten polizeilichen Maßnahmen erfüllten nicht die von § 113 Abs. 3 StGB bei verfassungsgemäßer Auslegung und Anwendung des so genannten strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes vorausgesetzten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung.

a) Durch die Strafbewehrung einer unter Einsatz von Gewalt oder der Drohung mit ihr erfolgenden Widerstandshandlung (§ 113 Abs. 1 StGB ) soll der rechtliche Schutz der Amtsträger verstärkt werden, die bei Vollstreckungsmaßnahmen besonderen Gefahren durch Gegenwehr ausgesetzt sind. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, bedeutet aber nicht, dass Rechtsfehler der Amtshandlung in jeder Hinsicht bei der Anwendung des § 113 Abs. 2 StGB unbeachtlich sind.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bewertung einer Verwaltungsmaßnahme als rechtmäßig zwischen der verwaltungsrechtlichen Durchsetzbarkeit einer Anordnung in der konkreten Handlungssituation und der nachträglichen Ahndung einer Widersetzlichkeit in der Sanktionssituation unterschieden (vgl. BVerfGE 87, 399 [410]).

(1) Die Notwendigkeit umgehenden behördlichen Einschreitens kann in der der Sanktion vorhergehenden Handlungssituation eine Pflicht der Bürger zur Befolgung einer wirksamen, wenn auch gegebenenfalls rechtswidrigen Diensthandlung rechtfertigen. Der Betroffene hat die Amtshandlung dann grundsätzlich hinzunehmen und kann allenfalls nachträglich eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme erreichen (vgl. BVerfGE 92, 191 [201]).

(2) Hinsichtlich der Möglichkeit nachträglicher Ahndung entnimmt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise dem Art. 8 GG das Erfordernis, dass die Strafgerichte für die Weigerung, sich unverzüglich aus einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG eine Geldbuße nur dann verhängen dürfen, wenn feststeht, dass die Auflösung versammlungsrechtlich rechtmäßig war (vgl. BVerfGE 87, 399 [399, 407 ff.]). Entsprechendes gilt für die Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder einem Aufzug, welche durch vollziehbares Verbot untersagt sind, als Ordnungswidrigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. März 1998 - 1 BvR 2165/96, 1 BvR 2168/96 -, JURIS, Rn. 13). Eine vergleichbare Argumentation liegt der Annahme eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde, wenn die Verweigerung der Angabe der Personalien nach § 111 OWiG geahndet wird, ohne dass zuvor die Rechtmäßigkeit der Aufforderung in vollem Umfang überprüft worden ist (vgl. BVerfGE 92, 191 [191, 199 ff.]).

bb) Daraus folgt jedoch nicht, dass auch eine Bestrafung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB stets nur mit den Grundrechten vereinbar wäre, wenn die Diensthandlung nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben rechtmäßig ist. Denn das ausnahmslose Erfordernis einer verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Ausgangsmaßnahmen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Erwägungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gestützt (vgl. BVerfGE 87, 399 [410]; 92, 191 [201]), deren Übertragbarkeit anhand der jeweils zu beurteilenden Sanktionsnorm zu prüfen und im Falle des § 113 StGB zu verneinen ist.

(1) Der Bürger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Grundrechtsschutz sich in einem Rechtsstaat über die Beachtung der maßgebenden Gesetze durch die eingreifende Staatsgewalt verwirklicht. Soll bei der nachträglichen Ahndung des Verhaltens eines Bürgers gleichwohl vom Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung abgesehen werden, bedarf dies besonderer Gründe. Ein solcher Grund kann in den präventiven, auf den Schutz des handelnden Amtsträgers gerichteten Wirkungen einer Sanktionsandrohung liegen. Diesem Schutzziel steht allerdings das Interesse des Bürgers gegenüber, nicht auch noch mit einer Strafsanktion überzogen zu werden, wenn er an seiner Grundrechtsausübung durch eine rechtswidrige Verwaltungsmaßnahme gehindert worden ist, der er sich widersetzt hat. Diese gegenläufigen Interessen bedürfen der angemessenen Zuordnung.

(2) Bei den von § 113 Abs. 1 StGB erfassten Tathandlungen des Widerstandleistens mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder des tätlichen Angriffs ist es danach weder dem Gesetzgeber noch der Rechtsprechung von Verfassungs wegen verwehrt, sie im Rahmen der Auslegung und Anwendung des § 113 StGB auch dann als strafbar zu bewerten, wenn sie auf nach verwaltungsrechtlichen Maßstäben als rechtswidrig zu beurteilende Diensthandlungen reagieren.

Der entsprechende Grundrechtseingriff wiegt zwar schwerer als bei jenen Bußgeldtatbeständen, bei denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes ausscheidet. Das Gewicht der präventiven Schutzzwecke, die Gesetzgeber und Strafgerichte der Strafandrohung beimessen dürfen, ist jedoch im Falle des § 113 Abs. 1 StGB so hoch, dass auch dieser schwerwiegendere Eingriff gerechtfertigt ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1999 - 1 BvR 2017/97 -, NJW 2000, S. 943 [944]). Denn die Vorschrift erfasst mit dem Widerstandleisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt sowie dem tätlichen Angriff Verhaltensweisen, die sich nicht auf eine bloße Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen beschränken, sondern eigenständige Rechtsgutbeeinträchtigungen von erheblichem Gewicht bewirken. Zudem betrifft sie häufig Situationen, in denen der Amtsträger bereits zu Zwangsmaßnahmen gegriffen hat, und der Betroffene sich durch die Widerstandshandlung gerade entschlossen zeigt, sich auch hiergegen zur Wehr zu setzen. Soweit vollstreckungsrechtliche Duldungspflichten des Betroffenen bestehen, erweisen sich diese in solchen Situationen auch im Verbund mit der Drohung der Zwangsanwendung gerade als nicht ausreichend, um dem Behördenwillen Nachdruck zu verleihen und dessen Durchsetzung zu gewährleisten. Angesichts dessen genügt die Verwendung des so genannten strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs im Bereich des § 113 Abs. 3 StGB den grundrechtlichen Anforderungen, die an die Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Strafbewehrung derartiger Duldungspflichten zu stellen sind.

cc) Die Strafgerichte haben jedoch bei der konkretisierenden Auslegung und Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten.

Vorliegend bedarf keiner allgemeinen Klärung, welche Anforderungen danach an die in § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB geforderte Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungshandelns zu stellen sind, gegen die die Widerstandshandlung sich richtet. Verfassungsrechtlich ist es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn solche Rechtsfehler der handelnden Hoheitsträger bei der Festsetzung einer Sanktion nach § 113 StGB außer Acht bleiben, die den Besonderheiten der Situation der konkreten Diensthandlungen, etwa einer erheblichen Unübersichtlichkeit oder einer spannungsreichen Lage, geschuldet sind (vgl. dazu auch BVerfGE 92, 191 [200]) und in der Folge in einer fehlerhaften Beurteilung der Tatsachenlage und darauf aufbauend in einer Fehleinschätzung etwa der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahme bestehen. Andernfalls wäre der vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise durch § 113 StGB beabsichtigte Schutz der Amtsträger deutlich abgeschwächt.

Andererseits können bestimmte Rechtsfehler der handelnden Amtsträger, wie in der Rechtsprechung und Literatur trotz eines anhaltenden Meinungsstreits über einzelne der Voraussetzungen anerkannt ist, dazu führen, dass eine Verurteilung nach § 113 Abs. 1 StGB ausscheidet (dazu vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch , 54. Aufl. 2007, Rn. 11 zu § 113 m.w.N.; Eser in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch , 27. Aufl. 2006, Rn. 23 ff. zu § 113). So hängt die Rechtmäßigkeit jedenfalls von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Beamten zum Eingreifen sowie von den zum Schutz des Betroffenen wesentlichen Förmlichkeiten ab, soweit solche vorgeschrieben sind. Als wesentliche Förmlichkeiten werden in Rechtsprechung und Literatur beispielsweise angesehen: das Vorliegen eines vollstreckbaren Titels bei der Zwangsvollstreckung, die Eröffnung des zur Last gelegten Fehlverhaltens bei Identifizierungsmaßnahmen, das Eröffnen des Vorführungsbefehls nach § 134 StPO oder die Zuziehung von Zeugen zur Zwangsvollstreckung oder zur Durchsuchung (vgl. Tröndle/Fischer, aaO., Rn. 17; Eser, aaO., Rn. 26 jeweils m.w.N). Ferner wird in der Rechtsprechung eine pflichtgemäße Prüfung der sachlichen Eingriffsvoraussetzungen verlangt. Entscheidend ist, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (vgl. BGHSt 21, 334 [363]; BGH, Urteil vom 23. Februar 1962 - 4 StR 511/61 -, NJW 1962, S. 1020 [1021 l. Sp.]; KG, Urteil vom 11. Mai 2005 - [5] 1 Ss 61/05 [12/05] -, NStZ 2006, S. 414 [414 f.]; vgl. auch die Formulierung, die Amtshandlung müsse sich "objektiv im Rahmen des Vertretbaren" gehalten haben: OLG Köln, Urteil vom 17. Dezember 1985 - 1 Ss 318/85 -, NStZ 1986, 234 [235]).

Bei der Konkretisierung der nach dieser Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen der Wahrung wesentlicher Förmlichkeiten und der pflichtgemäßen Prüfung von Eingriffsvoraussetzungen haben die Strafgerichte der Bedeutung der durch die Diensthandlung betroffenen Grundrechte Rechnung zu tragen. Werden dem Amtsträger ohne Weiteres erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner Befugnisse nicht beachtet, überwiegt das in einem Rechtsstaat wichtige Interesse des Bürgers, darauf vertrauen zu dürfen, dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden entsprechende grundlegende rechtliche Anforderungen an Grundrechtseingriffe verletzt, darf der auf die Möglichkeit zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung - für den kein Anlass bestanden hätte, wenn ein verständiger Amtsträger die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb unterlassen hätte - nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer strafrechtlichen Sanktion geahndet werden. Unberührt bleibt davon allerdings die Frage der Strafbarkeit einer im Zuge der Widerstandshandlung begangenen weiteren Straftat.

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

aa) Der Einsatzleiter hat Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer als Teilnehmer einer Versammlung durchgeführt, ohne diese zuvor aufgelöst oder den Beschwerdeführer aus der Versammlung ausgeschlossen zu haben. Maßnahmen, die die Teilnahme an einer Versammlung beenden - wie ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme - sind rechtswidrig, solange nicht die Versammlung gemäß § 15 Abs. 3 VersG aufgelöst oder der Teilnehmer auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen wurde (vgl. BVerfGK 4, 154 [158 ff.]; OVG Bremen, Urteil vom 4. November 1986 - 1 BA 15/86 -, NVwZ 1987, S. 235 [236]; OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 31 ff.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 -, NVwZ 2001, S. 1315 [betreffend eine Einkesselung]; VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 - 12 VG 2442/86 -, NVwZ 1987, S. 829 [831 f.]).

Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschließt. Denn es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie einschüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten.

(1) Die Festnahme und der Abtransport des Beschwerdeführers waren nach den gerichtlichen Feststellungen auf die Beendigung sowohl seiner Teilnahme an der von ihm initiierten Veranstaltung als auch dieser Veranstaltung insgesamt gerichtet. Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers zielte nicht mehr allein auf die Verhinderung des Megaphoneinsatzes. Vielmehr sollte die weitere Teilnahme des Beschwerdeführers an der Versammlung unterbunden werden. Die abwehrenden Maßnahmen des Beschwerdeführers geschahen als Reaktion auf den Versuch, ihn in Verfolgung dieses Zwecks in Gewahrsam zu nehmen. Für einen die Mitwirkung an der Versammlung ausschließenden Gewahrsam hätte kein Anlass bestanden, wenn es nur darum gegangen wäre, die Megaphonnutzung zu unterbinden. Dass die Zielsetzung der Ingewahrsamnahme deutlich darüber hinausging, zeigte sich auch daran, dass sie bis zur Beendigung der CDU-Veranstaltung anhielt und dazu führte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr an der von ihm initiierten Versammlung teilnehmen konnte.

(2) Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen Versammlungen richten sich nach dem Versammlungsgesetz . Dieses Gesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154 [158]). Daraus ergeben sich besondere Anforderungen für einen polizeilichen Zugriff auf Versammlungsteilnehmer. Eine auf allgemeines Polizeirecht gegründete Maßnahme, durch welche das Recht zur Teilnahme an der Versammlung beschränkt wird, scheidet aufgrund der Sperrwirkung der versammlungsgesetzlichen Regelungen aus (vgl. BVerfGK 4, 154 [158, 160]). Für Beschränkungen der Versammlungsteilnahme stehen der Polizei lediglich die abschließend versammlungsgesetzlich geregelten teilnehmerbezogenen Maßnahmen zu Gebote, für die im Interesse des wirksamen Grundrechtsschutzes strengere Anforderungen bestehen als für polizeirechtliches Einschreiten allgemein. Diesen Anforderungen genügten die polizeilichen Maßnahmen nicht.

(a) Eine Auflösung der Versammlung ist nicht erfolgt.

Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen. Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass die Auflösungsverfügung eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für die Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist (vgl. BVerfGK 4, 154 [159]; OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 8 N 129.02 -, NVwZ-RR 2003, S. 896 [897]). Dieses Erfordernis soll den Beteiligten Klarheit darüber verschaffen, dass nunmehr der Grundrechtsschutz entfällt. Die Gerichte haben vorliegend nicht festgestellt, dass eine derartige Auflösungsverfügung erlassen worden ist. Auch wenn eine Auflösung nicht formgebunden ist, muss sie doch eigenständig erfolgen und eindeutig sein; sie ist insofern eine förmliche Voraussetzung der Rechtmäßigkeit darauf aufbauender Handlung, wie hier einer Entfernung des Versammlungsleiters aus der Versammlung.

(b) Der Beschwerdeführer wurde auch nicht auf versammlungsrechtlicher Grundlage von der Versammlung ausgeschlossen.

Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch die Ausschlussverfügung muss hinreichend bestimmt sein. Die Erklärung des Ausschlusses hat, wie diejenige der Auflösung (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 - 1 R 169/86 -, JURIS, Rn. 32), besondere Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit. Ihre Notwendigkeit gibt der Polizei zum einen Anlass, sich über das Ziel ihrer Maßnahmen Rechenschaft zu geben und die rechtlichen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bedenken. Vor allem aber dient sie dazu, dem Teilnehmer bewusst werden zu lassen, dass der versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl. BVerfGK 4, 154 [159]). Ihm soll damit auch Gelegenheit gegeben werden, die Grundrechtsausübung ohne unmittelbaren Polizeizwang zu beenden, indem er sich aus der Versammlung von sich aus entfernt. Dass eine diesen Anforderungen genügende Ausschlussverfügung vorliegend ergangen wäre, haben die Gerichte nicht festgestellt. Auch insofern hat es an einer wesentlichen Förmlichkeit der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer gefehlt.

(c) Es ist auch keine anderweitige - etwa als Platzverweis intendierte - an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügung mit vergleichbarem Inhalt ergangen, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob auch eine derartige Verfügung ausreichen kann (vgl. BVerfGK 4, 154 [154, 159]).

bb) Die Kenntnis der Maßgeblichkeit versammlungsrechtlicher Regeln unter Einschluss der besonderen Voraussetzungen von Maßnahmen, die eine Versammlungsteilnahme unmöglich machen, kann von einem verständigen Amtsträger erwartet werden. Kennt er sie nicht und verweigert er in der Folge dem Grundrechtsträger die in der Rechtsordnung geforderte Klarheit über den Wegfall des Schutzes der Versammlungsfreiheit, darf dies nicht dem betroffenen Grundrechtsträger angelastet werden; Art. 8 Abs. 1 GG gebietet, eine derartige Vollstreckungshandlung grundsätzlich als rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB anzusehen.

Anlass für eine Ausnahme bestand im vorliegenden Fall nicht. Dass der Einsatzleiter das Erfordernis einer versammlungsrechtlichen Auflösung oder des Ausschlusses des Beschwerdeführers aus der Versammlung vor der Durchführung von Vollstreckungshandlungen verkannt hat, war nicht den besonderen situativen Umständen seines Eingreifens geschuldet. Der bei der Ingewahrsamnahme aus der Versammlung heraus erfolgte Fehler prägte das Handeln des Einsatzleiters von Anfang an, nämlich schon vor Beginn der tumultartigen Umstände im weiteren Verlauf der Aktion. Er beruhte auf einer grundsätzlichen Verkennung der rechtlichen Voraussetzungen versammlungsbezogener Maßnahmen, also auch des Erfordernisses einer Versammlungsauflösung oder des Ausschlusses aus der Versammlung vor dem Eingreifen von Maßnahmen zur Realisierung von Auflösung oder Ausschluss.

3. Diese rechtlichen Voraussetzungen der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen und in der Folge der Bejahung einer Rechtmäßigkeit der Amtshandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB haben die Gerichte nicht erkannt; dieser Fehler hat sich auf die Anwendung des § 113 Abs. 1 StGB ausgewirkt. Die Gerichte haben den Verstoß gegen Art. 8 GG durch die strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten des Beschwerdeführers, der sich der Entfernung aus der Versammlung widersetzte, fortgesetzt.

Die Entscheidungen beruhen auf dieser Verletzung des Art. 8 GG . Bei Wahrung der grundrechtlichen Anforderungen hätten die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung gemäß § 113 Abs. 3 StGB nicht bejahen und auf dieser Grundlage nicht zu einer Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte beziehungsweise - im Falle des Oberlandesgerichts - zur Aufrechterhaltung der Verurteilung gelangen dürfen.

4. Dies bedeutet nicht, dass die Tätlichkeit des Beschwerdeführers strafrechtlich sanktionslos bleiben muss. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, Rechtsgutverletzungen, die über die Missachtung der behördlichen Maßnahme hinausgehen - etwa eine Körperverletzung - nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts zu ahnden. Vorliegend haben die Gerichte dementsprechend das Verhalten des Beschwerdeführers als gefährliche Körperverletzung eingeordnet.

Allerdings haben die Gerichte infolge der fehlerhaften Bewertung der Amtshandlung als rechtmäßig nicht prüfen müssen, ob und wie weit deren Rechtswidrigkeit Bedeutung für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung haben musste. Insofern sei klarstellend darauf hingewiesen, dass die vorstehenden Ausführungen sich nur auf die Bestrafung nach § 113 StGB beziehen. Es ist von Verfassungs wegen nicht vorgegeben, dass die Rechtswidrigkeit der Diensthandlung auch eine Bestrafung allein wegen der gefährlichen Körperverletzung ausschließt, etwa unter dem Gesichtspunkt der Notwehr. Aus einer Einstufung der Diensthandlung als rechtswidriger Angriff im Sinne von § 32 StGB (vgl. BGHSt 4, 161 [163 f.]) folgt im Hinblick auf die dann sich weiter stellenden Fragen der Erforderlichkeit und Gebotenheit der Verteidigungshandlung (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 24. Dezember 2001 - 1 Ss 227/01 -, JURIS, Rn. 21 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB , 27. Aufl. 2006, Rn. 36 f. zu § 113) keineswegs verfassungsrechtlich zwingend die Annahme einer Rechtfertigung durch Notwehr. Dies bedarf vielmehr eigenständiger Prüfung.

II. Im Übrigen ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Die Rüge der Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist unsubstantiiert und damit unzulässig. Auch hat der Beschwerdeführer nicht in einer den Substantiierungsanforderungen genügenden Weise dargelegt, dass die Aktion des Beschwerdeführers vom 23. August 2003 am Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG ) zu messen ist. Die Rüge der Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist zwar zulässig, hat aber keine Aussicht auf Erfolg. Die Handlung des Beschwerdeführers, die das Persönlichkeitsrecht der Oberbürgermeisterkandidatin verletzte, ist ohne Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB gewertet worden.

III. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 GG , soweit seine Verurteilung wegen des am 11. Januar 2003 erfolgten Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte - hier: in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - erfolgt ist. Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Oberlandesgerichts werden aufgehoben. Von einer Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts wird abgesehen. Das Landgericht, an welches die Sache zurückverwiesen wird, hat über die Bestrafung des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben neu zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG .

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 16.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Ss 314/05
Vorinstanz: LG Gießen, vom 03.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 501 Js 19696/02
Vorinstanz: AG Gießen, vom 15.12.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 501 Js 19696/02