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BVerfG - Entscheidung vom 29.04.2007

2 BvR 2601/06

Normen:
GG Art. 13 Abs. 1, 2
StPO § 102

BVerfG, Beschluss vom 29.04.2007 - Aktenzeichen 2 BvR 2601/06

DRsp Nr. 2007/10182

Anforderungen an den Anfangsverdacht als Voraussetzung für eine Durchsuchung beim Beschuldigten

Die Durchsuchung der Wohnräume des Beschuldigten stellt einen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung dar, der durch das Vorliegen eines konkreten, auf bestimmte Tatsachen gestützten Anfangsverdachts legitimiert sein muß. Die Durchsuchung darf nicht dazu dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlichen Tatsachen erst zu ermitteln; sie setzt einen Verdacht bereits voraus.

Normenkette:

GG Art. 13 Abs. 1 , 2 ; StPO § 102 ;

Gründe:

Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich gegen die Durchsuchung seiner Wohn- und Kanzleiräume in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

I. 1. Der Beschwerdeführer ist hauptberuflich als Schuldnerberater für den Verein Schuldnerhilfe E. e.V. tätig. Daneben geht er von seiner Privatwohnung aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nach. Im Rahmen seiner Tätigkeit für den Verein Schuldnerhilfe E. e.V. wurde er für die Schuldnerin W. bzw. ihre vormundschaftsgerichtlich bestellten Betreuer W. tätig. Er vertrat sie erfolgreich in einer Klage gegen die Firma U. GmbH auf Auskunftserteilung gemäß § 34 BDSG wegen dort gespeicherter Schuldnerdaten. Die Verfahrenskosten wurden der U. GmbH mit Beschluss des Landgerichts vom 3. Februar 2006 auferlegt. Mit Erklärung vom 9. Februar 2006 traten die Betreuer der Schuldnerin W. in deren Namen sämtliche Kostenerstattungsansprüche aus dem vorgenannten Rechtsstreit zur Sicherung des Rechtsanwaltshonorars an den Beschwerdeführer ab. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20. Februar 2006 ließ die F. GbR, die zahlreiche Forderungen gegen die Schuldnerin W. aufgekauft hatte, die zu diesem Zeitpunkt bereits an den Beschwerdeführer abgetretenen Kostenerstattungsansprüche gegenüber der U. GmbH und der Landesjustizkasse pfänden und überweisen. Mit Schreiben vom 30. März 2006 zeigte der Beschwerdeführer gegenüber der U. GmbH an, dass die Kostenerstattungsansprüche der W. bereits an ihn abgetreten worden seien.

2. Im April 2006 erstattete die Firma F. GbR gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige wegen des Verdachts des Betrugs, der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs und der Gesamtumstände bestehe der Verdacht, der Beschwerdeführer habe die Abtretungserklärung nach Kenntniserlangung von der durch die F. GbR erwirkten Pfändung der Kostenerstattungsansprüche auf den 9. Februar 2006 zurückdatiert, um die Pfändung ins Leere laufen zu lassen.

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 24. Mai 2006 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohn- und Kanzleiräume des Beschwerdeführers nach "u.a. Rechtsanwaltshandakten bzgl. der Mandanten W. sowie W." an. Es bestehe der Verdacht, dass der Beschwerdeführer eine auf den 9. Februar 2006 zurückdatierte Abtretungserklärung vorgelegt habe, um über den tatsächlichen Zeitpunkt der Abtretung zu täuschen und die irrtumsbedingte Auszahlung der Forderung an sich zu erreichen.

4. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 9. November 2006 als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der Strafanzeige der Firma F. GbR und der zeitlichen Abfolge eines versuchten Betrugs hinreichend verdächtig gewesen. Wäre die Abtretung tatsächlich erst nach der Pfändung zugunsten der F. GbR erfolgt, stellte die Vorlage der Abtretungserklärung einen versuchten Betrug zum Nachteil des Amtsgerichts und der U. GmbH dar. Diese wären über die Person des Gläubigers getäuscht worden und hätten irrtumsbedingt an den Beschwerdeführer leisten sollen. Da eine schuldbefreiende Leistung an den Beschwerdeführer nicht möglich gewesen wäre, wäre den Schuldnern ein Schaden entstanden.

Der Tatvorwurf und die aufzufindenden Beweismittel seien hinreichend konkret umschrieben worden. Von einem formularmäßigen Beschluss könne keine Rede sein. Die Durchsuchung habe der Auffindung von in der Handakte befindlichen Daten oder Vermerken über Besprechungstermine mit den Betreuern der Schuldnerin W. gedient, aus denen Rückschlüsse auf eine etwaige Rückdatierung möglich gewesen wären.

II. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG .

Die Durchsuchungsanordnung sei unverhältnismäßig gewesen. Die F. GbR habe bereits mit ihrer Strafanzeige die fragliche Abtretungserklärung vorgelegt. Es sei nicht ersichtlich, welche weiteren Erkenntnisse die Durchsuchung hätte bringen sollen. Außerdem hätten den Ermittlungsbehörden weitere unabhängige Zeugen zur Aufklärung des Tatvorwurfs zur Verfügung gestanden. Insbesondere wäre eine Zeugenvernehmung von W. möglich gewesen. Es sei unverständlich, warum die Zeugen - die bei ihrer späteren Einvernahme auch das ordnungsgemäße Zustandekommen der Abtretung noch vor dem 9. Februar 2006 bestätigt hätten - nicht zunächst vernommen worden seien. Schließlich sei die Durchsuchung auch außer Verhältnis zur Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts gestanden.

Ferner umschreibe der Durchsuchungsbeschluss nicht hinreichend konkret die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat und die aufzufindenden Beweismittel.

III. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Gelegenheit zur Äußerung gehabt (§ 94 Abs. 2 BVerfGG ). Es hat von einer Stellungnahme abgesehen.

Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 29 Js 499/06 der Staatsanwaltschaft Essen vorgelegen.

IV. Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben, weil sie offensichtlich begründet ist. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden hat (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ).

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG , weil der empfindliche Eingriff einer Wohnungsdurchsuchung vorschnell und auf unzureichender Verdachtsgrundlage angeordnet wurde.

1. a) Art. 13 Abs. 1 GG garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Damit wird dem Einzelnen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ein elementarer Lebensraum gewährleistet. In seinen Wohnräumen hat er das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 [219 f.]; 59, 95 [97]; 96, 27 [40]; 103, 142 [150 f.]). Die Durchsuchung bedarf vor allem einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der jeweilige Eingriff muss in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 [51]; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 -, NJW 2005, S. 1917 [1922]).

b) Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 110, 226 [251 ff.]) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 44, 353 [371 f.]; 59, 95 [97]; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 u.a. -, NJW 2004, S. 3171 [3172]).

2. Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts nicht gerecht und die Beschwerdeentscheidung behebt diesen Mangel nicht.

a) Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers haben die Ermittlungsbehörden allein auf die Strafanzeige der F. GbR gestützt. Aus dieser Strafanzeige und den beigefügten Unterlagen ergab sich lediglich, dass der Beschwerdeführer für die Schuldnerin W. erfolgreich Klage auf Auskunftserteilung nach § 34 BDSG erhoben hatte, dass die F. GbR einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20. Februar 2006 hinsichtlich der Kostenforderung der Schuldnerin W. erwirkt hatte und dass deren Betreuer dieselbe Forderung bereits unter dem 9. Februar 2006 an den Beschwerdeführer abgetreten hatten. Ferner lag der Strafanzeige ein Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. März 2006 bei, mit dem er gegenüber der U. GmbH anzeigte, dass die Kostenforderung aus dem vorgenannten Verfahren zur Sicherung seiner anwaltlichen Honorar- und Kostenerstattungsforderungen bereits an ihn abgetreten worden sei. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Abtretungserklärung - mit oder ohne Wissen der Betreuer der Schuldnerin Wohlfeil zurückdatiert haben könnte - können der Strafanzeige nicht entnommen werden. Ebenso wenig ergibt sich allein aus dem bloßen Zeitablauf ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer. Der Ermittlungsakte lässt sich nur die von den Ermittlungsbehörden übernommene, durch keinerlei weitere Tatsachen gestützte Vermutung der Anzeigenerstatterin entnehmen, der Beschwerdeführer habe die Abtretungsanzeige zurückdatiert.

Auf dieser Grundlage durfte eine Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus. Aus einem nicht strafbaren und auch darüber hinaus rechtmäßigen Verhalten auf das Begehen einer Straftat zu schließen, hätte weiterer Anhaltspunkte bedurft (vgl. BVerfGK 5, 84 [90 f.]).

b) Auch wenn es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden ist, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden, haben sie sich hierbei stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn nahe liegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen - wie hier die Zeugenvernehmung der Betreuer der Schuldnerin Anneliese Wohlfeil - ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts steht. Die Stärke des Tatverdachts stand hier ersichtlich außer Verhältnis zur Schwere des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs.

V. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG ). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

VI. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG .

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Essen, vom 09.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 26 Qs 86/06
Vorinstanz: AG Essen, vom 24.05.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 44 Gs 2375/06